J1 DA' S ^ ANDE R E D E UTS C Fi L AN D ORGANO DE LOS . ALEMANES DEMOCRATICOS ' DE .AMERICA DEL ^ S U R; HELDENEHRUNG IN BERLIN llillillllii WRMWMM (Mit frdl. Erlaubnis des "Buenos Aires Herald"|j Zu Ehren der vielen Tausenden deutscher Antifaschisten, die in den Konzentrations- lagern ermordet wurden, fand im Berliner WernerSeelenbinder-Stadion eine Kund- gebung statt, die von 70.000 Personen besucht war. Stürmische Ovationen wurden den Ueberlebeinden der Konzentrationslager bereitet, von denen einige in Sträflings- kleidung an der Veranstaltung teilnahmen. ÜLLÜP S AIRES • TUCUMAN 309 » 3 1 R E T 1 R O 7 2 6 4 NUMERO 104 • 15 DE 'OCTUBRE DE 1 9 4 5 • A R O, x V I L " Deutsche Bibücthek Frankfurt am Mein DAS ANDERE DEUTSCHLAND BRIEFE AN D.A.D E3 M '•» fen, noch einmal zu praktischer Zu- sammenarbeit zu kommen. Willy Keller, Rio de Janeiro. 2 DAS ANDERE DEUTSCHLAND LA OTfiA ALEMANIA (fundado »I 7 de junio de 1937) Registro necional de la Propiedad Intelectual No. 178.948. Autorizado por Resoluclön no. 214 del Ministro del Interior (11 abril 1945) Confirmado por Decreto No. 20.916 (6 sept. 45) del Superior Gobierno de la Naciön. Editor y Director: Dr. Augusto Siemsen. Tesorero: Juan Carl. Avisos: Suillermo Fleischer Redacciön y Administration; Tucumän 309, Buenos Aires (U. T. 31-7264) Einzelnummer: 20 Cts. Jahresabonnement: 4.80 Pesos argentinos (im voraus zahlbar) Geldbeträge erbitten wir aus- schliesslich per Giro oder Bono Postal oder Scheck auf Sr. Juan Carl, Tucumin 309, Bs. Aires. DAS ANDERE DEUTSCHLAND ist kein auf Profit ausgehendes Geschäftsunternehmen. Es lebt nur dank der Unterstützung sei- ner Freunde. Spendet für den Pressefonds! Erscheint am 1, und 15. eines jeden Monats. Aus dem Inhalt: Arbeiterbewegung (S. 4) Buchenwatcf(S. 5) Hans Schnog: Rückkehr (S. 7) Hans Sievers: Zwischen zwei Welten (S. 8) » , Johan Luzign: Was blieb von den herrlichen Worten... (S. 8—9) « Berichte aus Deutschland (S. 10) « Hungerwinter und Hungertod (S. 11) Appell der Sudetendeutschen Sozialisten (S. 13) C'est la guerre (S. 14) # Neue Bücher (S. 15) Sende Ihnen hiermit 100 $ als Be- zahlung des Bezugspreises Ihrer wer- ten Zeitschrift. Hoffen wir, dass Ihre Bemühungen um ein anderes Deutsch- land zur Wirklichkeit werden. Wir lesen Ihre Zeitschrift mit grossem In- teresse. P. S. Kapuziner-Mission Panguipulli (Chile) . . . Wir haben, wenn auch leider nicht regelmässig, ,,Das Andere Deutschland" bekommen undxnit Kra- sser Freude festgestellt, dass wir wohl in allen wesentlichen Fragen die Dinge und unsere Aufgaben in -der gleichen Weise beurteilen. Ge- rade dies ist der Grund für meinen Wunsch, mit Dir wieder in Verbin- dung1 zu kommen, denn Du bist Dir wohl auch darüber klar, das es nicht sehr viele Menschen gibt, die eine so unabhängige, kritische und zu- ' gleich positive Haltung haben, wie sie in Deinen Artikeln und überhaupt in Burer Zeitung zum Ausdruck kommt. Walter Fabian, Zürich. . . . Die letzten Nummern des Andern Deutschland sind wirklich ganz aus- gezeichnet. Die Nummern, die ich ge- legentlich zu Propagandazwecken verschicke, werden auch bei bisher nichtpolitischen jüdischen Emigran- ten als sehr gut beurteilt. Bis jetzt, d. h. seit einiger Zeit, ist unsere Gruppe — ganz objektiv ge- sprochen- — die einzige, in der etwas geleistet wird, durch ziemlich häufi- ge Referate, Veröfentlichungen und ähnliches mehr . . . Erhart Löhnberg, La Pas. . . . „Das Andere Deutschland" hat sehr gewonnen. Wir werden alles tun, um den hiesigen Leserkreis zu erwei- tern. Unsere „Briefe" beginnen sich durchzusetzen, so dass wir uns ge- zwungen sehen, sie beizubehalten, ob- wohl sie nur als Lückenbüsser für die Zeit gedacht waren, in der wir das DAD nicht oder nur sehr unregelmä- ssig erhielten. Da die „Briefe" in por- tugiesischer Sprache geschrieben sind, erfassen sie ja auch ein ande- res Lesepublikum und erfüllen da- mit eine andere propagandistische Aufgabe. Ab 11. August haben wir zum ersten Mal einen Informations- dienst für die hiesige Presse heraus- geben und greifen damit einen alten Vorschlag von Ihnen auf. Wir wä- ren Ihnen dankbar, wenn Sie uns per Flugpost alles Material zugehen liessen, das wir für den Pressedienst verwenden könr.en. Band 2 der Not- bücherei ist in Vorbereitung und zwar ausgewählte Gedichte von Car- los Dz'ummond de Andrade . . . Dieser Brief soll Ihnen die Gewissheit geben, dass wir nach wie vor auf Ihrer Seite stehen, und dass wir hof- . . . Ich bekomme ziemlich regel- mässig „Das Andere Deutschland" und bin einverstanden wie mit kei- ner anderen Veröfentlichung . . , Es ist alles so gekommen, wie wir ■es vor dreizehn Jahren vorausgesehen haben — uod doch ganz, ganz an- ders. Denn dieser Hitler hat viel grösseres Unheil angerichtet als die meisten Menschen heute wissen. Die Häuser sind kaputt. Aber die Herzen und Gehirne auch. Und keineswegs nur in Deutschland. Im Gegenteil Gerade von den Leidenden und Un- terdrückten, zu denen ja auch Deutschland gehört, erwarte und er- hoffe ich am meisten. Hier gehta erst los, wenn der Krieg „vorbei" ist. S. H-, Washington. Im argentinischen Hinterwald gibt es anscheinend immer noch ein paai Nazis. Neulich wurde in Eldorado (iMisiones) der Chaplin-Film „Ei Gran Dictador' aufgeführt. Das Haus war ausverkauft. In der Nacht vor der Aufführung hatten Nazijünglinge alle Filmplakate abgerissen. Das Worten „WIR LEBEN NOCH" über- malt. Die Gendarmerie verhaftete in der landwirtschaftlichen Koopera- tive angebrachte, hatten sie mit den Worten „WIR LEBEN NOCH" über- malt. Die Gendarmierie verhaftete die Peges Thuman, Jahn und Hüb« ner und liess sie nach 5 Tagen Haft als unheilbar wieder laufen. Unverändert hitlertreu sind die Peges im Ruderklub „Gaviota", San Fer- nando. Der Hindenburg vom Ostel- bier-Skandal hängt immer noch im Vereinslokal. Daneben wird als Re« lique ein riesiger Nagel aufbewahrt, an dem SEIN Bildnis hing. Es wur- de vor zwei Monaten entfernt nnd steht seither eingeschlossen in einem Schrank ... in Erwartung besserer Tage. Die Nazis im Vorstand mei- nen, dass sie durch die Wahl eines argentinischen Vositzenden bei der kommenden Generalversammlung sich allen Zugriffen der argentini- schen Aufsichtsbehörden entziehen können. Sie dürften sich irren. Nachrichten über Angehörige in Deutschland und Oesterreich Diejenigen Personen, die Familienan- gehörige oder persönliche Freunde aus Deutschland oder Oesterreich suchen, können sich unter Angabe von möglichst präzisen Daten (Ge- burtsdatum, Beruf, Geburtsort, letz- ter Wohnort etc.) an die Administra-- tion des DAD, Tucuman 309, Bs. As,, wenden, das sich bemühen wird,_ in Zusammenarbeit mit dem "United Kingdom Search Bureau for German» Austrian and Stateless Persons from Central Europe", die Verbindung her- zustellen. Für die Luftpostbeförderung bitten wir einen Bono Postal über {einen Peso beizufügen. 7 i 'V x g DAS ANDERE DEUTSCHLAND 3 Ein Silberstreifen am Gewitterhimmel NACH DER LONDONER KONFERENZ OBREROS ESTADOUNIDENSES DESEAN AYUDAR A LOS OBREROS ANTIFASCISTAS DE ALEMANIA E ITALIA Nueva York. — La Union Internacional de Tapiceros, importante sindicato obrero de la Union, adherido a la Federaciön Ameri- cana del Trabajo, ha dado ha conocer un vibrante llamado en favor de los obreros alemanes e italianos antifascistas. Refirien- dose a la desesperante situacion alimenticia que impera en. Europa y que amenaza las vidas de siete millones de alemanes, expresa el örgano oficial del referido sindicato norteamericano: 11 Los trabajadores de los EE. UU. tenemos una pesada respon- sabilidad en el futuro de Europa. Deseamos que se les de a los pueblos la oportunidad de reconstruir su libertad y su democra- cia, la libertad de asociaciön y de actividad, asi como tambien los derechos inherentes a su dignidad humana, bases impres- cindibles para una paz duradera. Los pueblos de Europa re- quieren ayuda para conservar el orden, prevenir el hambre y las enfermedades y restaurar su viaa econömica, asi como una urgente asistencia alimenticia. En nuestra condiciön de trabaja- dores deseamos hacer todo lo posible para acudir en ayuda de los obreros alemanes y creemos que estamos en condiciones de depararles nuestra cooperaciön aün privändonos en alguna medida de nuestra actual situacion alimenticia. Durante la guerra, Hitler destinaba a los ciudadanos alemanes alrededor de 2.000 calorias diarias por persona, siendo la raciön- para los judios y los obreros esclavos en extremo reducida. Hoy en dia el pdnorama es muy diferente. Los obreros extranjeros de Ale- mania y los pueblos lib'erados de Europa reciben consideracion especial en cuanto al abastecimiento de provisiones, mientras que el ejercito de EE. UU. ha destinado una raciön de 1.150 ca- lorias diarias para los alemanes. Los trabajadores norteameri- canos pueden preguntarse si el hambreamiento del pueblo ale- män es el mejor medio para atraerlo a la causa de la democra- cia. Se ha dicho que esa seria la politica que preferirian los nazis, pues trae cömo consecuencia el odio contra los Estados Unidos. Es evidente que una accion de esa naturaleza no puede tener resultados muy buenos. Italia tambien enfrenta una situacion de extrema gravedaa. Mientras el gobierno peninsular hace todo lo que puede para acelerar la producciön de alimentos, la escasez de fertilizantes y maquineria agricola han impedido responder a las necesida- des de la poblaciön. La aguda escasez existente debe ser su- plida por las importaciones de ultramar, que estan a cargo de la Comisiön Aliada, organizaciön militar de la cual forman parte los Estados Unidos. El presidente Roosevelt prometiö el otono pasado al pueblo italiano, que se elevaria la raciön de pan a 300 gramos diarios. La medida no ha sido cumplida hasta Marzo de 1945 con los siguientes resultados de hambre y desnutricion. La Comisiön Aliada ha tenido a su cargo el control de Italia desde Noviembre de 1943, y es desagradable comprobar que durante todo ese lapso ha aportado muy poco a la inmensa tarea de rahabilitacCön - que requiere ese paiks. Los militares siguen la politica de hacer solo lo necesario para prevenir el desorden y las enfermedades." Von August Siemsen Der chaotische Zustand unserer nach nach dem Kriegs friedlos gebliebe- nen Welt, den wir in Nr. 103 beleuch- teten, hat in dgn Beratungen in Lon- don deutlichen Ausdruck gefunden. Nicht einmal der Schein einer Ueber- einstimmung, nicht einmal momenta- ne Kompromissformeln, nicht einmal eine gemeinsame nichtssagende Ab- schlussformulierung konnte gefunden werden. Die immer deutlicher zu Tage tretende Konkretheit der Ge- gensätze hat das unmöglich gemacht. Uns scheint es besser, dass nunmehr der Schleier gelü.t:t wird, der bisher die geheimen Verhandlungen den Blicken der Weltöffentlichkeit ent- zog, dass die Verschwörung des Schweigens endlich durchbrochen ist, und dass damit die Gefährlich- keit der Situation klar zu Tage tritt. Der.n eine solche Klarheil: vermag eher Anstrengungen zur Abwendung der drohenden neuen Katastrophe wachzurufen als die Verheimlichung. Verlauf und Ausgang der Londoner Konferenz zeigen, ~ dass so gut wie nichts von den bisherigen Abmachun- gen Bestand und Dauer verspricht, dass das meiste noch in der Schwe- be bleibt. Schon redet und schreibt man wieder von dem drohenden neuen Weltkrieg, und an den ver- schiedensten Stellen der Welt suchen die russische und die angelsächsische Seite ihre Positionen auszubauen. Eine solche Situation gibt den reak- tionären und faschistischen Kräften in aller Kelt neue Hoffnung. Dafür gibt es nah und fern Anzeichen ge- nug. Sie muss aber auch die Anstren- gungen der Linken verdoppeln, alles Mögliche zur Vermeidung der neuen Katastrophe zu tun. Wie steht es nach dem Scheitern der Londoner Konferenz um Deutschland und Europa ? Dass Deutschland einem furchtbaren Winter. entgegengeht, furchtbarer noch als in den anderen von den Na- zis gequälten und ausgesogenen Ge- bieten Europas, ist unabwendbar; dass das nicht zu neuem deutschen Nationalismus, zur Herrschaft von Hass- und Rachegedanken führt, ist Aufgabe der Linken. Die Erfüllung dieser Aufgabe, die zusammenfällt mit dem allmählichen Aufbau eines anderen, eines demokratischen und sozialen Deutschlands, muss unge«- heuer erschwert werden, falls der an- gelsächsische sowjet russische Gegen- satz sich weiter verschärft und Euro- pa in eine scharf geschiedene östliche und westliche Hälfte zerrissen wird, wie das zur Zeit fast als unabwend- bar erscheinen könnte. Nur auf die- sem west östlichen Gegensatz, nur bei der Aussicht auf einen neuen Krieg kann ein deutscher Nationa- lismus mit Revanchegedanken und Machtzielen seine Hoffnungen grün- den. Daee Deutschland dabei aufs DAS ANDERE DEUTSCHLAND neue Schlachtfeld würde, wird "Pa- trioten" dieses Schlages wenig küm- mern. Bestehen gegenüber diesen nur allzu handgreiflichen Gefahren noch Mög- lichkeiten für unsere alte Forderung der Vereinigten Sozialistischen Staa- ten Europas als Mitteil des europäi- schen Aufbaus und der Rettung des Weltfriedens? Wir haben als ihre Voraussetzung und als ihr Kernstück schon vor dem Weltkrieg und zur Zeit der grössten Erfolge Hitlers die deutsch-französische Verständigung und Zusammenarbeit bezeichnet und dabei Frankreich die Initiative zuer- kannt. Aber de' Gaulles Eintreten für einen Westblock und sein Liebeswer- ben um die Deutschen in den von Frankreich besetzten rheinischen und süddeutschen Gebieten hat andere Grundlagen und verfolgt andere Zie- le, als wir sie haben. Der derzeitige französische Regierungschef strebt nach einem neuen Machtaufstieg des • geschlagenen und geschwächten Frankreichs, Von daher leitet sich seine Propaganda eines Westblocks unter französischer Führung her; deshalb möchte er den Westen und Süden Deutschlands wirtschaftlich und politisch der französischen Machtsphäre angliedern. Eine solche aus nationalistischem! Machtstreben erwachsende "europäische" Blockpo- litik schliesst die Gefahr eines wach- senden Gegensatzes zur Sowjetunion in sich und stösst deshalb naturge- mäss auf die Kritik und den Wider- stand der Sowjetunion, Aber es gibt eine andere Möglichkeit. Die in Frankreich bevorstehenden Wahlen werden eine linke Mehrheit ergeben; für Italien und Belgien, viel- leicht auch für Holland, ist das Gleiche zu erwarten. In Luxemburg hat die Linke gesiegt. Die Aussichten für die Aufrechterhaltung des Fran- coregimes oder für die Restaurierung der ramponierten spanischen Monar- chie sind trotz aller Bemühungen der Weltreaktion gering. Kommt in Spa- nien eine Linksregierung, so wird sich auch in Portugal die Diktatur nicht halten können. IEs vollzieht sich also eine Linksentwiicklung in ganz Westeuropa und damit die Möglich- keit zur Schaffung .der Föderation der sozialistischen oder auf dem Wege zum Sozialismus befindlichen Staaten Europas. Die Verwirklichung dieser Möglichkeit hängt von der Po- litik Englands und derjenigen der Sowjetunion ab. Englands bisherige Politik des euro- päischen Gleichgewichts hatte die Verhinderung der Einigung Europas zum Hauptziel. Die Fortsetzung die- ser Politik in der heutigen Situation müsste gegen die Sowjetunion in Festlandeuropa ein Gegengewicht zu schaffen suchen. Smuts, der Präsi- dent der Südafrikanischen Union, hat ja schon früher den direkten Eintritt west- und nordeuropäischer Staaten in den englischen "Common- wealth" propagiert. .In dieser Rich- tung hätte sich zweifellos die Politik einer konservativen englischen Regie- rung bewegt. Würde die Politik der englischen Arbeiterregierung sozialistisch sein, so müsste sie mit allen Kräften die Schaffung der Vereinigten Soziali- stischen Staaten Europas fördern und zwar ohne jeden Hintergedanken und ohne jede Spitze gegen die Sow jetunion. Man kann aber, wenn sich nicht di» linke Richtung noch innerhalb der Arbeiterpartei durchsetzt — und du für bestehen wohl kaum Aussichten — wenig von der das konservativ«« Fahrwasser einhaltenden Politik der Arbeiterpartei erhoffen. Was aber die zu erwartenden sozialistischen euro- päischen Regierungen gemeinsam in London verlangen und durchsetzen ARBEITERBEWEGUNG Die Streiks in USA zeigen, vor wel- che Schwierigkeiten sich der ameri- kanische Kapitalismus ur.d die ameri- kanische Regierung in der Nach- kriegsepoche gestellt sehen. Die hier sich in ihren Anfängen abzeichnende Entwicklung ist 1 in ihrem Verlauf und in ihren Konsequenzen nicht zu übersehen. Nur so viel ist sicher, dass sie zu einer Verschärfung der Gegen- sätze und zu einer Radikalisierung der Arbsiterroassen führen muss. Die Ka,ntoiiatswahh n in Frankreich haben den Sieg der Sozialisten und — in einem gewissen Abstand — der Kommunisten bestätigt. Man erwar- tet bsi den bevorstehenden Wahlen zum verfassungsgebenden Parlament einen sicheren Sieg der beiden Par- teien, in erster Linie der Sozialisten. Die Dsgradierung der deutsche« Ar- beiterklasse, so schreibt „The Cail", würde ein furchtbarer Schlag für die ganze internationale Arbeiterbe- wegung sein . . . Die extreme Ver- billigung menschlicher Arbeit würde schwere Rückwirkungen auf die Ar- beiter der ganzen Welt haben, ,.Freie" Arbeiterorganisationen in an- deren Ländern würden von Grund aus korrumpiert werden durch Ver- suche, sie teilnehmen zu lassen an der Zerstörung und Versklavung der deutschen Arbeiterklasse. Sie wür- den sich selbst schwächen für künf- tige Kämpfe um ihre eigene Existenz, um die sozialen Erscheinungen, die nach dem Ausbruch des Paschismus in Italien und später in Deutsch- land, in vielen Ländern auftreten werden, in denen demokratische- Rechte und Freiheiten scheinbar fest "begründet sind. Das ist das unver- meidliche Schicksal der Arbeiter- klasse in Westeuropa, wenn sie nicht brüderlich zusammenarbeitet mit der deutschen Arbeiterklasse. Diese un- selige Entwicklung kann nur vermie- den werden, wenn die westeuropäi- sche Arbeiterbewegung in brüderli- cher Solidarität mit den deutschen Arbeitern handelt und ihnen hilft, demokratische Rechte und Freiheiten wiederzugewinnen. Oesterreich. Bei den Betriebsrätewah- len jn Wien erlangten die Sozialisten eine überwältigende Mehrheit. Die Kommunisten erhielten weniger als 10% der Stimmen. ' müssten, ist, dass die Arbeiterregie- rung der Schaffung der Vereinigten Staaten Europas keine Hinternisse in den Weg legt. Wichtiger noch als die Haltung^ Eng- lands ist die der Sowjetunion. All«» hängt davon ab, ob sich das Miss- trauen der Sowjetregierung, das sich in den Zeiten des Versagens der eu- ropäischen Arbeiterklasse, in den Zeiten der Bekämpfung durch die Weltreaktion, in den Zeiten der Iso- lierung angesammelt hat, überwinden lässt. Nur wenn die Sowjetunion über- zeugt werden kann, dass die Vereini- gung Europas in einer sozialistisch orientierten Staatenföderation keine Bedrohung darstellt, sondern die Ga- rantie friedlicher Zusammenarbeit und gemeinsamen sozialistischen Aufbaus in sich trägt, nur dann ha- ben die Vereinigten Staaten Europas eine Chance. Sie ist nicht allzu gross. Zunächst einmal handelt es sich nur noch um den Teil Europas, der nicht bereits wirtschaftlich und politisch der Sow- jetsphäre angegliedert ist, also um Europa ohne Polen, Ungarn, den Bal- kan und auch die Tschechoslowakei. Der europäische Norden soll hier ausser Betracht bleiben, weil gerade dort englisch russische Gegensätze die Lösung erschweren könnten. Sei- ne Eingliederung könnte erfolgen, wenn nach der Konsolidierung der europäischen Union die Bedenken auf beiden Seiten geschwunden sein würden. Oesterreich dagegen müsste nach seiner Bevölkerung, seiner Tra- dition und seinen Neigungen, ebenso wie die Schweiz der europäischen Föderation angehören. Gerade am Beispiel des heute umkämpften Oesterreich zeigt sich jedoch, wie sehr eine brauchbare Lösung der eu- ropäischen Frage des Vertrauens und der Mitwirkung der Sowjetunion be- darf. Was Deutschland angeht, so ist die Frage, ob es als Einheitsstaat oder in föderierter Form — etwa West, Nord-, Mittel- und Süddeutschland — sich in das neue Europa einglie- dert von untergeordneter Bedeutung. In der Frage Europa könnte die neue Weltorganisation der Gewerkschaften mit ihren fast an die 65 Millionen heranreichenden Mitgliedern eine ver- mittelnde und fördernde Rolle spie- len, wenn sie zu ehrlicher und ver- trauensvoller Zusammenarbeit im In- teresse der Arbeiterschaft der Welt und des Friedens gelangt. Auch die deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten könnten an ihrem be- scheidenen Teil mithelfen am euro- päischen Ausgleich und Aufbau, wenn die Anfänge der Zusammenar- beit eine glückliche Fortsetzung fin- den. Es ist nur ein schwacher Silberstreif am fast ganz verdüsterten, gewitter- schwangeren Horizont, den wir hier aufzeigen, — aber er eröffnet eine Möglichkeit. Die Umwandlung der Möglichkeit in die Wirklichkeit könn- te Europa und die Welt vor einer neuen entsetzlichen Katastrophe be- wahren, DAS ANDERE DEUTSCHLAND BUCHENWALD Das Folgende ist ein Bericht über die persönlichen Erlebnisse eines Sozialisten während neunjähriger Gefangenschaft unter der Hitler- diktatur. "Wann immer heute das Thema von den Schrecken der deutschen Konzentrationslager angeschnit- ten wird, hallen von allen Seiten die Worte wider: "Oh, wenn wir das nur gewusst hätten!" Meine politischen Freunde und ich wussten darum, und fühlten zu- gleich, dass wir doch weiterhin tun mussten, was wir für recht erkannten. Diese Ueberzeugung und die aus ihr hervorgehende Aktivität führten zu meiner Verhaftung durch die Gestapo am 25. Januar 1936. Am 6. Februar war mein erstes Verhör. "Was wissen Sie über die Kommunisten in Kas- sel?" war die erste Frage, die an mich gerichtet wurde. Ich ant- wortete sofort und zufällig fast wahrheitsgemäß: "Nichts". Dar- auf folgten einige Peitschenhiebe, dann weitere Fragen nach mei- ner gewerkschaftlichen und po- litischen Tätigkeit und meinen politischen Freunden. Immer be- gleitet von Schlägen mit der Peitsche. Als die erste Peitsche zerbrach, nahmen sie eine zweite. Das ging so 4—5 Stunden lang weiter ohne irgend ein Ergebnis für die Verhörenden. Worauf man mich in meine Zelle zu- rückbrachte. Als ich wieder allein war, er- füllte mich nur der Gedanke, dem allen ein Ende zu machen, ehe ich in einen Zustand gebracht wurde, in dem ich nicht mehr wusste, was ich sagte. Ich be- schloss, mir das Leben zu neh- men. Das Leben hatte mir nicht viel materielle Freuden geboten, aber meine Gedanken mussten Abschied nehmen von vielen gu- ten Genossen, nahen und lieben Freunden und von vielen wun- dervollen Erfahrungen, die ich während meiner politischen Ar- beit gemacht hatte. Jetzt aber stand mehr auf dem Spiel als mein eigenes Leben: Ich über- legte, wie sehr ich unsere anti- faschistische Arbeit gefährden und in welch furchtbare Situa- tion ich unsere Freunde bringen könnte. Nach Mitternacht zer- schnitt ich mir mit einer Rasier- klinge die Pulsadern an Händen und Necken. Aber ich wurde in das Bezirkskrankenhaus gebracht, wo meine Wunden geheilt wur- den. August 1936 fand die gericht- liche Untersuchung statt. Ausser mir waren noch 9 Genossen an- geklagt. Der Gerichtshof verur- teilte uns im ganzen zu 36 Jah- ren Gefängnis. Ich bekam 2 112 Jahre Zuchthaus. Alle Ange- klagten benahmen sich während der ganzen Verhandlung würdig. Das Gefängnis war sauber und gut organisiert, mit strenger Dis- ziplin, die aber sowohl den Ge- fangenen als auch dem Gefäng- nispersonal auferlegt war. Die Gefangenen »hatten das Recht, Beschwerde zu führen gegen Will- kür seitens der Wärter. Nach dreimonatlicher Einzelhaft wurde ich in eine Zelle mit an- deren Gefangenen gebracht, und für ein halbes Jahr wurde ich zum ordentlichen Gehilfen beför- dert. eine Stellung, die mir den Vorteil einer gewissen Bewe- gungsfreiheit brachte. Im Früh- ling 1937 begann man die Ge- fangenen zu Arbeiten für die deutsche Aufrüstung zu verwen- den. Alte elektrische Kabel, Glühbirnen, Telephone etc. wur- den auseinandergenommen, um das Rohmaterial zu retten. Die Arbeit war schwer und ungesund. Ich lebte mit politischen Gefan- genen wie auch mit Kriminellen zusammen. Manche Genossen litten schwer unter dem körper- lichen Ungemach, das wir zu er- dulden hatten.1 Was mich betrifft, so war ich kein Objekt für Ge- fangenenpsvchose. Das innere Gut, das ich durch Jahre hin- durch aufgespeichert hatte, gab meinem Leben einen gewissen Reichtum und ich schätzte mich glücklich, wenis ich mich mit vie- len anderen Genossen verglich. Was mich bedrückte war, dasn ich alle diese Gedanken und Empfindungen so ganz in mir verschliessen musste. Wie oft be- neidete ich die politischen Ge- fangenen früherer Zeiten. Sie konnten mit ihren Genossen dis- kutieren, miteinander und von- einander lernen, und sich auf die- se Weise zu politischen Persön- lichkeiten entwickeln. Wir konn- ten das nicht tun. Wir mussten schweigen, um der politischen Naivität einiger Genossen und der Verderbtheit einiger anderer Gefangener willen. Kriminelle Elemente unter uns zu mischen, war die Methode der Gefängnis- verwaltung, um zu verhindern, dass politische Diskussionen und Schulung durchgeführt werden konnten. Die Betrüger, Fälscher, Schwindler oder Schmuggler wa- ren entschieden die gefährlich- sten Kriminellen, weil ihre Ver- gehen , nicht in augenblicklicher Erregung bedangen waren, son- dern mit kühlem Blut. Manch ein politischer Gefangener hat seinen Mangel an realistischer Vorstellungskraft bezüglich der Tiefe menschlicher Gemeinheit teuer bezahlen müssen. Welche Vorsichtsmassnahmen waren nö- tig? Ich möchte als Antwort auf diese Frage ein Beispiel ge- ben: Mitte Januar waren die Ta- CTe. an denen wir rüher Gedenk- feiern für Karl L'ebknecht. Rosa Luxemburg und Lenin hielten. In der Gefängniszelle, in der ich den Januar 1938 verbrachte, durften wir diese Angelegenheit auch nicht mit einem einzigen Wort erwähnen, ohne Gefahr zu laufen, von dem Verbrecher- Soitzel, der die Zelle mit uns vier oolitischen Gefangenen teil- te- denunziert zu werden. Darum schrieb ich einige zu diesem Er- innerungsta»e passende Gedan- ken ans. und als der Gestapospit- zel schlief, gab ich sie meinen Genossen zu lesen. Wir reichten uns die Hände. Unsere Gedanken hatten ^ich gefunden, und die Gesichter d»r Genosse-« hellten sich auf in Freude und Dankbar- keit. Wenn ich die Erfahrungen über- denke, die ich im Gefängnis machte, staune ich immer über das Eine: Während der ganzen Zeit bemerkte ich niemals, da» irgend einer «der politischen oder der kriminellen Gefangenen Be- dauern oder Zerknirschung über seine Taten empfand. Gelegent- lich gaben sie es vor, um durch den Gefängnisleiter oder den Lehrer irgend eine besondere Er- leichterung zu erreichen. Aber wenn ein Kommunist oder Frei- denker gegen das Ende seiner Haft an religiösem Unterricht 6 DAS ANDERE DEUTSCHLAND oder religiösen Uebungen teil- nahm, wurde er mit berechtigtem Unwillen angesehen. ' Die Hal- tung der grossen Mehrheit der politischen Gefangenen war fest und aufrecht. Am 27. Juli 1933 wurde ich in der "schwarzen Maria" in das Polizeigefängnis überführt. Am 30. Juli kam ich im Konzentra- tionslager Buchenwald bei Wei- mar an. Nach allem, was ich über dieses Lager gehört hatte, war ich auf das Schlimmste gefasst. Vom ersteh Augenblick an emp- fand ich den enormen Unter- schied zwischen diesen\ Lager und meiner stillen Gefängniszel- le. Abgesehen von der Behand- lung, die uns durch die 3.3 zu teil wurde, hatten wir viel unter dem Wechsel des Klimas und der Ernährung zu leiden. Was für ein Leben führten wir im allgemei- nen? Um diese Frage zu beant- worten, muss man den Zweck dieser Lager kennen. Die Konzentrationslager wurden von der S.S. in Betrieb gehalten. Die Insassen der Lager hatten ein Verbrechen an der Volksgemein- schaft begangen und wurden deshalb von ihr ausgeschlossen, standen somit also ausserhalb jeder gesetzlichen Ordnung. Sie sollten nicht erzogen oder gebes- sert, sondern ausgerottet werden, wenn auch auf x nutzbringende Weise. Was man ihnen auch an- tat, es wurde nicht als ein Un- recht angesehen. Für diese S.S.- Männer, die alle noch jung, fast Knaben waren, galten wir alle als gemeine Verbrecher, und sie betrachteten es daher als ein be- sonderes Verdienst, uns "raun" zu behandeln. Die S.S.-Männer wetteiferten miteinander in der Erreichung der rohesten Formen des Sadismus. Und die leitenden Berliner Stellen waren ihre Schrittmacher durch ihre Dekrete. Tausend*; von Berufsverbrechern und sonstigen asozialen Elemen- ten gefährdeten täglich das Le- ben der anderen Gefangenen. Die Situation wurde noch viel kriti- scher,, als einige Lagerführer die- se Verbrecher begünstigten und sie gegen die politischen Gefan- genen ausspielten. Diese Krimi- nellen versuchten immer, die S.S.-Männer in irgendwelche schmutzigen Geschäfte zu ver- wickeln und sie zu korrumpieren. Infolsredessen wurden einige S.S. Leute selbst La gergef angine, aber im allgemeinen nicht länger als ein halbes Jahr. Ich möchte nicht näher auf Ein- zelheiten über die Zustände in Buchenwald eingehen. Ich möch- te nur an die B. B. C. Rundfunk- sendungen erinnern, welche nach der Uebernahme des Lagers durch die Amerikaner die Welt über diese Zustände unterrichte- ten. Meine Genossen und ich ha- ben sie gehört. Sie sagten die Wahrheit. Am Tage nach meiner Einliefe- rung wurde ich einem S.S.-Ar- beitskommando zugeteilt. Ich musste in glühender Sonne hak- ken und graben. Nach drei Ta- gen brach ich zusammen und musste weggetragen werden. Ich hatte über 10 Pfund an Gewicht verloren. Nur dank der Hilfe einiger guter Kameraden blieb ich am Leben. Es gelang ihnen mit grossen Anstrengungen, mich in ein anderes Arbeitskommando zu bringen. Ich kam zu der Trans- portkolonne, wo 20—30 Mann mit Baumstämmen, Sand oder Kies beladene Karren an Seilen schleppen mussten. Oft mussten wir das laufend tun. Aber das war für mich schon eine Erleichte- rung im Vergleich zu meiner frü- heren Arbeit. Später arbeitete ich als Tischler. Im November 1938 wurde ich Schreiber im Ge- fängnisbüro. Im Konzentrations- lager Buchenwald gab es in ho- hem Grade Selbstverwaltung durch die Gefangenen, und auch das Büro wurde von Gefangenen geleitet, die für die Lagerver- waltung und die Hauptzentrale in Berlin Ein- und Abgänge notie- ren mussten, Listen und Be- standsverzeichnisse aufstellen, Wechsel anmelden etc. Dieses Büro musste die Küche über die Anzahl der zu beköstigenden Gefangenen Unterrichten, die Transporte zwischen den ver- schiedenen Lagern organisieren, Auskünfte und Nachrichten nach anderen Abteilungen übermitteln und Apelle vorbereiten. Während der. letzten fünf Jahre in Buchen- wald war es meine Aufgabe, die Appelle vorzubereiten. Diese Ar- beit liess mir wenig Müsse. Ich musste jeden Tag 2—3 Appelle ausarbeiten und musste Rechen- schaft über hundert und tausend Veränderungen ablegen. Die Anpeile mussten genau sein bis herunter zum letzten Mann. Zu Zeiten hatten wir 80.000 bis 90.000 Leute, von denen 60.000 in 50 Aussenkommandos arbei- teten, und beständig" ausge- tauscht wurden. Von der Eile und Genauigkeit meiner Arbeit hing es in hohem Grade ab, wie lange der Appell dauerte, was entscheidend über Tod und Le- • ben für kranke Leute war, die in Sturm und Kälte im offenen Hof stehen mussten. Wenn es eine Schwierigkeit während des Apel- les gab, wurde ich hinbefohlen, und oft gelang es mir die Sache durch eine kurze Erklärung zu regeln. Diese meine Tätigkeit brachte mich in Verbindung mit den meisten Gefangenen von Buchenwald. Mein Amt ermög- lichte es mir auch, einigen Ge- fangenen zu helfen, vor allem in Not und Gefahr. Es braucht vieler Jahre, um in dem Lager zwischen den Vertre- tern d»r verschiedenen politi- schen Bewegungen und der ver- schiedenen Nationalitäten ein gewisses Mass von Ueberein- stimmung herzustellen. Bis 1943 bewahrten die Antifaschisten die gleiche Halsstarrigkeit und Stren- ge wie in den tragischen lehren, bevor die Nazis zur Macht ka- men. Dann erst begannen sie sich wieder »im em Programm zu sam- meln. das der sozialdemokrati- sche Genosse Brill aus Weimar ausgearbeitet hatte. Beziehungen Zwischen den verschiedenen Na- tionalismen im Sinne internatio- naler Solidarität waren bis zum Jahre 1944 unter keinen Um- ständen gestattet;. Eins Ausnahme allerdings bildete die Haltung der Gefangene*1 gegenüber den russiscehen Kriegsgefangenen. Ab 1944 wurden keine Nicht- deutschen ' prozentual an der La- ^erverwaltnng beteiligt, was einen E-foIg bedeutete. Das Heranna- hen der militärisch-politischen Krise Nazideutschlands machte e= für uns Gefangene notwendig, plKemeine Verteidigungsnwu- naKmen gegen Angriffe der S.S. ans das Lager zu überleben. Wir bildeten militärische Komitees aus Mitgliedern aller Nationali- täten und arbeiteten einen wohl- durchdachten Operationsplan aus. Uns Genossen im Gefängnisbüro ermöglichte unsere Stellung, einen besseren Einblick in die Vorg&n- DAS ANDERE DEUTSCHLAND 7 ge im Lager zu gewinnen, als ihn die meisten anderen haben konn- ten. Das war aber gleichzeitig eine grosse Gefahr für uns, weil wir mit-Sicherheit erwarten konn- ten, dass in der kritischen Stunde des Zusammenbruchs die S. S. versuchen würde, alle die umzu- bringen, die genaue Kenntnis ih- rer Verbrechen hatten. Obgleich wir in mancher Beziehung eine bevorzugte Stellung hatten, so teilten wir doch mit allen übrigen Gefangenen die tägliche Lebens- gefahr und oft das allgemeine Elend, den Hunger, die Knecht- schaft. Ich muss noch einige Worte sagen über unsere Verbindung mit der Aussenwelt, womit ich nicht die drahtlose meine, die uns, obwohl einseitig mit der ganzen Welt > verband. Ich denke an die Ver- bindung mit Verwandten und Freunden. Wir durften Briefe schreiben und Post empfangen, obgleich die ß.S. alles tat. um uns Hindernisse in den Weg zu legen. Aber durch all die Jahre haben sich unsere Lieben um uns gekümmert. Ihre Anhänglichkeit und Loyalitt, die oft tragischen Konsequenzen für sie selbst hat- te, bot den Wünschen der Ge- stapo Trotz. Vom Winter 1943 an durften wir auch Pakete be- kommen, und die S.S.-Leute wa- ren oft von Ntid erfüllt anhts der selbstverleugnenden Fürsorge .seitens der Angehöri- gen der Gefangenen. Ein schla- gender Beweis dafür war die Tat- sache, dass die Anzahl der nach Buchenwald geschickten Pakete und Briefe beträchtlich höher war r.Is die nach der Stadt Wei- geschickten. Ende 1944 wurde der Postdienst unterbro- chen. Aber von da an vn"ten wir es, die Wochen zu zählen bis zum Zusammenbruch des Naziregi- mes. Wir hatten alles für diesen Tag vorbereitet. Es ist schwer zu sa- gen, ob die Pläne unserer mili- tärischen Komitees die Probe be- standen haben würden. Aber je- I denfalls gab es den beauftragten Genossen ein Gefühl von Selbst- sicherheit, ja beinahe von Macht. Diesem Gefühl des Vertrauens war es zu verdanken, dass der grosse Evakuierungsplan der S.S. durch Verzögerungen sabotiert und dadurch das Leben von tau- senden von Genossen gerettet wurde. Am 6. April wurden 46 politisch hervorragende Genos- sen an die Gittertore befohlen. Wir wussten, dass sie umgebracht werden sollten, weil sie zu viel wussten. Wir vereitelten' diesen Plan, indem wir sie 5 Tage lang versteckten und die S.S. augen- scheinlich keine Gewalttaten mehr innerhalb des Lagers ris- kierte. Als am 1 1. April sich die alliierten Tanks Buchenwald nä- herten, verdrückte sich die S.S. Niemand könnte unsere Gefühle beschreiben, als wir uns bewusst wurden, dass unsere Leiden im Lager vorüber waren. Ueberall im Lager sah man Männer sich umarmen, sich die Hände reichen upd sich gegenseitig^ zu ihrer Be- freiung beglückwünschen. Zur gleichen Zeit war ein Spezialkom- mando von S.S.-Leuten auf dem Marsch nach Buchenwald, um das Lager mit allen Insassen zu ver- nichten. Das erfuhren wir abends um 10.30 Uhr, als die Weimarer Polizei sich telephonisch erkun- digte, ob die Gefangenen noch am Leben wären. Aber die Mör- der kamen zu soät, denn zwischen Weimar und Buchenwald stand ein Wall von amerikanischen Tanks und unseren eigenen mit Gewehren und Maschinengeweh- RUECKKEHR Von Karl Schnog Per Verfasser war 5. Jafirp lang- in x den KonzenlralionslaKoi „ S ^lison- hausen, Dachau und Buchenwald. Das Gedicht wurde Frühjahr 1941, in Buchenwald, geschrieben. Frau, schau mich nicht so seltsam an und forsche nicht in meinen Zügen. Ja ja, ich bin's, ich bin dein Mann, dein Auge will dich nicht betrügen. Wenn ich dir fremd geworden bin und unverständlich meine Sitten: ich bin durch Not und Elend hin und oft am Tod vorbeigeschritten. Und bin ich endlich auch zuhaus', wir wollen unsre Freude dämpfen. Denn, Frau, ich ruhe mich nicht aus, ich muss für uns're Kinder kämpfen! Gewiss, es käme mir auch zu, mich endlich einmal auszustrecken, doch find ich weder Rast noch Ruh, solange Hass rings herrscht und Schrecken. Ich bin nicht eher froh und frei und habe keine guten Stunden, bis dass ein End' die Tyrannei für jeden Schaffenden gefunden. Drum halte nicht den Kopf gesenkt, sag' nicht, dass ich nicht an euch denke. Di» Freiheit ist mir erist geschenkt, wenn ich der Welt , die Freiheit schenke. ren bewaffneten EinKeiferi. Am Morgen des 12. April hatten wir unseren ersten Freiheitsapell. Unter den Flaggen aller Natio- nen und dem Klang ihrer eo lang verbotenen Lieder marschierten die früheren Gefangenen. Nach- dem in den verschiedenen Spra- chen Proklamationen verlesen waren, sangen alle Versammel- ten gemeinsam in 35 Sprachen die Internationale. Einige Tage später hielten wir eine zweite Versammlung ab zum Andenken an die 50.000 in diesem Lager ermordeten Genossen. Und bei einer 3. Gelegenheit, am I. Mai, machten wir eine Demonstration, besselt von einem Geist der Ei- nigkeit und Begeisterung, wie es wahrscheinlich in der ganzen Welt unerreicht blieb. Flaggen, Girlanden, Banner und Illumina- tionen gaben dem Lager den Cha- rakter grosser Festlichkeit. Dann begann der grosse Auszug mit Wagen und Flugzeugen. "Au re- voir"> "do swidania", "nasdar", "auf Wiedersehen"! hörte man überall zu tausend Malen. Wir Deutschen hatten schon während der ersten Tage nach der Be- freiung ein Komitee gebildet und die Basis des Volksfrontkomitees erweitert, das 1943 gegründet' worden war. Fast unaufhörlich bildeten sich Kommissionen, Re- solutionen durcharbeitend, Mani- feste und Aufrufe an die Bevöl- kerung verfassend, mit der Auf- forderung, gegen die Nazis zu kämpfen. Die Leiden der vergan- genen Jahre hatten in unseren Herzen das brennende Verlangen geschaffen, den kompromisslosen Kampf gegen Faschismus und Militarismus zu führen. Nichts konnte unseren Entschluss zum Wanken bringen, denn unsere zu Tode gehetzten und gefolterten Kameraden mahnten uns: "Die Nazis sind keine menschlichen Wesen, sie sehen nur so aus, als ob sie es wären!" Wir wussten, was uns ausserhalb des Lagers erwartete: Ruinen, nichts als Ruinen; die Ruinen un- serer Städte, unseres Volkes, un- serer Klasse, der Arbeiterklasse, die immer die schwersten Stösse zu tragen hatte. Aber wir verzweifelten nicht. Wir vollten mit dem Wiederaufbau biginnen, wir wollten ihn im Geist und mit HÄfe der Solidari- tät zustande bringen. 6 DAS ANDERE DEUTSCHLAND DAS ANDERE DEUTSCHLAND In einem hochentwickelten In- dustrieland bildet die grosse Masse der industriell Werktäti- gen den tragenden Pfeiler der Ge- sellschaft. Industriell Werktätige sind alle, die als Arbeiter, Ange- stellte, als Betriebsleiter, Techni- ker, Ingenieure usw. im direkten Bereich der Produktion, des Han- dels oder des Verkehrs einen Ar- beitsplätz einnehmen, ohne am Besitz dieser Unternehmungen beteiligt zu sein. In Deutschland gehört zu dieser Schicht die Mehrheit des Volkes, und innerhalb dieser Schicht bil- den die Arbeiter den zahlenmä- ssig überwiegenden Faktor. Von der Art,. wie diese grosse Volksschicht der industriell Werktätigen politisch agiert, von dem Ausmass ihrer politischen Aktivität und ihrer nolitischen Geschlossenheit ist im hohen Ma- sse abhängig.in welchen Formen und auf welcher Höhe sich das gesamte, gesellschaftliche Leben bewegt. Es ist auch diese Volks- schicht, die in jeder, gesellschaft- lichen Umwälzung am stärksten berührt wird. Jeder Fortschritt und jeder Rückschlag findet sei- nen Niederschlag zuerst, in ihrer materiellen und seelischen Ver- f;assun"r, und wenn sie ihre politi- sche Orientierung - verliert, wird das gesamte gesellschaftliche Le- ben in Mitleidehschaft. gezogen. Es ist gar.nicht so falsch, wenn hin und wieder in Kreisen - der bürgerlichen . . Intelligenz bis- sig bemerkt wird» dass die Exi- stenz der . nag^isehen Diktatur hur durch die .Duldung der Ar- beiterschaft ermöglicht wurde. Aber die logische Fortführung dieses Gedankens führt zu der — ebenfalls richtigen — These, dass die Existenz des Regimes in Frage gestellt ist, wenn der Wille der Arbeiter, dieses Regime nicht mehr zu dulden, entfacht werden kann und sich durchsetzt. Einmal an diesem Punkt der Be- trachtungen angekommen, ent- steht nicht nur die Frage, wie eine revolutionäre Bewegung der in- dustriell Werktätigen mit einer geschlossenen politischen Schlag- kraft entstehen könnte, sondern auch die Frage, warum sie bisher noch nicht entstanden ist. Die politische Durchdringung der industriell Werktätigen in Deutschland und zumal der Ar- beiter ist einmal »ehr stark gewe* ZWISCHEN ZWEI WELTEN sen. Das Hauptverdienst hierfür konnte die sozialistische Arbei- terbewegung in Anspruch neh- men. Sie hat Millionen Menschen zum Denken gebracht, und zum politischen Streben erzogen. Sie hat praktische Werke des sozia- len und kulturellen Fortschritts geschaffen, sie hat das Ahnen in die Menschen hineingelegt, wel- che Aufstiegsmöglichkeiten durch die Kraft kollektiven Zusammen- stehens ausgewertet werden kön- nen, sie ist für Deutschland, das unter der Monarchie und der Re- publik lebte, ein gewaltiger Fak- tor des sozialen und des kultu- rellen Fortschritts gewesen. Aber die sozialistische Arbeiterbewe- gung wollte und konnte über das nicht hinaus, was sich ihr im Rah- men der gegebenen bürgerlichen Wirklichkeit an Möglichkeit bot. Diese Ordnung selbst wollte sie nicht antästen. Massen wie Füh- rer waren nicht revolutionär, und die wenigen revolutionären Füh- rer, die in der deutschen Arbei- terbewegung Rewirkt haben, scheiterten am Widerstand der Massen, ihnen Gefolgschaft zu leisten. Es hat viel revolutionäre Roman- tik in der deutschen sozialisti- schen Bewegung gegeben, nie eine revolutionäre Praxis. Die radikale Theorie hielt sich gröss- tenteils in weltfremden dogmati- schen Verzerrungen: in tausend Interpretationen wurden die grundlegenden wissenschaftlichen Frkenntnislehren verfälscht. die der Arbeiterbewegung in die Wiege gelegt worden waren. Sclbit auf den Arbeiterklasse brauchte in der Zeit des kapita- listischen Aufstiegs, der ja ihren ^i^enen Aufstieg brachte, eine Massenbewegung, und eine solche hätte auf revolutionärer Basis in Jener Epoche "ar nicht entstehen können. Die Bewegung war re- formistisch. weil sie durch eine reformistische Aufgabenstellung die Gegenwartsbedürfnisse der Arbeiter befriedigte. Erst der Zusammenbruch des Kaiserreiches brachte eine neue von Max Sievers*) Max Sievers war Vorsitzender des V' in der Bmigration den Kampf gegen Verhaftung Mi Frankreich wurde er Aufgabenstellung, und es hat ja auch an Versuchen für eine neue Lösung nicht gefehlt. Es ist eine allzu billige Weisheit, den Zu- sammenbruch dieser Versuche auf das Schuldkonto der Ebert und Noske zu setzen. Wer da- mals auf dem linken Flügel der deutschen Arbeiterbewegung ge- standen hat und nicht an Ge- dächtnisschwäche leidet, der weiss, dass die grosse Armee der sozialistischen Funktionäre und Mitglieder recht oberflächlich und nur sehr vorübergehend von der revolutionären Ideologie erfasst worden waren. Lockender als alles andere er- schien ihnen die Aufgabe, in den neuen Machtverhältnissen der Re- publik den Tagesförderungen des Reformismus Erfüllung geben zu können. #1 erbandes deutscher Freidenker. Er setzte den Nationalsozialismus fort. Nach seiner nach Berlin gebracht und hingereihtet. y Es ist ja dann auch vieles auf die- sem Gebiete erreicht worden. Nur ist von den politischen und sozialen Errungenschaften, die von einer ganzen Generation der Arbeiterbewegung und als auf- gegangene Saat früherer Genera- tionen der Arbeiterbewegung ge- erntet werden konnte, nichts mehr vorhanden. Millionen Hände und Köpfe hat- ten bei der Errichtung mitgewirkt und keine Hand rührte sich zur Abwehr, als der Faschismus in Wochen vernichtete, was in Jahr- zehnten aufgebaut worden war. Kann dieses beispiellose Bild eines Untergangs wirklich mit der These abgetan werden, dass die Führung versagt habe? Kein Führer, und erst recht nicht jene, von denen man weiss, wie arm WAS BLIEB VON DEN HERRLICHEN WORTEN . . von Johan Luzian Es ist. eine Zeit zwischen Lachen and Weinen. eine Zeit, wie die Erde noch keine gesehn, es ist eine Zeit, da die Herzen versteinern, ane Zeit, da die Toten wieder erscheinen und klagend über die Erde gehn: Der Tommy, war er nicht für die Freiheit gefallen, und fiel der Poilu nicht für Wahrheit und Recht. Was blieb von den herrlichen Worten als neue Feindschaft im Menschengeschlecht? Es ist eine Zeit ohne Richtung und Ziele, Eine Zeit, die aus alter in neue Schuld fällt. Warum starben nur so Viele, so Viele? Wenn den Toten das Leben P Ketten gefiele, wären sie alle noch auf der Hett. . ,, ^ Doch der Mann vom Cmio imr für die Freiheit gefallen, und der Sowjetmann wmßte die Brüder befrein. Was blieb von den hirrfehen Worten allen. Es ist eine Zeit zum Weinen und ^Lachen, es ist eine Zeit mit der Lüge im Schild. Könnte Gott die Erde noch einmal machen, er brauchte den Lehm zu besseren Sachen als zu seinem traurigen Ebenbild. Denn auch der Deutsche ist für die Freiheit gefallen, den Hitler im Lager zu Tode gequält. Was bleibt von den herrlichen Worten allen, die man vorm Sterben den Völkern erzählt. Es ist eine Zeit, um noch tofter zu werden, eine Zeit, die das Wort sich im Munde verdreht. Wir wollte?i die Knechtschaft-zertrümmern auf Erden, doch sind die Völker wieder nur Herdtn, um die der Hasss wie ein Werwolf geht. Aber allen, die. sich für die Freiheit geschlagen, hat einst Hoffnung die letzte Stunde erhellt — Und wenn wir Lebenden heute versagen, aehört den Toten von morgen die Welt. (Am: B*r Tag des Gerichts). an Geist und Energie sie waren, hätten die Massen vom Kampfe abhalten können, wenn sie zum Kampfe entschlossen gewesen wären. Aber warum waren sie nicht entschlossen? Sie hingen doch mit Inbrunst an ihren Organisationen, sie waren immer zur Stelle, wenn es Arbeit zu leisten gab. In ihren Reihen wohnte das Gefühl der Solidarität, der Disziplin. Ein grosser Teil von ihnen hatte im Weltkrieg seinen Mann gestanden und dort die Fähigkeit erworben, die Regeln eines Gewaltkampfes zu beherrschen. Und dennoch versagten sie. Nicht, weil es ih- nen an Mut fehlte, an Disziplin und Einsatzbereitschaft, sie ver- sagten, weil sie das Kampf seid nicht mehr erkannten, in das sie gestellt waren, sie hatten jede politische Orientierung verloren. Sie wollten gegen den Faschis- mus kämpfen, aber nicht gegen die bürgerliche Ordnung. Sie wollten den bürgerlichen Staat erhalten, weil er dasselbe Fir- menschild der Demokratie trug, in der ihre reformistische Auf- bauarbeit so grosse Erfolge er- zielt hatte. Aber dieser bürgerliche Staat be- fand sich bereits in der Auflö- sung. Die Verfassung wurde zer- rissen. das Parlament entmach- tet, der sozialpolitische Abbau wurde vollzogen, noch ehe Hitler die Macht ergriff, und Hitler er- hielt seine Bestallung zum Reichs- kanzler von dem Oberhaupt der Republik, der weder ein Demo- krat noch ein Republikaner war. AIs das Bürgertum in seinen ent- scheidenden Teilen längst ent- schlossen war, mit dem Mittel der faschistischen Diktatur gegen die Arbeiter Front zu machen, lebte die Arbeiterschaft immer noch in dem Wahn, dass sie mit dem Bürgertum gegen den Faschis- mus kämpfen könne. Einmal auf dieser abschüssigen Bahn der po- litischen Desorientierung ange- langt, gab es keinen Half mehr. Es war antifaschistische Taktik, passiv zu erdulden, wie Brüning die Verfassung zerriss, es galt als eine antifaschistische Aktion, mit Hindenburg gegen Hitler zu mar- schieren, es war Demokratie, dem nazistischen Terror den Stimmzettel entgegenzuhalten. Und mit dem Stimmzettel siegte Hitler. Selbst wenn man alles er- mitteln und in Abzug bringen könnte, was aus den Reihen der Werktätigen vom Terror ge- zwungen für Hitler votierte, es blieben immer noch Millionen ar- beitender und arbeitsloser Men- schen übrig, die freiwillig für ihn stimmten. Gegen die sozialistische Volksbewegung, die seit Jahr- zehnten im Volke verwurzelt war, und die nunmehr in den Reihen des Bürgertums und für seine Erhaltung kämpfte, war über Nacht eine Volksbewegung ent- standen, die das Bündnis mit den kapitalistischen Kräften verwarf und der sozialistischen Lösung zustrebte. Im Kampf gegen Hitler konnte die sozialistische Bewegung mit eiserner Logik nachweisen, dass die nazistische Bewegung voller Lug und Trug war, dass es mit Hitler nicht in die Freiheit ging und nicht in die sozialistische Welt, sondern in den Krieg und in die der niederträchtigsten kapi- talistischen Knechtschaft. Die Volksmassen aber waren von ihrer eigenen Logik beseelt. Sie glaubten nicht mehr an eine so- zialistische Arbeiterbewegung. Sie betrachteten sie als eine wil- lige Dulderin kapitalistischen Machtwollens, und alle Hoffnung war in ihnen erstorben, dass es mit dem Mittel .der parlamenta- rischen Demokratie noch einen Ausweg aus der Krise und der Not geben könnte. Millionen Menschen wandten «cK innerlich von allen liberalistischen Verheissungen ab, das Bürger- tum selbst gab seinen Mutterbo- den, den Liberalismus, Dreis, und nur die sozialistische Bewegung, an deren Wiege die Erkenntnis gestanden hatte, dass Verfas- ifungsfragen Machtfragen sind, hatte allen Instinkt für das, was i die Stürme im Lande hervorge- rufen hatten, verloren. Sie wollte mit dem Gesetz gegen die Macht ankämpfen, als die Macht bereits das Gesetz gemeuchelt hatte. E« war nicht die Führung, es war die Bewegung selbst, die "versagte**, weil die Ideologie, ihre Struktur und ihre Methodik den neuen po- litischen Entwicklungsgesetzen nicht gefolgt war. Man konnte von ihr keine sozialistieoh«, T*• 6 DAS ANDERE DEUTSCHLAND DAS ANDERE DEUTSCHLAND In einem hochentwickelten In- dustrieland bildet die grosse Masse der industriell Werktäti- gen den tragenden Pfeiler der Ge- sellschaft. Industriell Werktätige sind alle, die als Arbeiter, Ange- stellte, als Betriebsleiter, Techni- ker, Ingenieure usw. im direkten Bereich der Produktion, des Han- dels oder des Verkehrs einen Ar- beitsplätz einnehmen, ohne am Besitz dieser Unternehmungen beteiligt zu sein. In Deutschland gehört zu dieser Schicht die Mehrheit des Volkes, und innerhalb dieser Schicht bil- den die Arbeiter den zahlenmä- ssig überwiegenden Faktor. Von der Art,. wie diese grosse Volksschicht der industriell Werktätigen politisch agiert, von dem Ausmass ihrer politischen Aktivität und ihrer nolitischen Geschlossenheit ist im hohen Ma- sse abhängig.in welchen Formen und auf welcher Höhe sich das gesamte, gesellschaftliche Leben bewegt. Es ist auch diese Volks- schicht, die in jeder, gesellschaft- lichen Umwälzung am stärksten berührt wird. Jeder Fortschritt und jeder Rückschlag findet sei- nen Niederschlag zuerst, in ihrer materiellen und seelischen Ver- f;assun"r, und wenn sie ihre politi- sche Orientierung - verliert, wird das gesamte gesellschaftliche Le- ben in Mitleidehschaft. gezogen. Es ist gar.nicht so falsch, wenn hin und wieder in Kreisen - der bürgerlichen . . Intelligenz bis- sig bemerkt wird» dass die Exi- stenz der . nag^isehen Diktatur hur durch die .Duldung der Ar- beiterschaft ermöglicht wurde. Aber die logische Fortführung dieses Gedankens führt zu der — ebenfalls richtigen — These, dass die Existenz des Regimes in Frage gestellt ist, wenn der Wille der Arbeiter, dieses Regime nicht mehr zu dulden, entfacht werden kann und sich durchsetzt. Einmal an diesem Punkt der Be- trachtungen angekommen, ent- steht nicht nur die Frage, wie eine revolutionäre Bewegung der in- dustriell Werktätigen mit einer geschlossenen politischen Schlag- kraft entstehen könnte, sondern auch die Frage, warum sie bisher noch nicht entstanden ist. Die politische Durchdringung der industriell Werktätigen in Deutschland und zumal der Ar- beiter ist einmal »ehr stark gewe* ZWISCHEN ZWEI WELTEN sen. Das Hauptverdienst hierfür konnte die sozialistische Arbei- terbewegung in Anspruch neh- men. Sie hat Millionen Menschen zum Denken gebracht, und zum politischen Streben erzogen. Sie hat praktische Werke des sozia- len und kulturellen Fortschritts geschaffen, sie hat das Ahnen in die Menschen hineingelegt, wel- che Aufstiegsmöglichkeiten durch die Kraft kollektiven Zusammen- stehens ausgewertet werden kön- nen, sie ist für Deutschland, das unter der Monarchie und der Re- publik lebte, ein gewaltiger Fak- tor des sozialen und des kultu- rellen Fortschritts gewesen. Aber die sozialistische Arbeiterbewe- gung wollte und konnte über das nicht hinaus, was sich ihr im Rah- men der gegebenen bürgerlichen Wirklichkeit an Möglichkeit bot. Diese Ordnung selbst wollte sie nicht antästen. Massen wie Füh- rer waren nicht revolutionär, und die wenigen revolutionären Füh- rer, die in der deutschen Arbei- terbewegung Rewirkt haben, scheiterten am Widerstand der Massen, ihnen Gefolgschaft zu leisten. Es hat viel revolutionäre Roman- tik in der deutschen sozialisti- schen Bewegung gegeben, nie eine revolutionäre Praxis. Die radikale Theorie hielt sich gröss- tenteils in weltfremden dogmati- schen Verzerrungen: in tausend Interpretationen wurden die grundlegenden wissenschaftlichen Frkenntnislehren verfälscht. die der Arbeiterbewegung in die Wiege gelegt worden waren. Sclbit auf den Arbeiterklasse brauchte in der Zeit des kapita- listischen Aufstiegs, der ja ihren ^i^enen Aufstieg brachte, eine Massenbewegung, und eine solche hätte auf revolutionärer Basis in Jener Epoche "ar nicht entstehen können. Die Bewegung war re- formistisch. weil sie durch eine reformistische Aufgabenstellung die Gegenwartsbedürfnisse der Arbeiter befriedigte. Erst der Zusammenbruch des Kaiserreiches brachte eine neue von Max Sievers*) Max Sievers war Vorsitzender des V' in der Bmigration den Kampf gegen Verhaftung Mi Frankreich wurde er Aufgabenstellung, und es hat ja auch an Versuchen für eine neue Lösung nicht gefehlt. Es ist eine allzu billige Weisheit, den Zu- sammenbruch dieser Versuche auf das Schuldkonto der Ebert und Noske zu setzen. Wer da- mals auf dem linken Flügel der deutschen Arbeiterbewegung ge- standen hat und nicht an Ge- dächtnisschwäche leidet, der weiss, dass die grosse Armee der sozialistischen Funktionäre und Mitglieder recht oberflächlich und nur sehr vorübergehend von der revolutionären Ideologie erfasst worden waren. Lockender als alles andere er- schien ihnen die Aufgabe, in den neuen Machtverhältnissen der Re- publik den Tagesförderungen des Reformismus Erfüllung geben zu können. #1 erbandes deutscher Freidenker. Er setzte den Nationalsozialismus fort. Nach seiner nach Berlin gebracht und hingereihtet. y Es ist ja dann auch vieles auf die- sem Gebiete erreicht worden. Nur ist von den politischen und sozialen Errungenschaften, die von einer ganzen Generation der Arbeiterbewegung und als auf- gegangene Saat früherer Genera- tionen der Arbeiterbewegung ge- erntet werden konnte, nichts mehr vorhanden. Millionen Hände und Köpfe hat- ten bei der Errichtung mitgewirkt und keine Hand rührte sich zur Abwehr, als der Faschismus in Wochen vernichtete, was in Jahr- zehnten aufgebaut worden war. Kann dieses beispiellose Bild eines Untergangs wirklich mit der These abgetan werden, dass die Führung versagt habe? Kein Führer, und erst recht nicht jene, von denen man weiss, wie arm WAS BLIEB VON DEN HERRLICHEN WORTEN . . von Johan Luzian Es ist. eine Zeit zwischen Lachen and Weinen. eine Zeit, wie die Erde noch keine gesehn, es ist eine Zeit, da die Herzen versteinern, ane Zeit, da die Toten wieder erscheinen und klagend über die Erde gehn: Der Tommy, war er nicht für die Freiheit gefallen, und fiel der Poilu nicht für Wahrheit und Recht. Was blieb von den herrlichen Worten als neue Feindschaft im Menschengeschlecht? Es ist eine Zeit ohne Richtung und Ziele, Eine Zeit, die aus alter in neue Schuld fällt. Warum starben nur so Viele, so Viele? Wenn den Toten das Leben P Ketten gefiele, wären sie alle noch auf der Hett. . ,, ^ Doch der Mann vom Cmio imr für die Freiheit gefallen, und der Sowjetmann wmßte die Brüder befrein. Was blieb von den hirrfehen Worten allen. Es ist eine Zeit zum Weinen und ^Lachen, es ist eine Zeit mit der Lüge im Schild. Könnte Gott die Erde noch einmal machen, er brauchte den Lehm zu besseren Sachen als zu seinem traurigen Ebenbild. Denn auch der Deutsche ist für die Freiheit gefallen, den Hitler im Lager zu Tode gequält. Was bleibt von den herrlichen Worten allen, die man vorm Sterben den Völkern erzählt. Es ist eine Zeit, um noch tofter zu werden, eine Zeit, die das Wort sich im Munde verdreht. Wir wollte?i die Knechtschaft-zertrümmern auf Erden, doch sind die Völker wieder nur Herdtn, um die der Hasss wie ein Werwolf geht. Aber allen, die. sich für die Freiheit geschlagen, hat einst Hoffnung die letzte Stunde erhellt — Und wenn wir Lebenden heute versagen, aehört den Toten von morgen die Welt. (Am: B*r Tag des Gerichts). an Geist und Energie sie waren, hätten die Massen vom Kampfe abhalten können, wenn sie zum Kampfe entschlossen gewesen wären. Aber warum waren sie nicht entschlossen? Sie hingen doch mit Inbrunst an ihren Organisationen, sie waren immer zur Stelle, wenn es Arbeit zu leisten gab. In ihren Reihen wohnte das Gefühl der Solidarität, der Disziplin. Ein grosser Teil von ihnen hatte im Weltkrieg seinen Mann gestanden und dort die Fähigkeit erworben, die Regeln eines Gewaltkampfes zu beherrschen. Und dennoch versagten sie. Nicht, weil es ih- nen an Mut fehlte, an Disziplin und Einsatzbereitschaft, sie ver- sagten, weil sie das Kampf seid nicht mehr erkannten, in das sie gestellt waren, sie hatten jede politische Orientierung verloren. Sie wollten gegen den Faschis- mus kämpfen, aber nicht gegen die bürgerliche Ordnung. Sie wollten den bürgerlichen Staat erhalten, weil er dasselbe Fir- menschild der Demokratie trug, in der ihre reformistische Auf- bauarbeit so grosse Erfolge er- zielt hatte. Aber dieser bürgerliche Staat be- fand sich bereits in der Auflö- sung. Die Verfassung wurde zer- rissen. das Parlament entmach- tet, der sozialpolitische Abbau wurde vollzogen, noch ehe Hitler die Macht ergriff, und Hitler er- hielt seine Bestallung zum Reichs- kanzler von dem Oberhaupt der Republik, der weder ein Demo- krat noch ein Republikaner war. AIs das Bürgertum in seinen ent- scheidenden Teilen längst ent- schlossen war, mit dem Mittel der faschistischen Diktatur gegen die Arbeiter Front zu machen, lebte die Arbeiterschaft immer noch in dem Wahn, dass sie mit dem Bürgertum gegen den Faschis- mus kämpfen könne. Einmal auf dieser abschüssigen Bahn der po- litischen Desorientierung ange- langt, gab es keinen Half mehr. Es war antifaschistische Taktik, passiv zu erdulden, wie Brüning die Verfassung zerriss, es galt als eine antifaschistische Aktion, mit Hindenburg gegen Hitler zu mar- schieren, es war Demokratie, dem nazistischen Terror den Stimmzettel entgegenzuhalten. Und mit dem Stimmzettel siegte Hitler. Selbst wenn man alles er- mitteln und in Abzug bringen könnte, was aus den Reihen der Werktätigen vom Terror ge- zwungen für Hitler votierte, es blieben immer noch Millionen ar- beitender und arbeitsloser Men- schen übrig, die freiwillig für ihn stimmten. Gegen die sozialistische Volksbewegung, die seit Jahr- zehnten im Volke verwurzelt war, und die nunmehr in den Reihen des Bürgertums und für seine Erhaltung kämpfte, war über Nacht eine Volksbewegung ent- standen, die das Bündnis mit den kapitalistischen Kräften verwarf und der sozialistischen Lösung zustrebte. Im Kampf gegen Hitler konnte die sozialistische Bewegung mit eiserner Logik nachweisen, dass die nazistische Bewegung voller Lug und Trug war, dass es mit Hitler nicht in die Freiheit ging und nicht in die sozialistische Welt, sondern in den Krieg und in die der niederträchtigsten kapi- talistischen Knechtschaft. Die Volksmassen aber waren von ihrer eigenen Logik beseelt. Sie glaubten nicht mehr an eine so- zialistische Arbeiterbewegung. Sie betrachteten sie als eine wil- lige Dulderin kapitalistischen Machtwollens, und alle Hoffnung war in ihnen erstorben, dass es mit dem Mittel .der parlamenta- rischen Demokratie noch einen Ausweg aus der Krise und der Not geben könnte. Millionen Menschen wandten «cK innerlich von allen liberalistischen Verheissungen ab, das Bürger- tum selbst gab seinen Mutterbo- den, den Liberalismus, Dreis, und nur die sozialistische Bewegung, an deren Wiege die Erkenntnis gestanden hatte, dass Verfas- ifungsfragen Machtfragen sind, hatte allen Instinkt für das, was i die Stürme im Lande hervorge- rufen hatten, verloren. Sie wollte mit dem Gesetz gegen die Macht ankämpfen, als die Macht bereits das Gesetz gemeuchelt hatte. E« war nicht die Führung, es war die Bewegung selbst, die "versagte**, weil die Ideologie, ihre Struktur und ihre Methodik den neuen po- litischen Entwicklungsgesetzen nicht gefolgt war. Man konnte von ihr keine sozialistieoh«, T*• 10 DAS ANDER! DEUTSCH! AND ten mehr erwarten, weil sie keine sozialistische Bewegung mehr war. Gemeinsam mit dem Libe- ralismus ist sie ' fü» immer ins Grab gesunken. Die Aufgabe des Kampfes um eine neue, aus die- ser Zeit herausgeborene Arbei- terbewegung steht vor uns. Das ist keine für "Führernaturen ", für Uebermenschen, denen die Rolle des Erlöser» zugewiesen Verden könnte. Es ist nazistisch« - nicht sozialistische Ideologie, zu glauben, dass das Werk einer Revolution nur das Werk eines Führers sein könne. * ' Reife, Aktivität und das Wis- sen um den richtigen Weg er- wirbt sich ein Volk durch prak- tische Erfahrungen auf seinem bisherigen Wege und durch das- tägliche Erleben, das ihm die Erkenntnis von - der gegebenen Situation und der drohenden Ge- fahren übermittelt. Die Frage nach dem Wohin kann daher nur realpolitisch beantwort tet werden, wenn man zum Aus- gangspunkt aller Betrachtungen lediglich die von der Diktatur geschaffene Wirklichkeit nimmt, und die Reaktion, die im Volke durch die Wirklichkeit ausgelöst worden ist. Es ist ein ungeheurer Wandlunge- prozess, der sich an den Verhält- nissen und am Menschen voll- zieht, wenn ein Volk gezwungen ist, den Marsch aus der Überall- stisch-kapitalistischen Welt über den Faschismus hinweg zur sozia- len Revolution anzutreten. Es lebt zwischen zwei Welten. Es weiss, dass das, was war, nicht wiederkehrt, dass das was ist, nicht bleiben kann, aber noch vermag es nicht die Frage zu be- antworten, was werden soll. ERICHTE AUS DEUTSCHLAND "Eines Nachmittags vor etwa vierzehn Tagen verabschiedete ich 'mich von einem Bekannten in der Limastrasse vor meinem Haus in Zehlendorf, während ein etwa dreieinhalb Fuss gro- sser flinker blonder Junge mich verabschiedet hatte und mich angaffte, so wie es Kinder seiner Art in Berlin tun. Als ich mich verabschiedet hatte und mich anschickte, in unser« Kantine zu gehen, näherte sich der Junge, grinste, ergriff meine Hand und sagte: "Du sprichst doch deutsch. Hast Du kein Kaugummi für mich?" So beginnt der Bericht des Ber- liner Korrespondenten der "Ti- me" über die Anknüpfung ei- ner Bekanntschaft in Berlin, zu dem die Zeitschrift bemerkt: "Die Welt mag es vergessen ha- ben, aber Berlin ist mehr als das Hauptquartier der internationa- len Militärregierung. Es leben auch noch Menschen dort." Als er dan nmit. dem Kind eine Strecke Weges gegangen war lud er ihn nach Aushändigung des gewünschten Kaugummis ein, . wiederzukommen. Der kleine Dietrich liess nicht lange auf eich warten. Bereits am nächsten Morgen war er wieder zur Stelle. Er war acht Jahre alt, trug saubere geflickte Kleidung, "war mager und bald ebenso ge wandt wie ein Wolf, und trieb sich lange Zeit um das Lager der Prsseeleute herum, um Zigaret- tenstummel aufzulesen. vMeine Mutter raucht die langen, und die anderen tauschen wir gegen Kartoffeln ein", so erklärte er ernsthaft So bildete sich allmählich eine Freundschaft zwischen dem Kor- respondenten John Scott und Dietrich durch kleine Geschen- ke heraus, die Scott noch för- derte. Und so erählte Dietrich allerlei: "Die Lehrerin weiss nicht so viel wie wir. Sie erzähl- te uns: die Engländer und die Amerikaner seien sehr böse und die Russen Barbaren. Nun er- zählt sie uns, Hitler sei ein Bar- bar gewesen, die Engländer und Amerikaner retteten uns, und über die Russen sagt sie gar nichts mehr. "Wir wissen, nicht wahr", und damit wandte er sich an die ebenfalls anwesende sechsj ährige Schwester Heide, "dass das alles Quatsch ist. Der Krieg ist barbarisch. Die Men- schen sind alle gleich. Was wir den anderen Völkern taten, das hm sie jetzt uns und nun ist alles zerstört." Bei einer anderen Gelegenheit verrät Dietrich: "Was mir Spass machte' war, in den Gehölzen der Krummen Lanke herumzu- laufen. Wir verbrachten dort schöne Tage. Weisst Du, in den Wäldern lagen noch viele Lei- chen — einige von der Wehr- macht, einige vom Volkssturm und viele Russen. Wir haben da jeden Ta klärt, es sei für sie kein Platz da. Beschwerden bei dem alliierten Kom- mando machten diesem Skandal ein Ende. Der sozialdemokratische Kongress in Hannover tvar auch von drei sozial- Hungerwinter und Hungertod In Nr. 100 unserer Zeitschrift haben wir auf Grund einer Reihe von Tat- sachen festgestellt, dass die Durch- führung der Potsdamer Beschlüsse Millionen von Deutzchen dem Hun- gertod ausliefern müsse. Wir haben damals gesagt, man möge nicht mit allgemeinen Redensarten über unsere Beweisführung hinweggehen, sondern sie durch Argumente entkräften. Das ist nicht geschehen. Wohl aber waren in einem Gespräch mit einem deutschen Antifaschisten, der also nicht aus Hasspsychose sagt: Recht geschieht es den Deutschen, wenn sie mitsamt ihren Kindern krepie- ren, „Argumente" dieser Art zu hö- ren: Es ist ja gar nicht erwiesen, dass die Deutschen aus Polen ausge- wiesen werden; Deutschland braucht keinen Export, denn Export ist eine kapitalistisch-imperialistische Angele- genheit; es wird schon niemand ver- hungern in Deutschland. Gegenüber solcher Argumentation und solcher Herzenskälte, zu deren Ueberwin- dung wahrscheinlich das persönliche Mitbetroffensein von Hunger und Not das einzige ausreichende Mittel wäre, kann ach der Notschrei der Wohltätig- keitsorgauisationen in Deutschland kaum etwas ausrichten. Er wird erhoben von der vorhitleri- stischen Leitung des Roten Kreuzes, dem katholischen Caritas:Verband und der evangelischen Inneren Mis- sion und ist an den Obersten Ver- waltungs-Rat der Alliierten in Berlin gerichtet. Es wird gesagt, dass die Bevölkerung der russischen Beset- zungszone zwischen Oder und Elbe durch den Zustrom aus den von Po- len annektierten deutschen Provinzen usw. von 19 auf etwa 30 Millionen angewachsen ist, und dass die An- kunft von weiteren Millionen Ausge- wiesener unmittelbar bevorsteht. Auf Grund dieser Situation erklärt der Vertrauensarzt des Roten Kreu- zes, dass Millionen dem Hungertod entgegensehen. Er sagt weiter: „Die Ernährungslage würde auch bei nor- malem Stand der Bevölkerungszahl katastrophal sein. Die Kartoffelernte, unsere Ilauptnahrungsquelle, ist in diesem Jahr 40% unter dem Durch- schnitt. Die Aerzte des Roten Kreu- zes erklären, dass die Todesfälle in diesem Winter ganz besonders gross bei den Kindern unter vier Jahren sein werden. Unter den kleinen Kin- dern kann die Sterblichkeit auf 80 bis 90 Prozent steigen! Die Oeffnung der von den Amerika- nern und Engländern besetzten Ge- biete für den Menschenstrom aus dem Osten, der sich in der russischen Zo- ne staut, wie sie von den Wohltätig- keitsorganisationen gefordert wird, vermag auch keine Hilfe, höchstens eine gewisse Erleichterung zu bringen, denn auch diese Gebiete sind, wie wir nachwiesen, stark übervölkert und der landwirtschaftlichen Ueber- schussgebiete ebenso wie der Einfuhr von Lebensmitteln aus dem Ausland beraubt. Montgomery hat soeben ein äusserst düsteres Bild der Situation entworfen, und in der nordamerika- nischen Zone ist den Deutschen ver- boten worden, nach Eisbarem in den Abfalleimern der nordamerikanischen Soldaten zu suchen. Nun muss ohne weiteres zugegeben werden, dass nicht nur in Deutsch- land Not, Hunger und Kälte herr- schen, sondern in grossen Teilen Europas, und dass die Alliierten selbst bei dem besten Willen nicht in der Lage wären, das deutsche Volk vor den Nöten diezes Winters zu bewahren. Aber durch ihre Mass- nahmen haben sie die Schrecken die- ses Winters ins Ungemessene gestei- gert. Die Vertreibung der DSutrchen aus Polen und der Tschechoslowakei vor allein ist es, die die Lage ins Unerträgliche verschlimmert. Diese brutale Nazimethode lässt in Polen entvölkerte Gebiete zurück, um in das übervölkerte Restdeutschland Menschen zu pferchen, für die es we- der Arbeit noch Existenzmöglichkei- ten gibt. Das Andere, was die Lage unerträglich macht, ist der Abtrans- port von Maschinen und die Still- legung auch solcher Fabriken, die nicht zerstört sind. Nur-mit Grauen kann man an die- sen deutschen Winter und an seine Folgen für Deutschland und Europa denken. demokraten aus London besucht, de- nen die Engländer ein Flugzeug zur Verfügung gestellt hatten. Ebenso nahm° der frühere Vorsitzende der Braunschweiger SPD Grotewohl als Vertreter der Sozialdemokraten in der russischen Besatzungszone teil. Ueber den Verlauf ist z. Z. nur bekannt, dass der Vorsitzende Kurt Schuma- cher die Bestrafung aller Naziver- brccher verlangte, ein Ziel, von dem man noch weit entfernt sei. Ebenso müsse der entschiedenste Kampf ge- gen die nazistische und militaristi- sche Ideologie geführt werden. Nazi-Opfer. Eines der letzten Opfer der Nationalsozialisten während ihrer Herrschaft dürfte Rechtsanwalt Sturftifels, ehemaliger sozialdemokra- tischerAbgeordneter Im hessischen Landtag sein. E.Y wurde noch zuletzt aus dem Konzentrationslager Bu- chenwald abgeholt und ermordet. Gen. Sturmfels war Vertreter von Carl Mierendorf. GrothewoTiI. Zeitungen in fler briti- schen Besetzungszone veröffentlichen einen Brief des Genossen Otto Grote- wohl. Daraus geht hervor, dass er am 5. März 1&33 verhaftet, 12 Jahre im KZ festgehalten und erst am 7. April 1945 von Truppen der alliierten Westmächte aus Dachau befreit wur- de. — Der Brief ist zwar aus Braun- schweig datiert, Genosse Gvot^wohl befindet sich aber in Berlin, als einer der drei Vorsitzenden des dortigen Zentralsauschusses. DAS ANDERE DEUTSCHLAND 12 Der S. P. D.-Dienst meldet1 Jiea:Erncnnangen. In* der letzten Wo- che sind uns folgende Neu-Ernennun- gen von Sozialdemokraten bekanntge- worden: die Genossen Leuteritz und Bisenbarth zu Jenateren in Hamburg: ernannt. Zum Oberbürgermeister von , Rathenow der frühere Stadtkämmerer und MdL, Gen. $cillat; Oberbürger- meister von Wilhelmshaven: Gen. Pfaffratfc; Oberbürgermeister von Leipzig: ,Gen. Dr. J^ich Zeigner. Zum Landrat in NailajQberfranken wurde der frühere bayrische MdL, Genosse Artur Tübel, zum Stadtrat in Augs- burg der Genosse Xaver Sepnefelder ernannt. Berlin. Drei Sozialdemokraten bilden den engeren Vorstand de» in Berliti neuerstandenen "Verbandes der tech- nischen Angestellten und Werkmei- ster": die Genossen v Max Günther, Paul Neubecker und Waschow. Der frtthere .sozialdemokratische Reichstagsäbgeordnete Walter Oet- tinghaus hat in Mexiko einen Schlag- anfall erlitten und befindet sich auf dem Wege der Besserung. — Der frü- here sozialdemokratische Redakteur Dr. Klaus Zweiling hat in der von der Roten Armee in Berlin veröffentlich- ten "Täglichen Rundschau" einen Ar- tikel erscheinen lassen. Schweix. .Unsere Bruderpartei in der Schweiz hat auf ihrem kürzlich statt- gefundenen Parteitag eine Erschlie- ssung zur Deutschlandfrage' gefasst, in der sie sich für den Wiederaufbau einer freien, sozialistischen' Arbeiter- bewegung in Deutschland einsetzt, der "von unten her, unter Heranzie- hung qualifizierter Kräfte aus Deutschland selbst und aus der inter- nationalen Arbeiterbewegung", ■erfol- gen soll. "Die neue Arbeiter,-Interna- tionale muss sich bei den Regierungen der Vereinten Nationen für die Durch- führung dieser Aufgabe Einfluss und Geltung verschaffen." Paul Loebe. Nach Berlin zurückge kehrt ist Paul Loebe, der 1943 nach Liegnitz verzogen war, als seine Ber- liner Wohnung durch Bomben ver- nichtet wurde. Frankreich. Auf dem Parteitag der französischen Sozialistischen Partei wurde eine Erklärung unserer Lan- desgruppe verlesen, in der um Ver- ständnis und Unterstützung für den Wiederaufbau einer Sozialdemokrati- schen Partei in Deutschland gewor- ben wird. Rückkehr. Nach Deutschland aus der Emigration zurückgekehrt Üst Willi Jesse, der wegen seiner aktiven Be- teiligung am Friedensputsch vom 20. Juli 1944 ins Ausland fliehen musste und mit Hilfe dänischer Genoasen nach Schweden gebracht wurde. Neu-Eriienirnngeh. In den letzten Ta- gen sind im besetzten Deutschland wiederum Beamte neuernannt wor- den, unter denen sich auch die fol- genden Sozialdemokraten befinden: Adolf- Grknme zum Regierungsdirek- tor für das Erziehungswesen beim » Ob'erpräsidehten1 der Provinz Hanno- ver; Wilhelm Kaisen zum regieren- den Bürgermeister von Bremen (Gen. Kaisen war früher 2. Bezirksvorsit- zender der Partei in Hamburg-Nord- west); Thomas Wimmer zum 3. Bür- germeister von München; Erwin Barth zum Polizeipräsidenten von Hannover. Der frühere Reichstagsab- geordnete, Genosse Fritz Henssler leitet in Dortmund in Zusammenar- beit mit der Militärregierung ein Büro, das zur Beratung bei der Neu- bildung von örtlichen Gewerkschafts- leitungen • eingerichtet ist. Wiederaufgetaucht sind in den letzten Tagen u. a. die folgenden Sozialde- mokraten: Johannes Lau, der nach 8 Jahren Konzentrationslager wieder in Hannover ist; Spliedt vom A.D. G.B., der sich zurzeit in Hamburg be- findet; und Mozer, früher Redakteur jn Ostfriesland, der sich in Holland verborgen hielt. Xuchträg.lich wird bekannt, dass Ge- nosse Albert Kranold, ehemaliger Chefredakteur aes Breslauer SPD- Blattes, im Herbst 1944 in Berlin im Alter von 56 Jahren gestorben ist. Wiederaufgetaucht sind u. a. Richard Barth (Buchdruckerverband), Otto Urban (ZdA), A. Rupprecht (Konzen- tration AG), Otto Macker (Inseraten- Union) und Rudolf Friehof zuletzt Parteisekretär der SPD in Kassel, der jetzt Regierungsrat beim Oberpräsi- dium in Kassel ist. Arbeiterwoülfahrt. In Dortmund ist die ..ArbeiterWohlfahrt" wieder reorgani- siert worden. Gemeinsam mit der „Ca- ritas" und anderen Organisationen hat sie sich in die Hilfsarbeit einge- schaltet. Dänischer Parteitag. Der Vertreter der SPD-Landesgruppe in Dänemark wurde auf dem Parteitag der däni- schen Partei vom Genossen Hedtoft- Hansen mit den Worten begrüsst: „Wir habest in unserer Mitte den Ver- treter der deutschen, politischen sozi- aldemokratischen Emigration in Dä- nemark, den Genossen Gustav Wolter, der in Deutschland von den National- sozialisten verfolgt v/urde und dem es gelang, aus dem Zuchthaus nach Dä- nemark zu entkommen. Er hat uns in der Zeit der Besetzung wertvolle Dienste geleistet, wofür wir unseren Dank aussprechen". Flüchtlingslager. Zur Arbeit in den Lagern deutscher Flüchtlinge in Dä- nemark hat die SPD-Landesgrupe die Genossen W. Schulze und K. Rowold delegiert, um durch Aussprachen, Vor- träge, Rat und Hilfe usw. engeren Kontakt herzustellen. Sachsen. Als Sekretär der SPD in Sachsen wird Buchwitz genannt, wir nehmen .an,, es handelt sich um Otto Buchwitz, ehemaligen Reichstagsabgeordneten und Parteise- kretär in Schlesien, der in Dänemark verhaftet und in Deutschland au mehr- jähriger Zuchthausstrafe verurteilt wurde. Xeu-Erueiiiiuiigen. Unter den in den letzten Tagen neuernannten Beamten im ' besetzten- Deutschland befinden sich auch die folgenden Sozialdemo- kraten: Gustav Pinkenburg, Bürger- meister von Würzburg; Bratke, Ober- bürgermeister von Hannover; Georg Spiegel, Bürgermeister von Potsdam; Hussmanii, Leiter der Ri'gionalregie- rung der Pfalz und Bürgermeister von Ludwigshafen; Alexander Mül- ler, Bürgermeister von Kaiserslau- tern; J. Seh unk, Bürgermeister von Pirmasens; Ignatz Roth, Bürgermei- ster von Zweibrücken. G. E. Graf. Als Schulreferent der Pro- vinzialregierung Brandenburg und Dozent an der Volkshochschule Ber- lin wird Georg Engelbert Graf ge- nannt, der sich während der Nazizeit publizistisch in Deutschland betätigt hat. Brandenburg. > Die Sozialdemokrati- sche Partei in Brandenburg meldet im August einen Mitgliederstand v#n 1500. K. Schumacher. Mit der Vorbereitung der Reorganisierung der Partei, de- ren offizielle Zulassung in den westl-i chen Zonen in Kürze erfolgen dürfte, ist an hervorragender Stelle Genosse Dr. Kurt Schumacher, früher Stutt- gart, jetzt Hannover» beschäftigt. OehlÄchläger. Robert Oehlschläger einer der Gründer der Arbeitersport, und Arbeiterschach-Bewegung, ist im Juli d. J. in Berlin gestorben. Julius Leber. Nachträglich wird be- kannt, dass Dr. Julius Leber, der be- reits kurz vor dem Friedensputsch vom 20. Juli 1944 verhaftet worden war, wegen seiner führenden Betei- ligung an den Umsturzvorbereitungen am 20. Oktber zum Tode verurteilt und Anfang Januar hingerichtet wurde. 'Aus einem Brief: Mein Eindruck ist, dass Deutsch- land durch die verbrecherische Hals- starrigkeit der Nazis und durch den Hass der Gangsterftihrer gegen alles ausser ihnen selbst in einen weiten Trümmerhaufen verwandelt worden ist. Als die Russen schon herannah- ten und die Amerikaner bereits Mag- deburg besetzt haben, als der Krieg also verloren war und nicht die ge- ringste Chance mehr bestand, haben die Deutschen vcm östlichen Elbe- ufer Granate auf Granate nach Magdeburg geschossen, indem sie ihr eigenes .Volk mordeten und die schon ziemlich grosse Zerstörung steiger- ten. Magdeburg sieht schlimmer aus als irgendeine Stadt im Ruhrgebiet... Halle ist fast ganz unversehrt. Es ist bei weitem die beste deutsche Stadt, die ich gesehen habe, und ich habe viele gesehen. — Auf den Druck der Linken wurde sie übergeben, als die Amerikaner sich näherten und so wurde ihr der letzte Bombenan- griff erspart . . . Deutschland ist nach zwölfjähriger Abwesenheit wieder mein Tätigkeits- feld geworden. Ich war in machen, Düren, Jülich, Bonn, Köln, Godes- berg, München.Gladbach, Rheydt, Krefeld, Neuss, Düsseldorf, in fast allen Ruhrstädten, in Münster, Os- nabrück, Bremen, Braunschweig, Hannover, Bielefeld, Göttingen, Kas- sel, Magdeburg, Halle, Leipzig und in vielen, vielen kleinen Städten und Dörfern. Ich habe soviel Zerstörung, so viel Ruinen, Schutt und Trümmer, so viel Leid und Elend gesehen, so viel Verwesungsgestank und fauligen Schutt- und Modergeruch gerochen, dass keine noch so grauenhafte Ver- wüstung mich sonderlich erschüttert. Ich bin beinahe schon so abgestumpft wie die Leute, die in den Ruinen leben. 1 v DAr ANDERE DEUTSCHLAND 13 APPELL DER SUDETENDEUTSCHEN SOZIALISTEN Die unterzeichneten freigewählten Vertreter von 300.000 sudetendeut- schen Arbeitern sind tief erregt über die Ankündigung der tschechoslowa- kischen Regierung, die eine Politik •unterschiedsloser Vergeltung gegen die ganze Sudetenbevölkerung ankün- digt. Am 11. Mai forderte der stellvertre- tende Ministerpräsident Gottwald die Austreibung aller deutschen und ungarischen Minderheiten, also von insgesamt 4 Milionen Menschen. Am 14. Mai erklärten die Generale Swo- tooda und Harus, als Sprecher der Armee, für Deutsche gäbe es in der Tschechoslowakei keinen Raum mehr, es sei denn in* Gefängnissen und Kon- zentrationslagern. Am 16. Mai bs- kannte sich Präsident Benesch selbst bei seiner Ankunft in Prag zu der Absicht, 4 Millionen Deutsche und Ungarn in der Tschechoslowakei kom- promisslos zu liquidieren. In Ausführung dieser Politik kündig- te der Informationsminister Kopeck.v an, dass Einheiten der tschechoslo- wakischen Armee bereitstünden, uio die Tschechoslowakei mit Gewalt von den deutschen und ungarischen Mi- noritäten zu säubern. .Eine offizielle Kommission für die Absiedlung vor, Tschechen und Slowaken in den gs- 'räumten Grenzgebieten ist in Prag eingesetzt worden. Angesichts dieser katastrophalen Ent- wicklung erklären wir vor der freien Welt: Diese Massenaustreibung von. 4 Mil- lionen Staatsbürgern der nationalen Minderheiten ist eine Fortsetzung von Hitlers Bassenpolitik, verkleidet als ein Akt „demokratischer Vergeltung". Sie macht keinen Unterschied zwi- schen Nazis oder Kriegsverbrecher. Ihr Ziel ist die totale Vernichtung der sudetendeutschen Demokratie, die gegen die Henlein-Regierurg einen hroischen Kampf führte und die in der dunkelsten Stunde des tschechi- schen Volkes seine einzige Bundesge- nossin war. Wir erinnern an das Zeugnis • eines Mitgliedes der gegenwärtigen tsche- choslowakischen Regierung, der in seinem Buch „Munich, Before and After" schrieb, dass die Demokraten unter den Sudetendeutschen, ein Drittel der Bevölkerung, genau eben- so Opfer der Entscheidung von Mün- chen seien wie das tschechische Volk selbst. So wurde mindestens eine Mil- lion Sudetendeutsch er gegen ihren Willen an Hitler ausgeliefert. Mehr als 20.000 wurden sofort in die Kon- zentrationslager geschleppt. Nach un- serem besten Wissen können wir ver- sichern, dass sich die Opfer der su- detendeutschen Demokratie mit den belgischen und norwegischen messen können. Wir erinnern daran, dass das Sude- tengebiet samt seiner Bevölkerung •durch eine internationale Entschei- dung, an der die Regierung Englands und Frankreichs teilnahmen, an blems und der Schutz der demokra tischen Sudetendeutschen fällt dabei in den Rahmen der moralischen Ver- antwortung dieser Mächte. Wir haben dementsprechende Infor- mationen der alliierten Europa-Kom- mission unterbreitet, als die Austrei- bungsipläne der damals noch im Exil weilenden tschechoslowakischen Re- gierung zur Diskussion standen. Eine Entscheidung wurde niemals veröf- fentlicht. Wir haben Grund zu der Befürch- tung, dass das Schicksal von 3,2 Mil- lionen Deutscher und 700.000 Ungarn entschieden worden ist, — nicht wie es sollte, auf der Friedenskonferenz, sondern — zum dritten Mal in 25 Jahren! — durch einen Akt der Will- kür. Vier Millionen Menschen im Her- zen Europas werden ihrer Heimstät- ten, ihres Eigentums und ihrer Men- schenrechte beraubt. Das geschieht, nachdem die Feindseligkeiten einge- stellt worden sind, ohne demokrati- sches Verfahren und ohne unpartei- isches Urteil. Wir lenken die Aufmerksamkeit al- ler gerecht denkenden und friedlie- benden Menschen auf diese Tragödie. Sie ist für den kommenden Frieden ein schlechtes Vorzeichen. Wenzel jacksch Eugen de Witt Franz Katz STIMMEN ZUR FRAGE DER SUDETENDEUTSCHEN Der jetzige englische Arbeitsminister Hugh Dalton Mai 1938: „Die Internationale drückt ihre höchste Anerkennung aus für die entschlossene Treue der deutschspre- chenden Sozialisten gegenüber den Grundsätzen der persönlichen Frei- , heit und der Demokratie. Sie leben Tag für Tag inmitten eines Terrors, der aufgestachelt wird von jenseits L» der Grenzen und der sich stützt auf die Drohung mit Waffengewalt." Mitteilung des Tschechoslowakischen Presse-Büros LS. 9. 1938 ,,Die Berichte über den Verlauf der Mobilmachung unter den Bewohnern deutscher Nationalität beweisen, dass die deutschen Bürger der Tschecho- slowakischen Republik willig unti dis- zipliniert zu den Fahnen strömen. Die Deutschen, die unter den Einfluss von Henlein geraten sind, kehren wie- der zu normalem Leben und zu ih- ren Bürgerpflichten zurück. Sie wün- schen Brot Und Frieden und werden die Republik gegen jede Macht und gegen jeden Willen verteidigen." Benestii zu Noel Baker (öffentlich mitgeteilt am 3. 7. 1940): „Diese deutschen Sozialdemokraten waren nichts geringeres als Helden; sie haben uns gezeigt, was Entschlos- senheit und vornehme Gesinnung an Kampf für menschliche Freiheit zu leisten vermögen." Der kommunistische Erziehungsmini- ster Dr. Nejedly an» 24. 5. 1945: „Man musste kompromisslos gegen die Deutschen vorgehen : . . Wir kennen Deutschland abgetreten wurde. Eine keinen einzigen fortschrittlichen gerechte Regelung des Sudetenpro- Deutschen, und es gibt keinen." Ist fast zu Ende. Bs Ist nur noch ein ir.telektueller Prozess: Mein Gott, wer soll nur den Dreck wegräumen? Wo leben die vielen Menschen über- haupt inmitten dieses neuen Pompe- ji? Wovon ernähren sie sich? Wie lange werden sie brauchen, wieder ein normales und menschenwürdiges Dasein zu führen? Aus dem Bericht über eine Reise in Westdeutschland Der Gesamtelntiruck ist sehr gut, die Stimmung, wenn es'sich um die Zukunft der Bewegung handelt, sehr optimistisch, wenn man jedoch über das Verhältnis zu den Besatzungsbe- hörden und die alltäglichen Sorgen, die Wohnungsbeschaffung und Er- nähimngsfragen, spricht, sehr ge- drückt. Die Genossen können sich sehr schwer einen Begriff davon ma- chen, wie Deutschland heute im Aus- land beurteilt wird. Sie meinen, dass ihre persönlichen Leiden und Opfer ihnen die Berechtigung geben müss- ten, , die entscheidenden Dinge mass- gebend zu beeinflussen. Sie haben je- doch das Gefühl, dass man sie von Seiten der Besatzungsbehörden genau so beurteilt, wie die Nazianhänger und sie auch so behandelt. Die Ge- nossen haben mich dringend gebe- ten, bei r.llen unseren Verbindungen im Ausland mit grösster Nachdrück- lichkeit darauf hinzuweisen, dass man die neu sich bildende Arbeiter- bewegung fast automatisch in eine nationalistische Richtung treibt, wenn man weiter wie bisher die Ar- sten Opfer des Faschismus in Deutschland von der Gestaltung der innerdeutschen Angelegenheiten fern- hält. Sie sind der Auffassung, dass zahlreiche Offiziere der Besatzungsar- mee mit Nazi» und sonstigen reaktio- nären Kreisen Kontakt haben und das darauf zurückzuführen sei, dass diese gegenüber den Besatzungsbe- hörden und ihren Massnahmen we- sentlich bereitwilliger, man kann so- gar sagen, kriecherisch sind . . . Die Genossen hoffen sehr, dass die Bruderorganisaticnen im Ausland irr der nächsten Zeit grösseren Ein- fluss gewinnen, uzn ihr Cswicht gel- tend machen zu können. Dabei ge- hen sie von der für einen erprobten Sozialisten selbstverständlichen Vor- aussetzung aus, dass die ausländi- schen Brudercrganlsationen genau wie sie selbst das stärkste Interesse an einer möglichst raschen Demo- kratisierung Deutschlands mit Wie- deraufleben starker Arbeiterorgani- sationen haben. Meine vorsichtigen Andeutungen, dass innerhalb der aus- ländischen Bruderorganisationen die Meinungen über dieses Problem noch sehr geteilt seien, hinterliessen einen erschütternden Eindruck. Ich regte an, dass die Genossen so schnell wie möglich ihre tatsächlichen Leiden unter dem Hitlerregime durch gut fundierte Berichte bekannt zu ge- ben. Das Argument des Auslandes, dass man selbst zu einer neuen deut- schen Arbeiterbewegung wenig Ver- trauen haben kenne, da i»n in Deutschland keinen Widerstand ge- gen das HitlerregImc habe feststel- len könne», löste helle Ettraorung 14 DAS ANDERE DEUTSCHLAND C'EST LA GUERRE... aus. Jeder der Anwesenden (es han- delte sich um eine Besprechung mit SO Funktionären) überschüttete mich mit Beweisen von Verhaftungen, Fol- terungen end anderen Beispielen des Widerstandes. Ich konnte den Sturm der Entrüstung über den Mangel an Verständnis für die Position der deut- schen unterirdischen Bewegung wäh- rend der langen zwölf Jahre des Na- ziterrors nur dadurch eindämmen, dass ich mein festes Versprechen ab- gab, alle unsere Kräfte im Ausland dafür einzuspannen, damit wenig- stens in den Kreisen der ausländi- schen Bruderorganisationen die Lei- den und Opfer unserer OertMfeen be- kannt werden. \ WledepanfRetaucht sind u. ». Carl Moltmann (jetzt 1. Vorsitzender der SPD in Schwerin); Eugen Ern'st (der die Partei in Werder wiedergegriln- •det hat); fOarl Zörgiebel' (a«r vor- übergehend Polizeipräsident in Mainz war); Hermann Lüdemann (der jetzt führend in der Mecklenburger Partei- organisation ist): Luise Schröder (die hl Berlin einen Artikel veröffentlicht hat) und Friedrich Eb^rt (im Bran- denburger Bezirksvorstand). B. Tftpe. Der dritte Vizepräsident der Provinzialverwaltung Sachsens. Ernst Tape, ist zum Mitglied der Provinzial- kommisaion für die l#andreform in der Provinz Sachsen ernannt worden. Kautaky Uber Buvli»nwnld. Benedikt Kautsky, der dem Komitee der demo- kratischen Sozialisten im ehemaligen KZ Buchenwald angehörte, erklärte u. a. in einem Vortrag- vor deutschen Emigranten In der Schweiz: „Es ist wohl die sonderbarste Erscheinung des Naziregimes, dass schliesslich in Deutschland die einzige geistige Freiheit nur hinter Stacheldraht zu finden war. In den KZ hatte sich seit 1933 langsam ein Kern von politischen Häftlingen gebildet, der die morali^ sehe Widerstandskraft des Lagers •darstellte . . . und sich ihre geistige Preineit und trotz schwerster Arbeit ein intensives, gelstfees Leben be- wahrten, wie ea ausserhalb des La- sers nirgends mehr möglich war . . . Wie aktiv dieser Kern war, zeigte sich bei der Befreiung, als durch die Tahsih&fte Organisation der Häftlinge das Lager gleichzeitig von innen und aussen befreit wurde." Hans Vogel, einer der früheren Vor- sitzsnden der SPD., ist unerwartet in London gestorben. Hans Vogel war bis zum Machtantritt Hitlers einer der Vorsitzenden der SPD. Nach dem Tode von Wels war er Vorsitzender der Auslandsorganiaation der SPD und Vorsitzender der überparteilichen Union Deutscher Sozialisten in Lon- don. vor einigen Tagen meldeten die Zeitungen, dass Högner die Absicht habe, Vogsl als ACiterbefter nach Bayern zu holen. Der Tod hat Vo- gels Wunsch, noch einmal wieder in jysutschUnd tätig w sein, vereitelt. Ernst Thälmann ist nach den Versi- cherungen von Leon Blum nicht wie Rudolf Breidscheid in Buchenwald *ir.er Fliegerbombe zum Opfer gefal- len, sondern von den Nazis ermordet Worden. Der amerikanische Korrespondent Durrance schrieb aus Wien: ,,Seit die Russen nach Wien gekommen sind, haben sie einen Plünderungs- feldzug geführt, der die Stadt von allem entblösst hat. Russische Trup- penzüge sind vollbeladen mit Solda- tenbeute: Sessel, Sofas, Fährräder, Kun tgegen stände. Gruppen russi- scher Soldaten sind durch die Miets- häuser gegangen, Wohnung für Wohnung. Sie brachen die Türen ein und nahmen, was ihnen gefiel. Rote Soldaten machten es sich zur Gewohnheit, Zivilisten auf der Stra- sse anzuhalten und ihnen Uhren, Armbänder, Geld abzunehmen. Jetzt, drei Monate nach der Besetzung, ist es immer noch so. — Aus mehreren Quellen wurde mir berichtet, dass in den ersten Wochen nach der Beset- zung die Russen, je nach der Grösse eines Mietshauses, eine bestimmte Anzahl Frauen sich ausliefern lie- ssen." Ein Sergeant , des amerikanischen Armee schreibt aus Oesterreich: „Es ist riehtiij, dass die Russen plündern. Ja, man muss zugeben, dass ihr Ver- halten in eroberten Gebieten nicht besser ist als das unsrige. Der ame- rikanische Soldat jeden Ranges hat geplündert, und ich beziehe mich auf das, was ich selbst gesehen habe . . . Was nun die Vergewaltigungen an- geht, so halte ich es für wahrschein- lich, dass mehr russische Soldaten solcher Vergehen schuldig sind als amerikanische, aber der Unterschied ist leicht dadurch zu erklären, dass der Amerikaner dem europäischen Mädchen, von seinen Rationen, sei- ner Schokolade, seinen Zigaretten sh-ieben kann . . . Jedenfalls finde ic'i nicht, dass die amerikanischen Traunen den russischen in den oben- erwähnten Dingen überlegen sind..." Ein anderer Sergeant der amerika- nischen Arme? schreibt aus Deutsch- land: ..»Die Leser Ihres Artikels wer- den di? Russen als Plünderer und Vergewaltiger verurteilen, aber sie werden übersehen, dass unsere ei??ns Armee und auch die en^l^ohe ihren Anteil an Plünderung1 und VergewaV tigung haben . . . Deutschland ist vnn unsern Trümer k^hl geolürH^rt. worden, so gründlich da?= lmsrefä1"^ die ein?i?en O^schäfte. die noch et- was zu verkaufen Haben, die jFis Herzfeld (Reconquleta 424 (U. T. 32 - 0847. _ NEUERSCHEINUNG!' Eine dichterische Stellungnahme zu den Ereignissen unserer Zeit. Geistige Abrechnung mit dem Un- heil des Nazismus, aber auch Auf- ruf zu neuer Menschlichkeit und Gerechtigkeit. 3ÖHAN LUZIAN; PCS GefUCHC? ClEICHNlSJ« UND GALLA D€M crem 4' ' Preis $ 3.50 > > - zu beziehen durch EDITORIAL EL LAGO O Jh a s c o m ü *, FCS. oder Buchhandlungen: Barna, Cos- mopolita, Pigmallon, Völter, Bs. As. C0NFITERIA SUIZA Salon de Te Inhaber: Ludovico Weinberg Avenida Forest 1502 U. T. 73 - 7208 Erstklassige Torten, Masas, Bombones LIEFERUNG INS HAUS Cae« Fllattliea — DB — ROBERTO POMMES DO»»»» y veata 6e eet*m#Ul«ui »an eeleeeW* RBOOHdniTA IN — »■. Aires v.». sa (at.) wn» A. A. 3b A. ENRIQUE U. CORONA MARTTNEZ A B O Q A D O BAVAOiBS 1268 TJ. T. SS - Erholungsheim Erwach»« Vcddense BIENENHONIG rein, preiswert und gut Carlos Lewin, Romaag (FCSF) 2 ~ Ü5S| ME—« FRANQUEO PAGADO CONCESION No. 3096 SQ E= OO 5c TARIFA REDUCIDA CONCESION No. 2808 Wieder neue Bücher EHRENBURG, Ilja DER FAUL VON PARIS Roman, 587 Seiten. Ehrenburg brauchte, als er dieses gewaltige Epos schrieb, das den Stalinpreis für Literatur erhielt, keine billig ge Prophetie nach den Ereignis- sen selber zu wagen. Er wusste, dass dem Fan ein neues Begin- nen folgen werde, und was fallen müs'se. Erregender, klarer, klä- render ist kaum einer als dieser Meisterbericht von Niedergang, Fall u. Aufstieg der Stadt Paris geschrieben worden. ^ - STALINGRAD ' Die ersten authentischen Berich- te der russischen Generäle Ro- ltossowski, VVoronow, Telegin, Malinin sowie Mitkämpfer und Kriegsberichterstatter. <«. 4 TARLE, EUGEN ,\j NAPOLEON IN RUSSLAND '"f Ein Werk von 384 Seiten, mit ei- ner Kartenskizze. Was diesem Werk ein besonderes Interesse verleiht, ist der Umstand, dass der Autor bei seinen Vorarbeiten eine grosse Zahl vorher unbe- kannter Dokumente verwenden konnte, die in der Nationalbiblio- thek in Leningrad verwahrt sind, ganz abgesehen von dem höchst lebendigen Stil dör Darstellung, der alle Schriften des russischen Historikers auszeichnet. b o r n a MAIPU 441 — ü. T. 31 - 4513 geöffnet bis 24 Uhr Belgrano: Juramento 2368 U. T. 73 - 4777 Ihrer Eleganz zuliebe nur H er renkleid ung von ' €R.NST KOPP£L JB70 £4V4II£ 970 ; ,35- <6779