W ^tUMlCHISCHE SOZIALIST LA OTRA ALEMANIA DAS ANDERE DEUTSCHLAND ANO VI. NOVIEMBRE N o. 7 6 1 DE 1943 BUENOS AIRES TUCUMAN 3 0 9 U. T. 31 - RETIRO - 7264 Aus dem Inhalt: Zuviel Kritik? Hans Jahn: Angelsächsische Arbeiterbewegung Marceau Pivert: Sozialis- mus und europäisches Chaos Das Illegale Europa und das Andere Deutschland Friedensdiskussionen (Paul Hagen, Kurt Rosenield, S. Aulhäuser etc.) Fr. Mark: Zukunft der De- mokratie Diskussionstribüne t ^ PRECIOS DE VENTA Y SUSCRIPCION Suscripciön Numero anual suelto BOLIVIA:.................. Bolivianos 90 Bs. 6 — BRASIL:.................... Vruzeiros 30 25000 COLUMBIA:.................. i5.— 20 cts. COSTA RICA:................ Colones y 60 cts. CUBA:...................... ? 1.50 10 cts. CHILE:.................... P 45.— $ 3 — DOMINICANA:................ 9 1^0 10 cts. ECUADOR:.................. Sucres 22.50 s/. 1.50 EL SALVADOR:.............. P 3.75 25 cts. GUATEMALA:................ Quetzal 1.50 10 cts. HONDURAS:................. Lemplras 3.— 20 cts. MEXICO:.................. $ 7.50 50 cts. NICARAGUA:................ Dollars 1.50 75 centavos PANAMA Y ZONA DEL CANAL: .. . de cordob B. 1.50 10 cts. PARAGUAY: ................ $ 525 35 pesos PERU: .................... Soles 9 60 cts. PUERTO RICO:.............. Dollars 1.50 10 cts. U. S. A.:.................... Dollars 2.— 15 cts. URUGUAY:................ . $ oro 3.— 20 cts. VENEZUELA: ................ Bs. 7.50 Bs. 0.50 ENGLAND.................. 4 sh. 4 d. ARGENTINA . . . . .......... 6 pesos 30 ctvs. Cheques, giros y bonos postales exclusivamente a nonabre de JUAN CARL, TUCUMAN 309, BUENOS AIRES Freie Deutsche Buehne teatro alemän independiente. Casa del Teatro, Sta. Fe 1243. U. T. 41-2982. Leitung: P. Walter Jacob. Sonnabend 6 November, 20.30 Uhr "DER MANN, DER ZUM ESSEN KAM" (THE MAN WHO GAME TO DINNER) KoniMlc von Kauf man und Hart — Deutsch von Hedwig Schlichter DIE LETZTE AUFFUEHRUNG DER SPIELZEIT 1943 DAMENFRISIER-SALON HANS und ELISABETH VIAMONTE 879 — U. t. 31 - 2018 MAN1CUHB — DAUERWELLEN — FAERBEN — MASSAGE WNWMU«WW»WWWW>»>»«W>W^ ANZEIGENPREISE 1/4 Seite............„ IS — 1/1 Seite............S 40.— 1/8 Seite............. 7.50 1/2 Seite............. 20.— 1/16 Seite............. 4.— ORGANO DE LOS ALEMANES L1BRES DE LA AMERICA DEL SUR Editor y directon Dr. AUGUSTO HEMSEN, ex-iipularfo 4el Eelckilif. TUCUMAN 309 - BUENOS AIRES - U. T. 31 -7264 Jahrgang VI. - Nr. 76 - 1. November 1943 ZU VIEL KRITIK? Einzelne unserer Freunde sind der Meinung, dass unsere Kritik an der Politik der alliierten Mächte unbe- rechtigt oder doch zu weitgehend sei, und dass sich alles dem gemeinsamen Kampf zur Vernichtung der Angrei- fermächte unterzuordnen habe. Wir zitierten in Nr. 75 Alvarez del Vayo: "Einmal, mehr und zwar schärfer und1 tieutliclier als je zuvor ist die Tren- nungslinie gezogen zwischen denen, die in diesem Krieg einen Krieg ge- gen den Faschismus sehen, und denen die sein Ziel in der Vernichtung der Staatengruppen erblicken, die verant- wortlich ist für den Angriff". Wir sind überzeugt, dass del Vayo recht ha". Aus dieser Ueberzeugung ergibt sich für uns nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zur Kritik. Von Anfang an bis heute haben wir ohne opportunistisches Schwanken un- sere politische Haltung an folgender Grundlage orientiert: 1. Nationalsozialismus und Faschis- mus sind die Todfeinde. Mit ihnen gibt es keinen Kompromiss. Sie müs- sen mit dsn Wurzeln ausgetilgt wer- den. 2. Wir fühlen uns mit Jedem verbün- det, der Nationalsozialismus und Fa- schismus bekämpft, aber nur so weit er es tut. Was den ersten Satz angeht, so ha- ben wir immer wieder betont und nachgewiesen, dass der italienische Faschismus uir.d der deutsche Natio- — 1 nalsozialismus kein Zufallsprodukt, auch nicht Ausdruck einer besonderen italienischen oder deutschen Volks- mentalität sind, sondern dass ihre Wurzeln in der heutigen krisenkapita- listischen Wirtschaft und Gesellschaft liegen, dass zwar die besonders scheussliche Form, die der Faschismus in Deutschland angenommen hat, sich aus der Vereinigung des preussischen Militarismus mit dem Monopolkapita- lismus ergibt, dass aber faschistische Tendenzen überall in der kapitalisti- schen Welt vorhanden sind. Ihre Manifestationen haben wir stets bekämpft: Cliveden-Set, 200 Familien und Wall-Street: Dollfuss-Oesterreich und Franco-Spanien; Chamberlatnis- mus, Nichtinterventionsschwindel und Schmach von München. Umgekehrt haben wir Churchills gro- sse geschichtliche Leistung bei der Schlacht um England, haben wir Roo- sevelts gesehick e Ueberwindung des Isolationismus in USA unumwunden anerkannt. Wenn wir heute und zwar mit zunehmender Schärfe die Politik dieser beiden Männer kritisieren und erst recht die massgebender kapitali- stischer Kreise in England und in USA, so folgt das genau wie die frü- here Anerkennung aus unserer grund- sätzlichen Auffassung. Denn es entspricht unserer tiefsten Ueberzeugung, dass dieser Krieg für die Menschheit verloren ist,. wenn man zwar Mussolini und Hitler be- siegt, aber die Grundlagen des Fa- schismus und Nationalsozialismus be- stehen lässt. Aus dieser Ueberzeugung haben wir das Paktieren mit Fraoco wad die Ignorierung der spanischen Republikaner, die Zusammenarbeit mit Darlan und das Ausspielen Gi- rauds gegen de Gaulle, die Verherrli- chung. des Reaktionärs Mihailovitsch und das Totschweigen des jugoslawi- schen Volksheeres unter Tito, die An- erkennung Badoglios und seiner fa- schistischen Ministergeneräle und des. italienischen Königs und die Missachtimg der italienischen Arbei- terbewegung, ganz allgemein gespro- chen, die -Geringschätzung der europä- ischen Massenkräfte und der Massen- aktion und das Paktieren mit Faschi- sten und Halbfaschisten kritisiert. Wir würden uns selbst aufgeben, iwenn wir darauf verzichten wollten, und das zu einer Zeit, wo die Kritik, die man provoziert, überall wächst. Und ein anderes! Wir sind überzeugt, dass die Menschheit vor Entscheidun- gen steht wie nie zuvor. Die traditio- nellen Methoden der Geheimdiploma- tie, des Imperialismus, des divide et impera, der Skepsis und des Unglau- bens können nicht die alte Welt über - winden und eine neue aufbauen. Nicht Halbheiten und Kompromisse, sondern Entschlossenheit und Grund- sätzlichkeit, nicht Diskriminierung und Unterdrückung ganzer Völker im Sinne skrupelloser Politiker wie Van- sittart oder eitler und verantwor- tungsloser Schwätzer wie Emil Lud- wig, sondern — nach der Vernich- tung der Schuldigen und der Aus- Schaltung aller Mitschuldigen — ge- meinsame Arbeit am Neuaufbau auf der Basis echter Demokratie und ge- genseitigst! Vertrauens — darauf kommt es an. Schwere Erkrankung des gesamten ge - sellschaftlichen Organismus kann ebensowenig mit Herumdoktern an den Symptomen kuriert werden wie schwere Erkrankung irgendeines an- dern Organismus. Sie erfordert radi- kale Massnahmen. Kurpfuscher, de- nen Einsicht und Wille dazu fehlt, müssen ausgeschaltet werden. Wer aber- vermöchte zu glauben, dass die Nutzniesser des monopolkapitalisti- schen Systems, dass die Diplomaten und Politiker der altein Schule diese Einsicht und diesen Willen besitzen? '^Öie Neuordnung kann nur ausgehen von denen, die den Kampf gegen Na- tionalismus und Militarismus, gegen Monopolkapitalismus, Imperialismus und Faschismus grundsätzlich füh- ren. Die illegalen Kämpfer in Europa, nicht zuletzt in Deutschland setzen ihr Leben und mehr als ihr Leben aufs Spiel für ihren Glauben an Frei- heit, Gerechtigkeit und Menschen- würde. Die politische Emigration darf sich nicht mit ihnen vergleichen. Aber das Heldentum der illegalen Kämpfer sollte für sie neben der Auf- gabe des alten (Plunders kleinlicher Partei- und Kliquenkämpfe die Ver- pflichtung zu klarer, grundsätzlicher Haltung bedeuten. Heute sind viele wertvolle menschliche Kräfte, die in den früheren "ruhigen" Zeiten dem gesellschaftlichen und politischen Ge- schehen fernstanden, aufgelockert, er- wacht. Sie fühlen, dass man in dieser Welt nicht mehr leben kann, dass man sie verändern muss, um leben zu können. Unsere Aufgabe ist es, ihr Gefühl in Erkenntnis, ihre latente Energie in Aktion zu verwandeln, in- dem wir ihnen ohne opportunistisches Schwanken den Weg zeigen in die bes- sere Welt, die sie ersehnen. Deshalb fordert unsere Kritik, dass der Menschheit nach furchtbarsten Leiden grosse, eindeutige und klare, aufrüttelnde und begeisternde Ziele gezeigt werden. Wir haben dabei kei- ne Angst vor dem Vorwurf mangeln- den Realismus, keine Angst davor, dass man uns Ideologen und Schwär- mer schilt. Kühne Konzeption und radikales Denken schllessen keines- wegs Nüchternheit und Realismus aus, wohl aber verbieten sie opportunisti- sches Verschweigen der Wahrheit und Preisgabe des Grundsätzlichen um au- genblicklicher Situationen und billi- ger Tageserfolge willen. An zu viel "Realismus", Nüchternheit und Klein- lichkeit, am Mangel an Kühnheit und am Fehlen fortreissender, begeistern- der Ziele krankte in Deutschland die Arbeiterbewegung dieses Jahrhunderts, Nicht zuletzt daran ist die Weimarer Republik zugrundei gegangen. Mehr noch als damals tun im heutigen Chaos, in der heutigen Weltenwende Grundsatzfestigkeit und Zielklarheit not. Aus beidem folgt aber auch die Pflicht zur Kritik, die Pflicht zu klä- ren, indem man ausspricht, was ist. Hans Jahn: DIE SITUATION DER ANI ARBEITERBEWEGUNG Die Stellungnahme der angelsächsi- schen Arbeiterschaft zu den Nach- kriegsproblemen, insbesondere ihre Einstellung zur Sowjetunion, zu einer neu entstehenden deutschen Arbeiter- partei und zu den Arbeiterparteien der heute besetzten europäischen Län- der ist für den kommenden Frieden von grösster Wichtigkeit. Im hochkapitalistischen Nordamerika haben weder die sozialistische noch die kommunistische OFartei nennens- werten Einfluss auf die Massen ge- winnen können. Wie erklärt sich die- se Tatsache? In der Julinummer der 'englischer.-; sozialistischen 'Zeitschrift "Lest News" versucht ein ungenann- ter amerikanischer Sozialist diese Frage zu beantworten. Zur Zeit des Aufstiegs und der wach- senden Einflussnahme der sozialisti- schen Parteien in Europa waren in der USA die wirtschaftlichen Voraus- setzungen noch nicht in gleichem Ma- sse gegeben. Der nordamerikanische Kapitalismus hatte dem kleinen Un- ternehmer und Handwerker noch nicht seine Aufstiegsmöglichkeiten ge- nommen, und auch für den einzelnen Facharbeiter bestand die Möglichkeit zur Verbesserung seines Lebensstand- ards. Erst vor dem ersten Weltkrieg begEien die sozialistische Partei einen stetig wachsenden Einfluss zu neh- men. Die verschiedenen Einstellungen der Fraktionen zum Kriege unterbra- chen diese Entwicklung, dann beraub- te die Abwanderung aktiver Führer in die 19:24 aus der Illegalität auftau- chende kommunistische Partei die So- zialisten vieler wertvoller Elemente. Jedoch auch diese konnte keine Mas- senbasis gewinnen, da die Kurs- schwankungen in der Dritten Inter- nationale und die daraus resultieren- den Ausstossungen und Abspaltungen sich in der kleinen amerikanischen Partei getreulich widerspiegelten. Die grosse Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre brachte zwei ein gewaltiges Anschwellen der Gewerkschaftsbewe- gung, liess die Sozialistische Partei dagegen nie eine höhere Mitglieder- zahl als 25.000 erreichen. Durch ge- schickte taktische Manöver und pa- triotischen Volksfrontopportunismus konnte es die kommunistische Partei zu dieser Zeit bis auf nahezu 100.000 Mitglieder bringen. Zunächst die Mos- kauer Prozesse und dann vor allem der deutsch-russische Pakt liessen auch diese Partei wieder in die Be- deutungslosigkeit zurücksinken. Von den Gründen, die der Verfasser als Hindernisse für das Entstehen ei- ner starken sozialistischen Partei an- führt, seien nur die wichtigsten ge- nannt. Einmal treibt das praktische, völlig undogmatische Denken des Amerikaners ihn wöhl in Gewerk- schaften, hält ihn aber vom Eintritt in eine Weltsnsch auun gsparts i zu- rück. ihn interessiert die augenblick- liche Verbesserung seiner Lebensbe- dingungen mehr als eine allgemeine Gerechtigkeit. Der Lebensstandard der Facharbeiter und des kleinen Mit- telstandes hat sich sowohl absolut wie relativ gehoben. Die Möglichkeit, Au- tomobile. Kleider, Eisschränke usw. zu erwerben, täuscht ihm eine Anglei- chung an den Lebensstandard dieser Klassen vor. Dann aber wird ihm jetzt von der Regierung Roosevelt in Gestalt des New Deal 'eine Planwirt- schaft geboten, die ihm verständlicher erscheint, als die von den Sozialisten geforderte, ideologisch begründete Planwirtschaft, die, wie das russische Beispiel gezeigt hat, die Gefahr nicht nur' der wirtschaftlichen, sondern auch der politischen Diktatur ein- schliesst. Der Opportunismus der Kommunisten hat ausserdem in sei- nem Bemühen, die Grundsätze der Tagespolitik anzupassen, um sie so mundgerecht zu machen, von dem grossen Gegensatz Sozialismus-Kapi- talismus abgelenkt und den gerade In den entscheidenden Krisen jähren gut ausgebauten Presse- und Propaganda- apparat der Partei der Behandlung zweitrangiger Augenblicksfragen ge- widmet. Kein Wunder war es daher, dass aus dem vagen Kämpf gegen den Faschismus bei Kriegsausbruch schnell eine durch keinerlei innenpolitische Vorbehalte getrübte Waffenbrüder- schaft mit dem Klassengegner zur Bekämpfung der "faschistischen Staa- ten" wurde. Im Gegensatz zu der Schwäche und Bedeutungslosigkeit der sozialistischen Bewegung in den USA ist die engli- sche Labour-iParty ein MachtfakLor, dessen Stimme bei der Neugestaltung der Welt nach dem Krieg kaum über- hört werden kann. Wieweit ist in ihr die Erkenntnis der Notwendigkeiten des Morgen und der Wille zum Kampf um diese Zielsetzungen vorhanden? Die Labour-Party hat seit Kriegsbe- ginn den Weg des Burgfriedens ein- geschlagen, mit dem 1914 die deutsche Sczialdemokra.ie ihre ideologische Un- reife demonstrierte, sie nimmt an der Verantwortung durch die Entsendung ihrer Minister in das Kabinett Chur- chill teil, und eine vielkommentierte Entschliessudg des letzten Parteitages ist als Zustimmungserklärung zu den Anschauungen des Herrn Vansittart gedeutet worden. Eine solche Deutung ist jedoch, wie Harold Laski in einem ausführlichen Kommentar zu diesem Parteitag er- klärt, unrichtig. Durch eine unklug formulierte Resolution über die Be- handlung der heute feindlichen Völ- ker nach dem Kriege, die einige Spit- zen gegen der vansittartistisch beein- flussten Bewegung "Fight for Free- dom" nahestehende Gewerkschafts- führer enthielt, stellte der Delegierte Stokes die Mehrheit der Anwesenden vor die Alternative, ihre eigenen Füh- rer öffentlich zu dessvouiren oder die Elitschliessung, der viele von ihnen sonst wohl zugestimmt hätten, abzu- lehnen. Diese Ablehnung erfolgte dann auch und wurde in weiten Krei- sen der Presse und der Oeffentlich- keit missdeutet. Laski stellt ausdrück- lich fest, dass die Partei in ihrer übergrossen Mehrheit nach wie vor eine Gleichsetzung des deutschen Vol- kes mit den Nazis ablehnt. Die Beibehaltung des Burgfrieden^ und der sich daraus ergebende Ver- zicht auf Wahlkämpfe während des Krieges wurde mit starker Mehrheit beschlossen, obwohl manche Delegier- te gewichtige Argumente dagegen ins Feld führtsn. Auch Laski hält es für sehr bedenklich, für das politische Le- ben Englands, dass der Kontakt zwi- schen Volk und Parlament, eine der Kraftquellen der englischen Demokra- tie, auf diese Weise jahrelang unter- brochen wird, dass Menschen, die seit 1935 wahlberechtigt sind, noch nicht dazu gekommen sind, dieses Recht auszuüben, und dass durch das Zu- rückstellen der Gegensä ze das rege Leben der lokalen Parteiorganisatio- nen fast völlig gelähmt ist. Eine der wichtigsten und für die Zu- kunft der Partei ■entscheidendsten Fragen, die auf dem Parteitag behan- delt wurden, war der Antrag der eng- lischen Kommunisten auf Aufnahme in die Labour-Party. Wieder einmal würd; bewiesen, wie verheerend die jahrelangen taktischen Wendungen und Verbiegungen sich für die Schaffung einer gemeinsamen Arbeiterpartei aus- wirken. Der Wall des Misstrauens, den die bisherig n Infiltrationsmanö- ver der Kommunisten, die immer wie- der erneuten Versuche der Aushöh- lung sozialistischer Arbeiterorganisai- tionen von innen her, errichtet haben, lässt sich nicht über Nacht abtragen. Gerade diejenigen Sozialisten, denen die Einigung' der Arbeiterschaft wirk- lich am Herzen liegt, zeigen sich hier am vorsichtigsten. Trotz der Auflö- sung der In ernationale bleibt Moskau noch immer die Zentrale der kommu- nistischen Bewegung. Deshalb will die Labour-Party auch die Einigungsver- handlungen nicht mit den englischen Kommunisten, sondern nur direkt mit der zuständigen Stelle in Moskau füh- ren. Die Absendung einer Delegation nach Russland ist bereits im Prinzip beschlossen"' worden, jedoch behält der Parteivorstand sich die Wahl des günstigen Augenblicks für diese Mis- sion vor. Laski macht sich nicht die schematische Unterscheidung der bei- den Parteien als Anhänger der Demo- kratie bezw. der Diktatur zu eigen. Vielmehr sei in Zukunft auch für die LE'bour-Party die Respektierung der parlamentarisch-demokratischen Spiel- regeln von der Bereitschaft ihrer Geg- ner abhängig, diese einzuhalten. Der (Parteitag hat bewiesen, dass bei manchen Differenzen über den ge- genwärtig einzuschlagenden Weg die Delegierten unbeirrt an ihren soziali- stischen Forderungen für die Nach- kriegszeit festhalten. Diese Forderun- gen gehen weit über den Beveridge- Plan, den die Partei unterstützt, hin- aus. Sollen die versprochenen vier Freiheiten Wirklichkeit werden, so kann das nur auf einem Wege ge- schehen: dem sozialistischen. Lässt sich im Kriege um des gemeinsamen Zieles Willen ein Zusammengehen mit Churchill für die Labour-Party ver- antworten, so ist es nach dem Kriege unmöglich und würde das Ende der Partei bedeuten. Nach einer kurzen Prüfung der Haltung des Prime-Mini- sters in der Indienfrage charakteri- siert Laski ihn als Vertreter eines anachronistischen Imperialismus, des- sen Händen man den Aufbau der neuen Welt keineswegs überlassen darf. Diesen klaren Erkenntnissen stehen einige Tendenzen innerhalb der Par- tei gegenüber, die Zweifel daran auf- kommen 1-s.sen, ob ihnen auch eben so klare und entschiedene Taten fol- gen werden. Da ist einmal die Nei- gung der Labour-Minister, nach Kriegsende die Koalition mit den Konservativen weiter aufrechtzuer- halten, und da ist ferner die auch bei der deutschen Sozialdemokratie so unglückselig in Erscheinung getre- tene Ueberalterung des Farteiappa- rats. Es fehlen junge Funktionäre, es fehlen jühgere Kandidaten für die Parlamsntsbänke, wenn nach dem Kriege der entscheidende Wahlkampf zwischen Konservativen und Labour geführt werden wird, für den die M- steren schon heute junge Flieger und Offiziere ausgewählt haben. Die englische Arbeiterpartei nimmt am Kriegsende eine Schlüsselstellung von grösster Bedeutung ein. Von ih- rer Haltung, von ihren Erfolgen oder Misserfolgen wird viel für England, aber auch für Deutschland und ganz Europa abhängen. Marceau Pivert; DER SOZIALISMUS UND DAS EUROPAEISCHE CHAOS Marceau Pivert ist einer der angesehensten und klarblickendsten Führer der jüngeren Generation des Sozialismus in Frankreich, dessen linkstem Flügel er angehörte, bis er sich zur Zeit der Nichtintervention und der Vorbereitung des 2. Weltkrieges von der SFIO trennte. Von Meixko aus- sendet er uns den folgenden Beitrag: Wieder einmal nähert sich die Stun- de, in der die politische Reife der europäischen Massen auf die Probe gestellt werden wird. Sehr viele Pro- bleme, die Themen für unzählige Kontroversen in den Reihen der So- zialisten abgegeben haben, sind heute in dem einen oder andern Sinne ge- löst worden. Jedoch werden am Hori- zont für alle kämpferischen Soziali- sten neue Probleme sichtbar, die we- der die Theoretiker noch die Prakti- ker jemals früher zu lösen hatten. Es handelt sich um die Probleme, die da- durch entstehen, dass zum mindesten im Bereich eines ganzen Kontinents ein soziales System in Blut, Barbarei und Trümmern untergeht; Leiden- schaften werden durch Hunger, Epi- demien, Elend und Tod auf den Gip- fel getrieben, systematisch werden Städte und Menschen vernichtet, von schlauen Sklavenhaltern wird Rassen- und nationalistischer Hass gezüchtet, die Jungen sind verzweifelt, die Alten skeptisch, es triumphiert der Zynis- mus der Abenteurer, der Gescheiter- ten und Banditen, deren Zahl sich notwendigerweise in einem Weltkrieg riesig erhöht, Tausende, Hunderttau- sende sind verstümmelt, Witwen, Waisen, die Wirtschaft ist ausgesaugt, Maschinen und Menschen verbraucht .. . wie soll mit solchem Material et- was Dauerhaftes errichtet werden? Allein die sozialistische Methode hat gegenüber diesem Superchaos einige Aussicht auf Erfolg. Jetzt oder nie ist der Augenblick gekommen, dass wir als Sozialisten handele, überall. Fa- schismus und Krieg haben nicht ver- hindert werden können, weil die Mas- sen der Arbeiter und Bauern, der Techniker und Industriellen in den grossen Industrieländern nicht Sozia- listen genug waren. Behaftet mit ober- flächlichen und leichtfertigen Ideolo- gien, irregeführt von unfähigen Füh- rern — aber man hat die Führer, die man verdient — haben die europäi- schen Arbeiter an die Möglichkeit ei- nes Friedens ohne Revolution ge- glaubt. Sie haben geglaubt, man kön- ne gegen den Faschismus mit Stimm- / zetteln, in Parlamenten, mit Dekre- ten über die Auflösung der faschisti- schen Verbände kämpfen. Als sie im Jahre 1936 die Fabriken in den Hän- den hatten, wie in Prankreich oder die Waffen wie in Spanien, sind sie reformistischen oder opportunis iischen Führern gefolgt, die die revolutionäre Umwandlung der Gesellschaft auf später verschieben wollten. Diese Irrtümer werden heute auf tra- gische Weise mit Strömen von Blut, einem Meer von Elend und Tränen bezahlt, unserer Zeit zur Schande. Diejenigen unter den Sozialisten, die Widerstand geleistet haben, und die junge Generation, die aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben soll- te, werden bald eine Verantwortung auf ihren Schultern tragen, die hundert mal grösser ist als die der französi- schen oder spanischen Arbeiterführer im Jahre 1936. Das Schicksal unge- heuerer Menschenmassen in China, in Indien, in Afrika wird in grossem Ma- sse von dem abhängen, was in Euro- pa in den kommenden beiden Jahren sich ereignen wird. Ebenso natürlich auch das Schicksal der amerikani- schen Arbeiter. Daraus resultiert als erste Pflicht für einen bewussten, revolutionären So- zialisten in diesem Jahre 1943; kom- promisslose Intransigenz. Die soziali- stische Analyse ist nicht eine Art in- tellektuellen Luxus, den man in der Stunde der Krise aufgeben kann. Sie ist der genaueste und vollständigste Ausdruck der wissenschaftlichen Not- wendigkeit der heutigen Menschheit. TJmso schwerer die Krise ist, umso rigoroser muss die sozialistische Idee, umso tadelloser muss die sozialisti- sche Moral sein. In seinen Beziehungen zu den anti- faschistischen Demokraten guten Glaubens, die sich über die letzten Ur- sachen der gegenwärtigen Weltkrise klargeworden sind, muss der revolu- tionäre Sozialist daher seine Prinzi- pien, seine Perspektiven, die Ver- pflichtung seines Gewissens, seine wahren Absichten offen und ehrlich zum Ausdruck bringen. Er hat zu sa- gen, dass die völlige Niederlage des Faschismus und die Errichtung eines dauerhaften Friedens nur resultieren kann aus der Vernichtung aller Keim- zellen des Faschismus und des Krie- ges, d. h. aus der Vernichtung des kapitalistischen Systems. Das will sa- gen, dass das europäische Chaos nur — 6 dann überwunden wird, wenn die Europäische Föderation der Sozialisti- schen Republiken verwirklicht wird. Das zu erreichende Ziel ist damit klar umrissen: es ist ein Europa, in, dem die verschiedenen regionalen und na- tionalen Kollektivitäten sich wie die französischen Provinzen im Jahre 1790, spontan und freiwillig vereini- gen, im Rahmen einer Planwirtschaft^ die weder einem einzigen Junker, noch einem einzigen Privatbankier, noch einem einzigen Trust, noch ei- nem einzigen Parasiten oder Ausbeu- ter auch nur ein Atom von Einfluss oder einen Fussbreit Boden oder den Schatten von Macht belassen wird. Auf dieser Grundlage wird die revo- lutionäre sozialistische Einheit zwi- schen der illegalen Bewegung im Land und den Emigranten automatisch her- gestellt werden. Aber diese allgemeine Perspektive ge- nügt nicht. Schon heute sind unsere italienischen sozialistischen Freunde unausweichlich vor konkrete unmit- telbare Aufgaben gestellt, die die so- zialistische Methode mit neuem Licht erhellen muss. Zunächst haben wir gegenüber den alliierten Mächten, die den militäri- schen Kampf gegen den Faschismus führen, gewisse Minimalforderungen im Namen ihrer eigenen, von ihnen proklamierten Prinzipien zu stellen. Sie bestehen ganz' einfach im Recht auf freies Denken und freie Meinung, im Recht auf Gedankenaustausch, auf Organisationen, auf Gewerkschaf- ten, Parteien, Kooperativen und Kul- turvereinigungen und zwar ohne jeg- liche Beschränkung. Diese elementaren Freiheiten stellen den Sauerstoff dar, ohne den eine Demokratie, die diesen Namen wirklich verdient, nicht exi- stieren kann. Wenn man behauptet, dass die Massen mit dieser Freiheit nichts werden anfangen können, wenn man eine Militärdiktatur fordert oder errichtet, wenn man jede politische Betätigung verhindert oder sie als "aufrührerisch" bezeichnet, wenn man abweichende Ansichten über oder Kri- tik an den etablierten Institutionen einfach zum Verbrechen stempelt, so ist man trotz aller Etiketten, mit de- nen man sich schmückt, nur ein Fa- schist, ohne es zu wissen; gegen ihn wird jede Untergrundaktion und un- erbittlicher Kampf umso' mehr zur Pflicht, als brave Arbeiter sich durch die Heuchelei der Etikette täuschen die inspiriert ist von der Notwendig lassen könnten. Wenn die Meinungs- und Gedanken- freiheit einmal wiedererobert ist, gibt es zum Ankurbeln des Wirtschafts- und Verwaltungsapparates nicht 36 mögliche Methoden, sondern nur zwei. Die erste ist die Ankurbelung von oben. Die alliierten Autoritäten ge- ben ihr offensichtlich den Voraug. Importierte Militärs und Verwaltungs- beamte übernehmen die Leitung der öffentlichen Dienste, sichern die Ach- tung! des "Eigentums", vermeiden "Un- ordnung und Anarchie", d. h. verhin- dern wahrscheinlich jede revolutio- näre sozialistische Betätigung, die das soziale und wirtschaftliche Regi- me des durch den Krieg und die Nie- derlage ruinierten Landes gefährden könnte. Es wäre natürlich utopisch, von den Vertretern eines siegreichen politischen und militärischen Regimes zu erwarten, dass es anders als im Sinne der innerern Logik dieses Regi- mes handelt, d. h. im Sinne der Er- haltung des kapitalistischen Systems. Dieser Lösung von oben, die das Pro- dukt eines siegreichen Systems ist, das Bestreben hat, sich zu erhalten, kann man und muss man daher die sozialistische Lösung entgegenstellen, keit eines neuen Regimes, das im Be- griffe ist zu entstehen und den Be- weis seiner Ueberlegenheit anzutreten. Das ist die Lösung von untern, in völ- liger Freiheit und Unabhängigkeit, die von der Wurzel ausgeht. Niemand vermag heute zu sagen, wel- che von beiden Methoden sich durch- setzen wird. Aber von der anfängli- chen Orientierung wird vielleicht zu einem grossen Teil der Charakter der europäischen Gesellschaft der Nach- kriegszeit abhängen. Sei dem wie es wolle, die Sozialisten hätten Unrecht, sich von einer Art Minderwertigkeits- komplex paralysieren zu lassen. Sie haben einige wertvolle Trümpfe in der Hand. Das Wichtigste ist, dass sie wirklich als Sozialisten und freie Menschen auftreten, als Menschen, die nicht bereit sind, irgend einer von aussen kommenden Regierung ihre Freiheit feilzubieten. Nur so werden sie den Volksmassen der Siegerstaa- ten Sympathie und Solidarität abge- winnen und — wer weiss? — vielleicht sogar ihren Klassengegnern Respekt. In letzter Instanz wird sozial wie wirt- schaftlich alles vom Organisations- vermögen und dem Freiheitssinn der Arbeiter abhängen. DAS ILLEGALE EUROPA UND DAS ANDERE DEUTSCHLAND Di© folgenden Auszüge aus illegalen Zeitungen des unterdrückten Euro- pas, die wir dem ITF-Dienst entnehmen, zeigen, dass trotz allem der Wille zur internationalen Zusammenarbeit lebendig geblieben ist und stärker als je die Hoffnung auf eine grundsätzliche Neuordnung Europas v.'ächst. Man beachte die weitgehende Uebereinstimmung der folgenden Ausfüh- rungen mit den Beschlüssen von Montevideo. (S. DAD No. 60): NORWEGEN Die bedeutende illegale norwegische- Zweitschrift "Freie Gewerkschaftsbewe- gung'' schreibt: "Die Vereinigten Nationen müssen aus Eigeninteresse und im Interesse des künftigen Friedens bereit sein, ein demokratisches System in Deutsch- land, in Italien und den anderen Dik- taturstaaten zu fördern. Durch geeig- nete Massnahmen sollten sie helfen, Deutschland sozial umzugestalten, um die demokratischen Kräfte zu stärken und ihre Feinde zu schlagen. Die de- mokratische Welt hat ein Recht dar- auf, diesen Prozess wirksam zu kon- trollieren. Dieser Plan setzt eine en- ge Zusammenarbeit mit deutschen Demokraten und Sympathie für deut- sche demokratische Traditionen vor- aus. Die deutsche Revolution, die durch den Zusammenbruch des Nazis- mus ausgelöst werden wird, darf sich nicht auf die politische Sphäre be- schränken. Wenn der Nazismus ge- schlagen werden soll, müssen die wichtigsten sozialen Kräfte ebenfalls vernichtet werden, die ihn gestützt haben: Schwerindustrie, Junker und Generäle. Die Arbeiterklasse wird ein wichtiger Faktor einer derartigen Um- gestaltung sein und wird wahrschein- lich versuchen, die Demokratie durch sozialistische Massnahmen zu stärken. Von grosser Bedeutung wird sein, ob die Hilfsquellen und militärischen Kräfte der Siegerstaaten auf dem eu- TopäfeÖ&ft j^estlfttod' trur UtiterSKSÜ- züng oder zur Behinderung einer der- ästigen Entwicklung benutzt werden. Die britische Arbeiterpartei hat er- klärt, dass sie sich jedem Versuch der Sieger widersetzen wird, ihre militä- rische und wirtschaftliche Macht da- zu zu benutzen, die einzelnen Natio- POLB7N "Freiheit", das illegale Blatt der polni- schen Sozialisten schreibt: "Der Wunsch nach Rache, der so be- rechtigt und verständlich ist, kann leicht in den Wunsch, andere Natio- nen zu beherrschen, umschlagen und so kann es geschehen, dass der Na- zismus den Krieg verliert und den- noch seine Methoden und Ideen triuci- fieren. Wir müssen deshalb die lei- denschaftliche -Forderung nach Ra- FRANKREICH <-L»e Populaire", das illegale Blatt der französischen Sozialisten schreibt: "In Bezug auf Deutschland verwirft die S. P. jede Idee eines Rachefrie- dens gegen das deutsche Volk. Aber sie ist sich darüber klar, dass der Na- zismus, für dessen Grosswerden die Westmächte einen Gross teil der Ver- antwortung tragen, eine Generation junger Untiere herangezüchtet hat, die neu erzogen werden müssen. Deutschland muss die Folges des Sie- ges der Demokratien spüren und er- fahren, dass Ueberfall auf andere sich nicht lohnt. Die deutsche Militär- maschine muss zerstört, die Macht der Schwerindustrie gebrochen, das Besitztum der Junker sozialisiiert werden, ohne dass Deutschland auf- geteilt wird. Bin föderatives System sollte in Deutschland eingeführt wer- den, das die Herrschaft des preussi- schen Geistes bricht. Deutschlands politische Institutionen und seiine Er- HtfcLLAN» "Frij Ncd er land1' tierichtet aus der ille- galen holländischen Presse: ' "Im Prinzip müssen wir auf die gleich- berechtigte Aufnahme Deutschlands in die Gemeinschaft -dar europäischen Völker, hinarbeiten. Aber es wird eine Uebergangszeit geben, deren Dauei* von der Bereitschaft der Deutschen abhängt, mit ihrer nationalistischen und militaristischen Vergangenheit zu brechen. Man muss das Erziehungs- neri an der Gestaltung ihrer Zukunft zu hindern. Wir teilen diese Ansicht. Eine Intervention gegen demokratische Volksbewegungen wäre nicht nur im Widerspruch mit der Atlantic-Char- ter, sondern würde auch die Reak- tion stärken." che zurückdrängen und der Idee der Gerechtigkeit nachstreben. Wer im- mer versucht, Polen dazu zu überre- den, Nazi-Methoden nach dem Kriege gegen schwächere oder jünger® Natio- nen anzuwenden, will praktisch Po- len um die Früchte seines Sieges bringen. Das Ziel, für das wir kämp- fen seilten, ist eine Gemeinschaft al- ler Nationen und die Zusammenarbeit aller Staaten der Welt." Ziehung müssen kontrolliert werden. Diese Reformen können jedoch nur in einer Welt durchgeführt werden, in der sozialistischer Einfluss vorherrscht, und sie setzen eine enge und freund- schaftliche Zusammenarbeit mit" deut- schen Demokraten voraus. Die Zer- störung der deutschen Militärmaschi- ne muss der erste Schritt zur allge- meinen Rüstungsbeschränkung wer- den. Die Beschränkung der deutschen Souveränität wird wahrscheinlich zu Schwierigkeiten führen, die nur über- wunden werden können, wenn die an- deren Länder ebenfalls bereit sind, weitgehenden Beschränkungen ihrer eigenen Souveränität zuzustimmen. Die Idee der Aufteilung Europas un- ter zwei oder drei Grossmächte muss abgelehnt werden. Die S. P. ist der Auffassung, dass internationale Ge- meinschaft ohne Zusammen arbeit mit der Sowjet-Union auf der Basis der Gleichheit, Treue und des gegenseiti- gen Vertrauens unmöglich ist." System vollkommen umstellen und den Staatsapparat gründlich säubern. Die Demokraten haben das in der Weimarer Republik wohl auch ver- sucht, aber sie stiessen auf einen zu grossen Widerstand der Reaktion. Den reaktionären Kräften muss ihre soziale und finanzielle Grundlage ent- zögen und eine neue Gesellschaftsord- nung muss eingeführt werden. Zu- nächst muss der ostslbische Grund- besitz entschädigungslos enteignet werden. Auch der Machtstellung der Grossii.Tdustriellen und des preussi- schen Militarismus, die die Stützen und Geldgeher des Nazismus waren, muss ein Ende gemacht werden. Es ist die Tragödie der Weimarer Repu- blik gewesen, dass für die Massen des deutschen Volkes Demokra ie identisch war mit Inflation, Kriegs- schulden, Wirtschaftskrise und Ar- beitslosigkeit. Darum wäre auch jede Politik des wirtschaftlichen Nieder- haltens Deutschlands und erst recht seine Aufteilung falsch. Die Einord- nung Deutschlands in eine europäi- sche Planwirtschaft ist unbedingt not- wendig. Auch für Deutschland gilt, dass das Produktionssystem völlig ge- ändert werden muss. Die Produktion muss, statt dem Unternehmer oder dem Unternehmen zu dienen, nach den Interessen des Verbrauchers, auf die Wohlfahrt der Massen der Bevöl- kerung ausgerichtet werden. Das 1918 a nerkanm te Selbstbes timmungsrecht der kleinen Völker hat, so berechtigt es in kultureller Beziehung war, poli- tisch und wirtschaftlich nichts als Elend gebracht. Ein guter Friede ist jetzt undenkbar, ohne dass ein Teil der politischen und wirtschaftlichen Souveränität des Staates an ein hö- heres europäisches Organ übertragen wird. In diesem Zusammenhang wird das Problem der Gleichberechtigung nicht eine Frage der Zurückgabe sou- veräner Rechte an' den Besiegten, son- dern eine Frage des Zustehens eines bestimmten Einflusses im Europäi- schen Rat. Das hat nicht allein prak- tische sondern auch viele psychologi- sche Vorteile: die Freiheit der Be- waffnung, die Freiheit, Zollgrenzen zu errichten oder abzutragen etc. be- steht dann für Deutschland genau so viel und so wenig, wie für jeden an- deren europäischen Staat, sodass kei- ne Gelegenheit für politische Minder- wertigkeitskomplexe — selbst bei den Deutschen —■ bleibt." ZWEI FRIEDENSDISKUSSIONEN Der Diskussion des Problems: Was soll mit Deutschland geschehen? wid- det die mit Unterstützung- des Polni- schen Informations-Zentrums erschei- nende Zeitschrift "New Europe" den grössten Teil ihrer Juli-August-Num- mer. Erfreulich an dieser Aussprache ist die Tatsache, das zu den wichtig- sten Beiträgen — in einer von Po- len geleiteten Zeit- schrift! — Deut- sche wie Friedrich Wilhelm Förster, Paul Hagen, Fried- rieh Stampfer, Ger- hart Seeger heran- gezogen w u r d e n. Daneben spielen Aufsätz,e ' wie die des Kerensky-Man- nes Soloveichik, der an Hand 'alldeut- scher Literatur Wasser auf die Mühlen Vansittarts leiten will, oder der Beitrag Lionel Gelbers in dem vor der Unterscheidung zwischen "guten" und "schlechten" Deut- schen als Schwächung der a.lli- Paul Hasen ierten Kriegsanstrengungen gewarnt wird, eine untergeordnete Rolle. Wil- helm Bundschuh und Andreas Dorpa- len behandeln nur Teilprobleme."Preu- ssen muss sterben, damit die Welt le- ben kann", ist die These Bundschuhs. Er befürwortet aber nicht etwa die Aufteilung Deutschlands, sondern ei- nen Föderalismus, wie er auch von dem Schöpfer der Weimarer Reichs- verfas'sung angestrebt wurde, um Preussen seine Vormachtstellung in Deutschland z.i nehmen. Dorpalen da- gegen schlägt eine etwas merkwürdi- ge Lösung vor: eine differenzierte Behandlung West- und Ost-Elibiens. Eine Aufteilung Deutschlands in die- se zwei Gebiete scheint dem Verfas- ser nicht vorzuschweben. Dagegen soll Ostelbien als der reaktionärere Teil feiner strengeren Behandlung unter- worfen werden als Westelbien, das ei- ne stärkere demokratische Ueberlie- ferung habe. Der Vorschlag ist sro we- nig-detailliert, dass eine Diskussion darüber kaum möglich ist. Paul Hagen, Stampfer und Seeger stimmen in ihrer Grundhaltung über- ein: Soll eine endgültige Lösung ge- schaffen werden, dann dürfen die Al- liierten nicht der deutschen sozialen Revolution in den Arm fallen. Dir klare Unterscheidung zwischen den tl^Ktie^f^nattOTiäinstiBfchen toi« Äen demokratisch-revolutionären Kreisen sei erforderlich. Hagen spricht es am klarsten aus: ''Kann ein Zweifel dar- über bestehen, dass die verabscheu- ungawerte Mordpolitik Deutschlands ihre geschichtlichen Wurzeln nicht in den deutschen demokratischen Tradi- tionen tund Bewegungen, sondern in den reaktionären Traditionen un 1 Kräften seiner Elite habe, und ist es deshalb nicht klar, dass die einzige Garantie gegen eine Rückkehr einer deutschen Angriffs-Politik in der Voll- endung seiner demokratischen Revo- lution liegt? Ja, etwas» muss in Deutschland bestraft werden, etwas mu-ss zerstückelt werden, vertikal, nicht horizontal. Das Messer hat nicht durch die Nation zu gehen, sondern durch jene Teile machtvoller Cliquen, die die Kraft der missbraucht haben. Das ist, so scheint uns, die einzige Politik gegenüber Deuts chland, die Sicherheit schaffen wir d." Einseitige Entwaffnung und Kontrolle Deutsch- lanlis werden un- vermeidlich s e i n. Aber "die interna- t i o n ale Kontrolle sollte nicht darin bestehen, das Prin- z i p der Selbstbe- stimmung des Be- siegten aufzugeben, sondern in seiner W i ederhei Stellung in einer neuem auf Zusammenarbeit be- ruhenden Welt." Foerster dagegen warnt vor der Illu- sion, "dass das deutsche Volk nicht identisch mit Hitler sei, sodass es nach der Niederlage nicht schwer sein werde, zu einer Verständigung mit ei- ner Nation zu kommen, die von ihrem Tyrannen befreit sei . . . Die deut- sche Mittelklasse war politisch viel stärker als die Arbeiterklasse, upd es besteht nicht der geringste Grund, warum diese Mittelklasse nach diesem Krieg schwächer sein sollte . . . Hit- ler hat nur popularisiert, was die füh- rende Ideologie der mittleren und obe- ren Klassen war." Deshalb war das sogenannte "deutsche Volk" als ein aktiver historischer Faktor im we- sentlichen identisch mit Hitler und ist für Ihn' verantwortlich. Das heisst, dass das deutsche Volk für lange Zeit eine internationale Kontrolle zu ak- zeptieren habe. Daneben soll Deutsch- land noch in eine Anzahl unabhängiger Staaten aufgeteilt werden. Und Foer- ster schliesst mit der Erklärung, "dass die Wiedergeburt des deutschen Volke» nicht von irgendwelcher revo- lutionären Untergrundbewegung, kom- men kann . . . Deutschland wind nie- mals geheilt werden durch die Hand- arbeiter und ihre Führer. Es bedarf einer geistigen "Elite", die aus dem grossen christlichen Potential und den höchsten Universitäts-Traditionen hervorgeht." Im Gegensatz zu Foersters Schluss- these war die Round-Table-Konferenz der Free World, über die die gleich- namige Zeitschrift in ihrem Septem- berheft berichtet, gerade der Rolle der Arbeiterschaft in der europäischen Untergrundbewegung und ihrer aus schlaggebenden Bedeutung beim Neu- aufbau Europas gewidmet. An jener Konferenz nahmen neben tschechi- schen, polnischen, norwegischen, spa- nischen und ncrdamerikanischen Ar- beitervertretern Julius Deutsch als Vertreter der österreichischen und Aufhäuser, Hangen und Rosenfeld als Vertreter der deutschen Arbeiter teil. Die Schlussfolgerungen gliedern sich in folgende vier Punkte, die gerade- zu wie eine — unbeabsichtigte — Er- widerung auf Foersters These wir- ken: 1) Die europäische Arbeiterschaft ist die wichtigste Kraft in der Unter- grundbewegung, sowohl weil sie die Initiative beim Widerstand gegen die Nazis ergriffen hat als auch, weil sie zahlenmässig vergrössert wurde durch die schnelle Proleta- risierung- der europäischen Bevöl- kerung und der Nazi-Herrschaft. 2) Die Schwächen der europäischen Arbeiterschaft — Mangel an Ein- heit, an einem Programm und ent- sprechender Führung — können überwunden werden, und die Ar- beiterschaft kann ein lebenswichti- ger Faktor werden beim Wieder- aufbau Europas und in der Ent- wicklung cier Demokratie sowohl -als auch der internationalen Zu- sammenarbeit, wenn die Bestre- bungen der Arbeiterschaft nicht durch die S;egermächte unterdrückt werden. deutschen Nation Kurt Rosenfeld — 10 — 3) Der deutschen Arbeiterbewegung muss während der Besetzung die vollste Ermutigung und Unter- stützung gegeben werden, eine wirklich demokratische Form der Regierung zu schaffen, die Frieden halten wird. 4) Die Vereinten Nationen müssen so schnell wie möglich ihre Sympa- thien für die Ansprüche der euro- päischen Arbeiterbewegung bekun- den, um vollste Treue und Mitar- beit der Untergrundbewegungen zu gewinnen." Der .interessanteste Teil der Diskus- sion wurde durch die an die Deutschen gerichtete Frage des nordamerikani- schen Vertreters der CIO und der See- leute und Werftarbeitergewerkschaft Philip H. Van Gelder ausgelöst: "Wer- den Sie nicht auch eine gewisse Hil- fe und Einmischung von aus-sen brau- chen, und ist es nicht ziemlich wich- tig, zu untersuchen, in welchem Masse Einmischung oder Hilfe durch die Ar- beitenbewegung der Vereinten Natio- nen nötig sein wird?" Zur Erläute- rung fügte Van Gelder noch hinzu, man müsse mit der Möglichkeit rech- nen, dass reaktionäre Kreise die Ue- berhand gewinnen. Und er halte es für möglich, dasvs die deutsche Arbei- terschaft bei der Abwehr jener Kreise Hilfe brauche. Die Befragten waren sich darin ei nig, dass die deutsche Arbeiterschaft solche Hilfe freudig annehmen wer- de. Ungeklärt blieb allerdings, in welcher Form sie geleistet werden könne, ob durch direktes Eingreifen oder dadurch, dass die Arbeitervertre- tungen der Vereinigten Nationen sich auf der Friedenskonferenz einen ent- sprechenden Einfluss sicherten. Besonders wichtig aber erscheint die Tatsache, dass die Arbeitervertreter Polens, Norwegens und der Tschecho- slowakei darin übereinstimmten, dass ihre Genossen in der "Heimat schwer- lich gleich zum neuen Deutschland un- besehen Vertrauen gewinnen und des- halb etwa auf entsprechende Frie- densgarantien wie Besetzung verzich- ten könnten. Während der polnische Vertreter Ehrenpreis und Moe von der norwegischen Arbeiterbewegung jenem Gedanken noch in vorsichtige- rer Form Ausdruck gaben, sagte Be- nau als Sekretär der tschechischen Gewerkschaftszentrale: "Meine An- sieltt ist — und das ffet' nicht nur* mäl- ne Ansicht, sondern wird durch die Nachrichten bestätigt, die wir aus der Tschechoslowakei erhalten — dass es keinen Tschechoslowakei! im Lande gibt, der mit einem Deutschen spre- chen, der einen Deutschen ansehen wird. Jeder Tschechoslowake zuhause ist der Ansicht, dass jedes Wort, das ein Deutscher spricht, nicht wahr ist ... Wir müssen bedenken, dass es viele Jahre dauern wird, bevor wir mit den Deutschen zusammenarbeiten können. Deshalb wird die Stellung der Tschechoslo waken, die für eine Zusam- menarbeit mit den Deutschen sind, sehr schwierig sein, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren." Ben au selbst bedauert offenbar die Existenz einer solchen Hass-Atmosphäre. Aber so wie er es für notwendig hält, sie in Rech- nung zu stellen, so wird auch die deutsche Arbeiterschaft sie bei ihren Vorschlägen und Plänen nicht unbe- rücksichtigt lassen können. Auf jeden Fall ist es eine wichtige Aufgabe der Arbei- tervertreter aller Länder, schon jetzt ein konkretes Pro- gramm auszuarbei- ten, das der Durch- führung des von Van Geldern ausge- drück ten Gedan- kens gewidmet ist, der deutschen Ar- beitern in anderen Ländern, die eine Hilfe von aussen gegen reaktionäre Widerstände benö- tigen köntien, eine solche U n t erstüt- zung zu gewähren, ohne die Selbstän- digkeit der Hilfsbedürftigen zu beein- trächtigen. Murray, der Präsident der CIO, erklärte kürzlich, dass die ameri- kanische Gewerkschaftsbewegung vor- hat, die europäischen Arbeiterorgani- sationen — auch in den gegenwärtig feindlichen Ländern — zu unterstüt- zen und zu beschützen. Wenn der Ge- danke der gegenseitigen Hilfe schon jetzt konkrete Form annimmt, dann ist damit dem Neuaufbau Europas- ein wichtiger Dienst geleistet. Konferen- zen wie die der Free World können einen fruchtbaren Beitrag dazu bie- ten. Es wäre wünschenswert, dass die Gewerkschafts-Internationale d'ie be- gonnene Arbeit fortsetzt. S. Aufhäuser Friedrich Mark (Zürich): VON DER ZUKUNFT DER I. GRUNDSAETZLICHES Wenn mar» sich über ein so wichtiges Problem klar werden will wie das der Demokratie, so muss man zuerst wis- sen, was das Wort bedeutet. Das klingt trivial, ist aber gar nicht selbst- verständlich. Ein alter, aber bedeut- samer Witz sagt: "Hüte dich vor den Fremdwörtern. Man kann nie wissen, was sie bedeuten." Die Vieldeutigkeit der Fremdwörter wird sehr oft be- nutzt, um Verwirrung zu stiften. Was gerade in unseren ohnehin so verwor- renen Zeiten mit Fremdwörtern wie Hierarchie, Autorität, Sozialismus. Re- volution und eben auch mit "Demo- kratie" für ein Unfug getrieben wird, ist unbeschreiblich und unheilvoll. A'ber die Uebersetzung "Volksherr- schaft" hilft auch nicht. Sie bleibt unbestimmt. Und man verirrt sich dann dahin, dass man irgendein zu- fälliges und äusserliches Merkmal wie beispielsweise die parlamentarische Volksvertretung als Kennzeichen nimmt und für und gegen die De- mokratie benutzt. Das erscheint mir immer wie eine — leider viel zuwe- nig bekannte Definition im mosaischen Gesetz. Dort wird das Kaninchen un- ter die Wiederkäuer gerechnet, weil es bekanntlich dias tut, was wir ''Mümmeln" nennen. Und es wird ei- ner besonderen Art von Wiederkäu- ern zugerechnet, die "zwar wieder- käut, aber nicht die Klauen spaltet". Daran muss ich mich immer erinnern, wenn ich von "autoritären Demokra- tien" le#e, die auch eine "Volksver- tretung'' haben, aber eben anderer Art als die "dekadenten, vorrevolu- tionären Demokratien". Mit den tota- litären Volksvertretungen ist es näm- lich gerade so bestellt wie mit dem Wiederkäuen des Kaninchens., Aeu- cserlich sieht's gleich aus, indem näm- lich Männer sich in einem Saale ver- sammeln und sogenannte Abstimmun- gen durch Händeaufheben vornehmen. Aber mit Feststellung des Volkswil- lens hat das so wenia zu tun wie das ""Wiederkäuern" des Kaninchens mit der Verdauung. WAS IST EINE DEMOKRATIE? Wir haben eine sehr alte und sehr gute Definition vom Griechen Aristo- teles. Nach ihm ist eine Demokratie DEMOKRATIE eine Staatsordnung, in welcher alle Bürger gleichmässigen Anteil haben an der politischen Verantwortung und gleichmässigen Zugang zu allen Aem- tern. Das heisst, das Bürgersein gibt gleichmässige politische Rechte und jede öffentliche Handlung untersteht der Kontrolle aller. Der zeitweise "re- gierende" Bürger ist also nicht etwa Herr oder Führer, sondern nur der verantwortliche Vertrauensmann, der jederzeit abberufen werden kann una der Gesamtheit verantwortlich ist. Er ist nicht Herr, sondern "Funktionär", der im Auftrag der Allgemeinheit ei- ne Aufgabe klar umschriebener Art zu erfüllen hat. Es ergibt sich von selbst, dass alle Umstände, die einen einzelnen oder eine Gruppe von Bürgern behindern im Gebrauch dieser Rechte, wie bei- spielsweise Armut, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Abhängigkeit., mangelnde Ausbildung oder mangeln- de Information über wichtige Tatsa- chen, die Demokratie aufheben. Das bedeutet, dass keine wahre po- litische Demokratie bestehen kann ohne wirtschaftliche und soziale De- mokratie. Es bedeutet weiter, dass allgemeiner Zugang zu den Bildungs- uyd Erziehungsmöglichkeiten und Fürsorge dafür, dass jeder sie benut- zen kann, wesentlich sind für jede Demokratie. Pestalozzi hatte tausend- mal recht, wenn er ein Erziehungs- system. das die Unbegüterten von hinreichender Bildung ausschloss, "ein Haur des Unrechts" nannte. Es bedeutet weiter, dass allen das Recht der eigenen Ueberzeugung, der freien Meinungsbildung und Aeusse- rung, der ungehinderten Diskussion zustehe. Es bedeutet: Glaubens-, Ge- wissens-, Organisations- und Diskus- sionsfreiheit (in unserer Zeit Presse- freiheit). Ferner bedeutet es Vor- kehrung, dass nicht durch wirtschaft- liche oder soziale Macht diese Frei heit hintenherum verfälscht wird, wie das heute beispielsweise durch gro- sse Presse konzerne, durch finanziel- le Abhängigkeit der Zeitungen ge- schieht. Zensur ist immer antidemo- kratisch. Sie kann in einer Demokra- tie in Notzeit unvermeidlich werden. Dann muss man sich aber über diese Beschränkung der Demokratie im kla- ren ss!n und wird als guter Demokrat — 12 — dahin streben, sie so kurz wie mög- lich und so beschränkt wie möglich anzuwenden. Das sind die grundsätz- lichen Kennzeichen. Die Art und Weise, wie man dies Ziel erreicht, kann sehr verschieden sein und ist sehr verschieden gewesen in verschiedenen Zeiten. Und ein und dieselbe Einrichtung kann in verschie- denen Verhältnissen demokratisch oder antidemokratisch wirken. So war die direkte Gesetzgebung durch die Volksversammlung in den klei- nen griechischen Stadtrepubliken ei- ne demokratische Institution, denn sie sicherte allen Bürgern den Anteil an öffentlichen Entscheidungen. Im Weltreich Rom war sie eine antide- mokratische Einrichtung, denn sie schloss alle Bürger, die nicht gerads in Rom waren, von der Beteiligung aus und gab einer kleinen Minorität die Entscheidung in die Hand. Das führte denn auch zur militärischen Tyrannis der Kaiser. Eine Vertretung des Volkes in einem Wirtschaftsparkament ist heute viel- leicht eine notwendige Ergänzung un- serer politischen Volksvertretung. Aber die Vorschläge von "berufsstän- dicchen" Vertretungen sind antidemo- kratisch, nicht iweil eine wirtschaft- liche Ergänzung überflüssig wäre, scndern weil sie das Anrecht grosser Wirtschaftsgrupipipen verkürzen, bei- spielsweise der Arbeiter benachteili- gen zugunsten der Unternehmer. Am Schluss dieser grundsätzlichen Beschreibung ist zu sagen, dass De mokratie auf einer 'bestimmten Ue- berzeugung beruht, nämlich auf der, dass alle Menschen trotz allen äusse- ren Verschiedenheiten rechtsgleich sind, das heisst: alle haben ein Anrecht auf freie Ver- antwortung und ein Recht, sich ge- gen die Unterdrückung und Verkür- zung dieser Verantwortung zu weh- ren. Wer aus Bequemlichkeit oder Feigheit seine Verantwortung einem anderen zuschiebt, ist ein ebenso schlechter Demolkrat wie der, welcher nus Hochmut oder Machtgier andere beherrschen will, sei es durch äusse- re Gewalt oder durch die subtilere der Demagogie. II. HINDERNISSE DER DEMOKRATIE Dass ieder für sich anstrebt, frei zu sein, das heisst nach der klassischen Definition der Erklärung der Men- schenrechte: "tun zu dürfen, was er will", ist ganz selbstverständlich. We- niger selbstverständlich ist die menschliche Bereitschaft, sich nach der daran anschliessenden Forderung zu richten: "soweit kein anderer da- durch in seiner Freiheit gehindert wird". Und die gewaltigen Kämpfe der Menschheit durch alle Jahrtau- sende gehen im Grunde um dies ei- ne: dass die Menschen geneigt sind, ihre eigene Freiheit in ein persönli- ches oder nationales oder Gruppen Vorrecht zu verwandeln, sie zu erbau- en auf der Herrschaft über andere. Jeder Mensch ist "freiheitliebend" für sich selber, aber sehr viel weniger für die anderen. Und jeder Versuch, sich die eigene Freiheit — von Ar- beit, von Diensten, von Not und von Furcht — zu erkaufen durch die Knechtschaft der andern, muss un- bedingt zum Kampfe führen, da ja in jedem geknechteten, unfrei gewor- denen Andern das gleiche Bedürfnis zur Freiheit vorhanden ist. Innerpolitisch sieht das so aus, dass immer eine Gruppe ihre Freiheit ge- gen die andere verficht und gleich- zeitig, oder1 nachdem sie diese Freiheit erhalten hat, sie als Vorrecht gegen die nächste Gruppe verteidigt: Für- sten gegen Adel, Adel gegen Fürsten und gleichzeitig gegen Städte und Bauern, in den Städten Geschlechter gegen Fürsten und Adel und gleich zeitig gegen die Zünfte, Städte ge- schlossen für ihre städtische Freiheit und gleichzeitig gegen die abhängi- gen Bauern und die neuzugezogenen Hintersassen, Zünfte für Zunftrechts und gleichzeitig gegen die unzünftigen Gesellen und Heimarbeiter, in der bürgerlichen Revolution Bürgertum gegen Absolutismus und Feudalrech- te und gleichzeitig gegen das aufstei- gende Proletariat, in der Arbeiterbe- wegung vielfach (siehe USA. und USSR) Organisierte gegen Unorga- nisierte, Gelernte gegen Ungelernte, Einheimische gegen Ausländer usw. (Bisweilen, nicht wahr, auch Männer gegen Frauen, Alte gegen Junge, wenn wir ganz aufrichtig sein .wollen!) Aussenpolitisch heisst es, dass ein Volk, das sich die Unabhängigkeit er- kämpft hat, geneigt ist, seinerseits nun zum Eroberervolk zu werden und sich dann höchst erfinderisch erweist, solche Eroberungen und Knechtungen als lebensnotwendig für sich selber (Lebensraum) und als wohltätig für die Unterworfenen hinzustellen we- — 13 — gen der geschichtlich, kulturell oder rassemässig vorhandenen Unfähigkeit zur Freiheit. Und die unabwendbare Folge aller solcher Versuche ist je- desmal der Zusammenbruch der ei- genen Freiheit. Wo immer auf Erden in der bisheri- gen Geschichte ein Volk oder ein Staat oder eine Klasse sich eine Frei- heit, Sicherheit, Wohlstand, höhere Kultur erbaut hat auf Grund von Herrschaft über andere, auf Grund von ausschliesslichen Privilegisn, brach sie früher oder später zusam- men unter dem Ansturm der frei heitsuohendten Benachteiligten. der "Erniedrigten und Beleidigten". Das ist eine solch durchgehende Erfah- rung, dass man jedem Antidemokra- ten mit absoluter Sicherheit bewei- sen kann: "Gut, wenn du einen an- dern von deinen Freiheiten ausschlie- ssen willst, wenn du dir in dieser Welt einen Privatbesitz von Vorrech- ten schaffen willst: es ist möglich, dass dir das auf Grund von — kör- perlicher, geistiger, militärischer oder wirtschaftlicher — Ueberlegenheit ge- lingt. Ganz sicher aber ist, dass dei- ne Nachkommen — Kinder, Enkel oder Urenkel — die Kosten zahlen müssen. Nirgends so wie hier erweist sich die Wahrheit, dass die Taten der Väter heimgesucht werden an den Kindern bis ins tausendste Glied. De- mokratie kann nur leben als allge- meines Mensohenrecht, nie als Vor- recht. In der Vergangenheit liess sich für solche Taten immerhin eine Ent- schuldigung finden: die lebensnotwen- dige Arbeit war so mühselig, dass wir, um Freiheit für unsere eigene Entwicklung und Müsse zu finden, andere übermässig belasten und durch die Arbeit erniedrigen mussten. Der Arbeitsertrag war so gering, dass je- der, der sich mehr als das Lebens- notwendige aneignete, den andern be- rauben musste. Gewalt und Rechtlo- sigkeit waren so vorherrschend auf Erden, dass die freien Staaten sich gewaltsam ihrer erwehren mussten. Das war der Grund, dass es bisher auf Erden noch nie eine völlig demo- kratische Ordnung gegeben hat, und dass die Versuche zur Demokratie im- mer wieder entarteten, verkümmerten, erstarrten und endlich zusammenbra- chen. Die menschliche Denk- und Tatfaul- heit g--b sich damit zufrieden, dass es "immer arme Leute geben müsse", dass es "immer Krieg gegeben habe" usw. Oder wie es Hofmannsthal poe- tisch umschrieb: "Viele aber müssen unten leben, wo die schwarzen Ruder der Schiffe streichen", damit, wie er meint, die andern "Vogelflug und die Länder der Sterne" kennen könnten. Wenn der reiche Wiener Kaufmanns- sohn einen Augenblick nachgedacht hätte, so hätte er feststellen können, dass es tatsächlich niemand mehr gab, der als Galeerensklave, an eine Schiffsbank gekettet, rudern musste, weil nämlich der Dampf diese Arbeit den Menschen abgenommen hat. Wir sind heute so weit, dass wir, falls wir wollen, die Arbeit so verteilen können, dass jeder arbeitet und doch frei sich entwickeln kann, die Gü- ter so, dass niemand Mangel leidet, das Recht so, dass niemand geknech- tet und entrechtet wird. Damit haben wir zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit die Möglichkeit, die Freiheit, zum allgemeinen Zustand, die Demokratie zur allgemeinen Ord- nung zu machen. Wir haben damit aber zugleich die Verpflichtung dazu. Die Erkenntnis dieser Möglichkeit lässt sich nämlich auf die Dauer nicht den Menschen vorenthalten. Kein normaler Mensch nber wird sich damit zufrieden geben (und ein normales Volk ebensowenig), geknechtet zu sein, sobald er (oder ee) einsieht, das lasse sich vermeiden. Und daher steht vor uns die Wahl zwischen fortgesetzten " Bürger- uind anderen Kriegen bis zur Vernichtung, r cler Ernst zu machen mit der Demo- kratie auf Erden. Das ist auch der Grund, weswegen demokratische Ordnung nicht eine "innere" Angelegenheit eines Volkes ist. Jeder undemokratische Staat ist ein Gefahrenherd für die demokrati- schen Völker, ein um so grösserer, je undemokratischer er ist. Es kann nämlich kriegerische (und sogar er- oberungslustige) Demokratien geben in dem Masse, wie sie noch nicht reine Demokratien sind, und in dem Masse, wie sie aus einer anfänglichen Verteidigung Lust am K-ieaführen und dann auch an der Herrschaft über Fr->md" finden. Was es aber nicht ge- ben kann und nie gegeben hat, das sind undemokratische, auf Herrschaft '•rid Knechtung beruhende Staaten, dauernden Frieden nach innen und 3"ss^n bewahrt hätten. Wer im- mer h""te für Privilegien, hica-^hi- sche Ordnung auf Grund der ngtiirli- nhen Ungleichheit der Menschen, Be- — 14 — wahrung der "gottgewollten" Abhän- gigkeiten sich einsetzt, wer immer ei- ne Rasse, ein Volk, eine Klasse, einen Einzelnen (Ausländer, Bluts- und Art- tVemden usw) entrechten und in sei- ner Freiheit und tätigen Verantwor- tung verkürzen will, beweist damit entweder seine Unwissenheit oder sei- nen Unglauben, in jedem Falle seine Ii higkeit, Tatsachen zu sehen und Aufgaben zu erfassen. Und wenn uns jemand einwenden wollte, dass das unvernünftige Ge- schlecht der Menschen der Autorität und Leitung bedürfe, dem werden wir entgegnen, dass, solange Menschen durch Menschen beherrscht werden, gerade die Unzulänglichkeit und Fehl- barkeit der Menschen die aller schlimmsten Missbräuche unvermeid- lichen macht. NEUE BÜECHER Die Organisation der deutschen See- leute als besondere Abteilung der 5. Kolonne. Ein Sonderdruck der "Social Research" zeigt die beson- dere Rolle, die der Nazi-Seemannsor- ganisation innerhalb der Auslands- propaganda zugeteilt war. Um ihre Aufgabe besser erfüllen zu kennen, wurden die Seeleute der Deutschen Auslandsorganisation Bohles unter- stellt. Am Anfang konnten die Nazis trotz gegenteiliger orossprechereien durchaus nicht in der Seefahrt Fuss Ikussen. Das wird schon dadurch be- wiesen, dass die 70.000 Seeleute im Winter 1933 [34 insgesamt nur EM 50.000.— Winterhilfe spendeten. All- mählich wurden di3 Unzuverlässigen aber so stark ausgekämmt, dass z. B. beim Norddeutschen Lloyd 4.938 mehr als 54 o[o seit 1933 neueirgestellt wa- ren. Die Neueingestellten wurden in erster Linie aus der Hitler-Marineju- gend geholt. Aber auch die älteren Leute wurden sorgfältig "ideologisch" geschult und überwacht. Dergestalt kam es dahin, dass die Seeleute zu einer mit den Auslandsdeutschen eng zusammenarbeitenden Propagandaor- ganisation wurden. Die Durchdringung Europas mit deut- schem Kapital. Das "Stationery Offi- ce" der englischen Regierung schil- dert in dieser aufschlussreichen Bro- schüre eine Seite des Nazikampfes um die Unterjochung Europas, die in wei- ten Kreisen noch nich: di; nötige Beachtung gefunden hat. Drei For- men der wirtschaftlichen Unterjo- chung wenden die Nazis in Europa an: In den westlichen Ländern wer- den unter mehr oder weniger sanftem Druck die einheimischen Finanz-Insti- tutionen mit Hilfe von "normalen" Transaktionen in deutsche Hände ge- spielt. Das Kapital für die Uebernah- me der Banken etc. müssen die besei- ten Länder auf dem Wege wesentlich überhöhter Besatzungskosten und un- günstiger Verrechnung von Lieferun- gen etc. selbst den Nazis liefern. In den mit Deutschland verbündeten Ländern .insbesondere im Balkan, musste das Dritte Reich sich zum "Aufkauf" von Finanz- und Industrie- Unternehmen entschliessen. Insbeson- dere ha te man es hierbei auf Be- triebe abgesehen, die früher in jüdi- schen Händen gewesen waren. Wie die "Bezahlung" hierfür aussah, lässt sich leicht vorstellen. Ausserdem gerieten die Vasallenstaaten in völlige Abhän- gigkeit vom Dritten Reich dadurch, dass sie ihre gesamte industrielle und landwirtschaftliche Produktion nach den Bedürfnissen der Nazis umstellen mussten. In Polen, Jugoslawien etc. ging man zum offenen Raub der Un- tertanen über. Bei den ersten beiden Gruppen wurde die Abhängigkeit noch verstärkt durch Gewährung von Kre- diten an willfährige Unternehmen, Kartell-Abmachungen etc. So blieb schliesslich wohl kein wichtigeres Un- ternehmen im Wirtschafts-Raume der "europäischen Neu-Qrdnung", das nicht irgendwie entweder ganz in Na- zi-Hände überging oder das nicht wenigstens nech der Nazi-Pfeife tan- zen müsste. Besonders interessant ist noch die in der Broschüre wiederge- gebene Statistik über die deutschen Aktiengesllschaften. Danach nahm seit Hitlers Machtantritt die Zahl der deutschen Aktiengesellschaften bis 1940 um mehr als 40 o|o ab. Das Durchschnit skapital pro Gesellschaft verdoppelte .sich jedoch nahezu. Ein neuer Beweis für die Begünstigung der Grossen durch die Nazis. — 15 — AUS HITLER - DEUTSCHLAND Nazi-Finanzskandal. Wider Willen musste das Finanz-Ministerium des Dritten Reichs eingestehen, dass die deutsche Kriegsindustrie ihre fetten Gewinne nu Maschinen erzielt hat. die der Staat ihr umsonst oder gegen sehr geringes Entgelt geliehen hatte. Viele Betriebe brauchten von ,sich aus nur die leeren Gebäude zu stellen, damit die Nazi-Regierung sie an do> Kriegsgewinnen mit Hilfe der Pacht von Maschinen und der nötigen Aufträgen teilhaben lasse. Auf der Suche nach neuen Mitteln zur Kriegsfinanzierur.g verlangt das Fi- nanzministerium nun, dass die Kriegsindustrie die geliehenen Maschinen er- werbe. Esi ist aber nur der Buchwert zu zahlen« Dieser beträgt lediglich einen Bruchteil des ursprünglichen Wertes, nachdem auf einen grossen Teil der Ma- schinen bereits acht Jahre lang Abschreibungen vorgenommen wurden. Ein derart gutes Geschäft hätten sich die Industriellen nicht einmal unterm Kai- ser träumen lassen. Die Wirkung der Bombardements schildert der folgende Brief vom 4.7.43. Körperlich geht es uns Alten noch gut, wenn nur nicht das andre wä- re! Aus den. Zeitungen werdet Ihr wohl wissen, was los ist. Ach, -s ist alles so traurig, wenn es uns auch noch nicht persönlich getroffen hat, aussei* dass» man die Nächte immer im Keller zubringen muss; doch auch daran! gewöhnt man sich. Aber man leidet seelisch unter dem, was man hört und sieht in unsrer nächsten Nachbar schift hier im ganzen Rhein-Ruhrgebiet. Vor vierzehn Tagen waren Onkel Heinrich, Trude und Lisbeth hier; wenige Tage später war der furchtbare Angriff. Wie durch, ein Wunder ist ihr Haus stehen geblieben, wenn es auch beschä- digt wurde; aber in nächster Nähe ist- alles weg. Gestern wurde Hans' Schwiegermutter beerdigt; sie lag auch unter Trümmern. Walter war vor acht Tagen dort. Ach, es ist so traurig, man kann es nicht fassen, dass Menschen so etwas tun können. Und dann Wuppertal. Elly 0„ die seit einem Jahre dort wohnte, ist auch umgekommen. Man könnte so viele aufzählen, aber es geht nicht. Gustav war dort, um nach seinem Haus zu sehen; es stand noch. Aber eine der Familien hatte anderswo Schutz gesucht, und war dabei umgekommen. Gustav war ganz erschüt- tert daven. Ja, wie wird das noch enden? Und nun kommt das Schlimm- ste: wir müssen alle hier weg, d. h. alle, die nicht arbeiten. Zwlar ist es jetzt noch freiwillig, doch die Jungens dringen auch darauf, dass wir gehen. Doch wohin? Und alles verlassen, wo man sein ganzes Leben hier verbracht hat, das ist bitter traurig. Unsre Nachbarin, Frau K. weinte auch, als wir darüber sprachen; ich sagte ihr, sie solle ihre Trä- nen sparen bis zuletzt. Sie reibt sich völlig auf. Ja, man hat schon ge- lernt, die R'uhe zu bewahren, wenn es auch schwer fällt... Es ist schlimm, wenn man jede Nacht gegen 1 Uhr für Stunden in den Keller muss mit den Kindern, obwohl sie es schon gewöhnt sind... Onkel Karl hat al- les verloren; was das heisst, kann man wohl verstehen. Wie wird das noch werden?! Es ist eine bitterböse Zeit, überall Tod und Verderben. Willi Springfeld, ein desertierter Sol- dat, wurde in Duisburg- verhaftet. Er war der Führer einer Bande von 30 Personen, die nach Bombenangriffen die zerschossenen Häuser durchsuch- ten und das Gefundene im Schleich- handel verkauften. (Essener Natio- nalzeitung) Warum Kinder haben, wenn sie in 20 Jahren getötet werden sollen? Wenn wir die Lücken ausfüllen, die der Krieg geschlossen hat, so könnte das eines gewissen Sektor dazu veranlas- sen, nach 20 Jahren einen neuen Krieg zu planen. Solche Auffassungen brei- ten sich in Deutschland wie die Fesi aus. (Das Schwarze Korps). In Bremen wurde von der Polizei amtlich bekanntgegeben, dass ein Mitglied der NSDAP verhaftet wur- de, weil er in der Strassenbahn die Gäste aufgefordert hatte, eine aus- ländische Arbeiterin gegen die Poli- zei in Schutz zu nehmen. — .16 — Iii Stuttgart wurden 12 Brotkarten- händler zu Zuchthaus- und Geldstra- fen verurteilt. Sie hatten gestohlene Brotkarten an ausländische Arbeiter verkauft. Die Hungrigen zahlten bis zu 10 Reichsmark für eine Brotkarte. Im "Generalgouvernement" Polen wur- de für die Zeit der Ernte (aus Furcht vor Sabotageakten) der Ausnahmezu- stand verhängt. Die Sektkellerei "Kupferberg" berich- tet, dass ihr Reingewinn "bei be- deutenden Behördenaufträgen" 1942 um t>3 Prozent" gestiegen ist. (Kölni- sche Zeitung). In Leipzig- müssen sich seit einem Jahr Kranke um 6 Uhr morgnes beim Arzt anstellen, obwohl die Sprech- stunde meist erst um 8 oder 9 Uhr beginnt. So wenig Aerzte gibt es! (Leipziger' N. Nachrichten, 3.7.; VVietek, 58 Jahre, Küster einer ka- tholischen Kirche in Stettin, hörte aus- ländische Sender, verbreitete die Nach, richten unter Nachbarn undi diskutier- te sie mit ihnen. Er wurde zum To- de verurteilt. Ein anderer "Rund- funk Verbrecher"' bildete eine feste Gruppe von Auslandshörern, die sich dreimal wöchentlich trafen. Ein katholischer Geistlicher in Wol- gast hörte beim Mittagessen den aus- ländischen Rundfunk. (Justizpr esse- stelle Stettin, 5. 7.) In Kiel wurden drei Männer und eine Frau zu Zuchthaus verurteilt, weil sie seit 1939 ausländische Sender ge- hört und das Gehörte "einzeln und ge- meinsam"' unter der' Bevölkerung ver- breitet hatten. In Nienburg hat ein Mann seit 1939 die Sendungen des Auslandes gehört und seit 1942 sie sy- stematisch an Arbeitskollegen weiter- gegeben, '"die er von früher als Marxi- sten kannte". Sie erhielten 6 Jahre Zuchthaus. (DNB, 23.7.) DISKUSSIONSTRIBUENE In der "Diskussions-Tribüne" erscheinen Aufsätze, die der Klärung wich- tiger Probleme dienen wollen. Die Tribüne steht auch der Darlegung solcher Auffasisungen offen, die von der unsrigen abweichen, sofern sie in sachlicher Form vorgebracht werden. Die unter dieser Rubrik ver- öffentlichten Beiträge spiegeln infolgedessen nicht notwendigerweise die Ansicht der Redaktion wider. Vors Gericht mit den deutschen Flichtern! In der Frage der Bekämpfung des Misstrauens (No. 74) stimme ich mit unserem Freunde Hans Lehmann dar- in völlig überein, dass eine der ent- scheidendsten Fragm die des Vorge- hens gegen; diejenigen ist, die am den Naziverbrechen Schuld tragen. Aber warum will Hans Lehmann Sonder- gerichte schaffen, deren Richter nach- weisen .sollen, dass sie Antifaschisten waren? Sie werden, alle nach dem Zu- sammenbruch nachzuweisen versu- chen, dass sie Antifaschisten waren, auch wenn sie Mitgliedernummern unter lÖO.OOOi haben. Neben den Grossindus iriellen sind die deutschen Richter die Hauptstützen des Hitleris- mus gewesen. Als Angehöriger des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold ha- be ich Gelegenheit gehabt, die Urtei- le zu verfolg En, die "republikanische" Richter zwischen 1918 und 1933 ge- fällt haben. Urteil 1: Ein Nazi hat auf der Stra- sse einen Antifaschisten erschossein. Urteil: Ein Monat Gefängnis mit Be- währungsfrist. Der Angeklagte hatte aus "vaterländischen Motiven" gehan- delt. Urteil 2: Ein Antifaschist wurde vom iStaats'gerichtshof zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt, weil man bei se'ner Verhaftung eine Platzpatrone gefunden hatte. Er hatte damit ein Verbrechen gegen das Sprengstoffge- setz begangen. Wir und unsere Freunde drüben brau- chen als Richter keine studierten Leu- te, sondern als Richter sollen die Leu- te eingesetzt werden, die jahrelang in den Konzentrationslagern gesessen haben und die nicht nur die Haupt- naziverbrecher sondern auch die Rich- ter abzuurteilen haben, die von 1918 bis zum Tage des Zusammenbruchs tätig waren. Unser Freund Siemsen sagte auf dem Antifaschisten-Konigress in Montevi- deo: "Der Faschismus in Deutschland muss bis auf die Wurzeln ausgerottet werden". Aus diesem Grund wollen wir auch an die Richter an erster Stelle denken. Alfred Scheyer. Keine Halbheiten! Der Artikel zur Frage der Bekämp- fung des Misstrauens (No. 74) zeigt uns, dass es leider noch viele Sozia- listen gibt, die,den Sozialismus zwar ehrlich erstreben, sich, jedoch über die Wege zu ihm völlig im Unklaren sind. Denn sonst würde der Verfasser sich doch zumindestens darüber klar sein, dass dieser zweite Weltkrieg nicht ein Krieg der Weltanschauungen, son- dern rein imperialistisch ist. Eine al- te marxistische Formel lautet: solan- ge es Kapitalismus geben wird, wird es auch Kriege um neue Absa zmärk- te geben. Dass man seinem Volke nicht sagen kann, der Krieg wird für die Interessen des Kapitalismus ge- führt, ist klar. Die Naziregierung, der Faschismus in Italien und Spanien, der Nationalfaschismus in China der absolute Militärismus in Japan sind nichts als Folgeerscheinungen unserer heutigen kapitalistischen Wirtschafts- ordnung. Es kann deshalb nicht von Schuld und; Sühne der Völker in die- sem Kriege die Rede sein. Wer waren denn überall die Stützen des Kapitalismus und somit die Wegbe- reiter des Faschismus und des Krie- ges? Die Vertreter der 2. Internatio- nale. Sie haben die Wiederaufrüstung Deutschlands bereits 1918-19 mit der Gründung der schwarzen Reichswehr begonnen. Sie schützten Deutschlands Kapitalisten in einer Zeit, wo es oh- ne Blutvergiessen zum Sturz des eu- ropäischen Kapitalismus gekommen wäre. Die gleiche Rolle spielten auch die übrigen europäischen Vertreter der 2. Internationale. Sie waren auch die schärfsten Gegner der damaligen Sowjetunion und sind auch die Mit- verantwortlichen an diesem Kriege. Aber nicht allein die Kapitalisten und die Vertreter der 2. Internationale sind mitverantwortlich an diesem Völker- morden, sondern auch eine Gruppe von Vertretern der sogenannten 3. In- ternationale, die 'Ebenfalls "im Dienste des Sozialismus" den Sozialismus ver- raten hat, die in ihrem Interesse ein ganzes Volk, das sich seine Freiheit bereits erkämpft hatte, wieder ver- sklavte und die kollektive Ausbeutung als Sozialismus in einem Lande hin- stell le, die rücksichtslos alle Soziali- sten und Kommunisten hinschlachte- te, die aus einem vielversprechenden Kampfinstrument, wie es die 3. In- ternationale werden sollte, eine Ab- würgungsmaschine machte, sie von allen ehrlichiam Elementen sähberte und Verräter an Ihre Stelle setzte. Der Verfasser spricht von einem so- zialistischen Deutschland und gleich- zeitig von dessen völliger Abrüstung. Wenn Deutschlands Proletariat seine Ausbeuter und Unterdrücker mit der Waffe in der Hand niedergeschmet- tert hat, wird es doch nicht im näch- sten Moment die Waffen aus den Händen geben, damit am Morgen be- reits die Reaktion triumphieren kann. Wenn das deutsche Volk nur eine Hand rühren würde zum Aufbau und zur Wiedergutmachung an einem ka- pitalistischen Europa, würde es den Sozialismus nicht verdienen. Deutsch- lands Volk hat den Krieg nicht ge- wollt, so wie kein Volk einen Krieg will, wenn es nicht durch seine Macht- haber in den Krieg gezwungen wird. Die Frage der Abstrafung der Nazi- verbrecher und Kriegsschuldigen ist von Seiten aller Kriegsbeteiligten nur propagandistisch aufgezogen, um ihre Völker besser irreführen zu können. Die Herren Churchill, Roosevelt, Sta- lin, Hitler usw. denken garnicht an die Möglichkeit, und schaudern davor zurück, weil sie alle selbst genügend. Butter am Kopfe haben. Was braucht das deutsche Proletariat Gerichtshö- fe zur Aburteilung von Nazis und Kriegsverbrechern! Wenn es sich zum Kampfe erhebt, gegen seine Ausbeu- ter, dann wird es und muss es sie selbstverständlich während des Kamp- fes unschädlich machen, und dazu sind keine internationalen Beobach- ter notwendig. Und zur Frage, was das Ausland da- zu sagen wird, so möchte mir doch der Verfasser sagen, was er unter Ausland versteht. Versteht er die in- ternationale Arbeiterklasse oder die internationalen Kapitalisten? Die er- steren werden die deutsche Revolution als leuchtendes Fanal betrachten, während die letzteren heulen werden vor Wut und alles dransetzen, sie 4m Blute zu ersticken. Und ist dies dann den internationalen Faschisten gelun- gen, dann werden die Gerichtshöfe kommen, ganz von selbst, aber nicht zur Aburteilung vcn Kriegsverbre- chern, sondern von revolutionären Arbeitern. Noch aber ist es nicht so weit, noch haben wir die Hoffnung, dass es doch ganz anders kommen wird, als! es sich diese Herren an den grünen Konferenztischen ausklügeln. Was wir tun müssen, ist: unsererseits Misstrauen haben. Felix Strommer. DER OESTERREICHISCHE SOZIALIST Diese Selten erscheinen unter Verant- wBrtung der Ssterreichischen Sozialisten ZUM 12. NOVEMBER An diesem 12. November sind 25 Jah- re verstrichen, seit die Wiener Arbei- terschaft auf der Ringstrasse, vor dem Parlament die Republik Deutschöster- reich proklamierte, auf jenem histo- rischen Strassenstück aller grossen Demonstrationen des Wienar Proleta- riats, den die rote Gemeinde zur Er- innerung an dieses Ereignis "Ring des 12. November" benannte. So tief gehasst hat das Bürgertum diese Re- publik, dass es eine der ersten Taten des auf den Bayonetten der Wiener Polizei im Rathaus installierten va- terländischen Stadtvogts war, den Namen zu tilgen, der an den revolu- tionären Ursprung der Republik er- innerte. Der Welt-Krieg hatte ein Reich zerstört, dessen einziger Zusammen- halt die Dynastie gewesen war. Ihr Staat, ein Produkt dynastischer Haus- machtspolitik, ein Staat, der in den Akten dementsprechend den denatu- rierten Namen der "k. und k. Monar- chie" führte, zusammengesetzt aus "den im Reichsrat vertretenen König- reichen und Ländern" und den "Län- dern der Sankt Stefanskrone", dieser Staat zerfiel vor der revolutionären Proklamation des Selbstbestimmungs- rechts der Nationen in sechs Teile; der siebente, der Rest, der übrig blieb, konstituierte sich als Republik Deutschösterreich. Auch Deutschland wollte- das Selbstbestimmungsrecht ge- brauchen. In seine Grenzen waren ur- sprünglich andere von Deutschen be- siedeLe Gebiete der Monarchie ein- bezogen; seine erste Verfassung er- klärte Deutschösterreich zu einem Teil der deutschen Republik. Aber die Friedensverträge von Versailles und Saint Germain vermittelten als- bald die Erkenntnis, dass das Selbst- bestimmungsrecht eine Prärogative der Siegermächte war. Hätten sie die Toleranz, die sie später dem Dritten Reich gewährten, den demokratischen deutschen Republiken eingeräumt, so müsste die Welt heute nicht durch ein Meer von Blutj waten, um die Bar- barei des Faschismus zu überwinden. Von dem Tage an, da die Friedens- verträge Restösterreich als "souverä- nen" Staat errichtet und zur lebens- länglichen Abhängigkeit verurteilt hatten — ein Urteil, das jedesmal von neuem bestätigt wurde, wenn Oe- sterreich an die Kreditfähigkeit der Westmächte appellierte, um seine Kapitalsblösse zu bedecken — von die- sem Tage an haben die österreichi- schen Sozialdemokraten die Lebens- unfähigkeit Oesterreichs behauptet. In zwei Jahrzehnten seiner unab- hängigen Existenz hat sich die Wahr- heit dieser Behauptung mit allen Schrecknissen für die arbeitende Be- völkerung des Landes bewiesen. Ja, die Gerechtigkeit gebietet festzustel- len, dass auch die österreichischen Unternehmer an den Leiden der öster- reichischen Wirtschaftsnöte einen reichlichen Anteil da vonbekamen. Um die österreichische Wirtschaft vor dem Kollaps zu bewahren, muss- ten die Siegerstaaten, die auf dem Papier des Friedensvertrages einem Ans- pruch auf Reparationszahlungen ge- gen Oesterreich besassen, in der Form der aufeinanderfolgenden Völkerbund- anleihen eine Kriegsen'Schädigung an den besiegtesten von allen Staaten der Mittelmächte leisten. Dennoch war, nach 1931 von vier Industriearbeitern und Angestellten einer arbeitslos, ohne Aussicht, je wieder in den Produk- tionsprozess eingereiht zu werden. In der österreichischen Republik wur- den die Proletarier zu Paupern, der Mittelstand verproletarisierte und ein Rothschild, sprichwörtliches Symbol unvorstellbarer Reichtümer, verarm- te. Eine Jugend wuchs heran, die die Arbeit nur aus Sprichwörtern kannte, die man ihr in der Schule vorsprach. Das waren die Grotesken der öster- reichischen Unabhängigkeit, die sich die Siegermächte dreimal beschwören liessen, im Friedensvertrag und in zwei Anleiheverträgen; zum Schluss mussten sie dann doch vor dem Haa- ger Schiedsgericht auf Einhaltung klagen. Li diesem trostlosen Vaterland gab es sines, das dem Leben der Massen etwas wie Licht und Glanz verlieh : die Arbeiterbewegung, die das Leben des Arbeiters in allen seinen Aeusse- rungen zugleich absorbierte und er- füllte; die grosse und geliebte Par- tei, in der Hunderttausende zu einer Familie verwuchsen, die Gewerk- schaften und Konsumvereine und die Fülle der Kulturorganisationen, es war ein 'Staat im Staate. Um ihrer willen, um der österreichischen Sozialdemo- kratie willen hat der Arbeiter die Re- publik geliebt als seine Republik, hat ihr die Kargheit des Daseins mit Dank entgolten. Dem dürren Boden der Republik hat die Sozialdemokratie eine in sich ge- schlossene, organisch aufgebaute so- ziale Gesetzgebung abgerungen, die dem Arbeiter und dem Angestellten alles gab, was ihm auf dem Boden der kapitalistischen Wirtschaftsord- nung! zu geben möglich war. Aber ihre grosse geschichtliche Tat war die Ver- waltung des roten Wien, die Verwal- tung eines Millionengemeinwesens durch, die Arbeiter für die Arbeiter, der sozialistische Aufbau im Reiche der Freiheit und mit dem Mittel der Demokratie. Wie Moskau das Mekka des autoritären Sozialismus, so war Wien die Stadt, der in der ganzen Welt die Herzen und die Gedanken der freiheitlichen Sozialisten zuflo- gen. Andere Länder sind auch dem Fa- schismus zum Opfer gefallen, keines einem so widerlichen und verlogenen Geschmeiss wie Oesterreich; in Oester- reich hat er eine Welt vernichtet, ei- ne Welt im Werden. Im Namen des Vaterlands sind die österreichischen Massen heimats- und vaterlandslos gemacht worden. Am 12. Februar 1934 wurde die Republik Oesterreich ver- raten. Hitler hat die Macht an sich gerisssen, um Deutschland die Welt- herrschaft zu erringen, Mussolini, um Italien sein römisches Imperium wie- derzugeben. Nur in Oesterreich wur- de die Macht von Vaterlandsverrätern usurpiert, um das Land dem Ausland zu verkaufen. Denn der österreichi- sche Faschismus war die Unterwer- fung des Landes unter die Herrschaft des Nuntius und des Pressechefs der italienischen Gesandtschaft. Am 12. Februar 1934 wurde die öster- reichische Republik, ihre Freiheit und Unabhängigkeit gemeuchelt. Am 12. Februar 1934 ist Oesterreich gestor- ben. Vier Jahre lang stank die Lei- che zum Himmel, ehe sie eingesargt wurde im Massengrab des alleuropäi- schen Nazis aschismus. DIE SOZIALISTEN VERLASSEN DIE OESTERREI- CHISCHE VEREINIGUNG IN LA PAZ Seit einiger Zeit munkelt es rings- um von Versuchen, die verschiedenen in Südamerika bestehenden österrei- chischen Vereinsmeiereien zentral zu- .samimenzufassen. Sozialisten sind an diesem lobenswerten Beginnen unse- res Wissens nirgends direkt beteiligt. In La Paz, Bolivien, haben unsere Freunde, die der dortigen Österreich!- schien Vereinigung angehören, bei ei- ner Mitgliederversammlung, die sich mit diesem Gegenstand befasste, fol- genden- Antrag eingebracht: "Die Mitgliederversammlung .stimmt im allgemeinen dem vorgelegten Ol ganisationsstatut und der Re- solution für das lateinamerikani- sche Zentralkomitee zu. Wtnn auch im Statut die Frage der Staatsform nicht zur Behandlung vorgesehen ist, so halten wir es doch für notwendig und wün- schenswert, diesen grundsätzlichen Standpunkt vorzubringen und er- warten, dass von dem lateiname- rikanischen österreichischen Zen- tralkomitee die Wiederherstellung der "selbständigen demokratischen Republik Oesterreich" gefordert Gez: Michael Sieberer Der Antrag wurde in der Mitglieder- versammlung abgelehnt. Daraufhin erklärten 38 Mitglieder, österreichische Sozialisten und auf- rechte bürgerliche Republikaner ihren Austritt aus der Vereinigung, da sie es "für untragbar halten, die reaktionä- ren, monarchistischen Strömungen in der österreichischen Auslandsvertre- tung zu unterstützen." — 20 — OESTERREICH JruLl 1943 Der Korrespondent der Schaffhause- ner Arbeiterzeitung berichtet: Wie in Deutschland und den besetz- ten Gebieten arbeiten auch in Oester- reich die Fabriken bei Tag und bei Name. Für einen zenn- unu menrstun digen Arbeitstag verdient ein Bauar- beiter monatlich 160 Mark, ein quali- fizierter Metallarbeiter 200 Mark, ein Angestellter, m niomleiteiiaer Stel- lung 160 bis 200 Mark. Ein einfaches Mittagessen kostet 3 Mark, ein Essen in besseren Restaurant 2—3 mal so viel. Der Schleichhandel ist in den Städten allgemein, doch werden für die Waren Phantasiepreise verlangt. Die Fleischration beträgt 20 dkg pro Woche, Eier sind oft monatelang nicht zu haben, das Brot ist schlecht, die Fettration einschliesslich Oel und But ter beträgt 50 dkg im Monat. Unter diesen Umständen ist es be- greiflich, dass die Zahl der Enttäusch- ten ständig wächst. Viele Oe^terrei- cher, die durch die Partei-Mitglied- schaft persönliche Vorteile erlangen wollten Und diese nicht erreichten, stehen heute im gegnerischen Lager. Aber es gibt auch viele Nazis, die nicht genug Mut und Kraft aufbrin- gen, der Partei den Rücken zu keh- ren, und es gibt immer Spitzel und Denunzianten. Die Arbeiter hinge- gen sind ihrer Oesinnung treu ge- blieben, die Nazis unter der Arbeiter- schaft kann man zählen. Sie sind vorgemerkt und werden im Fall des Zusammenbruchs für ihre Haltung zu biissen halben. Wie stark die Stimmung der Arbeiterschaft sidh gegen aas Regime gewendet hat, geht aus folgenden Beispielen her- vor: Ais die Wiener Meuailarbeit-r sidhi weigerten, am Kar-Samstag zu arbeiten, drohten die Nazi-Betriebs- leitungen mit schärfsten Strafmass- nahmen. Die Folge war, dass die Ar- beiter übereinkamen, am Karsams- tag zwar in die Betriebe zu gehen, aber nicht zu arbeiten. Die heimliche Verabredung wurde eingehalten, die Nazis waren machtlos. Die Wiener Strassenbahner machen öfters passi- ve Resistenz. Die Sozialisten und Kommunisten haben heute einen sehr starken Anhang. Nur in der Steiermark gibt es noch eine ziemliche Anzahl Nazis. In Wien wird der frühere Bürger- meister Seitz auf der Strasse von je- dermann demonstrativ gegrüsast. Selbst in konservativen Kreisen er- kennt man, dass mit der Preisgabe der Demokratie in Oesterreich eines der wertvollsten Besitztümer verloren- ging und viele Leute erklären offen, dass es dem österreichisch,n Volk un- ter den Sozialdemokraten hundertmal besser gegangen ist. Die Sehnsucht nach einem freien Oesterreich auf demokratischer .Grundlage wird daher von der Mehrheit der Oesterreicher geteilt. Viele österreichische Arbeiter Angestellte, Beamte und Intellektuelle wollen die Niederlage Deutschlands. In Wien sind starke SS-Abteilungen sta- tioniert. Es wird offen gesagt, dass sie für den Ernstfall in Bereitschaft ge- halten werden. OESTERREICHISCHE PATRIOTEN AN DER ARBEIT Die als neonationale österreichische Patrioten getarnten Kommunisten in London haben neben vielen anderen grotesken Erfindungen (wie z. B. der Freiheitsikonferenz irgendwo im Ge- birge, bei der alles da war, was gut und teuer ist, vom Grafen Bobby und zwei hochwliirdigen Herren bis zu den roten Proleten) die Behauptung von einem bewaffneten Aufstand und Par- tii?anenkämpfen der Oesfreyreicher in Kärnten in die Welt gesetzt. Wir ha- ben hier kürzlich, ausschliesslich aus den kommunistischen „Zeitspiegeln" in London als Quelle schöpfend, nachge- wiesen, dass es sich dabei um slowe- nische Partisanen der Jugoslawischen Freiheitsanmes handelt, die von Slo- wenien nach Oesterreich hinüber ope- rieren und dabei den Versuch unter- nehmen, die zweisprachige Bauern- schaft Südkärntens für eine irreden- tistische Bewegung zu gewinnen. Der slowenisch- jugoslawische iNationalis- mus hat seinen Anspruch auf Kärn- ten bis zu den Tauern, den er vor der Pariser Friedenskonferenz 1919 stell- te, niemals aufgegeben. Nun finden wir im Zeitspiegel selbst (Nr. 26 vom 24. Juli 1943) einen Arti- kel von einem Herrn W. Scholz, der sich mit der Geschichte und Lage der Slowenen in Kärnten beschäftigt und /ollinhaltiich unsere Deutung der Partisanenkämpfe in Kärnten bestä- tigen muss. Wir haben nicht den Baum, um auf die Schiefheiten dieses Artikels hier einzugehen. Er gehört zu der Kategorie jener literarischen. Pro- dukte unseier neo-nationalistiischen Landsleute vom Free Austrian Move- ment in London, die den Zweck ver- folgen, vom Mastdarmausgang her, sich in das Herz der Exilregierungen einzu- und dero Wohlwollen erzu- schleichen. Was ihnen .übrigens bei der tschechoslowakischen Exilregie- rung geraten au sein scheint; ein Pro- sit beiderseits! "Für den slowenischen Bauern" schreibt Herr Scholz, "war der Feind der "Deutsche" — die Slowenen hat- ten keine andere Bezeichnung für dis Oesterreicher" (Woher denn auch, hatten doch die Oester:eicher selber keine andere für sich) . . . "Es ist deshalb verständlich, wenn heute slo- wenlsehü lösung der slowenischen Gebiete nörd- lich der Karawanken von Kärnten verlangen. Das neue Oesterreich wird in freundschaftlicher Aussprache mit den Slowenen einverständlich das Pro- blem der Grenzen prüfen und lösen können". Ein sonderbarer österreichi- scher Patriot fürwahr! Russen und 1 Schechen, Polen und Jugoslawen, so- gar die Graf Sforza-Italiener lassen keine Gelegenheit vorbeigehen, um festzustellen, ciass für sie eine Diskus- sion der Vorkriegsgrenzen nur insofern in Frage kommt, als sie national ver- wandte Gebiete fremder Staaten be- gehren, die Korrektur ihrer fremdna- tionalen Annektionen aus der Vor- kriegszeit gestatten sie nicht einmal zu diskutieren. Während unsere öster- reichischen Patrioten bereits ein Stück ihres Vaterlandes der sloweni- schen Iiredenta apportieren. OESTERREICHISCHE TRAGOEDIE In London ist kurz nach Kriegsaus- bruch das Austrian Office errichtet worden'; dem Austrian Office gehör- ten ursprünglich sehr heterogene Gruppen an, bürgerliche Demokraten, Monarchisten, eine kleine, aus der Lon- doner Organisation der Oesterreichi- schen Sozialisten ausgeschlossene Gruppe von früheren Mitgliedern der österreichischen Sozialdemokratie. Im Laufe der Zeit sind die Monarchisten ausgeschieden; ihre Organisation ist gegenwärtig die Austrian League. Die Oesterreichische Kommunistische Partei verfüge in London über eine Parteigruppe; neben ihr besteht eine Anzahl von getarnten kommunisti- schen Organisationen; die Kommuni- sten haben die Leitung mehrerer un- politischer, gesellschaftlicher Organi- sationen östei reichischer Emigranten "erobert" und benützen sie dazu, um ihrer Parteigruppe einen "Mass-en"- Hintergrund von Sympathisierenden zu verschaffen. Das Austrian Office, die Monarchisten und die Kommunisten mit ihren Hilfs- organisationen haben sich bald nach dem Ueberfall der Nazis auf die Sow- jetunion zum Free Austrian Move- ment zusammengeschlossen. Das FAM war mit dem Anspruch gegründet worden, die Oesterreicher in der Hei- mat und in der Bmigration vor den alliierten Regierungen massgebend zu vertreten, ein Anspruch, der sich in der Folge als illusorisch erwies. Ausserhalb dieser Koalition verblieben die Auslandsvertretung der Oester- reichischen Sozialisten, das sogenann- te London Büro der Oe. S., und die Auslandsvertretung der Freien Ge- werkschaften Oesterreichs. Die Aufgabe: Oesterr. politische Ver- tretung ____ Der Kriegsiverlauf und die politische Entwicklung drängte allen Kreisen der österreichischen politischen Emi- gration die Erkenntnis auf, dass die Errichtung einer wirklich repräsenta- tiven österreichischen Körperschaft, die Aussicht, hätte, von den Alliierten als Vertretung nicht nur der Emigra- tion, sondern auch der Heimat aner- kannt zu werden, immer mehr zur voi dringlichsten politischen Aufgabe wurde. Zu ihrer Lösung waren die österreichischen Sozialisten unter ei- ner Bedingung bereit: dass sich die österreichische Vertretung auf . die wirklich im österreichischen Volke lebendigen und gegen den Nazi*Inva- sor kämpfenden Kräfte beschränke; das heisst, dass Monarchisten und Austrofaschisten ausgeschlossen blei- ben. Geraume Zeit hindurch waren die Kommunisten nicht zur Annahme die- ser Beclirigung zu bringen. Dieses Hin- dernis scheint schliesslich überwunden worden zu sein und es kam zu Ver- handlungen* zwischen den Sozialisten, Kommunisten und bürgerlichen Repu- blikanern. Nach dem ersten Scheitern dieser Verhandlungen beauftragte ein Landeskongres's der Oesterreichischen Sozialisten das London Büro, noch einmal Verhandlungen einzuleiten, de- nen diesesmal auch eine Vertretung B AUSTRIAN LABOR ~ INFORMATION New York m m n 5 V-entral-Organ der Österreich!- W H sehen Sozialisten in deutscher ■ M Sprache. ■ H Es berichtet über Aufgäben und ■ 5 Auffassungen der Arbeiter in g 3 Oesterreich und in anderen eu- p ropäischen Ländern. M Es informiert über die Unter- ■ grundbewegung in Europa in ■ Originalberichten „Aus dem Ge- A fesselten Europa". W Es stellt Verbindung her zwi- ■ selten den früheren Mitgliedern ■ der österreichischen Arbeiterbe- S wegung, die aus den Hitler-Iiin- gj dem entkommen sind! ■ Haltet die Verbindung mit Ver- ■ gangenheit und Zukunft auf ■ recht! h Helft mit, damit die Stimme der M österreichischen Arbeiter gehört g werden könne! 5 Einzelexemplare und Abonne- 5 ments durch Wilhelm Fleischer m <• /o DAD, Tucumän 309, Bs. As. gg (U. T. 31 - 7264) und in den Mg Buchhandlungen: Barna Maipti Ms 441 und Juramento 2368, Pigr- fei malion Corrientes 515 und Her®- M seid Reconquista 424 Bs. Aires M Einzelexemplare.....$ 0.75 JJj Vs. Jahresabonnement . . ,, 4.50 ■ Jahresabonnement . . „ 9.— ™ älKEEKHEUHHKEEEEEEKE^ vimmilHnillllillllllt]lllllllll!IIC3!llllll!lll!r3!Mi!!!i:MICllllllllllllirN AUFBAU E Die »crÄsste antifaschistische Wo- = = chenzeitiinK «1er Vereinigten Staa-= = teil in deutscher und englischer | 5 Sprache. s | Chefredaktions Manfred George | = Nachrichtendienst . ans den freien = = nnd unterdrückten Ländern. = a ABONOS n. AVISOS durch Z 1 Generalrepr. BUENOS AIRES. I | VICTORIA 2966 — U. T. 45 - 8569| 5 F In Montevideo ist DAD zu beziehen durch Federico Dörries, Feliciano Rodriguez 2708 und in den freien Buchhandlungen. ■ 5 COBIS BROT Telef. Anruf U. T. 51 - 6034 ITEIIEKKIERIIIEIIIIIIIIIII Casa Filatelica i — de — _ ROBERTO POMMER = compra y venta de eetampilla» : para coleeelttn 5 RECONQUISTA 200 — Bs. Aires \ U. T. 33 (Av.) 5758 ------------------- | EL CAPRICHO I Damen u. Herren-Friseur-Salon j AVISES 2076 — U. T. 73-1918 I zwischen Conesa und Zapiola | Beste Dauerwellen von $ 2.50 ab. 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Die Redaktion des "Freien Deutschland" leitete den Abdruck mit folgenden Woretn ein: "In ei- nem längeren Aufsatz diskutiert Dr. Erhärt Lö Imberg, ein auslands- deutscher Sozialdemokrat in Bolivien, Vergangenheit und Zukunft der De- mokratie in Deutschland . . Dazu möchte ich folgendes bemerken. Leider hat das "Freie Deutschland" davon Abstand genommei, die Quelle mitzuteilen, wie es den internationalen Abmachungen entsprochen hätte, die für literaische oder wissenschaftliche Veröffentlichungen anerkannt sind. Meines Wissens bin ich niemals Mitglied einer politischen Partei ge- wesen umdi es besteht auch kein Grund, mir ei na solche Mitgliedschaft zuzuschreiben Wohl aber habe ich gelegentlich meine Ueberzeugung zum Ausdruck gebracht, dass von den Leitungen der früheren deutschen Links- parteien grundsätzliche Fehler in der Bekämpfung des Nazismus gemacht worden sind, eine Ansicht, die von mir vor 1933 in Deutschland w,o immer vertreten wurde. Andererseits glaube ich angesichts ,'d-es heutigen Standes der Dinge nicht an die Fruchtbarkeit von Kritiken, an dem was gewe- sen ist, sondern bin der Ueberzeugung, dass die Wirtschaftskrisen und ei- ne Wiederkehr all des Furchtbaren, das wir erleben mussten, nur dann verhindert werden kann, wenn sich alle Linksgruppen und Personen zu einer radikalen Ausschaltung ihrer verhängnisvollen Zwistigkeiten ent- schliessen könnten und gemeinsam ein konstruktives, sozialistisches Zu- kunftsprogramm ausarbeiten und ungesäumt in die Wege leiten würden." * Besorgter Vater, Villnriea (Paraguay): Sie haben sich zusammen mit 69 Weiteren deutschen Familien aus Asunciön und de>n Kolonien im Innern auf den vom Volksgenossen Pfaff im Umlauf gesetzten Listen für freie Rückfahrt ins Reich und kostenlose Zuweisung einer Bstancia im deut- schen Osten eingetragen. Sie können ganz unbesorgt sein, damit ist die Zukunft Ihrer Kinder gesichert. Daiss die Abfahrt zuerst vom Ende Mai auf Ende Juni unidi nun wieder auf Ende Juli verschoben worden ist, hat nichts zu sagen. Die bewussten zehn deutschen! Rückwanderschiffe liegen zwar noch nicht im Hafen von Buenos Aires, aber sie können j.eden Au- genblick eintreffen. Behalten Sie weiter