VA OTRA ALEMANIA »WWW ORGANO DE LOS ALEMANES DEMOCRATICOS DE LA AMERICA DEL SUR Redcrcciön y administraciön: CALLE TUCUMAN 309 Buenos Aires (Argentina) U. T. Retiro 7264 Agosto de 1944 Ano VII No. 8 5 AUS DEM INHALT Gedanken über die Revolu- tion unserer Zeit. Fheodor Plivier, Die Ver- schwörung im „Stahl- Haus" in Düsseldorf Hans Jahn, Kenne deinen Feind! Herrmann Serner, Der preu- ssische Geist und seine Ueberwindung. Zur Zerstörung der nazisti- schen Terrormaschine Gespräche mit deutschen De- serteuren Ulrich Becher, George Gross (Fortsetzung) August Siemsert: DEM ENDE ZU Das Attentat gegen Hitler hat Stoff zu allerlei Vermutun- gen und Rätselraten gegeben. Aber ob es überraschend kaim, ob es "zugelassen" oder ob es geradezu von Himmler vera-n staltet wurde, ist nicht sehr wesent lieh. Wesentlich ist dass das Attentat die schon/ länger in Deutschland beste- llende politische Si- tuation blizartig erhellt hat- Zu Grun- de liegt die Tatsache, dass die alte Reaktion. Militärkaste, Junker und Finanzkapital das Spiel verloren gibt. (Sie haben Hitler und die Nazis an die Macht gebracht, um zugleich mit der kapitalistischen Klassengesell- schaft ihre Privilegien zu retten Nachdem der von ihnen gewollte und unterstützte Versuch der Erringung idier deutschem. Weltlherrsclhaftt unter Verwendung der verbrecherischsten Gangstergestalten und der schmut- zigsten und brutalsten Methoden der neueren Geschichte gescheitert ist, möchten sie die Unschuldigen spie- len und sich ihren Klassen- und Ge- sinnungsgenossen in U1QA. und in England wiederum als Retter vor dem Umsturz und als Schützer von Ruhe und Ordnune anbieten. Für uns sindr diese Vertreter des Wil- helminischen Imperialismus, diese To- tengräber der Republik, diese bewähr, ten Todfeinde der deutschen Arbei- terschaft und des deutschen Volkes nicht weniger schuldig als die Nazi- gangster. Mögen sie und die Nazis sich gegenseitig ausrotten. Ulm so bes- ser für Deutschland und die Welt! Deutsche E.v'icthsk |rr«f>.iurt fsm K#in Wenn der in Verbindung mit dem Attentat erfolgte Rebelliccsver.such, dessen Umfang wir nicht kennen auch Schnell unterdrückt worden ist so kündet sich in ihm dennoch s (Ende an. Mag- die Allmacht der Ge- stapo und der SS, mag das erneute Wüten ihres grauenhaften Führers Himmler für den Augenblick auch den Wiederstand in Blut und Angst ersticken, die Gegensätze uir.d der iHas,s werden dadurch, nur gesteigert werden, um die Gelegenheit mit ganz anderer Wucht hervorzubrechen. Und die Zwangseinführung des Hitler- grusses bei der Armee wird ganz ge- wiss kein geeignetes Mittel sein, um den Siegeszug der Scwjettruppsn auf- zuhalten. Dieser Siegeszug ist die zweite Überraschung, die die soviet- russischen Heere in diesem Kriege der Welt bereiten. Die erste Ueberraschung ibstand darin, dass die Offensiven der Naziheere trotz aller Teilerfolge schei- terten. zuerst vor Leningrad unld Mos- kau, dann in Stalingrad. Damals sag- te man, hier zeige sich wie 1812 im Kriege gegen Napoleon, dass die zä- itie Defensivkraft der Russen in den riesigen Weiten, ihres Landes un über- windbar sei. Nun aber erlebt man, dass die Sowjettruppen auch Üb" - eine enorme Offensivkraft verfügen, von der man bisher annahm, dass sj'2 dem passiven Wesen des Russischen Volkes wiederspräche. Die tiefgreifen- de Umwälzung der Oiktoberreivolution hat zum Staunen der kapitalistischen Weltöffentlichkeit ungeahnte Kräfte freigesetzt und der "erblichen" Passi- vität der Russen ein Ende gemacht, die ebenso wenig erblich wie die grau- same Gewälttätigkeit der Deutschen, vielmehr ein Produkt Jahrhunderte langer Entrechtung und Unterdrük. kung war. Die russischen Heere nähern sich In dem Moment den deutschen Grenzen, in dein die masslos angespannten ma- teriellen und menschlichen Kräfte Deutschlands sich erschöpfen und der Boden Europas mähr denn je unter der nationalistischem .JZwanigslherr- schaft schwankt. Zugleich beginnt die Offensive der Alliierten in der iiSsormandie grössere Erfolge zu er- ringen, und die Türkei zieht aus der verziweifelt werdenen Situation Hitler, tieutschlands die Konsequenz, indem sie an • die Seite der Alliierten tritt. In Blut und Grauen, wie sie begonnen * ' h > 6 T und wie sie gelebt hat, wird die Na. ziherrschaft in den nächsten Monaten ihr Ende-finden. Zugleich aber schrei- tet die Zerstörung Europas in furcht, ibarem Ausmass fort. Ein Brief teilt uns soeben mit, dass die Frankfur- ter Altstadt mit Römer und Pauls- kirche, mit Goethe- und Brentano, haus ein Trümmerhaufen ist. Aber nicht nur die deutsche Klassik und deutsche Romantik und deutsches Bürgertum sinken nun auch in ihren Denkmälern dahin, von dem ganzen alten Europa, dem Europa der bür- gerlichen Epoche bleibt nur die Erin- nerung. Dieses Europa musste durch Selbstmord enden, da es den Weg. den die Französische Revolution mit ihrer Verkürzung der Menschenrechte, mit dem Ruf Freiheit, Gleichheit, 'Brücleriid'sikeit eingeschlagen hatte, nicht weiter, nicht zu Ende gegangen ist. Da die bürgerliche Klasse, zur herrschenden Klasse geworden,' die- se Forderungen und Ideen verraten und bekämpft hat, da die sozialisti- sche Arbeiterbewegung, die Erbin die- ser Ideale, zu unvorbereitet, zu schlecht geführt, zu, uneinig war, um in der entscheidenden Stunde nach dem vo- rigen Weltkrieg die kapitalistische Prcduktionsanarchie durch die ^an. massige Bedarf wirtschaft, den Klassen- kampf durch die solidarische sozia- listische Gesellschaft, die Europäische Zerrissenheit durch die Vereinigten Staaten Europas zu überwinden, da die europäischen Massen die russische Revolution in Stich liessen, ging die europäische Katastrophe weiter. Un- terstützt vom Weltkapitalismus feier- ten Reaktion und Faschismus ihre Triumphzüge, schuf Horthy in Ungarn "Ordnung". Mussolini in Italien und Hitler in Deutschland. Aber die Zerschlagung der Arbeiter. Organisationen, die Verfolgung und Ermordung der [Sozialisten und Korn, munisten, der aufrechten Demokraten und Pazifisten, die Vernichtung der demokratischen Einrichtungen, die Beseitigung der Menschenrechte, die Besudelung der höchsten Mensehh^i ts. ideen, die ganze von Cliveden- Set und Chamberrainisten. von den 200 Familien und den Petainisten, von Wall- Street und Mr. Ford gepriesene neue "Ordnung" des totalitären fa- schistischen Staatsungeheiuers führte in kurzer Zeit zu dem Chaos, dem Krieg, der Zerstörung, die wir seit — 2 £ , ^ t/ j x. iö Jahren vorausgesagt haben. Sie erreichen in diesem Jahre des Heils 1944 in Europa Gipfelpunkte des Grauens. Dag Ende Hitlerdeutschlands und der Naziherrschaft, dessen Umfang wir ■jetzt erleben, müsste der Beginn ei- nes neuen Europa sein. Statt dessen erhebt sich bei allen fortschrittlich gesinnten Menschen immer baniger die Praige: Was dann? AIs Chiuirchill- >lang, larig ists her!, in phrasenlosen, tapferen Worten dem englischen Vol ke Blut, Schwelss und Tränen ver- sprach, kämpfte England um seine Existenz, nicht um seine Existenz als Weltmacht und Herrenvolk, sondern uim seine nackte staatliche Existenz und -Freiheit. Als der Krieg noch un- entschieden war, suchte Churchill im Verein mit Roosevelt die Sympathien der Welt durch Verkündung der Frei- heiten der Atlantikcharter zu gewin- nen. Heute ist die Atlantikcharter ver- gessen. Heute, wo der iSieg greifbar wird, geht es nicht meiiir um Frei- heiten und bessere Weltordnung, heu- te geht es wieder um Grenzen, Inter- essensphären und Absatzgebiete und zugleich um die Verhinderung der so- zialen Revolution in den Vereinigten Staaten Europas, Dafür also sind die Ströme von Blat, Schiweiss und Tränen vergossen, dass das morsche alte Europa, die morsche ■alte Welt wieder zusammengel eimt und das notwendig gewordene verhin- dert wird? Mit Recht hat Aveurin Be_ van kürzlich in Unterhaus gesagt, es sei tragisch, dass kein Staatsmann der Welt der Menschheit die Botschaft verkünde, auf die sie warte; noch nie habe es einen so grossen moralischen und intellektuellen Bankrott gegeben wie heute. Auch von der englischen Arbeiter. iPartei kommt kein Wort uird keine Tat die eine frohe Botschaft wäre Und aus Moskau geht in diesem Welt- krieg kein Funkspruch "An Alle". Besorgt um ihren Wiederaufbau, ent- täuscht von der (Arbeiterschaft der Welt, auf der theoretischen Grundla- ge des "Sozialismus in einem Land'' eine rationale Interessenpolitik trei- bend, redet und handelt die .Politik der Sowjetunion in den Kategorier kapitalistischer Diplomatie, sicher- lich mit grösserem Geschick, vielleicht auch mit sorgsam verschwiegenen so- zialistischen .Zielen! Zur Zeit jeden- falls ist die Politik der Sowjetunion in Europa eher geeignet, das Chaos zu steigern und den nächsten Krieg vorzubereiten. Das gilt insbesondere für die (deutsch- europäische Frage. Die beabsichtigte Zuteilung rein deutscher Gebiete an Polen _ dass ein englischer Völker- bundBidiplomat neulich erklärt hat Ostpreussön sei überwiegend von Po- len bewohnt, zeigt einmal mehr, mit welch verbrecherischen Leichtsinn Po- litik gemacht wird- muss eine Ver- ständigung und Zusammenarbeit zwi- schen Polen und Deutschen hindern und damit dem Aufbau eines geein- ten Europa einen schweren Schlag versetzen. Bleiben die Deutschen in dem abzutretenden Gebieten, so be- sitzt Polen eine Irredenta, mit der es nie fertig werden kann; werden sie evakuiert, so nehmen sie die iSfihn- sucht nach der verlorenen Heimat und den Hass gegen die Polen mit. In jedem Falle ist Polen gegenüber dem deutschen Ressentiment auf die Unterstützung Russlands angewiesen. Und das ist der Zweck der Politik (Stalins (Deutsche Kommunisten vollführen ein verlogenes Geschrei gegen alle, die gegen die Abtretung ostpreussischar und anderer reindeutscher Gebiete ati Polen sind, als ob es sich um Impe- rialismus handle. Wir sagen deshalb aufs neue: Deutschland und deutsche Grenzfragen sind nur vom europäi- schen Standpunkt aus von Interesse, d.h. von Standpunkt der Schaffung ei- nes geeinten. Europa- Unter Beibehal- tung! des alten Systems, der alten Po- litik, des alten1 nationalistischen Machtstrebens bedeuten neue Verge- waltigende Grenzziehungen durch ei- ln e Politik, die Länder und Menschen als Schacherobjekte behandelt, Vorbe- reitung des neuen Kriegs. Ganz Binders liegt es, wenn man die deutsche Frage als Frage der Einord- nung Deutschlands in ein neues Eu- ropa betrachtet. Wenn nach der Aus- rettung des Nazismus, nach der Bestra- fung, die nur für .schlechte Aerzte und iCharlatane das allerwichtigste ist, die deutschen Demokraten, die deut- schen Arbeiter die Möglichkeit erhal- ten, aktiv am Aufbau der Vereinig- ten Staaten Europas mitzuarbeiten, sie am ehesten wiedergutzumachen, an dem sie vielleicht weniger schuld sind, als viele, die heute alle Deutschen hassen, die selbst aber nichts getan Haben gegen die Nazis oder ihnen, so- gar die Wege geebnet haben- Die Stimmen der kurzsichtigen Hass. prediger und die Stimmen der kalfc- rsehnenden, dem Alten verhafteten Staatsmänner, Diplomaten und "Wirfc. sefhaftsführer'"'. ersticken heute nicht nur die schwache Stimme von uns deutschen Hitlergegnern, deren War- nungen man vor 10 Jahren ebensowe- nig hören wollte wie heute; auch die Harnt Jahn: „KENNE DEINEN FEIND" In der Broschüre von Tetens "Know your Enemiy" werden noch einmal alle von >L;rd Vansittart gegen das deutsche Volk gebrachten Argumente zusammengefasst fund dokumentarisch belegt Der Grossverdiener am deut- schen Literaturmarkt Emil Ludwig, der charelkteristischerweise das Vor- wort zu dieser Arbeit geschrieben hat, stellt mit biederem Augenauf sichtag fest, dass er sich zwar mit den deut- schen Angelegenheiten vertraut ge- glaubt, dass aber die Fülle neuen Ma- terials, das hier zusammengetragen wurde, überrascht und tief beeindruckt habe. An Hand von Aeusserungen so- zialistischer und demokratischer Staatsmänner der Weimarer Repu- blik wird nachgewiesen, mit welch teuflischer Verruchtheit man seit 1919 die Siegermächte hinters Licht geführt habe, und dass nur die aller- härtesten Massnahmen nach diesem Kriege geeignet seien, einen durch die notorische politische Amoralität der Deutschen hervorgerufenen dritten Weltkrieg zu. verhindern. Wir haben uns mit all diesen Beweis- führungen schon früher auseinander- gesetzt. Wir leugnen nicht, dass re- ipükilikanische Minister, die Tor- heit begingen, repräsentative Posten in einem Staate zu übernehmen, des- sen wirkliche Machtpositionen in der Hand der Reaktion geblieben waren und dass sie sich zu allerlei dunklen Machenschaften miissbrauchen lies- sen. Wir haben auch nie vergessen, darauf hinzuweisen, wie diese rück- schrittlichen Kräfte vom Auslande her ermutigt und gestärkt wurden, wie gerade die Kreise um Vansittart Stimme unserer Gesinnungsfreunde Ln der kämpfenden europäischen Un- tergrundbewegung wird zur Zeit kaum vernommen. Aber sie ist die Stim- me der leidenden und kämpfen- den, der hoffenden und Zukunftd- giäubigen, der stets betrogenen, der endlich erwachenden Massen, sie wau lauter ertönen am Ende dieses Krie- ges. Und der Tag wird kommen, an dem ihr Ruf siegen wird: Europa, ist tot? Es lebe das neue Europa! in England, das Grosskapital in USA. die begeistertsten Wegbereiter erst des Faschismus in Italien und dann Hitlers in Deutschland waren. Wir, die wir uns nicht der geschichtlichen Tatsache verscthliessen, dass lange be- vor Deutschland überhaupt zum Staa- te wurde, Spanien, England und Frankreich Jahrhunderte hindurch mit grausamer Aggressivität sich in der Welt durchsetzten, wir, die wir auch heute noch keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen einem Nazi, der einen Juden totschlägt, und einem Amerikaner, der einen Neger lyncht, oder einem Engländer, der einen Inder auspeitschst;, zu erkennen vermögen, wir wissen, dass selbst durch die phy- sische Austilgung aller Deutschen der Weltfriede nicht gewährleistet werden Ikann, solange in der Welt noch ein Gesellschaftssystem herrscht, zu des- sen Lebensgesetz und Lebensnotwen- tiigikeit der Krieg gehört. Selbstverständlich richten Broschü- ren der beschriebenen Art, ganz be- sonders heute, in einer durch Hass vergifteten Atn^sphjäre,. ungeheuren (Schaden an, aber glücklicherweise sind auch im Lager der Sieger die Kräfte der Vernunft auf ihrem Pos- Iten. In der von uns schon öfter an- geführten Woicihensclhrift "Nation" setzt sich der Nordamerikaner Louis Fischer") mit dem deutschen Problem i (umeinander und sagt den Aerzten, die die Krankheit durch den gewaltsamen Tod des Patienten zu überwinden ge- denken. manche beachtenswerte Wahr- heit. °) L. Fischer war früher Mitarbeiter der „Weltbühne". Während die allienten Staatsmänner, führt er aus, ihren Glauben an ein anderes Deutschland verloren zu ha- ben scheinen, lasse sich bei Hitler und Himmler, die in wachsender Anzahl Deutsche hinrichten cder in die Kon- zentrationslager schickten, dieser Glau- be immer deutlicher feststellen. Mag der Prozentsatz dieser anständigen Deutschen nun gross oder gering sein, man muss ihnen demokratische Le- bensmöglichkeiten schaffen. In der Zeit zwischen 1919 und 1932 hat das deutsche Volk seine Eignung für die Demokratie unter Beweis gestellt. Rede-, Versammlungs- und Religions- freiheit, Parlamentarismus, machtvol- le Gewerkschaften, freie Wahlen, eine Blütezeit der Kunst und Kultur waren nicht nur dem Scheine nach vorhan- den. Dass die Reaktion schliesslich dennoch den Sieg davontrug, ist kein Gegenbeweis, ebensowenig wie der Sieg Francos einen Beweis für das Nichtvorhandensein der spanischen Republikaner darstellt oder der Zu- sammenbruch Frankreichs gegen das Fortbestehen seines demokratischen Geistes sprichst» Ist nicht die ncrda- merikanische Demokratie selbst in ih- rem Wesen durch Rassenhass, Anti- «arbeiter- Gesetzgebung und wachsen- de Macht der Kartelle bedroht? Der Sieg des Faschismus in Deutschland hat seine Ursachen in der wirtschaft- liehen Depression, die ähnliche Er- scheinungen auf politischem Gebiet in Italien. Spanien, Japan, Polen, Grie- chenland und Südamerika zeitigte. Durch besondere Umstände wirkte sich die deutsche Spielart des Fa- schismus fürchterlicher aus, aber da er als Teil einer Weltkrise verstan- den werden muss, ist seine Ueberwin- dung auch nur im Rahmen einer welt- weiten Neuorientierung möglich. Im Hinblick auf die Fehler, die von den ßiegermächten nach dem letzten Krie- ge gemacht wurden, sollte dieser Frie- de nicht aus dem Hass des Augen- blicks, sondern unter Berücksichtigung der Entwicklung in den nächsten Jahr- zehnten organisiert werden. Deutsch- land allein für alles Uebel verantwort- lich machen, bedeute den Irrglauben, dass mit seiner endgültigen Vernich- tung jede Kriegsursache für immer aus der Welt geschafft werden, schaftssystems in der übrigen Welt Wahrheit würde eine Zerstörung Deutschlands unter Beibehaltung des jetzigen Gesellsohafts- und Wirt- Schafts systems in der übrigen Welt die Gefahr eines dritten Weltkrieges nicht im geringsten abwenden können. Wenn die entsetzliche Erfahrung, die das deutsche Volk heute durchmacht, keine Abkehr vom Militarismus hervor- ruft, so können alle "Erziehungs"-ver- suche von aussen erst recht nichts er- reichen. Selbstverständlich mujss Deutschland entwaffnet werden, aber in einer Zeit, in der jede Verbrauchs- güterindustrie sich über 'Nacht auf die Produktion kriegswichtiger Artikel umstellen kann, wäre materielle Ab- rüstung keinerlei Garantie, wenn sie nicht Hatnd in Hand mit einer Ab- rüstung der Geister ginge. Endgültige Abrüstung kann nur hergeleitet wer- den aus einer Wandlung der deut- schen Gesellschaftsstruktur, aus einer wirklichen Entmachtung der für die Aggressionen verantwortlichen Klassen, aus einer unbehinderten sozialen Re- volution. Die territoriale Zerstückelung Deutsch- lands. mit der entgegen den Beschlüs- sen der Atlantik-Charakter gerech- net werden muss, ■ liegt zwar keines- wegs auf der Linie einer allgemeinen Befriedung der Welt, doch kann ihr viel von ihrem Stachel genommen werden, indem mafi Europa zu einer wirtschaftlich - politischen Einheiib Zfusam,menschweisst und so die Be- ideutung des Grenzproblems überhaupt zu einer Frage zweiten Ranges herab- mindert. Während ein zerstückeltes Deutschland nur den Kampf der Grossmächte untereinander um den Einfluss in den einzelnen Teilen hervorrufen künnte, wäre ein unge- teiltes und gesäubertes Deutschland eine vVeit bessere Friedensgarantie. Aber selbst vom Standpunkt der offi- ziellen angelsächsischen Politik her gesehen, wäre eine unduldsame Be- handlung des deutschen Volkes eine Torheit. Nach diesem Kriege wird Russland durch seinen Einfluss auf die Tschechoslowakei, seine beherr- schende Position in Polen, seine Annexionen in Literjen und wahr- scheinlich Ostpreussen da;s Reich (halb umklammern. Aus dieser Stellung wird die Sowjetunion wirtschaftliche — 5 — Vorteile ziehen, und ihre Macht wird auf vielen Gebieten van massgeben- dem Einfluss sein. Da nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten andern europäischen Ländern wirt- schaftliche Verelendung und zuge- spitzte Klassenkämpfe gebieterisch eine gesellschaftliche Neuorientierung verlangen werden, wird die russische Lösimg den Massen auch dann er- strebenswert erscheinen, wenn sie im Gefolge einer ökonomischen Verbes- serung eine weitgehende Beschrän- kung der persönlichen Freiheit mit sich bringt. Wenn die Angelsachsen nichts anderes anzubieten haben als die gleiche Unfreiheit, zur Unerträg- lichkeit gesteigert durch wirtschaft- liche Ausbeutung, so können sie den Einfluss der Sowjetunion nur stärken, Statt ihn zu vermindern. Die erste Hermann Serner: DER PREUSSISCHE GEIST UEBERWINDUNG Die für viele, auch politisch interes- sierte, Beobachter überraschend schnelle Verwandlung der Deutschen Republik in einen hochgerüsteten, au- toritären und faschistischen Staat, fertig den zweiten Weltkrieg zu ent- fesseln und zum furchtbarsten Feind der soeben noch verfassungsmässig verankerten Ideen der liberalen De- mokratie, Völkerverständigung und individualistischen Kultur zu werden, hat zahllose deutsche und ausländi- sche. bürgerliche und sozialistische Schriftsteller auf den Plan gerufen, die Ursachen dieses erstaunlichen Wechsels zu erklären, die tiefere Na- tur Deutschlands als demographische, ideologische und gesellschaftliche Ein- heit zu definieren, Deutschland ein für alle Mal als Angreifer, als Bedro- hung seiner Nachbarn und der ganzen Welt, als Quelle barbarischer Ver- folgungen und mittelalterlicher Be- herrsdhungsmethoden zu eliminieren. In einem ist sich wohl die Mehrheit der Untersuchenden einig, dja hier die Geschichte selbst spricht, und das ist Preussen's Rolle in der neuen Deutschen Geschichte und insbeson- dere bei der Bildung des bismarcki- schen Reiches und seiner diplomati- schen, verfassungsrechtlichen, mili- tärischen und politischen Entwicklung. Voraussetzung dafür, dass sich die verarmten Völker hoffnungsvoll an die Angelsachsen wenden könnten, wä- tre eine vorbildliche Lösung der so- zialen Probleme in England und be- sonders in U.V.A. selbst. "Kenne deinen Feind"! Nicht das deutsche Volk ist die Gefahr für die Welt, nicht die verelendeten Massen Deutschlands werden einen neuen Weltkrieg heraufbeschwören, sondern die Kräfte, die in blindem Egoismus 'auf den Trümmern des alten Konti- nents ihr "busines as usual" betrei- ben wollen. Ihr Spiel spielen unbe- wusst die Dokumentensammler wie T. H. Tetens und wahrscheinlich be- wusst die höchlichst überraschten "Historiker" vom Schlage des Herrn Emil Ludwig. UND SEINE Vollkommen richtig, wird betont dass es die Hauämacht und Eroberungs- ibestrebungen der Hohenzollern, die Bismarekische Politik von Blut und Eiseij, die territoriale und militäri- sche Expansion Brandenburg- Preus- sens gewesen ist, die angesichts der Unfähigkeit des Deutschen Bürger- tums Eich selbst zu einigen und zu befreien, zum Schöpfer des neuen Reiches wurden. Doch an diesem Punkte beginnt be- reits die Divergenz zwischen den His- torikern bürgerlicher und historisch- materialistischer Richtung in der Beurteilung deutscher Verhältnisse und damit in der Aufstellung bestimm- teir politischen Postulate für die Ue- berwindung aller Uebel von "jenseits des Rheins". Die bürgerlichen Beobachter, und zu diesen gehört S. D. Stirk, M. A. phil., der mit einer für einen Engländer seltenen Einfühlung und Einsichts- nahme in seinem Buch "The Prussian Spirit" (Der Preussische Geist) zum Deutsch- Preussischen Komplex! Stel- lung nimmt, gelangen zu der Fol- gerung, dass die Umwandlung Deutschlands von einem Lande der Dichter und Denker zu einem Lande tier Imperialisten und Militaristen, von einem Lande des Christentums. der Ramantik unid der individuellen Kultur zu einem Staat der Macht und Kriegspolitik, der heidnischen Mitleidtosigkeit und kollektiven Bar- barei hauptsäehlioh von dem Einfluss Breuslsens in der deutschen Geschichte herstammt. Die unglückselige Tatsache, dass der preussische Militär- und Bfeämtenstaat mit seinen diktatorischen Regierungs- metihoden, seinen rücksichtslosen Un- terwerfung&tendenizen, seiner absolu- ten Autoritätsvergottung nur Keim- zelle des neuen Deutschland von 1870 wurde, dient ihnen zur Erklärung des ersten ur.id zweiten Weltkriegs, des kläglichen Versagens der Deutschen Demokratie, und des Aufkommens Hitlers und seines dritten Reiches- 'Stink insbesondere will mittels einer kritischen Analyse bestimmter Deut- scher Na-ch'kri eg slitera t u r aufzeigen, dass der Nationalsozialismus zum Teil das Kind preussischer Traditionen und Tendenzen ist, dass der Geist des al- ten, soldatischen, agressiven Preus- sens nie tot war. dass er selbst zwi- schen 1918 und 1933 beredte Vertre- ter und Propheten gefunden hat. dass die Möller van der Bruck, Flex, Baue- melburg, Spengler und Konsorten durch Wiederbelebung, Neuschöpfung und Ausdeutung politischer Legenden, durch phantastische Geschichtsklit- terung und systematische Verherrli- chung des Soldatenlebens und Oos er _ todes. durch Anbetungen bedingslose" ßelbsthingabe und Disziplin nach preussischem Muster, den Boden füz den neuen hochgerüsteten, totalitären Angreiferstaat Hitler,5 geschaffen ha- ben. So richtig und interesisant die Aus. führungen Stirks sind, sie muten den dialektisch denkenden Leser wie das Einrennen offner Tueren an. Die um. fangreiche Behandlung nationalisti- scher Literatur, Geschichte und Philo- sophie streift die Probleme nur an der Oberfläche, solange niesnt die rea- len, ökonomischen politischen und so- zialen Machtfaktoren aufgezeigt und erklärt werden, die zur Entstehung, Finanzierung, Verbreitung, Problem- stellung, Gestaltung und Wirkung die- ser Literatur geführt haben und even tuell wieder fühiren werden. Der tiefer schürfende Historiker und Politiker wird durch die Gewalt der nationalen und internationalen Ereig- nisse gezwungen zü sehn, dassi Milita- rismus, Imperialismus, Autarkie und Autokratie keine spezifisch, preussi- schen Erscheinungen sind, dass der liberale Geist, die Humanität und das christliche Mitleid absterben und verstummen, wo die ökonomischen In- teressen bestimmter Klassen auf aus- senpolitischem Gebiet eine Aera der Eroberungen und Unterwerfungen, auf innenpolitischem Felde eine -rück- sichtslose Drosselung persönlicher Glückaan spräche der Massen zum Zwecke ungehinderter Aufrüstung. Kriegsführung- und Wettbewerbsfähig- keit einleiten. In diesem Zusammenhag wird es klar, dass nicht eine spezifisch preussische Mentalität, Rasse, Politik oder Staats- verwaltung aus Deutschland den An- greifer in zwei Weltkriegen, den Erz- feind des Fortschritts gemacht hat, sondern dass e;s vielmehr das wach- sende Profitstreben einer wirtschaft- lich erstarkenden aber politisch ohn- mächtigen und unfähigen deutschen Bourgeoisie war, das die Einordnung Deutschlands in den preussischen Machtkomplex begünstigt iund vollzo- gen hat. Der iunge Deutsche Kapitalismus hat in ErmangeKunjg eines kraftvollen und einheitlichen Reiches historischer Prägung die Verpreussung akzeptiert, tia Preussen allein die historisch not- wendige Organisation für die erstreb- te Weltmachtstellung darstellte und weil die spezifisch preussischen Metho- den und Ideologien ausgezeichnete Hilfsmittel für die Niederhaltung der arbeitenden Klassen und die Unter- werfung und Beherrschung auswärti- ger Gebiete zu sein schienen. Hätte kein Preussen beistanden, kein von ostelbischen Junkern und bran. tienburgisehen Kurfürsten geschaffner Untertanen- und Ameisenstaat klavi- sch er Unterordnung und peinlichster Sparsamkeit, die wachsenden Interes- sen der deutschen Groissbourgeoisie ticir Krupp, Thyssen. Vogler, Ballin, iund Stinnes, der IG Farben un AECJ hätten sich ein Preussen, einen tota- litären militaristischen und diktato. rialeri Staat schaffen müssen. Aus Unverständnis dieser Tatsachen kann Stirk sein Bueih nur mit einem vollkommen verworrnen und wieder spruclwollen politischen Programm Qbsc'hliessen, das solche unvereinbaren Punkte enthält wie: Ermutigung der deutschen Demokraten, sozialisten und Katholiken, aber auch Gewia tiung der Preussen (Der Autor defi- niert sie hier ganz offen als "Rechte" wobei er den "Preussen'' die ihnen, wie er in seinem ganzen Buch bewie- sen hat. anhaftenden Untungeniden der Eroberungslust und Kriegsbeja, ihiung teils durch Drohungen -uind teils durch einen Appell zum "Einfachen lieben" a la Ernst Wiechert abge- wöhnen und durch die altpreussiscne Pietät und Genügsamkeit, wie die. Le- gende vom ollen ehrlichen Hindenburg so schön schilderte, ersetzen will aber wünscht zugleich Stirk die Erhaltung Preussens als Bollwerk gegen den Kommunismus und als Garantie da- für, dass Deutschland kein Bündnis mit der Sowjetunion eingeht- Und wenn auch der Staatsmann, der die Propaganda und Politik machen soll, die Deutschland als Einheit und Preussen (die "Rechte") durch Ein- setzung einer Militärdiktatur am Ru. Ider erhält uim Front gegen Russland au machen, ohne jedoch zu einer Ge- fahr für England zu werden, wenn auch dieser üebergöbbels erst noch geboren werden muss, der reaktionä- re Sinn dieser preussischen Mohren- wäsche von englischer Seite, die Stirks Buch trotz aller seiner Ableugnungs ibeteurungen darstellt, kommt hier deutlich zu Ausdruck. Die konservativen, reaktionären, feu- dalen Kräfte in Deutschland wie sie in der protestantischen Geistlichkeit, der Beamtschaft, den Offizierskrei- isen, den ostelbischen Junketrn und dem beschränkten Spiesser verkör pert und im Namen "Preussen" tra- ditionell zusammengefasst und rubri- ziert werden, sollen das imperialisti- sche Konkurrenzunternehmen eines weltmachtgierigen dritten Reiches Ii. Midieren, aber gleichzeitig soll das latente Angrit'fpotential eines gedemü- tigten' Deutschland das Recht zum traditionellen Stahl und Blutbad ha- ben. wenn es Willi® ist, zum Schergen unld Büttel gegen alle Gefahren einer gesellschaftlichen Neuordnung zu die- nen. Es wind schwere Kämpfe kosten, nicht nur den Hitlersaschisimus zu liqui dieren sondern auch Potsdam zu sei- nem wohlverdienten Platz im Zeug- haus zu verhelfen. Der Weg zu einem andern Deutschland wird lang und (beschwerlich sein. Trotzdem hoffen und glauben wir, dass der preussische Geist trotz Mr. Stirk endgültig ver- schwinden wird, wenn seine gesell- schaftlichen1 Voraussetzungen über- wunden sind. KRIEGSGEWINNLER a) in Deutschland Nach einer Regierungsanordnung wa. ren alle deutschen GmbH und AG mit einem Kapital von mehr als 300.000 RM. bezw. 1.000.000 RiM. verpflichtet worden, ihre Bilanzen von versteckten Gewinnen und nicht ausgewiesenen Reserven zu bereinigen. Die Frist für die Aufdeckung1 der wirklichen Profi- te lief am 30. September 43 ab. Jetzt veröffentlicihte die Dresdener Bank das endgültige Ergebnis. Bei den Ak- tien-Gesellschaften ist nicht weniger als die Hälfte des investierten Kapi- tals in Kriegs und Rüstungsgewin- nen versteckt gewesen. Zum ersten Mal in der Geschichte hat das Gesamt- kapital aller deutschen AG die 30 Mil- liarden Grenze überschritten. In der Kategorie der GmbH ist aus betriebs- eigenen Mitteln das Kapital um 128,5 Prozent heraufgesetzt worden. Diese phantastischen Profite sind, wohlge- merkt, neben den ordentlichen Gewinn- ausschüttungen und normalen Ab- schreibungen erzielt worden. (Bekanntlich ist die Bestimmung, dass die Löhne der Arbeiter und Angestell- ten während des Krieges nicht er- höht werden durften, riguros einge- halten worden.) * bx in "U.S.A. [i Die „Züricher Zeitung" meldet: London, 10. Dez. (hhy-T'el.) Die Divi- dendensaison der Randgoldminen wur- de mit Erklärungen über die Halbjah- resdividenden der Central Mining und der Rand Mines-Gruppe eröffnet. Ob- wohl London keinerlei optimistische Erwartungen hegte, haben die Erklä- rungen dennoch enttäuscht. Von drei- zehn Gruppenunternehmen weisen sechs gegenüber dem Monat Juni be- deutende Reduktionen auf, fünf zah- len unveränderte Dividenden, Gelden- huis Deep zahlt keine Dividende, wäh- rend die Transvaal Consolidated Land 17 y2 Prozent gegenüber 15 Prozent ausschüttet. Unter den Reduktionen enttäuschte besonders diejenige der Crown Mines von 50 auf 45 Prozent, was die Jahresdividende von 130 auf 95 Prozent drückte. Auch die Rose Deep und City Deep, deren Dividenden je von 10 auf iy2 Prozent sinken, blei- ben hinter den Erwartungen zurück." Theodor Plivier: DIE VERSCHWOERUNG IM „STAHLHAUS" IN DUESSELDORF Einem Aufsatz von Plivier über Goebbels, den "Schreiber des Henkers", ent- nehmen wir das Folgende; Und es kommt der Tag, die Fol ff e eines andern) Tages und jener schick- salsschweren Stunde im\ Stahlhaus zu Düsseldorf in der Ludwig Knick- mannstras^e. Und sie waren alle da, die Thyssen, Kirdorf, Haniel, August Di&in. Flick„ Duisburg, Schmidts, Diehrings. von Borsig, Freiherr Tilo von Wilmowski, Graf Donnersmarck, und da sass der Kanonenkönig Krupp von Bohlen und Halbach, der während des ersten Weltkrieges sowohl auf deutscher als (an einem ZündJrpatent) auch auf englischer Seite pro- fitierte und dem man an nur einer seiner Produktionsmarken 54 Mark an jedem Gefallenen des Weltkrieges nachgerechnet hat, und da sass der Weltkriegsgrossgewinnler vom "Stahltrust" Albert Vogler, da sass der Generäldirektor Zangen vom MannJßmanm-Konzern. der im Jahre 1911 seine, Fäuste auf das nordametikanische Erz legen wollte und Wil- helm II. zum "Panther"-Sprung^ auf Agadir veranlasste, da sass der Bagdadbahngewinnl und Interessent an rumänischem, 'persischem und kaspmchem oel. da sassen Kohle und Stahl und Rüstungsindustrie und Inflationsgewinn und IG-Farben und Bankkapital und Textilindustrie und Petroleum und Großgrundbesitz, da sassen dreihundert Plutokraten Deutschlands, die an Einern verlorenen Krieg gross verdient hatten und die an einem neuen Krieg noch grösser zu verdienen trachteten. und vor ihnen. Notizen und ein Glas Wasser auf dem Podium und sein Programm auseviandJrsetzf-nd, stand der Henker Deutschlands und der künftige Henker Europas. Una niemals sind so dickb Ströme Blut geflossen, sind so viele Städte zerstört. Dörfer verbrannt. Felder verwüstet. Menschen gejagt. Galgjn aufgerichtet, Frauen und Kinder verschleppt und so viele Gruben mit zer- rissen -eitslagem untergebracht. Die Dauer deo* Unterbringung hinge davon ab, wie schnell geordnete Zu- stände geschaffen und die dement- sprechenden Gerichts- Verfahren durchgeführt werden können. Es gibt doch Fälle, in denen sofort ein summarisches Verfahren statt- finden müsse. Niemand, der vertraut ist mit den Verbrechen, die von zahl- reichen dieser "aktiven Nazis" inner- und ausserhalb Deutschlands verübt worden sind, kann daran zweifeln, dass es Fälle geben wird, die schnelle und strenge Justiz erfordern. Wir kommen nicht um die Schlussfolge- srung herum, dass die Revoluitions- Tribv.nale, die als Gerichtshöfe sum- marischer Justiz tätig sind, die Macht haben müssen, jedweden dieser akti- ven Nazis, dem die Teilnahme an isolohen Verbrechen nachgewiesen werden kann, zum Tode zu verurteilen. Diejenigen Leser, die durch diesen Vorschlag1 abgestossen wenden, mögen die Geschichte der Nalzipartei in Deutschland vor und nach 1933 stu- dieren. Anderseits mag es eine ganze An- zahl Fälle geben, in denen die Tri- bunale es für passend halten werden, einen Festgenommenen freizulassen und unter Bewachung ziu stellen. Schliesslich wäre jeder, der versuchen würde, einem aktiven Nazi zu hel- fen, sich der Verhaftung zu entziehen, vor ein Revoluiiions - Tribunal zu bringen Diejenigen, die unter die Kategorie .der "aktiven Nazis" fallen, sind die ei- gentlichen Nutzniesser des Terrorsys- tems. Irgendwie haben sie die Früchte der Beraubung anderer geerntet. Es ist eine rechtliche und politische Not- wendigkeit, dajss sie ihren Besitz ver- wirkt haben. Ihr Eigentum sollte so- fort eingezogen und einem "Sühne- fonds" zugeführt werden, der dazu benutzt würde, den Opfern des Nazi- terrors inner - und 'ausserhalb Deutsch- lands zu helfen. Die Nazipatrtei hatte zu Beginn des Jahres 1937, d. h. im eigentlichen Reich, 33 Gauleiter, 760 Bezirksleiter, 21.354 Ortsgruppenführer, die so ziem- lich alle in die Kategorie der "akti- ven Nazis*' fallen und weiter 70.000 Zellenleiter • und 400.000 Blockwarte, von denen einige auch in jene Katego- rie gehören. Dte Zahlen aras der glei- chen Zeit für die nicht hauptamtlich Funktionäre der Hilfs- und Neben- Organisationen und - Gruppen, von de- nen nur ein Bruchteil als "aktive Nazis" beihandelt werden müssen, sind: 767.000 Amtswalter der Arbeitsfront, 600.000 Amtswalter der NS-Wohlfahrt 95,000 Amtswalter der NS-Frauen- sohaft, 88.000 Amtswalter des Reichs- nährstandes, 77.000 Amtswalter des Ktrieigsopferdienstes, 67,000 AmtSr- walter der Beamten - und Lehrer- Organisationen Das schliesst nicht ein die ßiA, die Hitlerjugend und andere Hilfs - Orga- nisationen. Die Gesammtzahl der "ak- tiven Nazis" mag deshalb innerhalb der Grössenordnung von 100.000 oder mehr liegen, wenn auch nicht ver- gessen werden darf, dass viele Per- sonen mehrere dieser Amter gleich- zeitig innerhaiben. Die NSDAP und ihre Hilfs - und Nebenorganisationen, einschliesslich Winterhilfe, würden alufgelöst und ihr Besitz konfisziert. Die verschiede- nen Nazi - Einrichtungen wie Kon- izentrationsläger, Sondergerichtshöfe, 'Sterilisationshöfe, Gestapo, Reichs- ku'lturkammer etc. würden geschlos- sen werden. Aller Besitz der den Nazis abgenom- men wird, seien es Einzelpersonen cder Körperschaften soweit er nicht seinen früheren Besitzern oder deren recht- mässigen Eigentümern zurückgege-' foen werden kann, geht an den "Sühne- fonds". Einige der Gesetze, die durch das Na- ziregime geschaffen wurden, wie das Gesetz über die Organisation der Deut- schen Arbeit, die Nürenbecnger Gesetze, und all diejenigen, die die Nazipar- tei selbst betreffen, würden sofort aufgehoben. In anderen Fällen müsste eine Ueber- gangszeit gelten, während der die Rechtsinstituitionen, die seit 1933 ge- schaffen wurden, zu liquidieren wä- ren. Das betrifft zum Beispiel das Reichserbhof gesetz. Das wären in groben Umrissen die vorbereitenden Schritte zur Liquidie- rung des Systems und seiner Einrich- tungen. Es muss jedoch ein zweites Stadium folgen, in dem die von den Nazis und — 11 — ihren Helfern begangenen Verbrechen gesühnt werden müssten, und in dem ctie Sicherungen des neuen Staates ge- gen Sabotage durch Anhänger des al- ten Regimes zu schaffen wären, so- bald der revolutionäre Prozess abge- schlossen ist..... Theoretisch sind die Gerichtsverfah- ren gegen die deutschen und ande- ren europäischen Verbrecher und ihre Bestreitung eine europäische An- gelegenheit. Nichtdestoweniger halten wir es nicht für ratsam, diese Aufga- be neugeschaffenen europäischen oder internationalen Gerichtshöfen zu über- tragen. Es wäre ein schlechter Dienst, den man. der Sache internationaler Rechtsprechung leistete, 'wenn ihre erste Aufgabe destruktiv wäre. Ueber- dies wäre es aus psychologischen Gründen von entscheidender Bedeu- tung, dass die Liquidierung des Fas- chismus, besonders in Deutschland, ein Akt nationaler Selbstläuterung wäre. Aus diesem Grunde schlagen wir vor dass die Verfolgung dieser Fälle und die betreffenden Gerichtsverfahren nationalen Gerichten - in Deutschland den Revolutions - Tribunalen - über- lassen bleiben sollten. Die verschiede- nen nationalen Gerichtshöfe jedoch, insbesondere die Anklage - und Voll- streckungfs >- Organe - Gefän^nisbe- hörden etc sollten sich gegenseiti- ge Hilfe und Unterstützung gewären. SNichtdeuitsche Staatsanwälte sollten vor deutschen Gerichtshöfen zugelas- sen sein.... Die Mitglieder der NSDAP und die Funktionäre ihrer Hilfs - Organisa- tionen. die nicht verhaftet werden, müssen sich bei der neuen Polizei re- gistrieren lassen und angeben, wel- che Stellungen sie innehatten. Die- jenigen, die falsche Angaben machen, würden als "'aktive Nazis" behandelt. (Die Mitgliederschaft der NSDAP be- trägt mindestens drei Millionen). Registrierte Nazis sollten auf ihren Ausweispapieren und Rationierungs- karten einen Vermerk erhalten, bei- spielsweise ein "N" (so wie die Pa- piere der Juden jetzt mit einem "J" und die der Polen mit einem "P" versehen sind). Weiter sollte für sie eine Registrierkarte angelegt werden, auf der zu vermerken ist, wann und wo sie sich bei der Polizei zu melden haben, welchen Beschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit sie unterwor- fen sind, wobei die Bestimmungen sich den verschiedenen örtlichen Ver- hältnissen anzupassen hätten, z.B. entsprechend dem örtlichen Verwal- tungsapparat, der zur Verfügung steht, tiie sollten keine ordentliche bürgerlichen Rechte haben; besonders sollten sie nicht berechtigt sein, ab- zustimmen oder öffentliche Aemter innezuhaben. Während der ersten Mo- nate nach der Ausgabe der N - Iden- titätskarte sollten ihnen fristlos durch ihre Arbeitgeber gekündigt werden können. iSie seilten weiter eine beson- dere Sühne _ Steuer zu zahlen haben. Ausnahmen von der Registrierung^ Pflicht sollten nur in besonderen Fäl- len und nach sehr sorgfältiger Unter- suchung gewährt werden, z.B. wo An- tifaschisten der NSDAP als politische Kriegslist beitraten. Die Träger der N - Identitätskarte würden das Recht haben, in gewissen Abständen teil- weise oder vollständige Rehabilitierung anfangs vor den Rievolutionstribuna- len und später evt. vor den ordent- lichen Ortsbehörden zu beantragen. Alle Beamten des Reichs, der Provin- zen und der Orsbehörden, Richter, Umversitäts - und Schullehrer müs- ten während einer Uebergangs - Zeit fristloser Kündigung unter Verlust ihrer Pensionsansprüche unterworfen tsein, die durch die zuständigen Ar- beiter- und Soldaten- etc -Räte oder durch ein eigens hierfür ernannten Aus schuss ausgesprochen werden könnte? Auf diese Weise würde die Terror - Verwaltungs- und Propaganda - Ma- schine in ihren Grundlagen zerstört. Die einzigen Dinge, die übernommen würden, wären Amtslokale, Karteien, Technische Ausrüstung und ferner die Reste des Beamtenstabs, die einer sorgfältigen politischen Säuberungs- aktion unterworfen Wären. Im Falle der Gestapo würde der Prozentsatz des Personals, der übernommen würde, gleich null sein; im Falle einiger nicht - politischer Behörden könnte der Prozentsatz erheblich sein. Dem Beamtenstab, der so übernommen WERBT FUER DAS ANDERE DEUTSCHLAND — 12 — würde, würden keine Entscheidungen übertragen werden, die politische Fra- gen beruhen. Unterbehrliche Spezia- listen und Beamte deren politische Zu- verlässigkeit zweifelhaft ist, müssen während einer so. langen Probezeit, wie notwendig erscheint, ihre Arbeit unter der Aufsicht eines politischen Delegierten ausführen. Während einer Uebergangszeit hätte kein Beamter das Recht, eine Arbeit abzulehnen, die GEDANKEN UEBER DIE REVOLUTION UNSERER ZEIT ihm von dem Delegierten übertragen wurde. Alle Offiziere der bewaffneten Macht kämen unter die Aufsicht eines poli- tischen Delegierten bis zu ihrer De- mobilisierung. Eine entsprechende Siebung der Geistlichkeit ist eine unerlässliche Be- dingung für die Wiedererziehung des Volkes. Mehr noch als der Krieg von 1914 ist der jetzt tobende eine "verkappte Revolution" oder richtiger: ein ver- zweifelter, ungeheuer kostspieliger Versuch, die notwendige Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verhindern, wenigstens zu verschieben. Dass es so ist, wird klar, wenn man bis zu den Wurzeln des Völkermords, des nunmehr dreissig Jahre in ver- schiedenen Formen blassenden Krie- ges, zurückdenkt. Je tiefer man gräbt, desto deutliched enthüllt sich als eine Hauptwurzel die v^"-'~e Zerfahrenheit der wirtschaftlichen und sozialen Be- dingungen, unter der die einzelnen Nationen und die Welt ingesamt ächzte. Die dominierende Wirtschaftsweise war die des Privatka-pi tali smu'?. eines Systems, das einer relativ winzigen Minderheit, in den verschiedenen Staa- ten die unkontrollierte Verfiüigunigs- gewalt über die wichtigsten und gründ, liegenden Produktionsmittel, aber zu- gleich auch die Macht über den Staatsapparat überantwortet hatte. Auch in den Ländern, wo die Formen der politischen Demokratie mehr oder weniger streng gewahrt blieben, wur- de das Wesen der Demokratie, einer "Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk", aufs gründ- lichste verfälscht. Die das und den wirtschaftlichen Ursprung des Krieges leugnen, machen gern den Faschis- mus, besonders in der Form des deut- schen Nationalsozialismus, für seinen Ausbruch verantwortlich- Sie "überse- hen" aber, dass der Faschismus ein Sprössling der kapitalistischen Wirt- schaft ist und von den "Wirtschaf ts. flühsriVi" und anderen Privilegierten ins Leben gerufen und gefördert wur- de. „Was ist denn der Faschismus seinem Wesen nach? Er ist das Ergebnis des verfallenden Ka- pitalismus. Er ist die Antwort der Besitzinteressen an eine Demokratie, die über die mit einer kapitalistischen Gesell- schaft eng- verbundenen Pro- duktionsverhältnisse hinwegzu- schreiten sucht. Aber er ist nicht nur die Vernichtung- der Demokratie. Er ist auch Aus- beutung- des Nationalgefühls zur Rechtfertigung- einer Aussenpo- litik des Abenteuers, unternom- men in der Hoffnung, dadurch die Uebelstände zu "beheben, die den kapitalistischen Verfall an- zeigen. Wo immer der Faschis- mus erfolgreich war, ist er auf dem Protest der Geschäftsin- teressen gegen die wachsenden Forderungen der Arbeiter auf- gebaut worden ..." (So schrieb der zum Vizepräsidenten der britischen Labour- Party gewählte Professor der Nationalökonomie Ha- rold J. Laski in seiner 1943 in engli- scher Sprache erschienen Untersu- chung "Gedanken über die Revolution unserer Zeit". Die kapitalistische De- mokratie war immer mehr kapita- listisch als demokratisch, und vor die Wahl gestellt, ihre Privilegien oder die Demokratie preiszugeben, haben Geschäfte- und Profitmacher nicht einen Augenblick gezögert. Das gilt auch für die Staaten, in denen der Faschismus, als Organisationsform bis- lang nicht festen Fuss gefasst hat. Aber in England und. Amerika — von Frankreich nicht zu reden — waren faschistische Ideen schon tief in die Geschäftswelt eingedrungen, und Las- ki fürchtet, dass sie in veränderter Form praktisch wirksam werden kön- nen. Eis ist ja auch kein Geheimnis, — 13 — dass der kontinentaleuropäische Fa- schismus seine Politik der aussenpoliti- söhen Abenteuer nur unternehmen konnte, weil er Förderung' und Unter- stützung: durch die herrschende Klas- se und die Staatsmänner in Frank- reich, vor allem aber in England, ge- funden lhatte. Als dann Frankreich zusammenbrach, kam es in Eiigland zu einer "Wiedergeburt der britischen Demokratie". Blitzartig wurde er- kannt, das die Existenz Grossbritan- niens als einer unabhängigen Nation auf dem Spiel stand. Und vor dieser gemeinsamen Gefahr schwanden die Differenzen, die die Bevölkerung voneinander trennte. Auch 1 Englands herrschende Klasse begriff, dass die, deren sie siioh als Werkzeug für eige- ne Zwecke zu bedienen gehofft hatte, ihre Herren werden könnten.. Die ka- pitalistischen Verächter der Demokra- tie, mussten „ ... an die Menschen appel- lieren, die sie vorher schlimmer Dinge öffentlich bezichtigt hat- ten. Sie mussten die Grundsät- ze verteidigen, die sie verleug- net hatten. Sie mussten den Werten Anerkennung zollen, deren Geltendmachung seitens der Massen sie in Panik und Wut versetzt hatte. Um die Massen anzuketten, hatten sie die Welt in .Brand gesteckt. Nun mussten sie entdecken, dass sie nur durch Befreiung der Massen hoffen konnten die Flammen zu ersticken". Von den Folgen einer möglichen Nie- derlage aufs tiefste erschreckt, erklär- te sich die herrschende Kla:;se in aller Welt zu weitestgehenden Konzessio- nen an die demokratischen Ideen be- reit und versprach tiefgreifende wirt- schaftliche un soziale Reformen, für die der Beveridgeplan nur eine erste Etappe war. Aber gerade das Schick- sal dieser, im Kerrl keineswegs revolu- tionären, Sozialreform zei?t, das:; mit dem Sc'-" winden der unmittelbaren Bedrohung auch die Konzessions;:e- reitschaft schwand. Je greifbarer die Gewissheit des end- gültigen Sieges über die faschisti- schen Mächte wurde, desto unwilli- ger zeigte und zeigt sich die herrschen- den Klasse, ernsthaft an den Grund- lagen des privatkapitalistischen, zum Monokapitalismus geworden Wirt- sohacftssystems rütteln zu lassen. Der Monokapitalismus ist aber aus£erstan_ de, den gewaltigen! Pröduktionskrästen in aller Welt den Raum zu verschaf- fen, den sie zu ihrer Entfaltung benö- tigen. Statt Wirtschaftserweiterung' treibt er (zur Erhaltung des Profits) Wirtschaftsein sciiiränkung. Die Völker sind also vor die Alternative gestellt, zwischen einer Wiederholung auf "er- höhter Stufenleiter" alles dessen, was sie in den letzten dreissig Jahren er- lebt und erduldet haben, oder einem (Eingriff in das bisher geltende Wirt- sohaftssystem zu wählen, der die Benehmung gemeinsamer Nöte, die Deckung des menschlichen Bedarfs und die Entfaltung ider menisiohlichen Persönlichkeit und ihrer wahren Frei- heit mällich macht. Wir müssen, um Laski zu zitieren, "entweder den Ka- pitalismus oder die Demokratie preis- geben. Wir können nicht gleichzeitig alle Vorteile aus zwei Welten ziehen, deren Grundprinzipien einander wi- ldersprechen". Dass der Weg in eine Welt wirklicher Demokratie und Frei- heit nur über eine pianmässige, geord- nete Wirtschaft führt, wird von Laski eindringlich und mit grosser Klarheit, unter Berücksichtigung der vielfachen "Sklaven esind "nicht verantwortlich für die Taten ihrer Herren. Es ist Biynlos, die Nazis mit denen gleich- zusetzen, die van ihnen versklavt wur- den, den (deutschen «Arbeitern. Es gibt viele Anzeichem wachsenden Wi- Unitandes, iaber Widerstand! gVgen die totalitäre Staatsmaschine ist nicht so leicht, wie manche Leute bei uns annehmen; im Sommer 1943 wurden in Siemensstad't allein '600 Arbeiter verhaftet. Es gilbt aubh iFälle von Wi- derstand gegen die Deportierung von Juden. Alle Mieter eines ^rossen Hau- ses in Berlin, nahe beim Club der ausländischen Presse, demonstrierten, als zwei Juden, abgeholt wurden; ein 13- jähritres Mädchen würfe erschos- sen .... 'Nichts ist den Deutschen so verhasst wie die Nazipartei. Dafür gibt es ungezählte Beispiele... Die Massen in Deutschland sind antinazi. Alber die Alliiertem geben dem deut ehen Volke keine andere Alternative als bedingungslose Unterwerfun» oder Weiterkämpfen. Deutschlands Gegner treiben die Deutschen unter (dem Ha- ibenkrenz zusammen". (Arvig Fredborg ein schwedischer Journalist, des bis zum Herbst 1943 in Deutschland war). — 14 — Probleme, dargelegt. So behandelt er unvoreingenommen, wenn auch grund- sätzlich positiv dazu eingestellt, das «bolschewistische Experiment in Russ. land, die Fragen der politischen und wirtschaftlichen Organisierung der Welt, die Schwächen und Kräfte der britischen Arbeiterpartei, die Drohung einer Gegenrevolution, der er ebenso ein ganzes Kapitel widmet, wie der noch wichtigeren und positiven Fra- ge der "Freiheit in einer peplanten De- mokratie". Eins, worauf Laski uner- müdlich zurückkommt, soll zum Schluss hervorgehoben werden, weil es nicht nur für englische Verhält- nisse gilt. Laski schreibt: „Unser Problem besteht darin, dass die Methoden, die zur Er- reichung- dieser Ziele erforder- lich sind, bei jedem Schritt mit mächtigen, tief eingewurzelten Interessen in Konflikt geraten, mit (Kapitals-) Interessen, die nicht leicht freiwillig- abdanken werden. Es gibt Zeiten, wo der Druck der öffentlichen Meinung die Abdankung unvermeidlich macht . . . Aber diese Zeiten sind höchst selten, und wenn der günstige Moment verpasst wird, so ist es unwahrschein- lich, dass er wieder kommt. Und wenn er derart verpasst wird, so werden es nur wenige der eingewurzelten Interessen sein, die bereit sind, kampflos zu kapitulieren. Meine Beweisführung ist auf der Ansicht aufgebaut, dass jetzt der gfünstige Moment da ist, und dass, wenn wir ihn vorbei- gehen lassen, alle wirkungsfä- higen Pläne zur Organisierung jener ausdehnungsfähigen Wirt- schaft, die Vorbedingung eines dauernden Friedens ist, schei- tern werden." Hellmuth N. Bachmann: OSKAR MARIA GRAF ZUM FUENFZIGSTEN GEBURTSTAG Im Sommer 1933 besuchten wir noch einmal den Maurus Graf in seiner kleinen Konditorei in Oberberg am Starnbergersee. AIs wir frühmorgens mit unseren Fahrrädern eintrafen, mussten wir erst einmal mithelfen Teigrühren und Ttret- zeln formen, bis wir unseren Kaffee bekamen und uns über die letzten Ereig- nisse berichten liessen. Maurus Graf, der es an Kenntnissen und besonders an gesundem Urteil mit manchem geistreichen Literaten aufnehmen konnte, erzählte, was er wusste, liess sich das Neueste aus der Stadt berichten und schilderte noch einmal, wie die Nazis die Wohnung seines Itruders Oskar in München heimgesucht hatten. Dieser Bruder Oskar war damals schon lange in Oesterreich. Von seinem Auf- ruf „Verbrennt mich!", der Antwort auf die „Empfehlung'' seiner Werke durch die Nazis, erfuhren wir erst später im Ausland. Aber wir wussten, dass er in der Emigration der gleiche unbekümmerte Rebell, der gleiche zuverlässige so- zialistische Genosse geblieben war, als den man ihn im Kreise seiner Freunde gekannt hatte, seit vielen Jahren. Von früh an war Grafs l eben geleitet durch die Auflehnung gegen den Zwang üer Umwelt, gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Verhältnisse, gegen Aus- beutung, Unterdrückung der freien Meinung, Krieg und andere Verbrechen der herrschenden Gesellschaft. Sein Vater war Bäckermeister in Berg, seine Mutter «ine Bauerntochter, die acht Kinder zur Welt brachte und aufzug, die Arbeit in ITaus und Stall verrichtete, im Geschäft zu griff, wenn es notwendig war. Mit knapp 17 Jahren ging der junge Oskar Graf nach München, arbeitete als Bäcker, Liftjunge, Müller, 1'ostaushelfer, geriet in anarchistische Kreise, ver- liess die Stadt, kam als Landstreicher in die Südschweiz, dann verschlug es ihn nach Berlin, wo er an die gärende Welt der jungen Literaten um die „Aktion" und den „Sturm" Anschluss fand. . Von 1014 bis 1917 steckte er in der Uniform des deutschen Soldaten. Her Krieg verhalf ihm beinahe zum Heldentod; er sollte wegen Gehorsamsverweigerung füsiliert werden, wurde aber schliesslich als blöd und unzurechnungsfähig vor- übergehend eingesteckt. , „ Munitionsarbeiterstreik; Gefängnis; Revolution 1918, Traum der freien Repu- blik, „Räterepublik", weisser Terror, Gefängnis. Kurze Etappen des Lebens in wirrer Zeit. Alles Erleben drängt zum künstlerischen, dichterischen Ausdruck. So entsteht der Roman seiner Jugend, seiner Zeit, das Bild einer verworrenen und schicksalsträchtigen Epoche, „Wir sind Gefangene". Graf lebte damals in München; er war schon zum Oskar Maria Graf geworden, denn ein gewisser Oskar Graf Berg, schon damals in weitesten Kreisen unbe- — 15 — kannt, hatte gegen Missbrauch seines Namens protestiert und der Maler Carlo Holzer, der gotische Träumer, hatte die Lösung gefunden: warum nicht Oskar Maria Grat's Und Oskar Maria Graf erzählte von seiner Heimat und seinen Landsleuten» schilderte die Schicksale der Familie Farg, berichtete voiiBauern und Arbei- tern, ohne Gefühlsduselei und Schönfärberei, er zeigte sie in seinen Büchern, wie sie sind und wie sie leben — so wie er es seit der Emigration in seinen Büchern „Anton Sittinger", „Der harte Handel" getan hat. Hand in Hand mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit ging seine politische Ar- beit, sein Kampf für den Sozialismus und gegen die Nazis aller. Sorten Und Völker. Der Januar 33 vertrieb ihn aus Deutschland, der Februar 34 vertrieb ihn aus Oesterreich, Oktober 38 und der Verrat von München vertrieben ihn aus der Tschechoslowakei und Europa. Er ging nach Nordamerika, um dort zu seinen Landsleuten und den Deutschsprechenden zu sprechen und für- sie zu schreiben. Am 22. Februar li)3$), zum Geburtstag Washingtons und zur Begrüssung der der heimkehrenden Spanienkämpfer, sagte er. „Ich rede in einer Sprache zu Ihnen, die im Verlauf der letzten Jahre bei den freiheitlichen Völkern schon fast anrüchig geworden ist . . . Diese Sprache ist vom jetzigen Hitler-Regime nicht nur verunreinigt, verdorben und geschändet worden — noch weit mehr, dieses Regime hat es fertig gebracht, dass jeder, der heute in einem fremden Land deutsch spricht, verdächtigt wird. In der Welt beginnt sich nämlich die Meinung zu verbreiten, als sei das, was in meiner Heimat geschieht, etwas das durchaus dem deutschen Volkscharakter ent- spricht. Damit beginnt etwas in der Welt, das an die gefährliche Stimmung von IUI4 bis 191S erinnert, nämlich ein allgemeiner Deutschenhass. Es liegt aber durchaus in der Absicht, im Plan der Hitlerregierung, die Deut- schen überhaupt für alles, was heute im Dritten Reich geschieht, mitverant- wortlich zu machen, denn das ist eminent wichtig, ja geradezu lebensnotwen- dig für diese Herren . . Hitler will damit nichts anderes erreichen, als dass man seinen deutschen Gegnern — den freiheitlichen Landsleuten in anderen Ländern, uns antifaschistischen Emigranten und den illegalen Kämpfern in der Heimat — allmählich mit Misstrauen begegnet, dass man uns, eben weil wir gute Deutsche sind, ablehnt, dass man uns nicht glaubt. Die Welt aber soll wissen, und insbesondere die freien Deutschamerikaner sol- len es wissen, dass immer da, wo heute ein Deutscher in seiner Muttersprache die Stimme gegen die unmögliche Tyrannei Hitlers erhebt, das wirkliche deut- sche Volk spricht, das freie, friedliche Deutschland, das war und das wieder sein wird . . Was aber wird geschehen, wenn später im Krieg die unvermeidliche Nieder- lage Hitlerdeutschlands eingetreten ist? . . . Es kann das unausdenkbare Un- glück eintreten, dass die Siegermäehte von morgen Deutschland zerstückeln und aufteilen, dass sie das deutsche Volk für alle.« biissen lassen, was Hitler angerichtet hat. Dann haben wir alle einmal eine Heimat gehabt, dann ist es zu Ende mit uns allen — ganz gleich. wo wir leben — als Deutsche. Wer «las will, der schlage sich auf die Seite Hitlers! . . . Niemand kann es mit seinem Gewissen verantworten, dass ein ganzes, grosses Volk einfach des halb, weil es von gewissenlosen Unmenschen beherrscht wird, für immer un- tergehen soll!'' Die letzten .Jahre haben dem voraussehenden Warner fürchterlich recht gege- ben. Die Katastrophe kam schnell und mit erschütternder Gewalt und Bruta- lität. Dieser Tage ist Oskar Maria Graf in New York fünfzig Jahre alt geworden. Er lebt dort unter seinen Freunden, wirbt für seine Sache, wirbt für sich und sein Werk, verlegt seine Bücher und vertreibt sie, in deutscher und englischer Sprache, kämpft und mahnt. Er gibt die Hoffnung nicht auf, in eine freie Hei- mat zurückkehren zu können, dort zu schreiben und aufzubauen, und, vielleicht, sich seiner Lieblingsbeschäftigung zu widmen, nämlich: „Tägliches Essen von Schweinsbraten mit Gurkensalat und Knödel." A. A. B. A. I IMPRENTÄ "ELIDOR" X ENRIQUE U. CORONA MARTINEZ | g DIE DRUCKEREI DER I ■ ATtOr-ATin 9 - DEUTSCHSPRECHENDEN I j i j RIO BAMBA «27 $ I LAVALLE 1268 U. T. 35 - 3853 j Ue T. 41, Plaza 7513 I P-------------------------------------B — 16 — Juliut Diesenberg— Chile: „BRIEF AN EINEN NAZI" Mein lieber Freund Herbert! Nach längerer Zeit komme ich endlich dazu, Dir wieder deutsche Briefe zu schicken, so wie ich es Dir in dem letz- ten versprochen hatte. Ich bin mitt- lerweile mit meinen persönlichen An- gelegenheiten fertig geworden; da ist es gut und angebracht, sich Deiner zu erinnern. In der Tat lohnt es sich im Augenblick wirklich, Dir noch einmal etwas Stoff zur Betrachtung zu geben, damit Du nicht etwa zu spät aus Dei- nem nazistischen Traum erwachst. Zu- nächst aber möchte ich Dir und Dei- nen Komplizen herzlich danken für all das Gute, das Du mir im Verein mit Deinen Gesinnungsgenossen er- wiesen hast. Durch Deine Bosheit bin ich endlich wieder das geworden, was ich schon seit Jahren sehnlich her- beigewünscht habe: frei und unabhän- gig, kann meiner Ueberzeugung ge- mäss leben und habe endlich meine Arbeitsfreude wieder gefunden. Nie- mand konnte froher sein, endlich aus dem bedrückenden Nazimilieu heraus zu sein, als ich. Somit hast Du Dich nur in der traurigen Rolle des bösen Geistes befunden, der „stets das Böse will und stets das Gute schafft". — Möglicherweise ist dies auch die Auf- gabe der Nazis überhaupt, dass sie durch das Böse im deutschen Volk nur das Gute schaffen oder — um es in anderen Worten auszudrücken —, dass sie durch die satanische Verdrehung aller Werte endlich im deutschen Volk das Bewusstsein wachgerufen haben, dass man sich gegen den Satan weh- ren muss, gegen' den Hakenkreuzteu- fel, der uns die Freiheit genommen und uns zur elendsten Knechtschaft gezwungen hat, zu der man ein Volk "überhaupt zwingen kann. Heute -erwacht Deutschland von sei- nem bösen nazistischen Alpdruck- die Strophe des Horst-Wessel-Gassenhau- ers mit der Stelle „die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit" wird si- -cher bald von den nazistischen Be- hörden als staatsgefährlich verboten werden müssen, da sie vielleicht mit allzu verdächtiger Begeisterung ge- sungen werden könnte, hinter der sich Gedanken verbergen, die den Schergen unseres Volkes nicht ange- nehm sein dürften. Und wirklich, so Ist es! Auch Dir möchte ich ins Be- wusstsein trommeln: Die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit!!!! Hörst Du? Nur noch kurze Zeit! Immer wie- der sollst Du es hören! Wenn Du vor den Kindern der Nazigesellschaft von Puerto Montt stehst und sie mit Dei- nen nazistischen Begriffen und Ideen erfüllst, dann sollst Du es im Verbor- genen hören: Die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit! Bis in Deine schlaflosen Nächte sollst Du es hören: Die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit . . . Du magst mit Grausen an die Zukunft denken. Zwar hilfst Du Dir im allge- meinen in solchem Dilemma mit pa- thetischen Sentimentalitäten, so wie Du damals als Antwort auf den ersten meiner Deutschen Briefe den Aus- spruch tatest: „Wenn Deutschland fallen sollte, dann fallen wir mit Deutschland". Nur möchte ich wissen, wie Du Dir dabei das,.Fallen" kon- kret gedacht hast. Wahrscheinlich wird es gar nicht so heroisch sein, wie Du Dir das in nordischer Nibe- lungen - Untergangsstimmung abends in Deinem ßchlafgemach ausmalst. — Schliesslich aber geht auch noch der ganz sorgfältig gehütete und gepfleg- te Glaube an den Führer und an Deutschland und an seine heldische Grösse — wie auch immer die Götzen heissen mögen, die Du Dir als golde- nes Kalb errichtet .hast — zum Teufel. Alles, alles bricht zusammen, nichts mehr bleibt übrig als eine gähnende u'nd verzweiflungsvolle Leere, die nichts mehr mit dem Leben anzufan- gen weiss und den Glauben an alles verloren hat, so wie der junge deut- sche Kriegsgefangene an der italieni- schen Front einem amerikanischen Be- richterstatter zur Antwort gab: „Wir sind Fatalisten geworden. Wir haben unser Heim und unsere Scholle verlo- ren und wir haben nichts mehr zu verlieren. Warum sollen wir uns um das bisschen armselige Leben sorgen?" Da hast Du sie, die nordischen Rutz- linge, die — um mit Baidur von Schi- räch zu sprechen — „lachend in den Tod gehen". — S'o wie ich Dich kenne, wirst Du auch diesen Weg gehen; es bleibt Dir ja auch kein anderer Weg offen, den Du als nordisch-heidnischer Götterverehrer einschlagen könntest. Siehst Du, Du armseliger Nordmann, nun bist Du mit Deinem Niedersach- senlatein bald zu Ende! Wir Christen aber wissen einen besseren Ausweg aus Not und Elend eines Zusammen- bruchs. Wir wissen etwas von dem geheimen Sinn, den auch die schreck- lichste Not hat, die über Menschen — 17 — hereinbricht.| Wir wissen, dass dieses Unglück kommen musste als Folge ei- ner ungeheuren Sünde, der das deut- sche Volk verfallen war, der Sünde des Hochmuts. Der Hochmut ist es, der jetzt vor dem Fall kommt, wie das Dir bekannte deutsche Sprich- wort sagt. Der Hochmut, der das ei- gene Volk an die Stelle Gottes setzt, der Deutschland als letzten, absolu- ten Wert erklärt, dem sich alle an- lesen sittlichen Werte wie Sittlich- keit, Recht, Wahrheit, Moral und Re- ligion unterzuordnen haben, der das eigene Volk als das edelste, hervorra- gendste, stärkste und rassisch wert- vollste bezeichnet und sich zur Un-, rterwerfung der übrigen „Minderrassi- gen* berufen fühlt — dieser abscheu- liche Hochmut muss nach christlicher Auffassung zu Fall kommen. Es ist die alte Sünde Luzifers, die diesen stürzte — sofern Du noch etwas wis- sen solltest aus dem Gebiet christli- cher Vorstellungen, auf dem Du ja nur ein fürchterlicher Banause bist. Wir Christen wissen aber auch, dass der- Sturz, der dem deutschen Volke bevorsteht, ein heilsamer seih kann; und das ist die Hoffnung, die uns Christen angesichts der Tragödie Deutschlands erfüllt! Dass endlich die Selbsterkenntnis in unserem Volke ge- rweckt werde und Deutschland sich endgültig auf seine 'Aufgaben besinnt, die da sind, Werke des Friedens zu vollbringen und auf abenteuerliche Eroberungskriege zu verzichten. Mehr noch, seine Aufgabe ist, einen voll- kommenen Gesinnungswandel durch- zuführen und als Land in der Mitte Europas im besten S'inne europäisches Gemeingut zu pflegen und zu fördern, die Werte des abendländischen Gei- stes wieder zu verwirklichen, die all- gemeinmenschliche Werte darstellen, und die trotz Nazityrannei nicht un- tergegangen sind ..." GESPRAECH MIT DEUTSCHEN DESERTEUREN Aus einem neutralen Land er. hielten unsere Freunde vom TSK den nachstehenden B'ericht über ein Gespräch mit deutschen De- serteuren: Das Durchschnittsalter de? von uns in- terviewten Soldaten war 24 Jahre; je- doch war unter ihnen ein 42 Jahre al- ter Arbeiter. Keiner war Intellektuel- ler, alle gehörten der Arbeiterklasse an. Gründe der Desertion. Der eine Grund, der allen gemeinsam war, war die Befürchtung, wieder an die Ostfront geschickt zu werden. (Das Gespräch fand vor der Invasion statt. Red.) Alle waren vollständig überzeugt davon, dass es sinn- und hoffnungslos für die Deutschen war, den Krieg fortzusetzen. Zwei der Deserteure hatten noch an- dere Gründe, aus denen sie desertier- ten. Der zwejundvierzigjährige Arbei- ter hatte die Nachricht erhalten, dass seine Wohnung bei einem Luftangriff getroffen und dass seine Frau, seine Kinder und seine Eltern getötet wor- den seien. Dieser Mann erzählte uns, Gass ein ihm unerklärlicher Wechsel über ihn gekommen sei, als er die Nachricht erhielt. Aber er hatte ein be- stimmtes Gefühl: „Ich bin mit dem Krieg fertig." Er nahm ein Militär- Fahrrad und radelte los ohne bestimm- ten Plan und ohne irgendwelche Vor- sichtsmassnahmen. Niemand .hielt ihn an, und er kam im neutralen Land wie im Trancezustand an. Der andere war schwer verwundet worden. Seine auf dem Rückzug be- findliche Einheit kümmerte sich nicht um ihn, obwohl sie seiner Meinung nach Zeit und Möglichkeit gehabt hät- te, ihn mitzunehmen. So geschah es, dass er, als er dalag, von einem Fahr- zeug überfahren und schwer im Rüik- ken verletzt wurde. Infolge dieser Verletzung musste er weitere drei Ta- ge im Schlamm liegen bleiben. Als die Deutschen von neuem vorrückten, fan- den sie ihn und brachten ihn in iein Feldlazarett. Während dieser drei Ta- ge fasste er den Entschluss, nicht an die Front zurückzukehren, wo seine Kameraden sich so unkameradschaft- lich verhalten hatten. Die Kameradschaft. Die Kameradschaft innerhalb des deutschen Heeres war im grossen und ganzen schlecht, hauptsächlich des- halb w'eil jeder im anderen einen Ge- stapospitzel vermutete und deshalb nicht offen zu sprechen wagte. Das. Verhältnis zwischen den alten Offizie- ren und der Mannschaft war das tra- ditionell schlechte, weil diese Offizie- re nicht gelernt hatten, das richtige Verhältnis zu den Soldaten zu finden. Anders lagen die Dinge aber bei den jungien Offizieren, die in den Nazi— schulen ausgebildet worden waren. Ihr Verhältnis zu den Soldaten war gut. . . Das Verhältnis des gewöhnlichen Sol- daten zur Waffen S. S. war sehr schlecht. Die Waffen S. S. betrachtete sich als etwas Besonderes. Die furcht- baren Verluste, die diese Einheiten er- litten — die Waffen S. S. wurde wie- der und wieder während besonders heftiger Kämpfe in die Feuerlinie ge- sandt — wurden von den meisten Sol- daten mit unverhohlener Genugtuung zur Kenntnis genomen. Po-it'.iclie l eber/niRUiiR. . Bei- den meisten dieser Deserteure, war die Naziideologie gerade bis unter die Haut gedrungen, und die Kriegser- — 18 — fahrtingen hatten siie vollends ausge- trieben.. Sie hatten jedoch keinerlei bestimmtes politisches Ziel vor Augen und keine klare Vorstellung von dem, was auf das Naziregime folgen sollte. Sie wünschten, in Frieden in einefrn neuen Deutschland arbeiten zu kön- nen, und zu leben und zu reden, wie sie es für richtig hielten. Es war in- teressant festzustellen, wie sie die Weimarer Republik hauptsächlich-mit der Vorstellung riesigier und ständig zunehmender Arbeitslosigkeit verban- den, einem Zustand, den die Nazis be- seitigt hätten. Allen Arbeit gegeben zu haben, war ihrer Ansicht nach das Haupt verdienst der Nazis. Sie alle wünschten, das Naziregime, das sie enttäuscht hatte, zu stürzen; aber darüber hinaus waren diese Vier- undzwanzigjährigen völlig hilflos. Als Hitler an die Macht kam, waren sie zehn- und zwölfjährige Jungen und hatten daher niemals Gelegenheit, wirkliche politische Erfahrungen zu sammeln. Nachdem sie die Leere und Verlogenheit des Nazismus erkannt hatten, blieb bei ihnen -eine fürchter- liche geistige und seelische Leere zu- rück. Die Angelsachsen. In vielen Fällen übertraf die Abnei- gung gegen die Engländer und Ame- rikaner noch diejenige, die sie gegen die Russen empfanden. Viele von ih- • nen glaubte«, dass die Russen dem ge. meinen Mann, dem gewöhnlichen Sol- daten und den Arbeitern .kein Leid zu- fügen würden. Auf der anderen Seite befürchteten sie, dass die Engländer und Amerikaner die deutschen Fabri- ken beschlagnahmen und die deut- schen Arbeiter zu Sklaven machen würden; sie fürchteten, dass die An- gelsachsen 'ein System verstärkter ka- pitalistischer Ausbeutung auf Kosten der arbeitenden Massen schaffen wür- den. Das Hauptargument, das sie da- für anführten, war die Lebensmittel. not im befreiten Italien. All diese An- sichten geigten klar, wie sehr die Pro: paganda Verwirrung in die Massen getragen hatte. Die neueste Spielart der Goebbelspropaganda erklärte den „Amerikanismus" zum grössten aller Uebel. Antisemitismus. Keiner der Deserteure fällt eine anti- semitische Bemerkung. Dieses Pro- blem schien sie überhaupt nicht zu in- teressieren. Wir hatten nicht den Ein- druck, dass sie ihre wahren Gefühle verbargen, um keine Schwierigkeiten im Lager zu haben. Wir hatten eine Gelegenheit, ihren wahren Geisteszu- stand unauffällig zu erproben. Aus den verschiedenen Lagern — solchen für Deserteure, Zivil- und Militär-In- ternierte — wurde eiye Anzahl Leute zu einetn gemeinsamen Ausbildungs- kurs für Lagerköche geschickt. Un- ter den Kursteilnehmern waren auch Juden. Niemals bestand auch nur di-e geringste Reibung zwischen den Teil- nehmern. Sie spielten Ping-Pong zu- sammen, boten sich gegenseitig Zigar. retten an und hatten ein natürliches ■menschliches Verhältnis zueinander. Unwissenheit. Die Unwissenheit der Soldaten an der Front war höchst erstaunlich, und die Propaganda der Alliierten hatte diese Tatsache nicht hinreichend in Rech- nung gestellt. Sie wussten nichts vom •Hinschlachten der Juden und der De- portation der ausländischen Arbeiter. Sie waren angeekelt, als sie unwider- legliche "Beweise für diese Nazi—Ver- brechen erhielten. Sie waren sofort be- reit, die Nazis für das Unheil zu be- strafen, das sie über das deutsche Volk gebracht haben. Sie waren ganz und gar nicht mit der Besetzung Russ. lands und der anderen Länder einver- standen und hielten die Widerstands- bewegungen in diesen Ländern für völlig berechtigt. Nachrichten aus der deutschen Emigration „Freies Deutschland" London. — In dem Schreiben, mit dem der Sozialde- mokrat Victor Schiff und der Demo- krat Fritz Wolfs, früher Herausgeber der „Pariser Tageszeitung" ihren Aus- tritt erklärt haben, heisst es: Die Entwicklung in der letzten Zeit hat zu einer völligen organisato- rischen und politischen Beherrschung der F.D.B, durch die Kommunisten ge- führt. Die bei der Gründung für un- bedingt notwendig erklärte Verbreite- rung der Freien Deutschen Bewegung durch Einbeziehung wichtiger, abseits stehenden politischen Gruppen, Orga- nisationen und Persönlichkeiten ist nicht gelungen und durch die jetzige ' Entwicklung unmöglich geworden, auch die Aussichten für eine Heran- ziehung und aktive Teilnahme der F.D.B, in Grossbritannien am End- kampf gegen den Hitler-Faschismus Sind damit zuftichte gemacht. Diese „Freie Deutsche Bewegung" muss daher einer wirklichen und se- riösen Zusammenfassung aller politi- schen Anti-Nazi Kräfte Platz machen, die den Standpunkt der Träger eines künftigen demokratischen und friedli- chen Deutschland im Rahmen der Al- lianz der demokratischen Völker wür- dig und unabhängig zum Ausdruck bringen kann..." „Demokratisches Deutschland" New York. —- Elizabeth Blencke teilt uns mit, dass sie die Erklärung des "Coun- cil for a Democratic Germany" nicht unterzeichnet hat, wie wir auf Grund ' einer irrigen Information berichteten. — 19 — EUROPAEISCHE UNTERGRUNDBEWEGUNGEN Den Mitteilungen des Transportarbei- terverbandes entnehmen wir: „Der Wunsch nach Rache, so gerecht und verständlich er heute erscheinen mag, kann sich später in den Wunsch verwandeln, andere Völker zu beherr- schen, wodurch nach der Niederlage des Nationalsozialismus seine Gewalt- methoden zu neuem Leben erwachen können. Wir müssen deshalb jeden Wunsch nach Rache aulgeben und nur für die Ideale internationaler Ge- rechtigkeit eintreten. Das polnische Volk kämpft in diesem Krieg, nicht um Rachegelüste zu befriedigen, son- dern für eine gerechte Zukunftsge- staltung". — (Erklärung der polni- schen Untergrundbewegung). „Die demokratische Welt muss bei der Errichtung eines neuen Deutschlands durch Unterstützung seiner demokra- tischen Kräfte helfen. Wenn der Na- zismus auf wirksame Weise beseitigt werden soll, muss man seine wirk- lichen sozialen Wurzeln beseitigen: die verhängnisvolle Verbindung von Schwerindustrie, Grossgrundbesitz und Militarismus". — (Norwegische Unter- grundbewegung). .„Jeder Versuch, Deutschland wirt- schaftlich zu unterjochen oder zu zer- Ktiickeln, steht ausserhalb jeder ver- nünftigen Erwägung. Es ist unbedingt notwendig, Deutschland in die euro- päische Planwirtschaft einzuschlie- ssen." („Vrij Biederland".) .„Die deutsche Kriegsmaschine muss völlig zerstört, die Macht der Schwer- industrie vernichtet und der Gross grundbenitz nationalisiert werden. Wir müssen diese Revolution in Deutsch- land unterstützen. Die Einheit Deutschlands ist eine historische Tat- sache; aus diesem Grunde verwerfen wir alle Vorschläge, die die Zerstiik- kelung Deutschlands zum Ziel haben". (Illegale soz. Partei Frankreichs). „Für Frankreich ist die wichtigste al- ler Fragen die Schaffung der Verei- nigten Sozialistischen Staaten Euro- pas, die nur das Werlt der fortge- schrittenen Proletarier des Kontinents, nicht die irgend eines einzelnen Lan- des sein kann. Durch einen solchen Aufbau, und nur durch ihn wird es fähig sein, sich von fremdem Joch und fremder Einmischung zu befreien zu einem grossen und herrlichen Fort- schritt". — ("L'Insurge", Organ der franz. Sozialisten. ,, . . . Wir müssen aussprechen, dass der revolutionäre Geist der Wider- standsbewegung seinen Blick auf die Zukunft Europas richtet, das ohne Deutschland nicht existieren kann... Die furchtbaren Leiden des heutigen Deutschland erscheinen uns als Mög- lichkeit, dem deutschen Volk den Schrecken vor dem Krieg einzuprägen. Aber wir wünschen nicht, dass ir- gendein Deutscher von morgen sein Leben auf dem Weg des Leidens orien- tieren muss. Wir glauben, dass Ver- sailles seinen Teil Schuld am Natio- nalsozialismus trägt . Damit ein erträgliches Deutschland entsteht, ge- nügt es nicht, die Kriegsverbrecher zu bestrafen, auch nicht, ein anderes Re- gime einzurichten. Deutschland muss die Möglichkeit haben, ohne Demüti- gung zu leben, aber während einiger Jahre muss es einer politischen und kulturellen Kontrolle unterworfen werden. Aber diese Kontrolle wird nur dann erträglich und möglich sein, wenn alle europäischen Nationen auf einen entsprechenden Teil ihrer un- beschränkten Souveränität zugunsten einer übernationalen Föderation ver- zichten. Nur eine solche Föderation hat das moralische Recht, darauf zu achten, dass die Söhne Deutschlands und aller Länder erzogen werden in der Achtung der Menschenrechte und im Hass gegen die Sklaverei. Nur ei- ne solche Föderation wird das Recht haben, im Falle der Not — das Recht und die Macht — sich gewaltsam je- der Art von Missbrauch seitens Deutschlands und jedes Anderen zu widersetzen." — (Aus der illegalen französischen Zeitung "Combat", März 1944). « SAMEN UNTERM SCHNEE" EINE INTERNATIONALE MAIFEIER veranstaltete, wie wir erst jetzt er- fahren, die Fabian Society in London. Vor einem internationalen Publikum sprachen Genossen aus folgenden Län- dern: England, Frankreich, Deutsch- land, Italien, Spanien, Belgien, Hol- land, Luxemburg, Tschechoslowakei, Jugoslawien, Ungarn, Oesterreich, Po- len, Norwegen, Griechenland, Palästi- na und China. GEWERKSCHAFTSAUFBAU IN ITALIEN Sofort nach der Vertreibung der fa- schistischen Unterdrücker haben die Arbeiter in den Betrieben ihre Ver- trauensmänner gewählt. Das waren in der Regel Illegale oder Kameraden, die sich durch ihre Haltung gegen- über dem Faschismus das Vertrauen der Belegschaft erworben oder erhal- ten hatten. Dem folgte dann der Wie- deraufbau der Gewerkschaften. Füh- rend waren dabei die Eisenbahner, die eine Einheitsorganisation geschaffen und den Anschluss an die Transport- arbeiter-Internationale erklärt haben. Ein besonderer Paragraph macht ehe- maligen Mitgliedern der faschistischen Miliz die Ausübung von Funktionen in der Gewerkschaft unmöglich. — 29 — Ulrich Bether) DER GROSSE GROSZ UND EINE GROSSE ZEIT „Ach, dies Deutschland ist ein grosser Misthaufen, auf dem gelegentlich gar wkundersame B'lumen wachsen!" George Grosz. iii. . Als ich von der Schulbank weg zu Grosz in die Lehre iwanderte, erstmals die Treppe jenes bescheidenen Hinterhauses im ,berliner Westen erstieg, nach klei- nem Zögern an der Tür klingelte, an der ein Zettel klebte mit der Aufschrift „Klingeln zwecklos!* Hier wird nicht aufgemacht! Grosz", frug ich mich etwas beklommen, wie er wohl aussehen möge, der Vielbejubelte, Vielgeschmähte. Ge- wiss, dachte ich, ein voltairehaftes blasses Männchen mit wirren Haaren, an bitterm Spott frühgealterten Zügen, stechenden Augen, die durch eine Horn- brille forschen. Ein bäurisch stämmiger, höflich lächelnder junger Mann an- fangs der Dreissig, in blauer Arbeiterbluse, eine (Pfeife im Mundwinkel, tat mir auf und lenkte mich in ein kleines rosiggestrichenes blitzsauberes, überaus or- dentliches Atelier, eine rosig-nüchterne Klause. „Ist Herr Grosz zu sprechen?" „Ja". Ich nannte meinen Namen (ein meiner Familie wie dem Graphiker befreun- deter tschechischer Romancier hatte mcih angemeldet); ich sah mich um, ohne meinen Voltaire zu entdecken. Indes setzte sich dieser junge Mann, der, wie ich jetzt bemerken konnte, elegante amerikanisch gerundete Schuhe trug, mir Sie- ger. über. Er hatte ein offenes hübsches Gesi-ht, wohlrasiert, rötlich funkelnd vor Gesundheit, blitzblaue Augen, sorgfältig angelegtes Haar. Er tat einen Zug aus der englischen Pfeife, lächelte: „Also, Sie wollen bei mir — ich meine, Sie wollen ein bisschen, njcht wahr, ich meine — ich weiss nicht ob ich, ob ich für Sie der Richtige bin . . . ich habe bisher keine Schüler angenommen. Ich habe bisher, verstehen Sie, ich meine prinzipiell . . ."Er blätterte eine Mappe Zeichnungen durch, die ich mitgebracht. „Aber wenn Sie wollen ..." Ich nickte eifrig; also begann meine Freundschaft mit Grosz. Einst, als unbemittelter Jüngling hatte er in Lichterfelde (ebendem Vorort Berlins, in dessen Kasernen am 30. Juni 1834 tausend SA-Leute von ihrem Führer exekutiert werden sollten) mit einem Freund ein Wohnatelier geteilt. Maler Fiedler malte riesenhafte Geni»eschinken, etwa „Bahnarbeiter auf dem Bahndamm vor Sonnenuntergang" in Lebensgrösse. Eins seiner Gemälde sollte in der Berliner Sezession ausgestellt werden. Da Fiedler den Transport des Ungetüms nicht allein bewältigen konnte, begleitete ihn Grosz. In einen Wag- gon „Für Reisende mit Traglasten" gezwängt, rollten sie zum - Stadtbahnhof Halensee. Hier blieb ihnen nichts als die Monsterleinwand den langen Kurfür- stendamm zur Sezession hinabzuschleppen, einer vorn, einer hinten. Ein win- diger Tag; das Fackpapier, das das Gemälde geschützt, blätterte ab, stob da- von. Ein Haufe neugieriger Kinder, denen sich Erwachsene zugesellten, zog mit ihnen; immer mehr liefen herbei, die hochnaturalistischen Einzelheiten des Kolossalgemäldes zu bestaunen. In einem Schwärm gestikulierender Erwachse- ner, johlender Rangen langten die schwitzenden Träger vor der Sezession an. Sein Begout hinunterzuschwemmen, floh George in eine Kneipe, - stürzte fünf Schnäpse. Von jener» Tag datiert -seine Sucht, unter keinen Umständen als Künstler aufzutreten, sich im Bürger, den er mit all seinen gewaltigen Mitteln bekämpfte, mimikryisch zu verbergen. Mit der Pünktlichkeit eines Beamten besuchte er täglich von 9—12, von 2—7 Uhr sein rosiges Atelierchen. Dieser Disziplin ist zu danken, dass in zwölf Jah- ren dreitausend Graphiken und Aquarelle, dreizehn Bilderbücher entstanden. Mit seiner unprätentiösen drall-schmucken Fra,u — einer ausgezeichneten Hausfrau — und seinen beiden kleinen Söhnen führte er ein gottgefälliges Le- — 21 — den. Seine Gasts reun dlichkeit war groSs, und es konnte geschehn, dass er auf einem seiner kleinen Feste, an dem etwa der Pamphletdichter Mehring, der Maler Pachstein, der Theaterleiter Fiscator, der Dramatiker Zuckmayer, der Romancier plivier teilnahmen^ plötzlich verschwand, um mit einem Stehkragen, einem künstlichen Schnurrbart, ein paar auf geschminkten Schmissen, einem Monokel und einem „Poposcheitel" versehn, als hackenzusammenschlagender, chauvinistische Phrasen schnarrender „teutscher Mann" wiederzuerscheinen — zweifellos einem seiner eigenen Bilderbücher entstelzt. Ein Harun al Raschid, verkleidet als mitteleuropäischer Bürger, ging er durch seine Stadt Berlin, und es war ihm, dem unerbittlichsten Gesellschaftskritiker, keine schönere Genugtuung, als wenn man aus seinem Anblick auf einen dick- verdienenden Fabrikanten schloss. Er hatte sich eine Philosophie der unan- tastbaren Fassade zurechtgelegt und stiftete unter den reichen Leuten, den Salonkommunisten und Kulturspiessern, die ihn voll durchgruselter Bewunde- rung einluden und zu denen er hinging, um „Material zu sammeln", mannig- fache Verwirrung. Sein selbstironisches Axiom „als Mann bin ich's mir schul- dig, alles zu wissen, alles zu kennen, sollte ich aber etwas nicht wissen, nicht kennen, darf ich das niemals zugeben", setzte er dämonisch in die Tat um, in- dem er etwa eine Theateraufführung weidlich herunterriss; Mitgäste, die die Aufführung gesehen hatten, nahmen, wie dies im vom „Kulturfimmel" be- sessenen republikanischen Berlin üblich war, leidenschaftlich für und wider Grosz IFartei, es entstand der schönste Streit; Grosz aber hatte das Theater- stück nie gesehn. Oder er setzte einen Blaustrumpf, der den Meister vergötterte, gelegentlich einer Debatte über Kunstkritik mit der trocknen Bemerkung in Entsetzen: „Künstkritiker, meine liebe Dame, sind nur dazu da, um uns Künstlern zu er- - klären, was wir mit unserm Werk eigentlich wollen. Wir Künstler selbst wissen das nämlich nicht: wir sind zu dumjn." Witterte er „revolutionären Snobismus", hakte er stracks die Daumen in die Armlöcher seiner Weste und markierte den grossen businessman. Dem Zentrum-zugehörigen, nach Lanks kokettierenden Prinzen Hubertus zu Löwenstein, erklärte er in meiner Gegenwart: „Sehnse mal, Herr Löwenstein, meine Eltern sind dritter Klasse gefahren, ich fahre aweiter Klasse, und wenn ich mich abrabatze, tu' ich das nur, damit meine Söhne später mal erster Klasse fahren. Erster Klasse solln sie fahren! dafür lebe und schufte ich. Wer unten ist, will rauf, und wer oben ist, will nicht run- ter. Das ist ganz richtig so und wird nie anders werden.'' Der „rote Prinz" wis- perte mir fassungslos ins Ohr: „Sagen Sie, ist das wirklich — der berühmte Grosz?" Sein bürgerliches Mimikry behütete ihn .mitnichten davor, als einer, der den deutschen Staat, die deutsche Armee, die deutsche Kirche, die deutsche Moral geschändet hatte, vor Gericht gezerrt zu werden. Sein Kampf gegen den deut- schen Faschismus wie dessen Helfershelfer aller Schattierungen war ihm übel gelohnt: dreimal verhafteten ihn die Büttel der Republik. Dem letzten George- Grosz-Prozess zu Berlin wohnte ich bei. Wegen einer Zeichnung, die den Ge- kreuzigten als Sinnbild der gasvergifteten Menschheit darstellte, ward er der Gotteslästerung angeklagt. Landgerichtsdirektor Siegert, ein Konservativer, liess sich vorn Druck, den die Nazis aufs Gericht übten, nicht ei f. schüchtern; die Argumente des Angeklagten überzeugten ihn, er sprach ihn frei. (Was die Na- zis diesem Richter nie verziehen: zur Macht gelangt, setzten sie ihn ab). Wenn er mit mir durch die Strassen Berlir.s spazierte, war er ganz Beobach- tung. Das nichtigste Detail an Form und Farbe prägte er sich ein, ein Detektiv der Kunst. Keiner, der die bombastisch stucküberladene Fassade eines im „Ju- gendstil" errichteten Hauses so wissenschaftlich exakt nachzubauen wusste, keiner, der mit wenigen Wasserfarbentupfern dem Stofflichen so gerecht wur- de. den Plüschpantoffel einer Portiersfrau so unumstösslich portierspantoffel- plüschern nachschuf, den himmelblauen Lichtreflex auf dem Schaftstiefel' ei- nes Polizisten so zärtlich und liebevoll bedachte. Ja, zärtlich und liebevoll verschwendete er sich ans Gestalten des Unschönen und Gemeinen, das ihn — 22 — allumgab, und unter seinen Schöpferhänden ward es ein transzendentales Eigen- leben, und die grause Wirklichkeit eines Schlächterladens leuchtete — hielt man sich die Nase zu, die diesem Bild entströmte — in den holdesten Farben eines Rosengartens. Wenn wir durch die hässlichen aber luftigen Strassen Berlins gingen, sprach er mir von diesem Zwiespalt: das Hässliche im Schönen, das Schöne im Häss- lichen enthüllen zu müssen, Zwiespalt, der ein Motor war seines Schaffens; sprach er mi» von seiner Hassliebe zu Deutschland, die ihn besessen hielt und trieb von Werk zu Werk. Ach, wieviel Wundersames gebar sich aus diesem gewaltigen Misthaufen Deutschland, wieviel Wundersames allein blühte aus jener „Belle-Laide" Ber- lin; drin die menschgewordne Pest , des Jahrhunderts residieren sollte, dem neu- en Sodom und Gomorrah, die heute in Feuerbränden vom Himmel auflohn, in Schutt und Asche sinken, einst in den „vierzehn Jahren der Schmach"! War der politische Versuch einer deutschen Republik im Voraus zum Scheitern ver- dammt — ihr geistiger war rührend und blüffend zu sehn; der geistige Ver- such zur deutschen Freiheit in Wahrheit, Recht und Friede war ungeheuer. Mitten aus einer üblen Jauche von „Ausschussware", die der „Kulturfimmel" spie — wieviel Ecntes, Starkes Wahres, Grosses, Gutes ging hervor! Renn, Remarque, plivier, Toller, Tucholsky, Döblin, Schickele, Hermann Neisse, von Unruh, von Ossietzky, die Manns, die Franks riefen in ihren Büchern, Stücken und Zeitschriften nach abendländischer Einigung, Freiheitgleichbrü- derlichkeit, nach Frieden, Frieden. Millionen lauschten begeistert ihren Stim- men: 1928, vier Jahre vor dem Machtantritt der Kriegspartei, konnte ein pa- zifistisches Buch in Deutschland eine Auflage von über einer Million errei- chen! Bänkelsänger wie Brecht, Kästner und der entzückende Joachim Ringel- natz,, ein früherer Matrose, der nicht nur brasilianische Schmetterlinge be- sang (nach Ausbruch des Dritten Reiches plante er, im Matrosenanzug von Dorf zu Dorf zu reiten und mit seinen tollmütigen Liedchen das Volk dem Füh- rer abspenstig zu machen, doch sein Herz brach am Leid, bevor er zu Pferd stieg) trällerten den Massen ein: Durchschaut den aufgelegten Schwindel! Max Reinhadts Deutsches Theater zu Berlin ward eine Wallfahrtsstätte der Kul- turwelt, hatte in Paris und London nicht seinesgleichen. Piscators Aufführung der „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" (Dramatisierung des grössten satirischen Romans der Tschechen) Faszinierendstes, was moderne Bühnen- technik leistete. Ferdinand Bruckners „Elisabeth von England" und Karl Zuck- mayers „Hauptmann von Köpenick'' gehören zur unvergänglichen Dramatik der Gegenwart — wer hätte dem deutschen Ober- und Unterbanausen so diebisch vergnügt die blutige Wahrheit gesagt wie dieser Karl Zuckmayer (der heute ein brotloser Dramatiker ist, ein geplagter Agronom auf dem Gut der amerikani- schen Publizistin Dorothy Thompson)? Jene Anstalt mit dem ominösen Namen „Kaiser-Wilhelm-Institut" — wie tätig widersprach sie diesem Titel, wie mäch- tig bereicherte sie, zurzeit der Republik, die Welt Wissenschaft. Das Vaterland Bachs und Beethovens erwies sich dieser würdig in Nikischs und Bruno Wal- ters Interpretationen. Keine erschütterndere Anklage wider den Krieg als Ernst Barlachs Kriegerdenkmäler (welche die Nazis entrüstet beseitigen liessen). Thomas Mann entlarvte den italienischen Faschismus beizeiten aufs Zierlich- ste („Mario der Zauberer"), Heinrich Mann und Lioli Feuchtwanger („Erfolg") malten den deutschen Spiesserteufel an die Wand ... Was ist nicht alles geschaffen, gesungen, aufgezeigt, beschworen, angeklagt, gespottet und gewarnt worden, in jenen „vierzehn Jahren der Schmach". Kein Volk, hat sich den Narrenspiegel gnadenloser — und vergeblicher! — vorge- halten, sich die Wahrheit so unablässig ins Gesicht geschleudert. Hundert wundersame E-lumen blühten auf dem gewaltigen Misthaufen Deutsch- land. Ihrer eine Grosz. * Bis die , .Schmach" ein unflätiges Ende nahm. Bis draus der scheussliche Baum gesetzlich geschützter Niedertracht entkreisste, die Zweige würgende Polypen, die Blüten Pesthauch, der würgende pestende Baum der grossen Finsternis. (Schluss folgt). — äs — Freie Deutsche Buehne CA SA DE CATALUNA Chacabuco 863 — Buenos Aires — U. 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AUSTRI AN LABOR INFORMATION New York Zentral-Organ der österreichi- schen Sozialisten in deutscher Sprache. MIT OER BEILAGE FREIE TRIBUENE des internationalen Sozialismus Herausgegeben von Wilhelm Ellenbogen. Einzelexemplare und Abonne- ments durch die Buchhandlun- gen: Barna, Maipti 441 und Ju- ramento 2368, Cosmopolita, Co- rrientes 424; Herzfeld, Recon- quista 424, und durch das Büro des DAD, Tuzum&n 309 (U. T. Einzelexemplare . . . . $ 0.75 Halbjahresabonnement . „ 4.50 Jahresabonnement.....9.— EBilEEHHKKIKEHKKEKKK gesucht Josef Siebler, geb. 1907 in Frauenkir- chen, zwischen 1929/30 nach Brasilien ausgewandert, Beruf Zirrmermaan, letzte bekannte Adresse San Pablo, Villa Dom Pedro, koste Restante Ipi- ranga. Wer den Aufenthaltsort von S. kennt oder darüber Angaben machen kann, wird gebeten, sich in Verbin- dung zu setzen mit der Administra- \ VEREIN VORWAERTS ÄU5TRIA 2064 U. 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