LA OTRA ALEMANIA
August Siemsen:
UND WIEDER: SPANIEN!
ORGANO DE LOS ALEMANES DEMOCRATICOS DE LA AMERICA DEL SUR
Fundado el 7 de junio de 1937
Redcrcciön y administraciön:
CALLE TUCUMAN 309
Buenos Aires (Argentina)
U. T. Retiro 7264
Noviembre de 1944
Ano VII No. 88
AUS DEM INHALT
Hans Lehmann: Dumbarton
Oaks
Hans Jahn: Russland —
Vorbild oder Schablone?
Jose Venegas: Die Schuld
am Kriege
Wie soll das besiegte
Deutschland behandelt
werden?
Hans Gottfurcht: Der Wie-
deraufbau der Gewerk-
schaftsbewegung in
Deutschland
Gesicht der Zeit
Stimmen der Zeit
Aus der deutschen Opposi-
tion
Fritz Lemke: Legendenbil-
dung um und von Thomas
Mann
Aus der österreichischen po-
litischen Emigration
ren maurischen
Kampf für die
gegen die spanische
das spanische Volk.
Mit Spanien fing
es an.
Weltlicher und kle-
rikaler Grossgrund-
besitz, die jahr-
hundertelang Spa-
nien wirtschaftlich,
politisch und kul-
turell ruiniert ha-
ben, wollten die
Befreiung des spa-
nischen Volkes von
seinen mittelalter-
lichen Fesseln nicht
zulassen. So be-
gannen sie mit ih-
Landsknechten den
"christliche Kultur"
Republik und
Der Schieber
Juan March finanzierte das Unter-
nehmen. Mussolini und Hitler waren
im Bunde. Die Probe, auf die sie da-
mit die "demokratische" Welt stell-
ten, fiel glänzend für sie aus. Denn
die geheiligten Kupfer-, Erz-, Queck-
silber- usw. Interessen englischer und
nordamerikanischer Gesellschaften
waren mit im Spiel und unterstützten
den Kreuzzug gegen die spanischen
Arbeiter und Bauern, gegen die Li-
bralen Kataloniens und gegen die
Katholiken des Baskenlandes.
Der Kampf um Spanien bedeutete die
Scheidung der Geister in der ganzen
Welt. Die herrschende Klasse fürch-
tete, dass ein Erfolg des politischen
und sozialen Freiheitskampfes des
spanischen Volkes zum Signal werden
könnte für die unterdrückten Massen
Europas. Der niederträchtige Betrug
der "Nichtintervention" ermöglichte
die Unterstützung Francos durch
Mussolini und Hitler. Seine Manager
Deutsche Bibliothek
Frankfurt am Main
tragen die Verantwortung für Guer-
nica; sie lieferten das spanische Volk
seinen Henkern aus; sie haben da-
durch dem Faschismus und dem Na-
tionalsozialismus unschätzbare Dien-
ste geleistet und den Weltkrieg mit
herbeigeführt.
Wir Anderen mussten mit niemals zu
vergessender ohnmächtiger Wut, nahe
der Verzweiflung, dem verbrecheri-
schen Spiel zusehen, dem ein verelen-
detes und unterdrücktes, ein tapferes
und hochherziges Volk geopfert wur-
de. Unser bitteres Leid wog nichts.
Mehr wog der Heldenkampf der In-
ternationalen Brigaden. Aber auch sie
erlagen mit dem spanischen Volk der
Weltreaktion. Spanien wurde ans
Kreuz geschlagen.
Die Misswirtschaft Francos und der
Seinen hat allmählich auch viele ih-
rer früheren Anhänger gegen sie auf-
gebracht. Sogar ein Gil Robles, der
frühere Führer der katholischen spa-
nischen Reaktion, hat sich gegen ihn
gewendet. Nur mit faschistischen Ter-
rormethoden vermochte Franco sich
zu behaupten. Unter dem Eindruck der
Niederlagen der Achse, vor allem aber
der Befreiung Frankreichs hat nun-
mehr die neue Volkserhebung in Spa-
nien begonnen. Spanische Republik-
kämpfen, die zusammen mit den fran-
zösischen Maquis den Kampf gegen
die Nazis geführt haben, beginnen die
Grenze zu überschreiten. Komitees der
Spanier im Ausland rufen zur Erhe-
bung auf. In der heutigen Weltsitua-
tion würde ein Wort von Churchill
und Roosevelt genügen, um Franco
zu stürzen und durch Vermeidung ei-
nes neuen Bürgerkriegs etwas wieder
gut zu machen von dem Frevel, den
mart an Spanien und seinem Volke
verübt hat.
Aber Churchill hat Franco gelobt, als
dieser nach dem Sturz Mussolinis und
dem deutlich sich ankündigenden En-
de Hitlers notgedrungen die Bande zur
Achse gelockert hatte. Den Kampf um
Ideologien, für die Freiheiten der At-
lantic-Charter hatte er ja bereits vor-
her abgesagt. Das offizielle England
und Amerika setzen heute die Politik
Chamberlains fort, die darauf ausging,
unter allen Umständen die europäi-
^ V /< v Y-
^«ehe Revolution zu verhindern. Mag
Franco sie beschimpft, mag er ihre
Gegner nach Kräften unterstützt ha-
ben: lieber Franco oder allenfalls Kö-
nig Juan als eine demokratische, so-
ziale Republik, deren Existenz ihre
Rückwirkungen auf Europa haben
müsste.
Und das befreite Frankreich? Alles
was links ist, tritt hier für den spani-
schen Freiheitskampf und gegen Fran-
co auf. Aber was ist mit De Gaulle?
Gerade jetzt haben London und Wa-
shington ihn anerkannt. Um seine
Stellung gegenüber den revolutionären
Kreisen der Widerstandsbewegung zu
festigen? Hat De Gaulle etwa gar Zu-
sagen für ein Vorgehen gegen die spa-
nischen Republikaner auf französi-
schem Boden gegeben? Schon beginnt
man damit, statt deutlich und furcht-
los die spanischen Republikaner zu
unterstützen. Schneller als man dach-
te, wird De Gauile vor eine entschei-
dende Probe gestellt.
Wiederum wird Spanien zum Prüf-
stein. Wiederum scheiden sich hier die
Geister. Wer erneut die Politik der
"NiohtIntervention", in was für neuen
Formen sie auch auftreten mag, unter-
stützt, der soll uns nicht von Antifa-
schismus und Demokratie reden, der
ist ein Feind echter Demokratie, ein
Helfershelfer des Faschismus, ein Sa-
boteur der Friedenssicherung, ein Vor-
bereiter des neuen Kriegs.
Wieder wird in Spanien um Europa
gekämpft. Wenn Spanien erneut in
den Vordergrund der Ereignisse tritt,
so ist das ein Beweis dafür, dass die-
ser Kampf sich zuspitzt; Die kontrol-
lierten Presseagenturen und die gro-
ssen Zeitungen allerdings wissen von
diesem Kampf, der in Europa hinter
den Kulissen geführt wird, von dem
"spanischen" Kampf, dem Kampf zwi-
schen Rechts und Links, zwischen
Reaktion und Revolution, zwischen so-
zialer Demokratie und kapitalistischer
Klassenherrschaft nur wenig zu be-
richten. Und was man hört, scheint
wenig günstig. Vansittart unterrich-
tet höhere angelsächsische Offiziere
darüber, wie man nach der Besetzung
die Deutschen behandeln soll. Carabi-
nieri schiessen auf die "Cafoni", die
armen Bauern, deren hartes Leben uns
— 2
ir «? ^ / / v x r-
Silone in "Fontamara" so unvergleich-
lich geschildert hat, weil sie das un-
bebaute Land des Fürsten Tolonia, ih-
res Ausbeuters und Unterdrückers, in
Arbeit nehmen wollen. Man könnte die
Beispiele ins Beliebige fortsetzen.
Aber die Cafoni in Italien sind in Be-
wegung geraten. Die Arbeiter, die in
Frankreich für die soziale Revolution
eintreten, sind eine Macht. Im Balkan
kämpft man nicht nur für nationale
Befreiung, sondern auch für eine so-
ziale Umwälzung. Sogar im konserva-
tiven Holland hat die Untergrundbe-
wegung, einschliesslich der bürgerli-
chen Gruppen, einstimmig ein Mani-
fest erlassen, in dem es heisst: "Die
liberalen kapitalistischen Produktions-
methoden gewähren dem Volk keine
soziale Sicherheit und müssen deshalb
durch ein System nationaler und in-
ternationaler Lenkung ersetzt werden,
durch das die Profitwirtschaft besei-
tigt wird". In England hat sich die
Führung der Arbeiterpartei bisher
zwar nicht von ihrer Burgfriedenspo-
litik gelöst, und die bisherigen Berich-
te über den Gewerkschaftskongress er-
geben kein klares Bild; aber sicher
wächst die Opposition in den Arbei-
termassen, und manche meinen, sie
werde sich durchsetzen.
Arbeiter und Bauern Europas sind er-
neut auf dem Marsch. Die alten wirt-
schaftlichen und sozialen Verhältnis-
se sind durch Faschismus und Krieg
unheilbar zerstört. Teile der Intelli-
genz und des Bürgertums sind infol-
ge des Verlustes ihrer wirtschaftlichen
und sozialen Position von ihren Klas-
senvorurteilen geheilt und erkennen
im Sozialismus die Aufgabe unserer
Zeit. Noch geht alles durcheinander
und nebeneinander, oft gegeneinan-
der. Aber die Situation ist doch, dem
äusseren Anschein zum Trotz, günsti-
ger als die nach dem vorigen Welt-
krieg, nicht nur im Negativen, nicht
nur weil der europäische Kapitalis-
mus todwund ist. Im antikapitalisti-
schen Lager sind durch eine denkbar
schwere Schule Einsicht und Erkennt-
nis gewachsen, ist der revolutionäre
Wille zur totalen, das heisst zur wirt-
schaftlich und sozial untermauerten
Demokratie bei vielen an die Stelle
der Anbetung der rein formalen De-
mokratie getreten.
Zweierlei wird für den Ausgang des
Kampfes um Europa entscheidend
sein. Einmal die Rolle der Sowjet-
union, die in der spanischen Frage ei-
ne eindeutige Haltung einnimmt. Zum
anderen, ob die revolutionären Kräf-
te sich zur Kooperation zusammen-
finden.
Besonders wichtig wird dabei die Zu-
sammenarbeit der französischen und
deutschen Sozialisten sein. Anfänge
sind da. Im St. Gallener Tagblatt be-
richtet ein französischer Offizier von
der Hilfe, die deutsche Arbeiter fran-
zösischen Kriegsgefangenen bei der
Flucht nach Frankreich und bei ih-
rer illegalen Arbeit leisten. Sie, die
Kriegsgefangenen» wussten, dass es ein
anderes Deutschland gebe. Es wür-
de sich später zeigen, meint der Lei-
ter der Deutschen Gewerkschaften in
England, dass "die Zusammenarbeit
zwischen illegalen deutschen Gewerk-
schaftsfunktionären und den nach
Deutschland verschleppten französi-
schen Arbeitern viel enger war, als
während des Krieges bekannt werden
konnte".
Eine Meldung von Radio Paris besag-
te sogar, dass über die Hälfte der
deutschen Kriegsgefangenen in Frank-
reich sich einem Komitee zur. Be-
kämpfung des Nationalsozialismus an-
geschlossen habe.
Nicht mit Tanks und nicht mit Bom-
ben, nicht mit Lüge und nicht mit
Verrat, nicht mit Kerkern, Foltern
und Hinrichtungen hat man das spa-
nische Volk zermürben, hat man die
spanische Revolution ersticken können.
Aufs neue erhebt in Spanien die Re-
volution ihr Haupt, Europa zum zwei-
tenmal das Beispiel gebend. Und wie
von der spanischen, so wird es von
der europäischen Revolution heissen:
"Ich war, ich bin, ich werde sein!"
WERBT FUER DAS ANDERE DEUTSCHLAND
Hans Lehmann:
DUMBARTÖN OAKS
Es wäre naiv gewesen, hätte man
bei der heutigen Lage der Dinge als
Ergebnis der Beratungen von Dum-
ibartont Oaks einen sozialistischen
Vorschlag zur Friedenssicherung er-
wartet. Wir wollen deshalb auch ganz
bescheiden sein und lediglich prü-
fen, ob das am. 9. Oktober veröffent-
lichte Projekt für die Schaffung ei-
nes "Allgemeinen Internationalen)
Organismus" wenigstens die entschei-
denden Mängel des Völkerbundssta-
tuts behebt.
Die Verteidiger des nicht gerade
sanft enifosöhlafenen Genfer Bundes
behaupten zwar, das nicht die Sat-
zung dieser Organisation, sondern
die Bereitschaft der Völkerbunds-
anitglieder versagt habe. Das ist aber
nichts weiter als ein Spiel mit Wor-
ten. Schliesslich ist doch gerade der
Sinn solcher Organisationen-, die Er-
reichung der ihnen gesetzten Ziele
dem Zufalle zu entziehen und die er-
forderlichen Sicherungen zu schaffen,
die in diesem Sinne möglichst rei-
bungslose Zusammenarbeit gestatten.
Wie weit würde das Projekt von
Dumbarton Oaks nun eine grössere
Gewähr dafür bieten, dass nicht im
entscheidenden Augenblick wieder
die Erhaltung des Friedens durch
mangelnde Bereitschaft der Betref-
fenden gefährdet wird?
Der wichtigste Unterschied zwi-
schen der Völkerbundssatzung und
dem neuen Vorschlag scheint zu-
nächst in der Behandlung der Situa-
tionen zu liegen, die eine "Bedrohung
des Friedens" darstellen. Der Genfer
Völkerbund hatte praktisch keine an,
deren Möglichkeiten, als seinen Mit-
gliedern die Ergreifung von bestimm-
ten Massnahmen zu "empfehlen".
Dazu gehörte insbesondere die "Emp-
fehlung", welche militärischen Streit-
kr äste von iedern angeschlossenen
Staat dem Bund im Falle gemeinsa-
men kriegerischen Vorgehens gegen
den Friedensstörer zur Verfügung
gestellt werden sollten.
Dturrabartan Oaks will offenbar hier
in dreifacher Beziehung weiter ge-
hen: „Es sollen bindende Beschlüsse
über die zu treffenden Massnah-
men gefasst werden können'. Die der
internationalm Organisation ange-
schlossenen Staaten sind "verpflich-
tet". die notwendigen Militärkräfte
nicht nur im gegebenen Augenblick
zur Verfügung zu stellen, sondern
auch ein vorher bestimmtes Kontin-
gent zum sofortigen Einsatz dauernd
zur Verfügung zu halten. Und weiter
wird eine Art permanenter interna-
t:onal?r Generalstab in Form eines
Militärkomitees gebildet.
Alis den erstem Blick scheint, en we-
sentlicher Fortschritt in dieser Be-
ziehung erzielt zu sein. Bei genauerer
Ueberiegung erweist es sich _ jedoch,
dass auch d'e neuen Vorschläge im
entscheidenden Augenblick genau so
zu einem Versagen führen können,
wie w:r es beim Völkerbund erlebt ha-
ben: Was gibt eine Gewähr dafür,
dass die "verpflichteten" Staaten im
Ernstfalle nicht aus Angst oder man-
gelnden guten Willen den* Einsatz
ihrer M:litärkontingente verweigern?
D'e einzige Möglichkeit, dies'mit Si-
cherheit zu verhindern, wäre die
Schaffung einer besonderen interna-
tionalen Truppe deren einzelne For-
mationen auch schon in Friedens-
zeit dem direkten' Befehl des inter-
nationalen Generalstabs und nicht
der militärischen Leitung der einzel-
nen Organsation smitg'lieder unter-
stellt. sind Wie wenig an den auto-
imat's-chen Einsatz der Militärkräfte
gedacht wird, erweist die Bestim-
mung, dass die einzelnen _ Mitglieder
der internationalen Organisation _ de-
ren Beschlüsse "aus eigener Initia-
tive" durchführen sollen.
E"':ne interessante Neuerung bringt
das Projekt von Dumbarton Oaks in-
sofern, als es keine Möglichkeit des
Austrittes aus dem internationalen
Organismus vorsieht. Aus dem Völ-
kerbund dagegen konnte sich jedes
Mitglied unter Einhaltung e'ner
zweijährigen Kündigungsfrist zurück-
ziehen. Mag die praktische Bedeu-
tung dieses Unterschiedes auch nicht
so gross erscheinen, so wird doch die
Gefahr verhindert, dass die neuzu-
schaffendien "Vereinten Nationen"
durch Austrittserklärungem an Be-
deutung eiribüssen können. Jede Na-
tion, die einmal Mitglied ist, bleibt
vielmehr n'cht nur an die bereits
gefassten, sondern auch an sämtli-
che in Zukunft zu fassenden Be-
schlüsse gesunden. Utad das,[psycholo-
gische Moment, dass man.' sich ihnen
nur durch Vertragsruch, nicht aber
durch rechtmäss-g-n Austritt entzie-
hen kann, mag Gegenmassnahmen
der "Vereimten Nationen" erle'chtern
und beschleunigen.
Hätte Dumbarton Oaks n'cht die
Frage des Alkistimm-ungsvicrfahrens
im wichtigsten Punkte offen gelas-
sen. so hätte man den bisher nur an-
gedeuteten Versuch, tfie Fassung von
Beschlüssen gegenüber früher zu
vereinfachen und zu beschleunigen,
vielleicht als noch bedeutungsvoller
ansehen können als c'ie N-uregelung
des militärischen' Problems. Hatte
doch der Völkerbund gerade daran
gekrankt, dass selfcst seine schwäch-
lichen "Empfehlungen" im Prinzip
fc'nst mm ig beschlossen werden muss-
ten Künftig soll dagegen die "Gene.
ral'versamimlunig", als Vertretung al-
ler M'tglieusstaaten, für ihre Be-
schlüsse im allgemeinen einer Zwei-
drittel-Mehrhelt bedürfen. Welchen
Wert w'rd ab.r diese Tatsache heben,
dia die Generalversammlung' im we-
sentlichen keinsrle: Beschlüsse mit
bindender Wirkung fassen kann?
Nicht e.nimai "Empfehlungen" darf
sie aus eigener In'tiative an die ent-
scheidende Körperschaft, den "8L
cherh.itsrat", richten, in "irgendwel-
chen Angelegenheiten, die die Erhal-
tung des Friedens und d:ie interna-
tionale Sicherheit betreffen und be-
reis vom Sicherheitsrat behandelt
werden"! Praktisch bleibt also der
Generalversammlung kaum eine an-
dere Obliegenheit vorbehalten, als zu
cen Beschlüssen des S'cherheitsra-
tes Halleluja zu sangen. Danach er-
scheint es beinahe nebensächlich,
dass noch treht einmal festliegt, wie
die Generalversammlung zusammen.,-
gesetzt sein soll, ausser dass ihr
sämtliche M; tgl'edestaattin angehö-
ren. Nach der Einleitung zu Kapitel
F des "Pro-iekts zu urteilen, soll wohl
die Zahl der Vertreter, die jedes Mit-
glied haben wird, verschieden se:n.
Welche Bedeutung der Tatsache zu-
kommt. dass im Gegensatz zu*n Völ-
kerbundsstatut, der ncuzu schaf sen-
de "Sicherheitsrat" praktisch allein
Beschlüsse fassen kann, wird we-'t-
giehend davon abhängen, wie diese
Beschlüsse zustandekommenn werden.
Es kann dabei n'cht gerade als ei-
ne grössere Annäherung an demo-
kratische Prinzipien angesehen wer-
den. dass den 5 Grossen — China
Frankreich, Grossbritann:en, Rusg-
lani und Ü.SA.— nicht nur die einzi-
gen ständigen Sitze im Sicherheits-
rat, sondern darüber noch besondere
Vorrechte eingeräumt werden. Dane-
ben w'rd das Gewicht der weiteren
6 — von der Generalversammlung je-
weils auf 2 Jahre zu, wählenden —
Mitglieder stets geringer sein als das-
jenige der zwar teoretisch in der Min-
derhe't befindlichen 5 ständigen und
bevorrechtigte« Ratskollegen. Aus-,
scihlaggcibend für die Beurteilung des
ganzen Projekts von Dumbarton
C~k^ ist jedoch dass Grossbritannien,
Russland und U.S.A. bei seiner Aus-
arbe'tunig sich offenbar über das Prin-
z'
as, w^s man heute von den
Deutschen ?->?t und be'rahe mit d".~n
pievhen historischen Grande, be-
hauptete man -ror pin-m Jahrhun-
dert von Franzosen und bis vor
7,'vei Ja^rbrndertm von cT=n Soa-
niern". Dies- Worte erschienen am
Fonnafoen d dem 16. Am Montag, dem
erschien 'n der "NaMnn" e'n Ar-
t-'kfl von Harold J. 1,9s^i und Lord
V^nicittprt über die Schuld d<°r Deut-
schen. in eirem der Absätze sagte
I.oc.ki:
es i°t überraschend, dass nicht
gefragt wird, warum zu einem be-
F>'Vr>!mter> TioitnimU-t d:e deutsche
" pufti'ufht und d'e
fl'-i^hQ KTrreg-urior erzeugt wie der
T!m">eri)3)ipiT7fUci Spaniens vrrrd Frank-
reichs vnH ausserdem eire techno'o-
gische Situation, die bewirkt, dass
Millionen blicken erwartungsvoll auf
die Sowjetunion, die antikapitali sti-
s:he Sehnsucht der Massen, von dar
Hitler mit verständnisinnigem E-lin >
zeln zü den Herren von der Schwer-
industrie hinüber sprach, ist stark
und zur Tat entschlossen. Wenn Russ-
land sie anerkennt und ermutigt, auch
im Gewände der demokratischen
Freiheit, dann kann es sich den stärk-
sten Verbündeten sichern, den es je-
mals hatte: das Proletariat ganz Eu-
ropas.
die deutsche ADepressivität _ heftiger
und von schrecklicheren Wirkungen
ist als irgendeine vorher".
W'r brauchen n'cht ziu sagen, wel-
che Genugtuung wir empf'nden. dass
ein. Engländer — und ein hervorra-
gender Engländer, meines Erachtens
derjenige, der mit grösster Klarheit
die' Probleme dieses Krieges auf-
zeigt — desselben Argumentes s:ch
bedient, das wir in Erwiederung auf
die irrtümlichen Worte Churchills be-
nutzt hatten.
Unter dem Demokraten ist der Glau-
be an ~ Schuld .aller Deutschen
sehr verbreitet: diejenigen, die ihn
nicht te'len wagen n-'cht. ihre ab-
weichende Meinung zu äussern. Wir
halten di;s für bedenklich, nicht weil
wir meinen, dass uns die Gerechtig-
keit verpachtet, das deutsche Volk
zu verteidigen — was, wie wir auch
von den Italienern sagten, eine pri-
vate Angelegenheit der Deutschen ist
—. sondern! weil derartige Anklagen
dazu beitragen zu verhindern, äasa
d'e Frage klargestellt wird.
An anderer Stelle haben wir gesagt,
dass die ganze "Sache nicht über ei-
ne Reihe von Kämpfen und Skan-
<:ii'1en j.rti den von Hitlern und seinen
Freunden besuchten Brauereien hin-
ausgegangen wäre, wenn die Frage
lediglich die gewesen wäre, dass jene
Leute einen aggressiven Charakter
haben. Jemand hat ihnen den Zutritt
zur JPtaatmiacht erleichtert: jemand
hat ihnen innerhalb ihres Landes d?'e
M'ttel gegeben, die Opposition nie-
derzuschlagen- und ihr den Krieg
zu erklären — denn das war der er-
ste Krieg, den sie führten —; Je-
mand hat sie gestärkt und ihnen so
erlaubt, in der ganzen Welt vorzu-
,dringen; jemand hat ihnen gren-
zenlose Mittel geliefert, damit sie
das mächtigste Heer organisierten,
das je bis 1939 bestanden hatte; je-
mand hat ihnen Stellungen einge-
räumt, damit s'e in eine unübertreff-
liche Lage für die Aggression kämen;
jemand schliesslich hat die Nazifa-
schisten in eine derartige Situation
gebracht, dass sehr wenig daran fehl-
te. dass sie die Welt beherrscht hät-
ten. Dieser "Jemand" ist der Verant-
wortliche, und der Friede wird n'cht
gewonnen' werden, wenn dieser ''je.
man:!'' weiter existieren wird. Es ist
verhältnissmäss'g unwichtig, ob die
Deutschen cie Uniformen, den Para-
demarsch, die lMiIitäronganiSa;tion
und den Kadavergehorsam lieben.
Die "Schwarze Legende", die im sech-
zehnten Jährhundert gegen tire Spa-
nier vorgebracht wurde, ist dasselbe
wie das, was heute von den Deut-
schen gesagt wird. Sie stützte sich
auch auf wahre Tatsachen und zeig-
te gewisse offensichtliche Charakter-
eigenschaften der Spanier auf, aber
all das reichte bei weitem n'cht da-
für aus, dass cas- spanische Volk den
Frieden gestört hätte; es störte ihn
und stellte eine Gefahr dar auf
Grund des Cäsaren-Imperialismus
des Hauses Asturien, gestützt auf
den Katholizismus und den Kampf
gegen die Reformation. Seitdem die
Ursachen verschwundein sind, haben
die Snanier zieiml'ch genau den glei-
chen Charakter behalten aber leben
z. B. neben Portugal, und es fällt ih-
nen ntoht ein, die Portugiesen zu
verschltaigen, obwohl diese an Zahl
geringer sind. Und was c'e Franzo-
sen betrifft, deren Imperialismus bis
vor einem, Jährhundert dazu führte,
dass mian von ihnen dasselbe sagte
wie heute von den Deutschen, so
hörten sie auf, die Nadhbarn anzu-
greifen, sobald s'e ein-e demokrati-
sche Republ'k waren ohne Uniform
und sogar schlecht angezogen mit
einer ökonomischen Basis, die nicht
aus denn Imperialismus Nutzen zog.
La?ki ze5o-t das sehr tr^ff°ri^ in> sei-
seinen Artikeln. Seine Definition des
Nazifaschismus verdient, unvergessen
zu bleiben: "Er ist die Bemühung der
Privilegierten, das nationalistische
"Gangstertum" zu benutzen um zu
verhindern, dass das demokratische
Ideal verwirklicht werde". Und es
ist unerlässlich, diese Behauptung zu
wiederholen:
"Der künftige Charakter Deutsch-
lands hängt zum grossen Teil vom
künftigen C'h arakter der Weltondinung
im allgemeinen und der europäischen
Ordnung im besonderen, deren Teil
Deutschland sein wird, ab. Wenn
diese Ordnung gebildet wird von Na-
tionen, bei denen das Privileg im
Besitz einiger Weniger ist, für die
die Mehrheit arbeiten muss, dann
sehe ich keine günstigen Aussichten
für die Versuche, eine neue verhäng-
nisvolle Aera der Gleich# ewicht^ioo-
litik zu vermeiden, in der die schädli-
che Rolle, die Deutschlan d s£it Zeiten
Bismarcks gespielt hatte, an seiner
Stelle von irgendeiner anderen Na-
tion übernommen werden wird".
Sehr r'chtig! Ja, wenn wir im Glau-
ben di<,.frlco. Su
liistoria y sus compositores. (Editorial
Claridad, Buenos Aires). p. Walter
Jacob, unsern ^ Lesern wohlbekannt
durch die Verbindung1 umfassenden mu-
sikgeschichtlichen und kulturge-
schichtlichen Wissens mit kritischem
Geist und fruchtbarer soziologischer
Methode, ist wie wohl kaum ein an-
derer befähigt, eine Geschichte der
Oper zu schreiben. Er tut das in knapp-
ster und instruktivster Form. Der
Hauptteil seines Buches ist dann den
einzelnen Komponisten gewidmet. Je-
der Musikfreund kann sich hier schnell
und zuverlässig über jeden in Betracht
kommenden Opernkomponisten, seine
historische Stellung und seine künst-
lerische Bedeutung unterrichten. Für
den Berufsmusiker und den Liebhaber
ist das Buch unentbehrlich, aber auch
für den allgemein kulturgeschichtlich-
soziologisch Orientierten ist es von In-
teresse.
— 13 —
AUS DER DEUTSCHEN OPPOSITION
DIE LAGE IN SU ED CHILE
Einer unserer Freunde von der Landesleitung Chile, der soeben von einer Rei-
se durch den Süden zurückkehrte, schreiot uns:
Der grosse Schub der deutschen Ko-
lonisten uai um l&uu im Süden Chi-
les ein. Ls waren aurcnweg nuerale
Elemente, die vor der wieuereinore-
cnenaen cleuischen Reaktion das i-iand
verliessen, um sich in Ueosisee eine
neue Heunstatte aufzubauen. Die li-
beralen lueen aieser ersten (Genera-
tion wurden jedoch mit grosser
Schnelligkeit von den wirtschaftli-
chen Aufstiegsmöglichkeiten absor-
biert, die ein.so junges Land wie Chi-
le einer arbeit&freudigen und tüchti-
gen Immigration bieten konnte. Die
zweite Generation, in Chile geboren
und im tiesitze der chilenischen
Staatsbürgerschaft, nahm dann, ihren
Interessen entsprechend, am politi-
schen Leben des Landes teil. Die drit-
te, die heutige Generation, besteht im
Wesentlichen aus zwei Gruppen: im
äussersten Süden, in Puerto Varas
und am Llanquihues'ee, lebt die katho-
lische Minderheit, meist Mittelbauern,
die ihre Scholle bearbeiten und eine
gewisse libenale Tradition bewahrt
haben und. darum von den Nazis ge-
hasst und verachtet werden. Die gro-
sse Mehrheit jedoch der deutschen
Kolonie ist schon vor dem Dritten
Reich in ein völlig reaktionäres Fahr-
wasser geglitten. Als Besitzer grosser
Ländereien und Importhäuser (sie
nennen sich selbst "Junker") haben
sich die Nachkommen der "Achtund-
vierziger"-Generation in Reaktionäre
verwandelt, die nur an die Vergrö-
ßerung ihrer Renten denken. Die
"Elite" dieser dritten Generation stu-
dierte und studiert in den grossen
Städten Chiles-. Sie ist in Burschen-
schaften organisiert, 3i? jedoch mit
diesen nur noch den Namen gemein
haben und in Wirklichkeit Brutstät-
ten unverschämtesten Rassen dünk eis
sind, und die der einheimischen Be-
völkerung gegenüber vollständig ver-
sperrt sind.
Die deutsche Republik mit ihren li-
beralen Ideen war ihnen völlig un-
verständlich. Abgesehen von ihrem of-
fiziellen Gebrauch durch Botschaft
und Konsulate, wurde die schwarz-
rot-goldene Flagge nur an einer ein-
zigen Stelle gezeigt: sie hing zwei
Jahre lang am Mäste der deutschen
Schule in Puerto Montt. Ein jetziges
Mitglied des DAD bezahlte sie aus ei-
gener lasche, da die deutsche Kolo-
in« iiiciii uaran dacnte, auch nur ei-
nen neuer tur aie "Sozi allsten repu-
uiiK." auszugeoen. Die iNazndeologie
ivam Uesen üuementen, die fc'icn Gr-
ößerer in einer erueuteten K.olonie
uuriKten, nur zu gelegen. Jetzt würd3
innen sogar, nocn ofiiziell ihre rassi-
sche Ueoeriegenneit üoer das chneni-
scne Voik bestätigt. Bin deutscher
iaieg hatte sie zu den unbestrittenen
Herren im Süden und im ganzen Lan-
tie gemacht. Damit rechnete die gro-
sse Mehrheit der deutschen Kolonie;
auch viele, die vorgaoen, mit uer
Brutalität der Nazihorden nicht ein-
verstanden zu sein, wollten vom kom-
menden Sieges schmause nicht ausge-
schlossen werden.
Dieses Idyll erhielt seine erste ernst-
liche Störung durch den Abbruch der
diplomatischen Beziehungen Chiles
mit ^en Achsenmächten. Die Naziuni-
formen verschwanden von den "Sport-
fes'ten" der deutschen Kolonie, und
die Hakenkreuze von den Heldenbrü-
sten begeisterter Parteianhänger.
Aber die Partei arbeitete ungeniert
weiter und ihr geheimer Informations-
dienst versorgte das Dritte Reich
mit allen für notwendig erachteten.
Nachrichten. Das energische Vorge-
hen der Antinazi-Abteilung der chile-
nischen Fremdenpolizei hat nun diesem
dunkeln Treiben ein Ende bereitet.
Verhaftungen und Relegierungen ha-
ben den deutschen Nazis einen gewal-
tigen Schrecken eingejagt und das
sich wandelnde Kriegsglück hat das
g-einige getan, um die anfängliche Sie-,
gesstimmung erheblich zu dämpfen.
Wie steht es nun mit den Aussichten
für eine Linksentwicklung? Was kön-
nen wir von einer Kolonie erwarten,
die wirtschaftlich zu den oberen
Schichten des Landes gehört (es gibt
in Chile keine deutsche Arbeiter-
schaft) und deren wortführende Ele-
mente absolut feudalen Charakter tra-
gen? Gewiss melden sich heute schon
die ewig-opportunistischen Elemente,
die den Anschluss nicht, verpassen
möchten an eine Linke, die, wie sie
hoffen, für die Nachkriegszeit über
gute Beziehungen zu Deutschland
verfügen wird. Leute, die seit Jahren
nicht mehr gesrrüsst haben, beginnen
plötzlich den Hut zu ziehen und ge-
— 14 —
sprachig- zu werden. Auf der anderen
Seite auer hat sich in üen Kopten vie-
ler noch garnichts geändert. In den
deutschen dchuien smü aie j-.enrkra.i-
te, bis auf verschwindende Ausnah-
men, nach wie vor inuzis, aie der ju-
gend 'lag für Tag die Hitlerideologie
einprägen. Der üeberfali aut unse-
ren Freund Oskar Chylik in Osorno ist
ein beredtes Beispiel dafür. Der Pfar-
rer H. Stämpfle aus Frutillar, ein auf-
rechter antitascnistis'cher Kampier,
wird von den dortigen katholischen
Deutschen einfach sabotiert. Kurzlicn
ist es, als ein Erfolg der systemati-
schen Hetze gegen ihn, sogar i>u ei-
ner Prügelei gekommen, und wenige
Tage darauf schlug man bei Stampfl©
ein gutes- Dutzend Fensterscheiben
ein.
Unsere Arbeit im Süden wird darin
bestehen, alle wirklichen demokrati-
schen und sozialistischen Elemente zu
sammeln und uns im täglichen Kamp-
fe eine immer stärkere Position zu
erringen. Breitere Kreise zu gewin-
nen; wird uns nur gelingen, wenn wir
es erreichen werden, dass fortschritt-
liche Lehrkräfte in die deutschen
Schulen eindringen und so unsere
Ideen der Jugend nahe gebracht wer-
den.
Erich Berger — Santiago de Chile.
Aus London berichtet uns IGB. wie
selbst im Krieg und über den Natio-
nalhass hinweg die internationale So-
lidarität der Werktätigen triumphiert.
Ein deutscher antifaschistischer Ar-
beiter fand Beschäftigung in einet
Margarinefabrik. Von den 140' Mann
der Belegschaft waren zu der Zelt
zwei organisiert. Mit Unterstützung
lies englischen Verbandes gelang es
ihm, in sechs Monaten den gesamten
Betrieb zu organisieren. Unser Kol-
lege" wurde mit in den Betriebsrat
gewählt und zum Verbandskassierer
bestellt. Gegenwärtig schweben Ver-
handlungen auf Abschluss eines Ta-
rifvertrages und Lohnerhöhungen.
In Mexiko starb Fritz Frankel, Arzt
und Psychoanalytiker, revolutionärer
Sozialist und Organisator des Sani-
tätsdienstes der Internationalen Bri-
gaden. Wir ehren sein Andenken, in-
dem wir ihn zitieren:
"Dass das Leben bitter und undank-
bar ist, das ist nicht das Wichtigste.
Entscheidend ist, wie wir darauf rea-
gieren. Nicht die Klage, nicht das
Leiden, nicht der Zorn, nicht die Em-
pörung, nicht die Geduld, nicht die
Entschlossenheit können für sich al-
lein die Wirklichkeit dieser Welt än-
dern. Wir müssen erkennen. Dann
verwandelt sich der Zorn und die Em-
pörung in Kampf. Wir müss-en ver-
stehen lernen, verstehen von Grund
aus, damit unsere Entschlossenheit
zu intelligenten und begründeten Ta-
ten führt. Wir müssen lieben, um ei-
ner besseren , Zukunft anzugehören".
Ali der pazifischen Front fiel als Sol-
dat der USA-Armee Heinz Behrendt,
ehemals Funktionär der SAJ und des
SJV in Berlin, Hilfsarbeiter in der
demokratischen Flüchtlingshilfe zu
Prag, Kämpfer der Internationalen
Brigaden.
DISKUSSIONSTRIBUENE
Fritz Lemke:
LEGENDENBILDUNG UM UND VON THOMAS MANN
Gewiss ist der Geist wichtiger als der Buchstabe; sicher ist aber auch, dass der
Geist die Fakten nicht entbehren kann. Denn der Geist, das erkennende Ich
des Menschen, das selbst nicht zu "erklären" oder "abzuleiten", wohl aber da ist,
hat ja nicht, wie ihm lange Zeit eingeflüstert wurde, die Aufgabe, fcn Chor der
Engel Hallelujah zum Lobe des Schöpfers zu singen oder sich hierauf vorzube-
reiten, sondern er soll sich gegenüber der natürlichen Welt als eine eigengesetz-
liche, formende Kraft erkennen und betätigen. Einzig und allein auf diesem
Wege besteht eine begründete Aussicht, dass es dem menschlichen Geist einmal
möglich sein wird, die Grausamkeit des natürlichen Lebens, zu der auch die
Kriege unter den Menschen gehören, zu überwinden. Wer diese unwiderlegliche
Wahrheit leugnet — gegen dessen Versuche einer Friedensorganisation ist jeder
Zweifel berechtigt, dessen Jammern um die Millionen Kriegsopfer hat nicht
mehr Sinn und Bedeutung als das Wehklagen bezahlter Klageweiber.
Die Fakten also gehören zu dem Material, das der menschliche Geist braucht,
um, wie man so gerne und leichthin sagt, "schöpferisch" sein zu können. Aus
diesem Grunde verdienen auch sie Aufmerksamkeit — zumal das Gedächtnis
beklagenswert schwach und natürlicherweise, wie Freud gezeigt hat, nur zu ge-
neigt ist, Unangenehmes ins Unterbewusstsein zu verdrängen. So kann das Ge-
dächtnis ohne die Unterstützung einer bewusst gelenkten 'Aufmerksamkeit un-
absichtlicher und absichtlicher Entstellung historischer Tatbestände keinen Wi-
derstand entgegensetzen. Deshalb soll ihm hier in einem keineswegs "welter-
schlitternden", aber doch sehr bezeichnenden und deshalb in seinen möglichen
Auswirkungen nicht zu unterschätzenden Fall nachgeholfen werden.
In der September-Nummer von "D. A. D." erzählt in seinem George Grosz-
Artikel Ulrich Becher, dass am 10. Mai 1933 mit den Werken Heines, Marxens,
Einsteins usw. auch die Thomas Manns in Deutschland verbrannt worden seien.
Becher ist offenbar ein Opfer der "Weltpropaganda" geworden, die seit Jahren,
beharrlich und deshalb an Boden gewinnend. Thomas Mann als den repräsen-
tativen deutschsprachigen Antifaschisten hinstellt; es war für Becher, so scheint
es, ganz selbstverständlich, dass dieser "erste" deutsche Antifaschist auch zu den
"verbrannten Autoren" des Jahres 1933 gehören müsste. Demgegenüber ist der
historische Tatbestand folgender:
Im Jahre 1932 wird in Potempa (Oberschlesien) ein junger Arbeiter vor den
Augen seiner Mutter von Nazi-Mördern zu Tode getrampelt. Ein preussisches
republikanisches Gericht verurteilt sie zum Tode. Der "Führer'' Adolf Hitler
schickt den viehischen Mördern ein Telegramm, das in aller Welt verbreitet
wird, in dem er sie als "seine Kameraden" begrüsst. Am 30. Januar 1933 wird
dieser Adolf Hitler zum Reichskanzler des Deutschen Reiches ernannt. Die mei-
sten deutschen Schriftsteller, darunter viele anerkannte, so auch Thomas Mann,
gehen in die Emigration. Noch im Jahre 1933 beginnt Klaus Mann, des Thomas
ältester Sohn, unter dem Protektorat seines Onkels Heinrich Mann mit der
Herausgabe der antifaschistischen Monatsschrift "Die Sammlung", die der Hol-
länder Querido verlegt. Er kündigt als Mitarbeiter u. a. seinen Vater, Alfred
Döblin, Rene Schickele (sämtlich Autoren des S. Fischer-Verlages) an. Am 10.
Oktober 1933 warnt die "Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums"
im "Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel" vor den "literarischen Emi-
grantenzeitschriften", nennt die bekanntesten Mitarbeiter und schreibt: "Wer
heute in Deutschland Bücher kauft von Schriftstellern, die draussen im Aus-
land Deutschland aufs Schmählichste beschmutzen, die teilweise ganz bewusst
zum Krieg gegen Deutschland hetzen, macht sich des Landesverrats schuldig".
Darauf verlangt Dr. Bertmann, des verstorbenen S. Fischer Schwiegersohn und
Leiter des S. Fischer-Verlages, der sich geweigert hatte, seinen Verlag ins Aus-
land zu verlegen* hingegen in Paris stolz erzählte, dass die Nazis ihn wirklich
sehr wohlwollend behandelten — sie hätten ihn, wahrhaftig und auf Ehre, sogar
zu einer Sitzung der Schund- und Schmutzkammer geladen — verlangt Dr.
Bermann von seinen Autoren, dass sie sich öffentlich von der "landesverräte-
rischen Sammlung", distanzieren. Er erhält von allen oben Genannten die ent-
sprechenden Telegramme. Thomas Mann telegraphierte:
"Kann nur bestätigen, dass Charakter erster Nummer "Sammlung"
ihrem ursprünglichen Programm nicht entspricht"
und schrieb erläuternd: <
"Ergänzen Sie meine Erklärung logischerweise dahin, dass mein Name
von der Liste getilgt wird — denn darauf läuft sie hinaus."
. Dieser merkwürdige Fall blieb verständlicher Weise ausserhalb des Dritten Rei-
ches nicht unbeachtet. Die "Arbeiterzeitung", Wien, griff Thomas Mann an. Er
antwortete ajm 25. Oktober 1933: ... . .
. . Sicher ist, dass meiner Natur die rein positive und produktive Art,
dem höheren Deutschland zu dienen, in diesem Augenblick näher liegt
als die polemische, und damit hängt mein dringlicher Wunsch zusam-
men, mich, so lange es möglich ist, von meinem innerdeutschen Publi-
kum nicht trennen zu lassen. Das ist ein ideelles Interesse, das, wie
leicht zu erweisen wäre, mit grobem Opportunismus nicht das Gering«
ste zu tun hat. Es handelt sich tatsächlich und nachweislich nicht um
den "Markt"..."
Die Zeit ging weiter. Im Dritten Reich wurde eifrig gemordet und hingerichtet.
Zunächst nur Linksstehende. Es kam das Jahr 1934 mit dem Massenmord Hitlers
— 16 —
an seinen "Kameraden", worauf der Mörder seiner Kameraden und Kamerad
seiner Mörder sich zum Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches machte. Noch
immer vernahm man gegen das Dritte Reich nicht ein Sterbenswörtlein des
Nobelpreisträgers Thomas Mann, der sofort mit der Aufmerksamkeit der Welt
hätte rechnen können.
Erst im Ja'nre 19,36 sah sich Thomas Mann endlich veranlasst, öffentlich ge-
gen das Dritte Reich Stellung zu nehmen und wurde bald darauf aus-
gebürgert, des Doktor-Titels verlustig erklärt usw. Aber er hatte den in der Welt
bekannten Namen, er ist Nobelpreisträger — und so dauerte es garnicht lange,
und er war der repräsentative deutsche Antifaschist, der inzwischen von ver-
schiedenen Seiten bereits als Präsident des neuen demokratischen Deutschland,
das da entstehen soll, vorgeschlagen wurde. Dazu würde gut passen, dass seine
Bücher am 10. Mai 1933 verbrannt worden seien, — jedoch es ist leider nicht
wahr.
Dieser Tatbestand mag als eine Aeusserlichkeit angesehen werden, er ist aber
mehr: er ist bezeichnend für den speziellen Antifaschismus Thomas Manns. Die
von ihm selbst zugestandene Langsamkeit bei entscheidenden Entschlüssen kann
ihm nicht als Fehler angerechnet werden, wohl aber seine Neigung bei vielen
richtigen Erkenntnissen mit dem ihm zu Gebote stehenden Wort-Reichtum um
grundlegende Entscheidungen herumzureden und so ihnen auszuweichen. Die-
sen Charakter zeigt er auch noch in einer erst in diesen Tagen hier bekannt
gewordenen Arbeit, einer offenbar in den U. S. A. gehaltenen Rede über das
Thema "Schicksal und Aufgabe" ("Deutsche Blätter", Chile, Heft 7, 1944). Da
findet man viele richtige Bemerkungen, z. B. über die Mitschuld bestimmter
Kreise an dem Zustandekommen und dem Erfolg der faschistischen Regierun-
gen, er nennt die "Angst vor dem Bolschewismus", die überall in der Welt die
Reaktionäre, jedes Comite des Forges, den Adel, die vornehme Gesellschaft, die
Prinzen, das hohe Militär und "jenen Teil der katholischen Kirche, der im
Christentum vor allem Hierarchie, Bescheidung, devote Gebundenheit an das
Bestehende erblickt", zu Freunden der Diktatoren machte. Er stellt ausdrück-
lich fest: "... der Faschismus ... ist keine deutsche Spezialität, sondern eine
Zeitkrankheit, die überall zu Hause und von der kein Land frei ist". Das hindert
ihn freilich nicht, ausgehend von der Kunst Richard Wagners, den Nationalso-
zialismus dann doch für eine typisch deutsche Erscheinung zu erklären:
"Es handelt sich bei Wagner um eine archaische Revolution, in des
sich reaktionäre und zukünftige Elemente mischen... Nur dieses (das
"Vor-Konventionelle" und "Vor-Gesellschaftliche") scheint ihm über-
haupt für die Kunst geeignet. Sein Werk ist der deutsche Beitrag zur
Monumentalkunst des neunzehnten Jahrhunderts, die bei anderen Na-
tionen vorzüglich in der grossen sozialen Romandichtung erscheint...
Die deutsche Erscheinungsform dieser Grösse weiss vom Gesellschaftli-
chen nichts und will davon nichts wissen. Denn das Gesellschaftliche
ist nicht musikalisch und überhaupt nicht kujistfähig."
Bei dieser eindrucksvollen, geistfunkelnden Bemerkung müssen wir einen Au-
genblick innehalten und tief Atem holen. Und dann wird klar, dass der letzte
Satz schlechterdings nichts besagt, denn schon die Sprache (mit ihr das Den-
ken) und jede Kunst sind nur als soziale, gesellschaftliche Funktionen denkbar,
durch die Erlebnisse eines Menschen anderen mitgeteilt werden sollen. Einen
Sinn kann man ihm nur beilegen, wenn man statt "das Gesellschaftliche" "die
gesellschaftliche Konvention" setzt, die offenbar aurh gemeint ist. An anderer
Stelle seiner Rede illustriert Thomas Mann sehr hübsch den Gegensatz zwi-
schen gesellschaftlicher Konvention und dem von den Deutschen versuchten
Ausbruch aus ihr: "Es ist ein Unterschied, ob die zehn Gebote nicht gehalten
werden, wie es ja überall in der Welt der Fall ist, oder ob man sie für aufgeho-
ben erklärt." Für Thomas Mann jedoch hatte jene geistfunkelnde Bemerkung
sehr wohl einen Sinn, besser einen Zweck; sie sollte überleiten zu seiner tiefsten
Erkenntnis: . „
"Der deutsche Geist ist sozial und politisch uninteressiert. Im Tiefsten
ist diese Sphäre ihm fremd."
Das kann 1944 ein deutscher Nobelpreisträger in einer deutschsprachigen Zeit-
schrift, die auf "geistiges Niveau" Wert legt, schreiben. Ich erlaube mir zu fra-
— 17 —
gen: Wie steht es denn mit den diversen Geistern anderer Nationalität? Haben
sie die sozialen Probleme dieser Zeit etwa gelöst? Weshalb entstand die, freilich
fürs erste niedergeschlagene, internationale Arbeiterbewegung gerade auf dem
Fundament eines in deutscher Sprache entwickelten wissenschaftlichen soziolo-
gischen Systems, des Marxismus? Weshalb stellte die deutsche Arbeiterschaft die
grössten sozialistischen Arbeiter-Organisationen? — offenbar, weil "der deut-
che Geist..." Jener bildschöne Satz ist also ebenfalls falsch, aber für Thomas
Mann hat er Bedeutung. Er kommt mit seiner Hilfe zu einer wirklich kostba-
ren Theorie des Nationalsozialismus:
"Angesichts zeitlicher Probleme führt er (jener angebliche Mangel
des deutschen Geistes) zu Lösungsversuchen, die Ausweichungen sind
und das Gepräge mystischer Surrogate für das wirklich Soziale tra-
gen. Es ist nicht schwer, im sogenannten Nationalsozialismus ein
solches mystisches Surrogat zu erkennen. Aus der politischen Termi-
nologie ins Psychologische übersetzt, heisst Nationalsozialismus: "Ich
will überhaupt das Soziale nicht, ich will das Volksmärchen" . . . Bs
ist schauerlich und beschämend, zu sehen, wie die zivilisierte Welt
sich auf Tod und Leben herumschlagen muss mit der politisch herun-
tergekommenen Lüge einer aggressiven Volksmärchen-Poesie, die in
ihrer früheren geistigen Reinheit der Welt so viel Schönes zu geben
hatte."
Auf einen Zusammenhang des Nationalsozialismus mit Volksmärchen-Poesie
kann wirklich nur ein solch differenzierter und differenzierender Seelenkünst-
ler wie Thomas Mann kommen. Doch in der Kompliziertheit liegt nicht im-
mer die richtige Erkenntnis. Freilich ist der Nationalsozialismus eine "Aus-
weichung", aber das Ausweichen der um ihre Privilegien zitternden Bürger-
klasse vor der moralisch, sozial und wirtschaftlich als notwendig erkannten
und gefühlten Umwälzung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustän-
de. Deshalb ist der Faschismus überall da entstanden, wo die Situation für
die Umwälzung objektiv reif war; er wurde jeweils von der Klasse der Bevor-
rechteten etabliert, aber nicht als "Volksmärchen-Poesie", sondern als raffi-
nierte Kultivierung niedrigster Instinkte, des Hasses, des Neids, der Grausam-
keit, mit Hilfe von Beeinflussungsmethoden, die die Erfahrungswissenschaft
der (Massenpsychologie zur Verfügung gestellt hatte, und gleichzeitiger Ver-
höhnung des menschlichen Intellekts, der menschlichen Vernunft. Diesem
an sich nicht gerade gewinnend und gefällig sich darbietenden Tatbestand
weicht Thomas Mann durch seine "Volksmärchen"-Theorie aus; man kann
vermuten, dass dabei etwas Unangenehmes verdrängt werden soll: die Tatsa-
che nämlich, dass Thomas Mann, natürlich ohne Absicht, zu den geistigen Vor-
bereitern des Nationalsozialismus gehört, und zwar durch seine als neueste,
feinste, differenzierteste Erkenntnis vorgetragene Diffamierung der Vernunft.
Er spricht in seiner Studie über die Stellung Freuds in der (modernen Geistes-
ges;ihichte von einer "antirationalen wissenschaftlichen Gesamtbewegung von
heute" (was Unsinn ist, denn eine Wissenschaft kann nur rational sein), legt
dar, wie sehr die Psychoanalyse jene auf die Einschränkung des materialisti-
schen Vernunftglaubens hinzielende Entwicklung der neuesten Zeit gekrönt
und bestätigt habe. Er schwelgt in dem Gedanken, dass die Psychoanalyse mit
ihrer "Betonung des Dämonischen in der Natur" "so antirational wie nur ir-
gendeine Ausprägung des neuen Geistes" sei, der "mit den mechanistisch-ma-
terialistischen Elementen des neunzehnten Jahrhunderts in siegreichem Kamp-
fe" liege. (Die Leistung der Psychoanalyse besteht in Wirklichkeit darin, dass-
sie nächtige Gebiete der menschlichen Seele der rationalen Erkenntnis zu-
gänglich und damit seelische Verkrampfungen heilbar gemacht hat.) Mit der
Machtübernahme durch die Nazis siegte in der Tat das "Dämonische" in der
menschlichen Natur als modernste "Ausprägung des neuen Geistes". Aber
dem grossen Verehrer des Irrationalen wurde im Anblick des Sieges mit der
Zeit doch etwas ängstlich zu Mute, und so bequemte sich der nuancenreiche
Künstler, der weit "jenseits von Gut und Böse" gelebt hatte, schliesslich doch
zu dem Zugeständnis, dass es nötig sei, wieder zwischen Gut und Böse zu un-
terscheiden, ohne freilich sich um eine klare Definition dieser Begriffe zu be-
mühen (die hätte ja auch nicht anders als rational gefunden werden kön-
— 18 —
nen). Und in der genannten jüngsten Rede kann er sogar das folgende weite-
re Zugeständnis nicht vermeiden:
"Bs ist ein entsetzlicher Anblick, wenn der Irrationalismus populär
wird. (Der Ton soll offenbar auf "populär" liegen; der Irrationalis-
mus ist nur etwas für feine Leute!) Man fühlt, es muss ein Unglück
geben, ein Unglück, wie die einseitige Ueberschätzung der Vernunft
(da denkt er sicher an Kant, der für den "modernen" Nietzsche ein
"Begriffskrüppel" war) es niemals herbeiführen kann. Diese kann
komisch sein in ihrer optimistischen Pedanterie und kann lächerlich
blossgestellt werden durch die tieferen (sie!) Kräfte des Lebens; aber
sie fordert nicht die Katastrophe heraus."
So wftre, sollte man meinen, die Vernunft immerhin ein Fortschritt für die in
Blut watende Menschheit — aber die Vernunft muss für Thomas Mann gera-
dezu etwas Schreckliches sein — nämlich schlechterdings die Langeweile. Denn
also lässt er sich sogleich zum Trost vernehmen:
"Bs besteht nicht die geringste G-efahr, dass je die Vernunft über-
hand nehmen, dass es je zu vernünftig zug«hen könnte auf Erden. Bb
besteht keine Gefahr, dass die Menschen eines Tages zu emotionslo-
sen Engeln werden, was sehr langweilig wäre."
Solch groteske Behauptungen kommen zustande, wenn eine "geistige Promi-
nenz", die keine moderne "geistige" Regung vorübergehen lässt, ohne zu ihr
ausführlich Stellung zu nehmen, sich beharrlich weigert, von dem Fundament
der neuzeitlichen Philosophie, dem kritischen Idealismus Kants, Kenntnis zu
nehmen, aber trotzdem von "Vernunft", "tieferen Kräften des Lebens'' usw.
spricht. Fr kann natürlich, als Antifaschist und "Demokrat von oben", der er
Ist — die Demokratie von unten bringt nach seiner Meinung die Gefahr mit
sich, dass Mr. Smith auf den Gedanken kommen könnte, Beethoven gönner-
haft auf die Schulter zu klopfen und sich nach seinem Befinden, zu erkundi-
gen — nicht umhin, viel von Freiheit, Wahrheit zu reden, er erkennt auch
an, dass diese Gedanken "einer überbiologischen Sphäre" angehören, er kommt
sogar zu der Forderung eines "für alle gültigen, von allen anerkannten Grund-
gesetzes" — aber er erwähnt Kant mit keinem Wort. Kant, der dieses Grund-
gesetz für alle vernünftigen Wesen, die keine "langweiligen Engel" zu sein
brauchen, sondeni nur ihr Triebleben nach der Richtschnur jenes Grundge-
setzes immer besser beherrschen und damit immer mehr der Freiheit, die
Kein leeres Wort ist, teilhaftig werden sollen — jenes Grundgesetz als das au-
tonome Grundgesetz des in allen Menschen in der Anlage gegebenen Ver-
nunftvermögens in eine mathematisch präzise Formel gebracht hat — vor 150
Jahren. Themas Mann indessen begnügt sich weiter mit der Forderung der
'christlich abendländischen Gesittung". Dass diese eigentlich noch nie be-
standen hat, wie er selbst andeutet — "Es ist ein Unterschied, ob die zehn
Gebote nicht gehalten werden, wie es ja überall in der Welt der Fall ist. . ."
— das ist eben eine gesellschaftliche Konvention. Da sein Thema den Begriff
einer den Menschen gestellten Aufgabe enthält, muss er notwendigerweise
auch von Pflicht und Verantwortung reden. Eine einleuchtende und zwingen-
de Begründung für diese Pflicht und diese Verantwortung könnte er, wenn er
sie nicht als "göttliche Gebote" einführen will, was man heute einem "geistig
anspruchsvollen" Publikum doch nicht gut antun kann, wiederum nur in dem
Kantischen Syste-n der Vernunftkritik finden. Doch die existiert für ihn nicht.
Und so gibt der Nobelpreisträger tatsächlich als einzige Begründimg die fol-
genden Worte:
"... denn irgendwie verantwortlich ist der Mensch für sein Sein
und Tun."
Irgendwie, irgendwo, irgendwann gibt's ein Glück. Solche Weisheit galt bis-
her nur in der Operetten-Welt. Sie im Anbli k des Weltkrieg-Blutsumpfs für
unser reales Leben darzubieten, ist eine Zumutung, die ebenso wie jede Fröm-
melei, zurückgewiesen werden muss. Sapere aude! Wage zu erkennen und da-
nach zu handeln! Wir wollen uns unserer Vernunft, die nicht etwa mit Ge-
rissenheit und Schläue verwechselt werden darf, sondern die die formende
Kraft aller unbezweifelbaren kulturellen Leistungen der Menschheit war, zu
bedienen wagen — das ist nämlich iim Foreich der "hohen Politik", so verwun-
derlich es erscheinen mag, noch nie versucht worden.
— 19 —
Aus der Österreichischen politischen Emigration
OESTERREICH IN DER FRONT
Der beispiellose Siegeszug der Roten
Armee vom Dnjester zur Theiss und
zur Save, von Kischinew bis Buda-
pest und Belgrad hat Oesterreich aus
dem Hinterland des deutschen Etap-
penraums in die vorderste Kampf-
front vorgerückt. Wenn diese Zeilen
den Leser erreichen, kann die Be-
freier-Armee schon im Blickfeld des
Stefansturmes stehen, mag das Don-
nern ihrer Geschütze schon den Wie-
nern ins Ohr dröhnen.
So angespannt und sehnsüchtig wie
diesmal haben nicht einmal unsere
Ahnen nach den Befreiern aus dem
Osten Ausschau gehalten: denn da-
mals standen die Janits:haren Soli-
mans vor den Toren der Stadt, die
Janitscharen Hitlers aber halten sie
besetzt. Die frohen Weinstätten der
Vororte, Nussdorf, Sievering und
Grinzing allerdings, das liebliche
Liebhardtstal nicht zu vergessen, wa-
ren auch damals schon, ebensosehr
zum Missvergnügen der Wiener wie
heute, in der Hand des gehassten
Feindes.
Harrend, hoffend, fiebernd warten die
Landsleute in der Heimat und mit
ihnen die Oesterreicher in der Emi-
gration, was die nächsten Wochen
bringen werden. Wir österreichischen
Sozialisten sind in Gedanken bei un-
seren Genossen, bei den Proleten des
Roten Wien, bei den Arbeitern und
Angestellten im Traisen- und Tris-
tingtal, in Miirzzuschlag, in Kapfen-
berg und Donawitz, in St. Pölten,
Kleinmünchen, in Wolfsberg, in Dorn-
birn und überall. Sie haben in den
Jahren des bodenständigen Kleriko-
faschismus der Idee und der Partei
die Treue bewahrt, umso gewisser dür-
fen wir erwarten, dass sie dem ih-
rem ganzen Wesen fremden Nazifa-
schismus in starrer Feindschaft ge-
genüberstehen, der ihnen nichts ge-
bracht als unerträglichen Zwang und
Geistesknechtung, gesteigerte Nöte
des täglichen Lebens und das namen-
lose Grauen des Krieges.
OBSTERREICHISCHER UNTERGR1
Alle halbwegs verbürgten Berichte aus
der Heimat — die Zahl der unver-
bürgten ist Legion — stimmen darin
überein, dass die Bevölkerung Oester-
reichs in überwältigender Mehrheit
den deutschen Eroberern mit kaum
noch verhohlenem Hass begegnet,
dass die Sabotage der Kriegsanstren-
gungen der deutschen Armee von Ar-
beitern und Bauern mit allen Mitteln,
die unter den Augen der Gestapo zu
Gebote stehen, betrieben wird. Aber,
so lesen wir in einem Erricht der Lon-
doner "Zeitung" vom 11. Aug., "über
entscheidende revolutionäre Aktionen
in Oesterreich liegen leider keine ver-
bürgten Nachrichten vor"... "Die
schwierigste und für Oesterreichs Zu-
kunft bedeutungsvollste Frage bleibt
jedoch", schreibt "Die Zeitung", "ob
man vom Bestehen einer offenen Wi-
derstandsbewegung und organisierten
Opposition in Oesterreich sprechen
kann".
Gewiss ist, dass es in den Industrie-
betrieben in Oesterreich Kadres einer
revolutionären Untergrundbewegung
gibt, die auf den Tag wartet, da sie
losschlagen kann. Darüber sind die
Auslandsgruppen der österreichischen
Sozialisten unterrichtet. Ueber diese
Untergrundbewegung hat der Stock-
holmer Korrespondent der Chicago
Daily News, Nat. A. Barrows, seinem
Blatt einen Bericht gesendet, den die
"Prensa" am 17. Oktober wiedergab.
Barrows nennt als Quelle seines Be-
richtes einen Oesterreicher, der nach
Stockholm entkam. Aber die Erzäh-
lung dieses Oesterreichers enthält De-
tails, die seine Glaubwürdigkeit
schwer erschüttern. Er erzählt, dass
Hitler einmal den E-etrieb, in dem er
als Fachmann für Bombenfabrikation
arbeitete, besuchte. Der Führer frag-
te ihn, wo er her sei, und auf die Ant-
wort "aus Wien", habe Hitler ausge-
rufen "ausländisches Schwein". Da
Hitler selber Oesterreicher ist und der
letzte, der jemals das Oesterreich der
— 20 —
Nazis als Ausland bezeichnen kann
und würde, ist die Erzählung schon
bis hierher unwahrscheinlich. Völlig
unglaubwürdig ist aber ihre Fortset-
zung: Empört über diese Beschimp-
fung habe er versucht, dem Führer
einen Schlag ins Gesicht zu verset-
zen, der fehlging. Der Täter befürch-
tete erschossen zu werden, aber nichts
geschah, er wurde nicht einmal ver-
haftet, die Nazis schätzten zu sehr
seine fachliche Qualität als Techniker.
Das soll man glauben, wo man weiss,
dass die Nazis erstklassige militärische
Fachleute liquidiert haben, die nur im
Verdacht oppositioneller Gesinnung
standen. — Dieser Gewährsmann er-
GERUCHTERSTATTUNG
Die Annäherung der Roten Armee an
die Grenzen Oesterreichs hat natur-
gemäss die Schleusen der journalisti-
schen Gerüchterstattung über Oester-
reich sperrangelweit aufgerissen. Der
leider wenig verlässliche Ankara-Sen-
der berichtet am 14. Oktober aus
Bern, dass in den letzten Wochen
Friedensdemonstrationen in Wien ver-
anstaltet wurden, bei denen es 60 To-
te und Hunderte von Verwundeten
gab; noch immer sei die Ruhe in
Wien nicht wiederhergestellt. Dem
Ankara-Sender sind erst kürzlich von
der Tassagentur Phantasieberichte
von der ihm viel näher liegenden bul-
garisch-türkischen Grenze nachgewie-
sen worden. Dennoch wollen wir dem
seherischen Kick des türkischen
Rundfunks über Berg und Tal, Meer
und Fluss hinweg unsere Bewunde-
dung nicht versagen.
"Die Zeitung";, London, 25. August,
reproduziert eine Fülle von Lokalnach-
richten aus österreichischen Provinz-
blättern, die das Bild eines dem Na-
ziregime loyalen Donaulandes illu-
strieren sollen: Dankkundgebungen
für die Rettung des Führers mit
300.000 Teilnehmern in Wien, 40.000
in Linz, 30.000 in Salzburg, Ziffern
über die steigende Lebensmittelliefe-
rung der Bauern, 71 Kriegsverdienst-
kreuze in Mödling allein für hervor-
ragenden Einsatz der Zivilbevölke-
rung bei Luftangriffen, 176 Kriegs-
freiwillige des Geburtsjahr ganges
1927/28 im Kärntner Bezirk Spittal
allein usw. Als Gegenbeispiele zitiert
das Blatt: Oesterreich ist in hellem
Aufruhr. Allerorts greifen die wehr-
zählte dem Korrespondenten, die ge-
heime Antinazi-Organisation in Wien,
die grosse Vorräte an Waffen und
Mundvorräten verborgen halte, erwar-
te den Tag, da sie sich offen gegen
Hitler erheben könne. Ihre Mitglieder
hätten die Lektion des verfrühten
Aufstandes in Warschau gelernt. Sie
würden den Ausbruch der Operatio-
nen hinausschieben, da sie wüssten,
dass ein falscher, vorzeitiger Schritt
die Zerstörung der Stadt na>ch sich
ziehen würde. — Man muss innig
wünschen, dass dieser Bericht nicht
nur gut erfunden, sondern auch wahr
sei. Ist er es aber, dann wäre er bes-
ser nicht erstattet worden.
fähigen Männer und Knaben zu den
Waffen. Eisenbahnbrücken, E-Werke
und Bleierzgruben fliegen in die Luft,
von deren Belegschaften sich 1000
Mann den Partisanen anschliessen, für
die die Frauen in Osttirol Jumper
und Stutzen stricken, die Wäsche
flicken und die Grazer (ausgerechnet
die Grazer!) Lebensmittel sammeln.
In Kärnten werden 15 Lastkraftwagen
mit SS-Männern überfallen. Die Be-
hörden können die Verbrüderung der
Bevölkerung mit den Partisanen nicht
verhindern. Aus Villach fliehen die
Nazis Hals über Kopf. In einer Wie-
ner Kirche wurde ein Gedenkgottes-
dienst für 34 Oesterreicher abgehal-
ten, die wegen versuchten Wiederauf-
baus des christlichsozialen Partei hin-
gerichtet worden waren usw. Der Le-
ser der Londoner Emigrantenpresse
vermag unschwer die Quelle dieser
Wunschsendungen zu identifizieren:
es müssen wohlmeinende österreichi-
sche "Patrioten" sein, die glauben, da-
mit ihrer Sache zu dienen.
Es ist unendlich schwer ein wahr-
heitsgetreues Bild über die Lage in
einem Lande zu erwerben, dessen
Nachrichtenquellen so strikt kontrol-
liert sind, wie es im Bereich der Ge-
stapo der Fall ist. Wieviel wissen wir
über die inneren Vorgänge in Frank-
reich, in Italien, in Ländern, die doch
unter einer von der öffentlichen Mei-
nung der demokratischen Welt kon-
trollierten Verwaltung stehen?
*
FRONT UND ETAPPE
Gewiss ist, dass sich grosse Dinge in
und um Oesterreich vorbereiten. Die
— 21 —
entscheidungsschwere Situation wür-
de erfordern, dass die politische
österreichische Emigration, die ein
Bild beklagenswerter Zersplitterung
bietet, endlich sich selber und zu ih-
rer einzigen Aufgabe findet: in der
Freiheit der demokratischen Welt
die Zukunft des neuen Oesterreich
ideologisch und propagandistisch vor-
zubereiten und sich bereit zu ma-
chen für die Hilfeleistung an das
Oesterreich, das morgen in einem
Kampfe um Leben und Existenz ste-
hen wird, entscheidungsvoll für das
Geschick von Generationen. Die Ver-
suchung ist riesengross, in die Rolle
des Kiebitz zu verfallen, dem kein
WHAT TO DO ABOUT AUSTRIA?
What to do about Germany — was
soll mit Deutschland geschehen? Die
Frage steht heute im Mittelpunkt der
internationalen Diskussion zwischen
den Staatsmännern der Alliierten
Mächte. Bücher werden darüber ge-
schrieben, Zeitschriften damit gefüllt,
die Weltpresse und der Weltrundfunk
widerhallen von ihr. Oesterreich? —
da schweigen alle Geigen. Es ist kaum
möglich etwas über die Absichten der
präsumptiven Sieger zu erfahren,
während man genau weiss, mit wel-
chem Plan Herr Morgen thau einge-
froren ist und was der Kreml dazu
meinte.
Es herrscht in vielen Zirkeln der Emi-
gration ein Optimismus über die Be-
handlung des befreiten Oesterreichs,
der leider in den Tatsachen wenig be-
gründet ist. Das Beispiel der Behand-
lung, die den bisher befreiten Ländern
widerfährt, selbst dem verbündeten
Frankreich, müsste als Warnung die-
nen. Am 14. 8. meldete die Associated
Press aus London, dass Grossbritan-
nien, die USA und TJSSR zu einem
Einvernehmen über die Verwaltung
Oesterreichs nach der Befreiung ge-
kommen seien; diese werde von einer
gemischten Kommission der drei
Mächte durchgeführt werden, die dem
für Italien geschaffenen Rat ähnlich
sei, bis das Volk von sich aus über
seine politische und wirtschaftliche
Zukunft entscheiden könne. Die ONA
reproduziert am 30. 9. eine Meldung
aus Bern, nach der die grundlegen-
den Bedingungen des Waffenstillstan-
des zwischen Deutschland und Oester-
reich keinen Unterschied machen
Einsatz zu hoch ist, und ein grosser
Sektor dieser Emigration ist dieser
Versuchung bereits erlegen. Ununter-
brochen kommandiert er die Oester-
reicher auf die Barrikaden. Den Zeit-
punkt der Reife der revolutionären
Situation müssen diejenigen entschei-
den, die am Tatort sie führen wer-
den. Leinin und Trotzki sind zuerst
nachhause gefahren, dann haben sie
den Oktober entfesselt. In den Ta-
gen, da wir in Oesterreich die Kinder-
krankheit des Radikalismus durch-
machten, sagte Victor Adler: Ein je-
der von uns sollte von den anderen
nur soviel Revolution verlangen, als
er selbst beizutragen vermag.
werden. Nach einigen Diskussionen
zwischen Moskau, London und Wa-
shington wurde vereinbart, dass
Oesterreich von den drei Grossmäch-
ten gemeinsam besetzt werden soll;
in Uebereinstimmung mit der Mos-
kauer Deklaration werde es jedoch
viel früher als Deutschland eine ei-
gene Regierung haben. Diese Regie-
rung werde eine unpolitische sein und
aus antinazistischen E-eamten beste-
hen, die mit dem Verwaltungsmecha-
nismus" vertraut sind.
In diesem zweiten Projekt ist schon
nicht mehr von einer Entscheidung
des Volkes die Rede. Vorausgesetzt,
dass die Berner Meldung wahr ist —
die offiziellen Stellen der alliierten
Mächte hüllen sich in Stillschwei-
gen —, kann man diesen Plan nur
mit den klassischen Worten begos-
sen, in die der Schutzbündler Franz
Paspischl ausbrach, als ihm am 10. 3.
1934 der diensthabende "Kaes" in mei-
ne Zelle einlieferte: "Servas, gut
schaun m'r aus! Hast was zum Fres-
sen?"
Was diese letztere Frage betrifft, so
wird sie das befreite Oesterreich kaum
so positiv mit einem Ja beantworten-
können, als ich in der Lage war, es
zur Befriedigung des Genossen Pospi-
schil zu tun. Denn eine Sache scheint
bereits ausgemacht zu sein: die
ÜNRRA, die Institution der Vereinig-
ten Nationen, die mit der Versorgung
der befreiten Länder beauftragt ist,
wird sich um Oesterreich nicht küm-
mern. rein wohlmeinender Freund
Oesterreichs, Professor E. A. de Se-
vere, hat sich bereits in einem Aufruf
— » —
an die englische Oeffentlichkeit ge-
wendet, um eine Bewegung zu entfa-
chen, die die Alliierten Regierungen
zwingen soll, Oesterreich freundlicher
entgegenzukommen.
Was nun die "unpolitische" Beamten-
regierung anlangt, die die Alliierten
einsetzen würden, um dem Namen
nach das Versprechen der Freiheit und
Unabhängigkeit Oesterreichs zu er-
füllen, so wäre sie noch schlimmer als
die Verwaltung des Landes durch
AMGOT, die sich schon in Italien so
glänzend bewährt hat. Denn eine nicht
dem österreichischen Volke und sei-
nen demokratischen Institutionen,
sondern der Alliierten Kommission
verantwortliche Regierung wird des
einen entbehren, worüber die AMGOT
noch verfügt: die direkte Verbindung
mit und den Einfluss auf die Alliier-
ten Regierungen. Für die Alliierten ist
sie der Versuch, die Verantwortung ab-
zuwälzen; für die Oesterrei:her wird
sie die Wiederholung eines Experi-
mentes sein, das uns schon einmal zum
Hals herausgewachsen ist: die Dikta-
tur der Hofräte, auf das praktisch das
Dollfuss-Schuschnigg-Regime hinaus-
gelaufen ist, das unfähigste Regie-
rungssystem, unter dem die in diesem
Punkte nicht verwöhnten Oesterrei-
cher jemals gelitten haben; als jeder
Ministerialreferent das Wiehern seines
Steckenpferds — es war ein Amts-
schimmel — im Bundesgesetzblatt ab-
drucken liess zur Befolgung und Dar-
nachrichtung für jeden Staatsbürger,
widrigenfalls usw. usw.
Neben der Nahrungssorge ist das
brennendste Problem des befreiten
Oesterreich die Erhaltung und Ingang-
haltung des ungeheuer angewachsenen
Industrieapparates, den die deutsehe
Kriegswirtschaft auf dem Boden un-
seres Vaterlandes zurücklassen wird.
Was werden die Hofräte damit an-
fangen? Sachdemobilisierung wie
1919? Wollersdorf wie 1920? Nicht
wolle das Gott, sprach mit Demuts-
sinn schon der erste Reichsdeutsche,
der Oesterreich invadiert hat.
Oesterreichs Volk ist reif zur Selbst-
verwaltung, reifer als irgendeines der
Völker, die Europa östlich des
Rheins bewohnen. Das Jahrzehnt seit
1934, da ihm diese Selbstverwaltung
gewaltsam entzogen war, darf nicht
unter dem Banner der siegreichen De-
mokratie verlängert werden.
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