OT RA ALJEMÄ.NIA DAS AND E R K P'E U T S'C H 1. A' N Q[ ORGANO DE "LOS ALEMANES DEMOCRATICOS ' DE AMERICA DEL ^ SUR; $ AUS DEM INHALT! Edouard Labrin: DAS ZEITALTER DER ATOMBOMBE ] August Siemeen:- DIE WANDLUNG EINES DEUTSCHEN PATRIOTEN! Max Taut: DER NEUAUFBAU BERLINS Hermann Ebeling: EINE GEFAEHRLICHE FRAU t ANONYMES HELDENTUM Hermann Graul: ZUR WIRTSCHAFTSLAGE IN DEUTSCHLAND BRIEF EINES DEUTSCHEN JUDEN Romain Rolland: DER PAZIFISMUS UND DIE REVOLUTION B U E MOS AIRES • TUCUMAN 3 0 9 • 3 I ' R E T I R O 7 2 6 4 ARO VIII 15 DE AGOSTO DE 1946 NUMERO 124 Deutsche Bibwctrtek Frankfurt em Main DAS ANDERE DEUTSCHLAND VERTRETUNGEN DES ANDEREN DEUTSCHLAND BOLIVIEN La Faz: Guillermo Karbaum, Ca- silla 323. Tarija: Manfredo Hammerschlag, Lista de Correos. Cochabamba: Los Amigos del Li- Dro, Casilla 450. BRASILIEN Bio de Janeiro: Curt Uebel und Willi Keller, beide Casilla 4231. PARAGUAY Aaimelön: Enrique und Susanna BlocZ, General Diaz 276- CHILE Osorno: Oscar Chylik, Casilla 423 URUGUAY Montevideo: LA OTRA ALEMA- NIA, Soriano 1224. MEXIKO Mexico D. F.: Walter Stein, Av. Victor Hugo 80, Colonia Anzures. USA New York; Gretl und Herrmann Ebeling, 203 West 98 Street, N. Y. 25. SCHWEIZ Basel: Herrmann Graul, Steinen- graben 12. Zürich: Neues Deutschland, Post- fach 143, Zürich-Fraumünster. FRANKREICH Paris'- S- P. D., 21 Place de la Re- publique, Paris 3. ENGLAND London: Wilhelm Sander, 33 Fern- side Avenue, Mill Hill, Londtcn NW 7. Hans' Gottfurcht, 20 East Heath Road, flat 3, London NW3. SUEDAFRIKA Johannesburg: Futran, 45 Sacks Building, Joubert & Comissio- neers Street u. Independant Cul- tural Ass., Mappin & Webb Hou- se, Cor. Hock & Piain Streets. Bei den obengenannten Vertre- tungen des ANDEREN DEUTSCH- LAND sind sowohl Einzelexemplare als Abonnements erhältlich. Wir bitten, in allen die Administra- tion und den Versand betreffen- den Fragen sich zunächst mit der zuständigen Landesvertretung in Verbinudung zu setze-. Allen An- fragen bitten wir, ein adressiertes Freikouvert beizulegen. Vorausbezahlung des Abonne- mentsbetrages ist in jedem Falle unerlässlich. UNS FIEL AUF, DASS — die Nazis von Eldorado, die als letzte den Weg zum Führer fanden, auch die letz- ten sein wollen, die von ihm ablassMi, — Pg. Heinrich Kropp immer noch als Landverkäufer für die Compaftia Coloniza- *ora de Eldorado tätig ist, obwohl es für •ie polnischen, russischen, schweizerischen Untermenschen keineswegs verlockend ist, von diesem Pg. beraten zu werden, — Fg. Herrmann Waohniti, Jr. immer noch Direktor der Cooperativa Agricola in JQdorsdo ist, obwohl er längst verdiente, zum. Wiederaufbau in seine Heimat geschickt e» werden. NACHRICHTEN AUS LATEINAMERIKA MEXIKO Die Vereinigung "Freies Deutsch- land" Mexiko, deren Anhänger seiner- zeit die Beschlüsse des Einheitskon- gresses der deutschen Antifaschisten Südamerikas sabotiert und bisweilen die Freunde des "Andern Deutschland" im Widerspruch zur Wahrheit als Splittergruppe bezeichnet haben, hat sich aufgelöst. Ihr Organ "Neues Deutschland" hat sein Erscheinen ein- gestellt. — Einige der führenden Männer des Freien Deutschland Mexiko sind nach Europa zurückgekehrt, so Merker und Katz nach der russisch-deutschen Zo- ne, Egon Erwin Kisch nach Prag. BRASILIEN Das Mitteilungsblatt der uns be. freundeten "Notgemeinschaft Deut- scher Antifaschisten in Brasilien'' vom Juli 1946 nimmt in einem von Willy Keller gezeichneten "Offenen Brief" gegen die K.P.D. und für die S.P.D. Stellung. Am Schluss heisst es: "Wir werden auf dem linken Flügel dieser Partei kämpfen, aber wir erwarten, dass sie genügend elastisch ist, um nicht nur die breiten Arbeitermassen, sondern auch die Teile des fortschrittlichen Bürgertums aul- nehmen zu • können, die sich endgültig vom Kapitalismus' losgesagt haben. Wir wissen- dass die deutsche Sozialdemokratie ihre tra- gische Vergangenheit noch nicht völlig über- wunden hat. Bs wird unerbittlicher Kritik und strenger Selbsterziehung bedürfen, be- vor die sozialdemokratische Partei ihre alte Kampfstellung im internationalen .Leben wieder einnehmen kann. Es ist also kein stürmischer Enthusiasmus, der uns in die Arme dieser Partei treibt. Bis ist der wohl- DAS ANDERE DEUTSCHLAND LA OTRA ALEMANIA (fundado el 1 de junio de 1937) Regietro nacional de la Propiedad Intelectual No. 178.948. Autprizado por Resoluciön no. 214 del Miriistro del Interior (11 abril 1945) Confirmado por Decreto No. 20.917 (6 sept. 45) del Superior Gobierno de la Naciön. Editor y Director; Dr, Augusto Siemsen. Tesorero: Juan Carl. Avisos: Guillermo cleischer Redacciön y Administration: Tucumärr 309 Buenos Aires (U. T. 31 7264) Einzelnummer: 30 Cts. Jahresabonnement: 6.— Pesos argentinos (im voraus zahlbar) Geldbeträge erbitten wir aus- schliesslich per Giro oder Bono Postal oder Scheck auf Sr. Juan Carl Tucumän 309 Bs. Aires. DAS ANDERE DEUTSCHLAND ist kein auf Profit ausgehendes Ueschäftsunternehmen. Es lebt nur dank der Unterstützung se> ner Freunde. Spendet für den Pressefonds! Erscheint am 1. und 15. eines jeden Monats. überlegte Schritt denkender Menschen, die nicht in einer fruchtlosen Oposition behar- ren wollen, sondern die innerhalb der Par- tei für die Erneuerung der Partei kämpfen und dazu beitragen wollen, dass das grosse Erbe von Marx und Engels endlich verwirk- licht werde." DER BRIEF EINER 78 JAEHRIGEN SOZIALISTIN Meine lieben Kinder! Da ich noch keine Antwort von Euch habe und sich mein Zustand nicht gebessert hat, da muss ich noch einmal schreiben. Es fällt mir sehn schwer. Ich bin zweimal ausgebombt. Habe alles verloren, was im Stift (Al- tersheim) war. Kleider und Möbel, Wäsche und Bett sind verbrannt. Ich musste mir wieler ein Bett und eine Decke erbetteln. Die anderen Sachen sind bei der Genossin B. unterge- bracht. Vaters Uhr und Kette, mein. Trauring und den anderen, den mir Vater schenkte für die treue Pflege und etwas Wäsche sind auch dort. Die Genossin wird Euch alles aushändigen. Ich hatte gehofft, dass ich Euch ein- mal wiedersehen würde. Die geliehe- nen Möbel bekommen die Genossen wieder zurück. Meine Police für die Einäscherung liegt in der Verwaltung bei meinen Akten. Meine Urne wird auf Vaters Grab gesetzt. Die ganzem Kosten trägt die Feuerbestattungs- kasse. Eine schöne Maifeier habe ich noch gehabt. Ich bin 54 Jahre politisch organisiert. Bekam eine Marke ins Parteibuch geklebt „Die Treue ge- halten 1933-46. Dann wurden wir al- ten Veteranen mit der Strassenbahn auf den Karl-Marx-Platz geholt und erhielten einen Sitzplatz an der gro- ssen Tribüne. 600 Sänger trogen alte Freiheitslieder vor. Das war schön« Itia dachte an die Maifeiern vor Hitler, wo der Vater in seinem Wahlkreis oft gesprochen hatte. Nach der Feier wur- den wir wieder heimgebracht. Abends war noch eine Feier. Da haben michi die Genossinnen im Krankenstuhl hin- gefahren und auch wieder heim. Da sah man noch manch alten Genossen, und ?s gab manchen Händedruck. Ich war auf dem Friedhof an Vaters Grab. Da blühten die Tulpen zur Maifeier. Habe auch das Grab des Genossen Günther besucht, der seinerzeit ,,starb". Einige Schritte von meinem Sitz- platz auf dem Karl- Marx-Platz hatte der Vater 1918 die Republik ausgeru- fen. (der Vater gehörte dem deutschen! Reichstag an und war Parteisekretär)! Da habe ich geweint. Da wurden die alten Kampflieder ^esungen und die Internationale. Ich habe mitgesungen, wie auch alle Veteranen der Partei. Da habe ich an Eiuch gedacht. Habe mir -heute ein Stück Brot ge- bettelt bei den Parteigenossinnen. Daa sollte der Vater wissen. Was nützt die Rente, wenn man kein Brot oder! Kartoffeln hat. Da heisst es tüchtig! hungern. Ich habe gesagt: „Geben Sie uns 2 Pillen, dann sind Sie uns los". Ich, bin froh, dass Vater nicht gehungert! hat. Nun Schluss, es wird mir zu viel. In der Hoffnung Nachricht von Euch zu bekommen, grüsst U / V <- - DAS ANDERE DEUTSCHLAND 3 DAS ZEITALTER DER ATOMBOMBE Professor Dr. Edouard Labin, der uns dankenswerterweise diesen Artikel zur Verfügung stellte- war schon In Paris an der Universität und in der Industrie an verant- wortlichen Stellen als Ingenieur tätig, bis der Krieg ausbrach. Er diente in der französischen Flug- waffe und kam nach dem Waf- fenstillstand im Jahre 1941. von der Firma Philipps gerufen, hier nach Argentinien, wo er an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Buenos Aires über Radioelektrizität liest. Ueber die- ses Spezialgebiet veröffentlichte und übersetzte er mehrere Bü- cher. Verschiedene seiner Erfin- dungen sind in Paris, New York und Buenos Aires patentiert. Vergleich der verschiedenen Energien Die Entwicklung der Kunst, Energie zu produzieren, wird klar, wenn wir uns die folgende Frage stellen; „Wie- viel .mechanische Energie' kann uns durch volständige Ausnutzung seiner Reserve das gleiche Volumen der ver- schiedenen Energie-Quellen geben, die im Laufe der menschlichen Ge- schichte entdeckt wurden?" Nehmen wir als Vergleichsgrundlage, dass die mechanische Energie, die ein Liter menschlicher Substanz' allein mit Hilfe seiner Muskulatur entwickeln kann — das einzige, worüber man im Jahre 8000 v. Chr. verfügte — fähig ist, ein Gewicht X. einen Kilometer zu schleppen. Dann wäre .ein Liter Pferdesubstanz' fähig, das gleiche Ge- wicht 6 Kilometer au ziehen. Durch besseres Anschirren im Mittelalter hätte .ein Liter Pferdematerie' das- selbe Gewicht 16 Kilometer gezogen. Ein Liter Kohle- deren Verwertung, sagen wir 1800, erfunden wurde, zö- von Eduard Labin ge es 400 Kilometer. Im Jahre 1850 konnte man durch Ausnützung der Kohle zur Dampfgewinnung 800 Ki- lometer weit damit kommen. Im Jah- re 1900 bewegte das Benzin unser Ge. wicht 1.000 Kilometer, und das T.N.T., das 1915 erfunden wurde, 1.200 Kilo- meter. Nun tritt das Uran 235 auf, und mit einem Schlag wird die Strek- ky. die diese Energiequelle unser Ge, wicht fortbewegen kann, verlängert bis auf . . . Was meinen Sie wohl? Um die Erde herum? Nein. Die Ent- fernung bis zum Mond? Eine Baga- telle! Bis zur Sonne? Das wäre eine Kleinigkeit! Nein, die tausendfache Entfernung bis zur Sonne! So sind wir in 100 Jahrhunderten 1.200fach fortgeschritten; und in vierjähriger Forschung sind wir plötzlich dreihun- dert Millionen Mal über das zuletzt erreichte Niveau hinausgekommen! Die Menge Uran oder Pluton, die pro Sekunde nötig ist, um beispielswei- se die Kraft eines 40 PZ-Autos zu er- halten, lässt sich in Tausendstel Gramm ausdrücken, und sie ist so verschwindend gering dass sie sich in menschlichen Hilfsmitteln nur dann handhaben lässt, wenn man sie in al- lerfeinsten Schichten auf Bänder mit HiVfe moderner elektrolytischar Me- thoden aufträgt . Die Befreiung des Menschen Die Verringerung des Volumens der Kraftquelle bis zu dem durcn das Uran erzielten Ausmass bese tig' end lieh die sozialen Fesseln des Indivi- duums und verschafft ihm die wahre Freiheit; sie eröffnet im wahren Sin- ne des Wortes das Zeitalter des Gott- Menschen. POLITICA EQUIVOCADA PARA LA DEMOCRATIZACION DE ALEMANIA - Worldiover Press, Berlin, S. Juli. Si las autoridades aliadas de ocu- paciöii en Alemania, desean realmen- te promover un proceso de demoera- tizaeiön en el pais, deberän realizar dos cambios fundamentales en su ac- tual politica. El primero de lellos de» be ser concluir con el actual trata- miento a la poblaciön alemana, a la que se considera en conjunto como nazi. No es de ninguna manera cier- to, que todos los alemanes ae hallan sometidos a Hitler sin prestar (resis- tencia. Debe recordarse que numero- sos alemanes han prestado conside- rable ayuda a la victoria aliada. iLos norteamericanos estän siguiendo una politica equivocada, especialmente en cuanto a las peliculas cinematogräfi- cas que ofrecen nues- tras vidas, —y mäs adelante— despues de todo los democräticos no son ime- jores de lo que eramos nosotros". To- do lo que sea militarismo debe ser apartado ide los ojos de los alemanes; ■ debe discriminarse con realismo entre quienes fueron siempre nazi« y los que aün creen en la democracia. Jedoch unter einer Bedingung: dass das wundertätige Manna ohne tiber. mässige Kosten produziert werden kann. Es wäre natürlich lächerlich, am Sonntag zwischen London und New York mit schönen Flügeln zu stolzieren, die durch ein Krümchen Uran in Bewegung gesetzt werden, wenn man zur Produktion des Krüni- chens die ganze Woche zehn Stun* den täglich arbeiten müsste. A'oer es bestehen gute Gründe zur Annahme, dass die Produktion der neuen Ener- giequellen auch aussergewöhnlien öko- nomisch sein wird. Man darf nicht vergessen, dass mit den 2 Milliarden Dollars- die von der nordamerikani- schen Regierung Investiert wurden, unzählige Versuche und die sämtlichen Installationskosten bezahlt wurden, und dass die Fabrikationskosten aller Techniken, die man im zwanzigsten Jahrhundert erfunden hat, während der ersten zwanzig Jahre ihrer Ent- wicklung sich auf die Hälfte bis auf ein Fünftel reduaierten. Im ganzen sind die Aussichten sehr günstig da- für. dass endlich der Fluch aufgeho- ben wird, der den Menschen dazu verdammte, sein Brot im Schweiss seines Angesichts zu verdienen. Die Notwendigkeit der Demokratie Aber die wichtigsten Folgen, die die Atombombe für die Menschen haben wird, liegen zweifellos auf politischem Gebiet. Einer der ersten Gedanken, der in allen Köpfen sich bildete, nachdem der erste Schock überwunden wurde, den die grosse Erfindung erzeugt hat- te, war: -,Was für ein Glück, dass sie nicht von den Nazis gemacht wurde!" Diese Reaktion zeigt klar das Problem auf, das die Atombombe in den Vor- dergrund stellt; nämlich: Wie kann man verhindern, dass die schreckliche Waffe in unwürdige Hände fällt? Man muss zugeben, dass die Menschheit schon vor langer Zeit be- griffen hat, dass die Regierungen ebenso gut zu Ihrem Unheil wie zu ih- rem Wohl ausschlagen können, und dass eine gut durchdachte Organisa- tion sichern kann, dass die Wage zu- gunsten des letzteren ausschlägt: die Demokratie ist nichts Anderes als das. Bisher aber waren die Uebel, die au« den Fehlern der Machthaber entste- hen konnten, auf Kleinigkeiten be- schränkt, als da sind: Hunger. Ein- kerkerung, Dunkelmännertum, Kriege, klassische Kriege, bei denen nur ein Bruchteil der Gesellschaft, als Solda- ten spezialisiert, das Leben in der Schlacht riskierten. Da die Menschen viel Geduld haben und eine bemer- kenswerte Fähigkeit, sich an schlech. te Behandlung zu gewöhnen, so ver- wandten sie keine grosse Sorgfalt dar. auf- das gute Funktionieren der De- mokratie zu überwachen. Diese Nach- lässigkeit kann nicht länger geduldet werden. Die Gefahren, die mit dem Besita der Macht verbunden sin doder sein können, sind in Zukunft zu ernst; es können Hunderttausende wehrloser Menschen in einem Augenblick 4 DAS ANDERE DEUTSCHLAND fetzt, verbrannt, verstümmelt und ver- giftet werden. Die Menschheit muss jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit und die ganze Erfindungsgabe, deren sie fähig ist, der Aufgabe widmen, einen Mechanismus zu schaffen, der ver- hindert, dass irgendein Mensch in ei- nem öffentlichen AnTt dieses dazu be- nutzen kann, um seine Untergebenen dazu zu veranlassen, dass sie ihm bei dem Missbrauch der neuen Energie helfen. Um damit zu beginnen: die Autorität muss all ihrer mystischen Ueberbleibsel entkleidet und auf ei- nen neuen technischen Aufgabenkreis beschränkt werden. Alle produktiven Akte, alle Unternehmungen die, wie die Schaffung einer Werkstatt, eines Studienzirkels, einer politischen Par- tei, den Gesellschaftskörper als Mit- tel oder als Objekt einbeziehen, müs- sen sich vor allen Augen abspielen — was natürlich vorauslsetat, dass die Bürger grösste Freiheit gemessen. Alle diese Tätigkeiten müssen Re- geln unterworfen sein, die automa- tisch jede in ihnen enthaltene heim- tückische Absicht enthüllen, so wie jene elektrischen Alarmvorrichtungen, die ein durchdringendes Geräusch er- schallen lassen, sobald sich ein Ver- dächtiger den geheiligten Tresoren nähert. Vielleicht wären zur Schaffung die- ser ,.automatischen sozialen Kontrol- len", die das Wesen der Demokratie sind, wahrhafte politische Erfindungen nötig: denn es ist höchste Zeit, dass wir uns auch auf politischem Gebiet daran machen, zu erfinden . . . EINE Welt oder keine Mit der Vertiefung und Erweiterung der Demokratie, vis sie das aufge- zeigte, bisher unbekannte aber uner- lässliche Niveau erreicht hat, wird noch nicht mehr als die Hälfte der notwendigen gesellschaftlichen An- passung, die die Atombombe erfordert, erzielt sein. Die andere Hälfte besteht darin, die Kriege auszurotten. Und weil nicht zugelassen werden kann, dass auf diesem Gebiet auch nur das geringste- Risiko weiterbesteht, da die geringste kriegerische Handlung in Zukunft in wahrhafte 1 elterschütte- runfeen ausmünden kann, muss man ein für allemal die Gefahren an der Wurzel mit jener gründlichen Ueber- legung angreifen. Für die die Wissen- schaft das Beispiel gibt. Die Kriege entspringen aus den na- tionalen Rivalitäten. Die einzige Si- cherung dafür, dasls es keine nationa- len Rivalitäten mehr gibt, besteht darin, dass es keiye Nationen mehr gibt. Um fhit aller Deutlichkeit zu sprechen, so glaube ich, dass man be- haupten i ann, dass die Teilung der Welt in souveräne Nationen und die Atombombe zwei unvereinbare Tatsa- chen sind., Ich weiss, dass ich hiermit sehr tiefe und achtenswerte Gefühle berühre, aber ich bitte dringend, mir zu jlauben, dass ich derartig radika- le Schlussfolgerungen nicht aus Sen- sationslust vorschlage. Nein, es ist eine objektive und grundlegende Wahrheit, dass in Zu- kunft jeder nationale Partikularismus, so glorreich auch die Traditionen sein mögen, auf die er sich gründet, und so verführerisch er sich auch unseren geistigen und gefühlsmässigen Ge- wohnheiten darstellt, ein Schaden und ein moralisches Vorurteil ist. Ich wie- derhole: die Schaffung einer wahr- haft demokratischen und total geein- ten Welt ist nicht mehr ein Traum von der Besserung der menschlichen Lebensbedingungen, sondern eine Not- wendigkeit für die Rettung der Menschheit. Es wird nicht einmal mehr genügen, internationale Konfe- renzen mit besten Absichten einzube- rufen. Man muss den Erdball wirk- lich und vollständig einigen, d. h., konkret: die Völker, die Staaten, die Währungen und die Sprachen ver- schmelzen. Und schliesslich: wenn un- ser Vaterland und sein besonderer Geist etwas Schönes sind, wird die ganze Welt mit dem gemeinsamen Be- sitz all ihrer Reichtümer, mit .ren allen offenstehenden Meeren, mit all den Menschengesichtern, die einander verstehen, eine noch schönere Sache sein. Streichen wir von der Erde die- se Grenzen, die in Zukunft nicht schützen, sondern alle von ihnen ein- geschlossenen Völker ersticken werden! Wenn der Mensch dann die Wissen- schaft nicht mehr dazu benutzen wird, um seinen Himmel zu verdunkeln, wird er hingerissen sein vo_ den Ho- rizonten, die sie ihm eröffnen wird. ieWandlung eines deutschen Dichters und Patrioten? _ Onstf ol stier» xrrxY-t rl/ir» croi ct.i P'-PTl So lautet — ohne Fragezeichen — der Untertitel eines schmalen Büch- leins, das unser Mitarbeiter Karl O. Paetel über Ernst Jünger geschrieben hat. (Karl O. Paetel, Ernst Jünger. Die Wandlung eines Deutschen Dichters und Patrioten. Verlag Friedrich Krau- se New York 1946). Das Fragezeichen, das wir hinzufügen, gilt nicht dem Dichter und nicht dem Patrioten, sondern der Wandlung. Wir gehen etwas näher, als es in einigen Zeilen Buchbesprechung mög- lich ist, auf Ernst Jünger und auf die Schrift Paetels ein, da Jünger ein geistiger Wegbereiter ^es National- sozialismus war, der einen erheblichen Einfluss auf einen Teil — und nicht den schlechtesten — der völkischen Jugend ausgeübt hat, und weil Paetel von ihm auch für die Zukunft noch Wesentliches erwartet, da er an eine Wandlung Jüngers glaubt. Zunächst sei gesagt, dass Jünger sich auch vor seiner „Wandlung" durch seine geistigen Fähigkeiten, durch die Schärfe und Konsequenz seines Denkens und durch ein Deutsch von den Nazis abhebt, das trmhoch über der Schändung der deutschen Sprache durch das Dritte Reich steht. Auch seine Integrität, seine Tapfer- keit und Ehrlichkeit bezweifeln wir nicht- Aber gerade diese geistigen und charakterlichen Vorzüge machen ihn gefährlich. Jünger ist ein Aristokrat, aber nicht In dem Sinne des Wortes, der den von August Siemsen vornehm denkenden Menschen auf Vorrechte und sonder-Ansprüche ver- zichten lässt und ihn politisch zum Demokraten macht, sondern im Nazi- sinne von Führer" "i und Gefolg- schaft, einer Elite und einer nur als Material tauglichen Masse. Nach Paetel betrachtet er nicht nur „erle- sene" Bücher, sondern auch ebensol- che Gerichte als lebensnotwendig. Er lehnte ein nazistisches Reichtagsman- dat ; b, weil er nicht „60 000 Trottel" vertreten wollte. Zu diesen Trotteln gehörten deutsche Arbeiter, von de- nen Jünger in seinem sich bewusst isolierenden Hochmut nichts weiss, die aber im K. Z. und in der Illegalität auf mehr verzichtet haben als auf „erle ene" Gerichte, und die eine ein- fache und selbstverständliche Tapfer- keit bewiesen haben, die es mit der — gelegentlich in Blutrausch ausge- arteten — Tapferkeit Jüngers im Krieg gewiss aufnehmen kann. Aber die einfachen Leute, die ein- fachen Dinge, die einfachen Tugen- den sind Jünger fremd. Er liebt und sucht das Besondere, das „Erlesene", das oft garnicht wirklich erlesen ist, sondern nur dem snobistischen undi ichbesessenen Andersseinwollen, einem irre geleiteten Sich-Selbst - B ew eisen entspringt. Wenn Paetel also von der geistigen Nachbarschaft Jüngers zu Oswald Spengler spricht, so lassen wir das gern gelten, selbst bis zu einem ge- wissen Grade von der zu Nietzsche. Aber Pascal, Kierkegaard, Hölderlin? — da können wir nichts Gemeinsames sehen ausser der Kompromisslosigkeit des Denkens. Aber Grundlage, Weg und Ziel dieses Denkens sind fast diametral entgegengesetzt. Paetel will die Wandlung aufzei- gen, die Jünger aus einem Wegberei- ter zu einem Feind des Nationalsozia- lismus gemacht hat. Am deutlichsten zeigt, sich der alte und der neue Jün- srer in seinen Büchern „Der Arbeiter" 1932 und „Auf den Marmorklippen" 1939. Es sei vermekt, dass wir das letztere nur aus Bruchstücken und aus dem Bericht Paetels kennen. Ueber das erstere äussert sich Paetel wenig- Wir holen das nach, indem wir einiges aus de— Inhalt! wiedergeben. Jünger meint, die Deutschen hätten nie etwas mit der Ideologie der Ver- nunft, Freiheit und Empfindsamkeit anfangen können. Abstrakte Gerech- tigkeit, freie Forschung künstlerisches Gewissen seien fremde Begriffe für sie. In der bürgerlichen Kleidung mache der Deutsche eine unglückliche Figur, da ihm jedes innere Verhältnis zur bürgerlichen Freiheit fehle. Die Uni- form entspreche seinem Wesen. Der totale Staat passt zum deutschen Cha- rakter. Er bringt die Uniformierung. DAS ANDERE DEUTSCHI AND s zu Arbeitern, deren Haupttugend ist, die neue Befehlssprache zu verstehen. Dieser neue Staat wird aus einer Ge- sellschaft primitiver Seelen bestehen, deren Leben und Meinungen dikta- torisch geregelt werden. Der Staal muss den Sumpf der freien Meinung? trocken legen. Auch das Vergnügen unterliegt der Regelung durch den Staat. Ein neuer Orden, eine neue Aristokratie unter einem Führer als Oberhaupt lenkt den neuen Staat. Individuelles Glück gibt es in ihm nicht mehr. Das mögliche Glück be- steht in der Opferung des Einzelwe- sens wie im Termitenstaat. Die Be- fehlskunst des Führers muss Ziele zei- gen, die des Opfers wert sind. Letztes« Ziel ist die Vorbereitung auf den tota- len Krieg. „Das Bild, das man sich heute vom Staat zu machen hat. . ., gleicht einem Kriegsschiff, auf dem höchste Einfachheit und Sparsamkeit* herrschen, auf dem jede Bewegung sich mit instinktiver Sicherheit voll- zieht". Die Perfektion unserer Zeit) „Äussert sich vielleicht am besten in der Kunst, mit Snrengstoff _ umzuge- hen. Auf jeden Fall ist sie nicht dort, wo man sich auf die Kultur, die Kunst, die Seele oder den Wert beruft". In diesem Staat ist kein Platz mehr für Kultur im alten Sinne- Die Anwen- dung des abstrakten Geistes abseits der Staatsgottheit ist Landesverrat. „Den Internationalen Wertmassstäben der humanitären Argumentation und den Verträgen und Verpflichtungen" muss sich der nationalsozialistische! Staat entziehen. Er hat auszuscheiden aus der sogenannten Kulturwelt. Zur Rechtfertigung oder Entschul- digung solcher abscheulichen Ansich- ten betont Paetel, dass Jünger die Realität aufzeige, ohne zu werten. Niemand, der das Buch unvoreinge- nommen liest, kann diesen Eindruck empfangen, jünger sagt Ja zu der von Ihm behaupteten Realität. Je mehn sein Buch auf die leicht verführbare Wie soll der Wiederaufbau vonstat- ten gehen? Das ist die Frage, die uns alle bewegt. Unter normalen Verhält- nissen können wir Architekten nach einem festen Programm planen; wir können uns ausrechnen, wie lange diese oder jene Arbeit dauern wird. Heute aber ist es unmöglich, die Schwierigkeiten und Begleitumstände im voraus zu erkennen, die sich die- ser Arbeit hemmend gegenüberstellen können. Heute müssen wir mehr denn je mit Wahrscheinlichkeitswerten rechnen und können nur mit Schät- zungen arbeiten. Wenn bei früheren Planungen die Wohnfrage, die Ver- kehrsfrage. die Landschaft mitbe- stimmend waren, so kommt heute hin- zu. dass die zufällig erhalten geblie- benen Bauten, Stadtteile und Ver- kehrseinrichtungen zu berücksichtigen und in die Planung miteinzubeziehen sind. Der Städtebau umfasst nicht nur das soziale und künstlerische Leben unserer heutigen Zeit, er muss auch versuchen, die Forderungen der Zu- Jugend gewirkt hat, um so grösser ist' seine Verantwort uns als falscher Pro- phet. Heroisch wäre es gewesen, wenn Jünger gegen das, was-ihm als Reali- tät erschien, mit aller Kraft gekämpft hätte, sei es auch, um tragisch zu un- terliegen. Konsequenz seiner Irrlehren ist dis Realität der Hitlerdiktatur, des Nazi- gangstertums und der deutschen Ka- tastrophe. Ihre letzte Konsequenz ist das von Speer in Nürnberg zitierte grössenwahnsinnige und ruchlose Wort Hitlers: „Wenn der Krieg verloren) wird, so soll die ganze Nation zugrunde gehen, und es besteht keine Notwen- digkeit, sich um die künftigen Exis- tenzgrundlagen des Volkes zu küm- mern". Dass Jünger das nicht ge- wollt; hat, ist selbstverständlich; aber das enthebt ihn keineswegs der Ver- antwortung. Und von einer wirklichen Wandlung könnte nur die Rede sein, wenn er mit aller Deutlichkeit seine frühere Tätigkeit und seine früheren Bücher verurteilte, wern er ein „Stirb und werde!" innerlich erlebt hätte, das ihn zu einem neuen Menschen machte. Aber gerade das leupmet Paetel selbst, wenn er von der Kon- tinuität und Einheitlichkeit des Jün- gersehen Weltbildes und der Jünsrer- schen Lebensauffassung spricht. Jün- ger hat nicht „das Feldzeichen der eigenen Haltung eingezogen". Das macht sein hochmütiges Selbstbewusst. sein wohl unmöglich. ..Die Marmorklirypen", das Buch seiner unzulänglichen Wandlung, spielen zwar in einer creachichtslosen Zeit und in einer mythischen Land- schaft, aber sie sreben in sprachlich ausgezeichneten ^ommlierunaren eine Schilderung des Naziunwesens, das an Deutlichkeit und an Schärfe nichts tu wünschen übrie läcc,t. DI» Schand- taten, die von den Ebenbildern de? Nazis verübt werden, erscheinen ie- doch so sehr als zwangsläufig. ^ass die beiden Gegenspieler auf den Marmor- von Max Taut kunft zu erfassen. Ausserdem Ist Vor- aussetzung für jede weitgehende Pla- nung, dass eine Bodenreform zur Durchführung gelangt, die es der All- gemeinheit gestattet, den Grund und Boden allen dienstbar zu machen. Nur bei Erfüllung dieser Vorausset- zung ist es möglich. Wohnungen mit grossen Gärten und Freiflächen zu schaffen und eine wilde Bodenspeku- lation, wie sie charakteristisch für c'ie Jahrhundertwende war. zu verhindern. Experimente als Unterlagen. Experimente auf dem Gebiete des Bauwesens müssen in weitestem Ma- sse unternommen werden. Auf bau- technischen Versuchsstätten. in Form von Siedlungen, die in allen Gegen- den der Stadt anzulegen sind, müs- sen diese Prüfungen mit allen Mate- rialien, neuen Baustoffen, Wohnfor- rnf-.n usw. durchgeführt werden. Da es sich in erster Linie darum handelt, durch sofortiges Eingreifen dem gröss- ten Elend zu steuern, wird es sich klippen es vorziehen, den Geist zu pflegen, statt hinabzusteigen in den Kampf zur Abwehr der von den Ge- waltanbetern drohenden Vernichtung. Es gilt „das hohe Leben, die Freiheit und die Menschenwürde selbst", also scheinbar das, was Jünger früher ver- höhnt hat. Aber das hat nur Bedeu- tung für Leben und Haltung der bei- den auserwählten Brüder auf den Marmorklippen — im „Elfenbeinturm" —, nicht für die dumpfe Masse un- ten, die vernichtet wird. Paetel hat also recht. Es handelt sich nicht um grundsätzliche Einkehr und Umkehr. Die Grundhaitun» ist geblieben, die Verachtung der Masse und die Selbstvergottung. Und wenn Paetel deshalb schreibt: „So konnten sie (gemeint sind die Brüder Jünger) m legitimen Sprechern eines ..Andern Deutschland" werden, in ihrer eige- nen Sprache und unbeeinflusst durdhl Parteiprogramme aber deswegen um so gewichtiger dem Ausdruck verlei- hend, was aus dem Unzerstörbaren der deutschen Kultur kommt", so bestrei- ten wir entschieden diese Legitimation. Wir sind vielmehr überzeugt, dass das ..Andere Deutschland" Menschen vom Typ Jüngers nicht als Führer brau- chen kann, dass das Volk — die Ar-* heiter und die Bauern Deutschlands —• sich vielmehr nach allen bitteren! Erfahrungen selbst, den Weg suchen) und bahnen muss in ein neues! Deutschland, das demokratisch, sozia- listisch und europäisch sein muss.) Ferrenrasse und Herrenmenschen v Elite und Ordensburgen, Herrenklub, Tatkreis und Jüngerkreis werden da- bei nicht benötigt, sondern beschel- dene Eingliederung in die schwere Arbeit, in der nur die Leistung gilt. Möge Jünger die ..Trottel" ruhte ihrem Schicksal tiberlassen und sich! in aristokratischer Selbstgenügsam- keit auf Marmorklirrnen oder in- Elfen-, beintürme zurückziehen! BERLINS vermutlich nicht vermeiden lassen, dass auch einige Experimente sich später als unbrauchbar herausstellen. Geschäftsviertel — Wohnbezirke. Eine Kleinstadtromantik mit lau- schigen Winkeln und Gässchen ver- bietet sich in der Grosstadt von se'bst. Ein Haus, das aus neuen Bau- materialien und mittels Laufkränen errichtet wird, muss eine andere Ge- stalt erhalten als die Bauten früherer Zeiten, will es nicht zur lächerlichen Karrikatur werden Wir dürfen die neuzeitliche Technik und unsere heu- tigen Lebemsnormen nicht verleugnen und müssen auch den Mut haben, diese bei den neuen Bauten mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck ztu brin- gen. Voraussetzung muss daher sein, dass den Ansprüchen und Lebensge- wohnheiten der Bevölkerung möglichst weitgehend Rechnung getragen wird. Die Forderung nach Licht. Luft, Son- ne für alle Wohnhäuser. sowi° genü- gend Freiflächen ist dabei oberstes Baugesetz unK muss unter allen Um- DER NEUAUFBAU 6 DAS ANDlIti DIUTf CHLAND ständen Ihre Verwirklichung erfah- ren. Die unterirdischeil Bauten (Unter, grundbahnen, Kanalisation. Gas- und Watoerleitungen usw.) sind im grossen und ganzen erhalten. Jedenfalls ist eine Instandsetzung, wie die Erfah- rung lehrt, mit verhältnismässig ge- ringem Aufwand an Arbeit und Mate, rial möglich. Auch die Oberbauten «er Strassen sind erhalten. Sie sind zum grössten Teil benutzbar, wenn sie von den Bchuttmassen befreit sind. Die künftigen Wohnhäuser. An die Stadtkerne, die ausschliess- lich von Geschäftshäusern gebildet werden sollen, lehnt sich im Umkreis die Wohnstadt an, die zum weitaus grössten Teil aus Reihen, und Einzel- häusern mit Gärten besteht. Zur Erschliessung der Wohngegen- den werden selbstverständlich die vor- handenen Strassen benutzt; sie wer- den jedoch für die neuen Bestim- mungszwecke — als ausgesprochene Wohnstrassen — viel zu breit und in den Unterhaltungskosten entschieden zu hoch sein. Die zu übernehmenden Strassen können daher in ihrer Breite beträchtlich verschmälert werden. Der so gewonnene Teil des Strassenrau- mes wird leichter Hand für Bairawek- Die gefährliche Frau, von der hier be- richtet wird, ist die Verfasserin unseres SS.-Berlchtes „Em ewiges Schandmal" Heut« ist sie Volksbildungsminister In Braun schweig. Noras Gesicht Wurde ernst und traurig. In ihren Augen war Angst und Sorge. „Meine Mutter", sagte sie, ..... wir haben seit März nichts mehr von ihr gehört. Wir wissen nicht einmal, öb sie noch lebt. Sie war krank. Und viele der Kranken, sagt man, sollen noch im letzten Augenblick vergast worden sein." Sie reichte mir ihren letzten Brief. Er iwar datiert Ravensbrück im März 1945 und trug die Gefangenen-Num- mer 776084 Sie gedachte aller ihrer Kinder: Hans, Nora, Gretl und küsste Ihre Enkelkinder Bärbel und Thias in Gedanken. „Gretls Geburtstag steht nun auch vor der Tür", schrieb sie, „wo mag sie ihn verbringen?" Zum Schluss sagt sie, sie wünsche sich, •sie möge wieder einmal alle ihre Kinder um einen Tisch versammelt sehen. Das sei ihr Traum. Ueber dem Schreibtisch an der Wand hing eine Photographie: ei e ältere, mütterliche Frau mit einem gütigen Lächeln. Darunter stand in der Handschrift des Briefes, den ich soeben gelesen hatte: „Ich lebe nur noch für den Tag, an dem ich wieder mit Euch vereint sein werde." Das war Martha Puchs. Ihr Mann. Georg Puchs, wär Chefredakteur am sozialdemokratischen „Volksfreund" und Stadtrat in Br°unschweig gewe- sen. Er WS.r 1930 gestorben Sie selh«t war immer aktiv itt der Arb*it6rbe- Sögtitig tätig gewesen und hatte ihre ke frei, da hier kein Schutt fortzu- räumen ist. Hinter den Wohnhäusern liegen die kleinen Gärten etwas hö- her auf dem einplanierten Schutt der einstigen Hausruinen. Auf diese'Wei- se wird ein Abfahren der Trümmer- massen vermieden — was bei den heu- tigen Transportschwierigkeiten wohl von allen beteiligten Stellen lebhaft begrüsst wird —. und erhebliche Ko- sten können eingespart werden. Die kleinen Wohngebäude sind in mehreren Formen und Grössen zu ty- pisieren. Die Herstellung vieler Wohn- hi.usteile muss, um d»r allgemeinen Wohnungsnot schnellstens Abhilfe zu schaffen, fabrikmässig erfolgen. Das Bahrnet*. Das intakte Netz der S- und U- Bahnen wird in allen Gegenden Ber- lins eine Kernbildung ermöglichen. Im Innern der Stadt erscheint der Bau eines Zentralbahnhofes unnötig, da die ganze Diagonale der Stadtbahn heute leicht zu einem grossen ..Zen- tralbahnhof1' ausgebaut werden kann. Dadurch ist ein Durchgangsverkehr ohne Umsteigen in jeder Richtung möglich. Der Güterverkehr kann sich im aus- gebauten Ring abspielen. Unser Ring- bahnnetz liegt zentral zum ganzen Stadtorganismus und würde als be- quemer Zubringer für alle Güter I c von Hermann Ebmling — New York Partei im Landtag und in der Stadt- verordnetenversammlung vertreten. • Nach 1933 hatte sie ihre politische Tätigkeit natürlich aufgeben müssen. Sie Wurde Vertreterin für eine Gru- defirma und eröffnete ein kleines Geschäft in der Münzstrasse. Das wurde zum Sammelpunkt vieler al- ter Freunde, die sich dort gelegent- lich trafen, um sich einmal ihr Herz auszuschütten und sich gegenseitig Mut zu machen in der trostlosen Wirklichkeit. Immer wieder wurde die kleine Wohnung von der Gestapo plötzlich durchsucht. Dann wurden sämtliche schränke und Schubladen aufgerissen, Wäsche. Bücher und Briefe fingen wi'.d durcheinander ins Zimmer. Beim pr=^n Male hatten „die Herren" den halben Bücherschrank ausgeräumt und mifsenommen. Danach fanden sie nie wieder etwas. Jedesmal wurde m't-, verwunderter Rüge festgestellt: ,.W?s! Nicht einmal ein Bild unseres n^bt-ers hängt hier!" Und das wurde ühQl vermerkt. Und als ein Zeichen »eng; besonders bösartiger Verstockt- b»if notierten die "Herren'' auch, dass Freu Fuchs an keinem der vielen rationalen Felertpae die Haken- Vre^zflaeee hisste Es war die einzige Whhtiung in -er Nachbarschaft, die infnitten der vielen bunten Fahnen Wie in traurigem Protest unge- $pvmückt blieb. Ihre älteste Tochter war 1933. naehder-i sie einmal verhaftet Wörden günstig liegen. Andere Weltstädte, z. B. Moskau, bauen ihre Ringbahnen zu ähnlichen Zwecken aus. Ein Stadtkern. Grundstücksgrenzen im spekulati- ven Sinne existieren nicht mehr. Der Grund und Boden ist „wertlos". Le- diglich das auf ihm errichtete Haus gibt ihm Wert und bringt Erträge. Grund und Boden sind Allgemeingut und haben der Allgemeinheit au die- nen! Sind diese Voraussetzungen gegeben, so ist es möglich, einen planvollen Wiederaufbau der Stadt durchzufüh- ren und Flachbau für Wohnungen in der Nähe von Hochbauten zu errich- ten. Das Innere des Kernes ist die Ge- schäftsstrasse mit Verwaltungsgebäu- den, Läden und Produktionsstätiten, die keine Rauch- und Lärmentwick- lung haben. Hier kann die Bebauung der Häuser in Ausnahmefällen bis zu acht, aber nicht über zehn Etagen ge- steigert werden. Im Durchschnitt soll- ten jedoch vier bis sechs Stockwerke nicht überschritten werden. Nach al- len Seiten schnell abfallend bis zum einstöckigen Flachbau schliessen sich sodann die Wohnbauten an. Den äu- ssersten Rand des Kernes bilden Frei- luftflächen und Parks mit Sportan- lagen, Schulen, Krankenhäusern usw. HE FRAU war, in die Emigration gegangen. Sie hatte in der Ferne einen, wie die Gestapo es nannte „berüchtigten Emi- granten" geheiratet. Das ma-chte den „Fall Fuchs" noch bedenklicher. Viele Male war sie auf die Gestapo geholt worden. Man wollte vieles von inr wissen. Doch Martha Fuchs wusste nie etwas. Mit Klugheit und List spielte sie die Beschränkte, die vom 'Isabel der neuen Zeit nichts mehr begriff. Das hatte, zu ihrer eigenen Verwunderung, immer wieder gewirkt. Einmal hatte ihv ein „väterlich-gü- tiger" Gestapobeamter wohlmeinend zugeredet: „Sagen ßie mal Frau Fuchs, warum treten Sie eigentlich nicht der Partei bei? Eine Frau wie Sie könnte doch viel Gutes in unseren Reihen tun". Sie wies mit der Hand auf die Wand gegenüber seinem- Schreibtisch. Dort hing in schönen gotischen Lettern ein Spruch, der etwas sehr Starkes über die Verächt- lichkeit der Feigheit und Gesinnungs- lumperei sagte. „Das wollen Sie doch nicht", antwortete sie. Und der Ge- stapomann ist nie wieder auf das Thema zurückgekommen. Sie ist nie der Partei oder irgend- einer Nazi Organisation beigetreten. Für die Winterhilfe und N6V stiftete sie 10 bis 25 Pfennig. Sie hatte ihre eigene Nothilfe für die Opfer der Nazidiktatur. Im August 1944 hatte man sie wie- der einmal auf die Gestapo in der Leopoldstrasse geholt. Doch diesmal war es ernst. Man entliess sie nicht wieder „in Gnaden" wie so oft. Die fanz6 alte Landtags- und Stadtver- ordnetenversammlung der SfD war vertreten. Und alle waren ohne iUu- EINE GEFAEHRL DAS ANDERE OEllTS CHI AND 7 eionen. All* wurden ins Lager 21 bei Watenstedt gebracht. Mehrere Wo- chen später landete Martha Puchs in Ravensbrück. Und nun war sie verschollen. Nicht einmal ihre aufmunternden und hu- morvollen Briefe sollten mehr ankom- men. No i und ihre Kinder vermissten die Omi bitter. Die furchtbare Unge- •Wissheit machte sie ganz krank. Wenn man wusste, dass sie tot wäre — nun, es wäre entsetzlich. Aber die Unge- wissheit, das Hoffen und Verzagen, das war unerträglich. Im Jeep nahm ich Nora mit nach Bergen-Belsen. Manche Ravensbrük- ker Frauen waren vor den heranrük- kenden Russen dorthin evakuirt wor- den. Die Engländer waren freundlich und hilfsbereit. Wir gingen durch das ganze grosse Elendslager, spra- chen mit vielen Frauen, studierten aufmerksam lange Listen, sahen In jedes Zimmer und Krankettbett. Ära Abend waren wir beide müde und krank von dem unsagbaren Grauen. Es war erfolglos gewesen. Nora schrieb viele Briefe an Hilfe- organisationen und Freunde. Ich be- förderte sie. Es war nutzlos. Der schwedische Konsul in Bremen war von einer rührenden Hilfsbereitschaft. E" verständigte das schwedische Rote Kreuz: enn man Frau Ii'"~tha Fuchs irgendwo unter den überlebenden Konzentrationslagerhäftlingen vorfin- den sollte, möchte man sie nach Schweden bringen. Auch das half nichts. So verging der Sommer. Die Hoff- nungen wurden Immer kleiner. Wir wussten uns keinen Rat mehr. Als ich im September 194S wieder einmal nach Braunschweig kam, war sie da. Strahlend, glücklich und vol- ler Eifer, etwas zu tun. Sie hatte ein# lange und abenteuerliche Ge- schichte au eraählen: von der Not im Konzentrationslager; von langen Gewalt- und Hungermärschen, zu de- nen sie von der SS gezwungen wur- nen sie von der SS gezwungen wurde, von ihrer kühnen und entschlossenen Flucht; von guten Menschen, die ihr geholfen hat- ten, und von guten Freunden in Berlin, die sie wieder aufgepäppelt hatten. Doch ihr einziger Wunsch war, nach Hause zu gehen. Sie wuss- te, wie Nora sich sorgen würde und hatte Mitleid. Eines Tages versuchte sie es dann und hatte Glck. Sie kam schwarz über die Grenze, die die britische von der russischen Zone trennt. Heute ist sie wieder so tätig wie immer und muntert viele auf, die inmitten der neuen Schwierigkeiten manchmal verzagen machten. Anonymes Heldentum — Schicksal eines unbekannten Soldaten der Freiheit Hier soll berichtet werden von dem ■unbekannten Kämpfer und Helden Hermann Schulz, der zum Märtyrer wurde, und der in seiner Person gleichsam den illegalen, aussichts- losen Widerstand gegen das Nazi- Regime symbolisiert. Hermann Schulz war einer aus je- ner heroischen Untergrund-Bewegung, von deren Existenz die Welt keine Notiz nahm, und die auch heute noch fast systematisch totgeschwiegen wird. Hermann Schulz, von Beruf Volks schul lehre r, war seit Jahrzehnten überzeugter Sozialist. In den letz- ten Jahren vor Hitler gehörte er der Sozialistischen Arbeiter-Partei an, jener kleinen kämpferischen Organi- sation, die sich aus oppositionellen Mitgliedern der SPD und KPD zu- sammensetzte, und die sich vergeb, lieh um die ' Einheitsaktionen der grossen Arbeiterparteien bemühte. 1933 wurde Hermann Schulz als po- litisch unzuverlässig aus dem Staats- dienst entlassen; in den folgenden Jahren ging es der Familie sehr schlecht. Da der Mann schwer herz- leidend war und an einem Bein lahmte, musste die Frau die Haupt- bürde auf sich nehmen. Sie arbeite, te zuerst in einer Munitionsfabrik, später war sie in einem Büro tätig. Beide hatten ein eisernes Pflicht- betousstsein. Sie nahmen vom ersten Tage des Nazismus das schwere Ri- siko der illegalen Arbeit auf sich, und sie konnten bis zum Herbst 1942 eine > SAP-Gruppe in Reinickendorf, ■einem nordöstlichen Vorort Berlins, zusammenhalten. Wie eine Augen- Zeugin berichtet, war ..ihre Wohnung" ein ständiger Treffpunkt für die Freunde; unterm Teppich lag häufig das letzte Flugblatt oder es hing auf der Toilette. Beide waren alles andere als geborene Helden, im Gegenteil, sie hätten oft grosse Angst, auch wenn sie es nicht zeigten. Aber mit vorbildlicher Selbstverständlichkeit blieben sie auf ihrem Posten. Die grösste Sorge „Väterchens", wie wir Hermann Schulz nannten, war, dass er vielleicht bei seinem körperlichen Zustande Foltern nicht widerstehen könnte. Man diskutierte diese Even_ tualität oft; heimlich dachte man, es würde nie dazu kommen. . . ." Flüchtige Kameraden fanden bei Schulz immer Unterschlupf, sie ga- ben einer jüdischen Freundin Ver- steck, seit Ende 1938 wohnte eine Jü- din bei ihnen, als Halbschwester ge- tarnt. Lange, erstaunlich lange ging alles gut, bis zum Oktober 1942. Da brach das Unglück herein. Hermann Schulz wurde verhaftet, über seinen Leidensweg soll seine Frau in ihren eigenen Worten berichten. Vorweg sei nur wiedergegeben was Ella Schulz in rührender Bescheidenheit über sich selbst schreibt: ..Ich sollte am 9. November 1942 bei der Gestapo in der Prinz Albiecht_ Strasse Aussagen über unsere Gruppe machen. Ich habe nichts ausgesagt. Ihr kennt ja die Methoden der Ge- stapo. Ich wurde verhaftet und ge- schlagen. Dabei sind drei Nackenwirbel und die linke Schulter verletzt Wörden. Wie oft zugeschlagen Wurde, weiss ich nicht, denn nach dem ersten Hieb war ich besinnungslos. Am Abend wurde ich nach Hause gebracht und war von da fast bis zum Kriegsenfie unter ständiger Beobachtung. Man hoffte wohl, auf diese Weise von ei- ner unvorsichtigen Frau Anhalts- punkte zu erfahren. Einen Arzt durfte ich bis zur Abheilung der äusseren Spuren nicht aufsuchen, und dann auch nur ohne Angabe der wahren Gründe. Ich habe so von Hin. fallen und Stössen herumgeredet. Jetzt ist nach Durchleuchtung fest- gestellt worden, dass Wirbelsäule und Schulter schlecht verheilt sind. Ich kann meinen Köpf nicht länger als zwei Stunden ohne Stützt tragen. Der linke Arm. ist kaum zu gebrauchen. An sich ist nicht mehr viel zu ma- chen. Wenn die neue Behandlung nichts mehr nützt, sollen die Split- ter aus der Schulter operativ ent- fernt werden. An der Wirbelsäule ist das aber aussichtslos. Ich habe mich damit abgefunden und werde zufrie- den sein, wenn ein schmerzfreier Zu_ stand erreicht wird. Auf mich könnt Ihr nirht mehr rechnen. Ich bin kampfesmüde und schwach geworden. Dieser furcht- bare illegale Kampf gegen den Fa- schismus hat mich aufgefressen. Rest- los. Ihr dürft mich auf keinen Fall bewundern und loben. Ihr beschäm* mich. Nichts zu verraten, ist mir nicht so schwer geworden, wie Ihr es Euch vielleicht vorstellt. Ich habe bei den Misshandlungen eben nur immer Vä- terchens verschlossenen Mund gese. heh und an mein ihm im letzten Augenblick gegebenes Versprechen ge- dacht, da hätten sie mich eher tot- schlagen können, als dass ich meine Lippen öffnete. Und ist das nicht Lohn genug, dass aus unserem Kreis keine einzige Verhaftung vorgenom- men werden konnte? Sie leben alle noch und können jetzt unseren Kampf weiterkämpfen." Und mr folgt unverändert der Bericht von Ella Schulz, den sie am dritten Todestag ihres Mannes nie. derschrieb; Berlin, 10. November 1945 Was ich jetzt hier niederlege, wird mir sehr schwer werden. Seit Wochen versuche ich es jeden Tag, ich fand nicht Kraft genug dazu. Heute, an seinem dritten Todestag, will ich ea tun und von Väterchens Helden- tum berichten. Ihr all© müsst es wissen. Ihr alle müsst mit mir über den wertvollen, guten, weit über uns stehenden Menschen weinen. Nein, nicht nur weinen, schreien müssen Wir, dass es die ganze Welt hört, jetzt dürfen wir es ja. J'etzt ist ja die furchtbare Last des ßchweigenmüssens von, uT|a genommen. Jetzt ist die Zeit 9 DAS ANDERE DEUTSCHtAHO des Wiederluftholen-KSnneng da. Und Väterchen ist tot. Oktober 1942 wurde er von der Ge- stapo aus unserer Wohnung abgeholt. Ich war nicht zu .Hause. Die Woh_ nung war durchsucht und zwei Kof_ fer mit Büchern mitgenommen. Auf dem Schreibtisch lag ein Zettelchen, Väterchen hoffe bald wiederzukom- men. Unser Gerhard hat tage- lang versucht, herauszukriegen, wo Väterchen war. Er hat es nicht er- fahren können. In der Prinz-Albrecht- Strasse haibe ich es endlich mit Lügen und verzweifeltem Mut einem Beamten entreissen können, dass Vä- terchen unten im Keller war. Ich wurde eine Furie. Ich kannte mich nicht mehr. Mein geliebtes Väterchen in diesem Hause! T™ den Händen von Mördern. Und ich war so völlig hilf- los, so ganz und gar allein. Niemand durfte ich bitten, ihm doch zu helfen. Keinen Freund, keinen Anwalt! Nir- gends Rat und Hilfe! Unsere Freunde hatte ich gleich in der ersten Nacht von Väterchens Verhaftung benach. richtigt. Sie durften sich um nichts kümmern. Eine solche Einsamkeit in einem solchen Augenblicke ist kaum zu ertragen. Ich ging nun täglich hin und flehte um Sprecherlaubnis. Vier Wochen lang. Am 9. November sah ich dann Väterchen in Anwesenheit von drei SS-Leuten. Sollte es einen Gott im Himmel geben, er könnte mit all sei- nen Paradiesen nicht wieder gut. machen,dass er es zugelassen hat,ei- nen Menschen wie Väterchen so zu- zurichten. Es war nicht mehr mein Väterchen, das vor mir stand oder zu stehen'versuchte. Verhungert und zerschlagen, seine guten, schönen, treuen Augen weit zurückgesunken, blutunterlaufen. Aus seinem rechten Mundwinkel floss ununterbrochen Blut. Seine Kleider zerrissen und ver- dreckt. Ihr wlsst, wie er. mich liebte. Aber mein Entsetzen, meine feste Umar- mung bemerkte er gar nicht. Ich spür- te sofort, dass er sich fieberhaft auf «etwas konzentrierte, was in diesem Augenblick das Wichtigste war. Wir draussen wussten ja immer noch nicht, warum Väterchen in Haft war, und unsere Gruppe zitterte Tag und Nacht, ebenfalls abgeholt zu werden. Es sollte doch am Abend des Tages von Väterchens Verhaftung wieder eine Zusammenkunft der Reinicken- dorfer Freunde stattfinden, und wir fürchteten Verrat durch einen Spitzel. Väterchen nahm mit dem einzigen kurzen Satz , den er mir zurief, allen Druck und alle Sorgen von ihnen. Laut und deutlich sagte er: „Ich bin soeben mit Herrn Guddorf, der auch verhaf- tet ist, vernommen worden." Die drei SS_Leute stürzten sich auf Väterchen. Er blieb völlig ruhig. Er wehrte sich nicht, versuchte nicht, sich zu schützen. Nur seine Augen flammten noch einmal herrlich auf, fund er richtete sie bezwingend auf mich und verschloss ganz fest sei- nen. Mund . . Ich aber wusste, was ich zu tun hatte. Wir wurden auseinandergerissen und jeder in eine andere Ecke des Zimmers gestosSem. Einer schrie: „Schulz, das werden sie noch tau- sendmal verfluchen, dass Sie trotz unserer Warnung diesen Namen ge_ nannt haben." Und zu mir gewendet, r ^irie er: „Frau Schulz, sie sind verhaftet, und das haben Sie Ihrem Manne zu verdanken." Ich konnte Väterc hen nur zunik- ken und auf meinen fest verschlosse- nen Mund zeigen. Ich wurde in den Keller gebracht, und was da mit mir geschah, wisst Ihr r is meinem vori- gen Briefe. Ich habe Väterchen lebend nicht mehr gesehen. Eine Woche später be- kam ich eine kurze Mitteilung, dass mein Mann am 10. November seinem Leben ein Ende gemacht hätte. Ich solle Anweisung geben, ob ich seine Bestattung übernehmen wolle. Ich habe ihn hier auf dem Reinicken- dorfer Friedhof begraben. Durch den Wärter erfuhr ich dann folgendes: Väterchen wurde täglich Stunden lang verhört. Und so war es auch für den 10. November, einen Tag nach unserem ersten und einzi, gen Wiedersehen , angeordnet. Er war inzwischen in eine Zelle im zweiten Stock gebracht worden. Der Wärter der ihm um 6 Uhr früh Frühstück, Mantel und Hut brachte, sagte mir, dass Väterchen ganz ruhig und ge- fasst war. Er hätte aber kein Essen REVOLUTION Voraussetzung dafür, dass gegen die autoritären Strömungen, die Europa und die Welt zu überschwemmen dro- hen, eine lebendige Freiheitsbewe- gung aufkommt, ist, dass die Demo- kratie entschlossen und konsequent sozialistisch wird, dass sie nicht in einem engherzigen Parteisozialdemo- kratismus, einem gehässigen Antikom. munismus und jenem kleinbürgerli- chen Sozialkonservatismus stecken bleibt, vielmehr ihren Glauben mit dem gleichen missionarischen Eifer ausbreitet und durch die Tat beweist, wie das die Anhänger des Kommu- nismus tun. Und da fehlt es nun eben, mindestens auf dem europäischen Festland, ganz bedenklich. Wir konn- ten nicht ohne ein Gefühl der Be- drückung lesen- was letzthin im „Jour- nal de Geneve" Professor Stelling- Michaud, gewiss kein enger Reaktio- när schrieb: dass nämlich ''der So- zialismus, der noch vor einem Jahr- zehnt als eine revolutionäre Kraft galt, heute aus seinem Gegensatz zum kommunistischen Programm heraus eine staatserhaltende Kraft geworden" sei, Die Lebendigkeit, die das Regime der Sowjetunion im Krieg bewiesen habe, habe in einer Reihe von Län- dern, namentlich in Frankreich, das Proletariat zu einer massiven Schwen- kung vom Sozialismus weg und zum Kommunismus hin veranlasst, und wenn sich die kommunistischen Par- teien an der russischen Politik orien- tierten. so die sozialdemokratischen Parteien immer mehr an der Politik der britischen Labourregierung, die ein Doppelgesicht trage: im Innern fortschritlich und energisch sozialisie- rend, nach aussen „konservativ in der Absicht den Lebensstand Grossbritan- niens aufrechtzuerhalten und das Reich gegen die zersetzenden Bestre- mehr angerührt. Und als eine Stunde später die Zellentür sich öffnete, schritt Väterchen schnell an ihm vor- bei, rannte ein paar Schritte bis zum Geländer des Lichtschachtes, schwang sich darüber und stürzte kopfüber in die Tiefe." Hermann Schulz ist tot, seine Frau ein Krüppel, der Sohn aus dem KZ befreit; dies ist die Geschichte einer deutschen Familie, die in freiwilliger Entscheidung dieses schwere Los auf sich genommen hat. Die Schulzens sind kein Einzelfall. Es gibt viele deutsche Familien, die ähnliche Schicksale erdulden mussten, mehr als die Umwelt ahnen kann. Ob sie Sozialdemokraten oder Kommu. nisten, Gewerkschaftler oder Frei- denker waren, op sind ihrer Tau- sende und Abertausende, die nie aufhörten, ihr Leben für Freiheit und soziale Gerw»iSlgkeit einzusetzen. An uns ««Wer Ist es nun, denen, die wenigster , ihr nacktes Leben retten konnten, m ihrer Not beizustehen und ihnen zu helfen damit sie nicht jetzt, nachdem sie die zwölf schmachvollen opfereichen Jahre überstanden ha- ben, verzagen müssen. J. L. New- York bunden der kommunistischen Sowjet- union und ihrer Hilfskräfte zu schüt- zen". Und wenn Francois Bondy im ,-Servir" von der Sozialistischen Par- tei Frankreichs feststellt, dass sie „den Hauptteil ihres Anhanges in der Ar- beiterschaft zugunsten der Kommuni- stischen Partei verloren" habe, der einzigen Partei, die über eine breite Masse von Anhängern und treuen Wählern verfüge, die untereinander in einer wirklichen Glaubensgemein- schaft verbunden seien,, so wird es ebenfalls schwer sein, dieser Schilde- rung ein freundlicheres Bild entgegen- zusetzen. Gar nicht zu reden von der deutschen Sozialdemokratie, die den Beweis erst noch zu erbringen hat, dass sich ihre geistige Haltung grundsätz- lich von derjenigen der Vorkriegsso- zialdemokratie unterscheidet, die zwar auch imposante Wählermassen in Be- wegung zu setzen wusste, aber als le- bendige Kraft zur Verwirklichung des Sozialismus nicht mehr in Frage kam. Das mag zunächst alles nicht sehr optimistisch klingen. Aber ist es wirk- lich rosaroter Optimismus, was uns am meisten not tut? Viel wichtiger scheint mir, dass wir uns ganz klar werden: nur ein von tief innen her erneuerter demokratischer Sozialismus, nur eine zu umwälzenden sozialen Verwirkli- chungen entschlossene und fähige De- mokratie wird eine Zukunft haben. Dass die dafür erforderliche geistige Revolution durchbreche — das tut uns vor allem not. Und es heisst darum nicht profanieren, wenn wir auch im Hinblick auf die politische und sozia- le Weltlage die uns menschlich oft so wenig Hoffnung zu bieten scheint, bitten: Komm, mächtiger Schöpfer- Geist! (Hugo Kramer in „Neue Wege", Mai 1946). DEMOKRATISCHER SOZIALISMUS UND GEISTIGE DAS ANDERE DEUTSCHLAND 9 BERICHTE AUS DEUTSCHLAND NEUE TABAKWAREN. PREISE j Die Erhöhung der Tabaksteuer — bei Zigaretten bis zu 20 Pfennig auf 80, darüber auf 90, bei Zigarren auf 90 Prozent des Kleinverkaufspreises — hat, wie zu erwarten war, das Ta- bakgewerbe vor ernste Schwierigkei- ten gestellt. Für das französisch be- setzte Gebiet Württembergs, Hohen- aollerns und Badens sind vorerst nur die neuen Preise für Zigarren fest- gesetzt worden. Danach wird eine Zi- garre, die bisher ohne Kriegszuschlag für 6 Pfennig zu erhalten war, 50 Pfennig kosten. In den übrigen Klas- sen erhöhen sich die Preise von 8 auf 66 Pfennig, von 10 auf 80 Pfennig, von 15 Pfennig auf 1,20 Mark, von 20 Pfennig auf 1,50 Mark, von 25 Pfennig auf 1,75 Mark und von 30 Pfennig auf 2 Mark. In der britischen Zone soll es künftig zwei Zigaretten- preise geben, eine Sorte für 16 Pfen- nig und eine andere für 20 Pfennig das Stück; auf die billigere Preisla- ge soll etwa ein Drittel, auf die teu- rere sollen zwei Drittel der Produk- tion entfallen. Die Entscheidung über die künftigen Zigarrenp*3ise in der britischen Zone steht noch aus. Die Zigarrenindustrie, die namentlich in Westfalen zum grossen Teil Heimin- dustrie ist, hat ihre Erzeugung zu- nächst stillgelegt, bis sie in der Preis- frage klare Verhältnisse sieht. Es wird befürchtet, dass die höhere Be- lastung der Zigarre (die ehemals ei- ne geringere Steuer als die Zigarette zu tragen hatte) die Raucher von der Zigarre weglenken werde, weil sie zu teuer würde. In der russischen Zone sind für die Zigarre zehn neue Preis- lagen geschaffen worden. Die Preise liegen für Zigarren mit künstlichem ,.TJmblatt" zwischen 50 Pfennig und 1,20 Mark, für Zigarren aus übersee- ischem Tabak zwischen 1,55 und 3,90 Mark. In Grosshessen dagegen sollen Zigzurren, die bisher 15 Pfennig pro Stück kosteten, künftig für 1,70 Mark abgegeben werden, während der Preis der bisherigen 30-Pfennig-Zigarre auf 3,40 Mark steigen soll. Die Zigarren- industrie hat sich bei den massge- benden Stellen um Erleichterung be- müht, vor allem in der Richtung, dass die Umsatzsteuer nicht mehr auf die Banderole bezahlt werden muss, da man andernfalls auf eine noch we- sentlich höhere Preissteigerung käme. Gerechte Urteile. Oberbürgermeister Siebecke von Marburg wurde zu zwei Jahren Ge- fängnis und lebenslänglicher Entzie- hung dfcr bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt, weil er bei Ausfüllung des Fragebogens verschwiegen hatte, dass er seit 1931 Parteimitglied und später HJ-Führer war. SS - Gruppenführer Scharschmidt, Wächter im KZ Dachau, wurde vor- der deutschen Spruchkammer zu 5 Jahren Zwangsarbeit, danach nur zur Zulassung als ungelernter Arbeiter, ständiger Polizeiaufsicht und dauern- dem Verlust der bürgerlichen Ehren- rechte verurteilt. Die Rheinschiffahrt belebt sich. Vor einigen Wochen nahmen nach sechsjähriger Unterbrechung die Pas- sagierdampfer den Verkehr von Köln bergauf bis Honeff wieder auf Seit 1. Juli ist der Rhein in einer Min- destbreite von 40 m und einer Fahr- tiefe von 1.70 m freigemacht. Der monatliche Talverkehr wurde mit 50.000 t und der Bergverkehr mit 200.000 t veranschlagt. Auch der Main ist wieder in 25 m Breite befahrbar. BUSSISCHE ZONE Im Pommern westlich der Oder sind. ca. 65 % des Grund und Bo- dens angebaut worden. Hier ist die Geräte- und Pferdezuteilung durch die Aemter wesentlich besser. In einigen Gebieten war die Ver- wüstung so gross, dass nur noch 27 Prozent der Arbeitsplätze von 1939 vorhanden waren. Gestlich der Oder wurde auf den Quadratkilometer am 1. 4. 46 nur noch eine Bevölkerungszahl von 23 festge- legt, während es früher 39—86 wa- ren. In Mecklenburg wurden 380 000 ha an 82 000 Siedler verteilt. 40 Staatsdomänen mit 20 000 ha wurden als kollektiv bewirtschaf- tete Saatgüter eingerichtet. Russifizierung Ostpreussens. Neuaufgenommene Schüler werden nicht mehr in deutscher Sprache un- terrichtet. Polnisch und russisch sind Pflichtfächer. Heiraten zwischen Russen und Deut- schen sind nicht gestattet. Kinder aus solchen Ehen werden in Heimen untergebracht. 90 % Tuberkulöse befanden sich unter den J.0 000 aus Russland zurückgekehrten Kriegsge- fangenen; 50 % davon starben inner- halb vier Wochen- der Rest ist dau- ernd arbeitsunfähig. Augenscheinlich transportieren die Russen zunächst nur die durch die Strapaaen des russischen Feldzugs ar- beitsunfähig gewordenen Kriegsge- fangenen nach Deutschland zurück. Marxistische Schulung. Die Sozialistische Einheitspartei hat ein System marxistischer Funktionär- schulung eingerichtet, das mit loka- len Abend- und Wochenendkursen be- ginnt; daran schliessen sich Dreiwo- chenkurse an; die nächst höhere Stu- fe umfasst sechswöchentliche Kurse; den Abschluss bildet ein allgemeiner halbjähriger Besuch der Karl Marx- Hochschule, dem sich Spezialkurse anschliessen, die verschiedene Mate- rien umfassen. Aus denjenigen, die al- le Kurse mitgemacht haben, sollen sich die leitenden Funktionäre der Einheitspartei rekrutieren. BERLIN Wirtschaftsleben In Berlin gibt es heute 168.000 Be- triebe. Die Zahl der Arbeiter und An- gestellten beläuft sich auf 985.000. 89.000 Personen sind selbständig. — 387.000 Werktätige sind im FDGB or- ganisiert. Die Berliner Theater werden täg- lich von 12.500 Personen besucht. In die 197 Kinos gehen täglich 100.000 Menschen. Für die Erziehung der Kinder stehen 300 Schulen zur Ver- fügung. Hundert Millionen Mauersteine Ueber 100 Millionen Ziegelsteine sind nunmehr aus den Ruinen Ber- liens gesammelt. 30.000 Steinsammler, vorzugsweise Frauen, waren seither beschäftigt und werden vorläufig auch nicht arbeitslos. Ende März waren ^17 000 Häuser „wintersicher" gemacht worden. Bis Neujahr sollen weitere 50 000 Häuser instandgesetzt werden. Berlin hat 170 Millionen Mark in seinem Budget vorgesehen, die zur Ruinenräumung und zu Baureparaturen gebraucht wer- den sollen. Allein für Aufräumungs- arbeiten sind 72 Millionen Mark be- reitgestellt. Männliche und weibliche Jugendliehe in Neukölln Das Jugendamt des berliner Stadt- teils Neukölln hat Anfang Mai fol- gende Statistik aufgestellt: Jugendliche im Alter von 17 Jahren 442 Jungen, 776 Mädchen. 18 Jahren 224 Jungen, 691 Mädchen, 19 Jahren 136 Jungen, 724 Mädchen, 20 Jahtre, 123 Jungen, 679 Mädchen, 21 Jahren 90 Jungen. 370 Mädchen. Keine Siegessäule mehr Die Abtragung der Siegessäule im Tiergarten wird vom Berliner Magi- strat bei der Alliierten Kommandan- tur beantragt, wie die Zeitschrift ».Neues Deutschland" meldet. Der Ma- gistrat will alle Denkmäler beseitigen, die einen militärischen oder natio- nalsozialistischen Charakter haben. Auch die vom letzten Kaiser angeleg- te Siegesallee mit den Denkmälern der brandenburgisch-preussischen Für- sten, die durch Kriegseinwirkungen ohnehin schwere Schäden erlitten, soll verschwinden. Der Wurstmaxe ist wieder da Nachdem schon auf dem Weih- nachtsmarkt und am 1. Mai von am- bulanten Händlern heisse Würstchen verkauft worden sind, ist nunmehr seit einigen Tagen der regelmässige Verkauf von heisser Wurst auf Stra- ssen und Plätzen aufgenommen wor- den. 15 Wurstmaxen sind bereits in diesen Verkauf eingeschaltet. Einige von ihnen haben ihren Verkaufsstand auf Wochenmärkten und in Markthal- len eingerichtet. Jeder hat ein be- stimmtes Kontingent von Wurst zum Verkauf zugeteilt erhalten, das schnell abgesetzt wird. Die Wurst wird zum normalen Preis von 30 Pfennigen und gegen 50 g Fleischmarken abgegeben. 10 DAS ANdem DIUT f CHI AND ENGLISCHE ZONE Hamburger Werft gesprengt Der britische Nachrichtendienst in Deutschland teilt mit, dass britische Ingenieur-Truppen die grösste Schiffs- werft Deutschlands- Blohm & Voss in Hamburg ,in die Luft gesprengt ha- ben. Heidesiedlung? Auf Beschluss des Braunschweiger Landtages soll das Staatsministeritim dem Zonenbeirat den Vorschlag ma- chen, das Problem der Urbarmachung der Lüneburger Heide prüfen zu las- sen. Fachleute hätten festgestellt dass in der Lüneburger Heide noch 400 000 Hektar Land urbar gemacht und etwa 30 000 Bauernfamilien aus dem Osten hier angesiedelt werden könnten. Der grösste Teil des Landes befindet sich in Privatbesitz, und die Bauern lie- ssen ihr Heideland zumeist brach lie- gen. Nur 7 Prozent des Bodens be- stünden aus Moor. Alfred Hilgenberg zur Zeit Wilhelms Ii. Generaldirek- tor von Krupp, in der Republik der "Sture Bock", der mit seinem Zeitungä- konzern, seiner Telegraphenagentur, seiher Pressekorrespondena und der UFA die öffentliche Meinung syste- matisch vergiftete und seine Toten- ZUR WIRTSCHAFTSLAGE von Hermann Graal Während in den ersten fünf Mona- ten alliierter Besetzung das gesamte öffentliche Leben Deutschlands das Zeichen des totalen Zusammenbruchs trüg, und innerhalb der wichtigsten Sparten — Wie Produktion. Beschäf- tigung, Güteraustausch, Geld, und Ver- kehrswesen — von einer einheitlichen Planung nicht die Rede sein konnte, sind nun Schritte 2üm «tatsächlichen Wiederaufbau getan worden. Allerdings geht dieser wirtschaftli- che Wiederaufbau innerhalb der ein- zelnen Okkupationszonen nach ganz verschiedenen Gesichtspunkten vor sich, was in der Folge Aenderungen struktureller Natur im Gefüge der deutschen Volkswirtschaft nach sich aehen wird. , in der angelsächsischen Zone steht min fest, welche Anlagen demöntiert werden, und welche Industriezweige die Produktion wieder aufnehmen kön- nen. Die zu Reparationsleistungen vorgesehenen Industrieanlagen sind durchwegs Rüstungswerke oder aber Betriebe, die sich zur Herstellung kriegswichtiger Produkte besonders eignen. In den rohstoffproduzierenden In- dustrien, sowie den noch übrigbleiben- den Teilen der Maschinen-, Elektro- und Schwerindustrie und vor allen in den Konsumgüterindustrien kann die Produktion, soweit es die Ümstände erlauben, wieder aufgenommen wer. den. Vorerst beschränkt sich allerdings die Wiederingangsetzung des Produk- tionsapparates auf die untersten Pro- duktiöftsstufen; sowohl in der Köh- len-, als aueh in äSr Eisen- und Stahl- gräberarbelt gegen die Demokratie als Vorsitzende- der Deutschnationa- ien Volkspartei durch den Harzbur- ger Pakt mit Hitler krönte, dieser bösartige Typ des reaktionären Scharfmachers und Alldeutschen er- freut sich auf seinem 1000 Morgen grossen Gut in der Nähe von Minden des Luxus eines komfortablen Land- hauses. In einem Interview hat er seelenruhig erklärt: „Ich wusste, dass Leute in Dachau und Oranienburg nicht sehr gut behandelt wurden, aber das war in Gefangenenlagern natürlich/ Warum lassen die Engländer Herrn Hugenberg nicht einmal selbst solche Erfahrungen sammeln? AMERIKANISCHE ZONE Die Kleidung der Nazis, die von den deutschen Spruchkam- mern in die Gruppen 1 und 2 einge- reiht worden sind, und die deshalb fünf Jahre lang keine Zivilkleider tragen können, wird zur Bekleidung entlassener Kriegsgefangener be- schlagnahmt. Zurück zum Spinnrad! Im Odenwald soll die Schafzucht neu aufgebaut werden. Die Wolle soll an Ort und Stelle handversponnen werden. In verschiedenen Werkstät- ten stellt man bereits Spinnräder her. IN DEUTSCHLAND Industrie wird die Produktion stark gefördert. Daneben geniessen die Bau- industrien, sowie die Betriebe, die Lokomotiven und Eisenbahnwagen herstellen oder reparieren, eine Prio- rität in der Zuteilung von Arbeits- kräften und Rohstoffen. Im Ruhrge- biet sollen die dort befindlichen An- lagen der Kohlen- und Stahlindustrie enteignet werden. Mit Ausnahme der Kohleniftdüstrie erreicht die Produktion in der engli- schen Zone nach wie vor nur einen minimalen Umfang, was in erster Li- nie auf den katastrophalen Mangel an Transportmitteln zurückzuführen ist. Die Lagte verschlimmert sich sogar noch zusehends, da gegenwärtig mehr Lokomotiven und Waggons durch Schäden verloren gehen, als in den Werkstätten repariert werden können. Unter dieser Transportkalamität lei- det im besonderen hohen Mass die Eisen- und Stahlindustrie, da diese auf sehr hohe Zufuhren an Kohle und sonstigen Rohstoffen angewiesen ist. Dagegen ist die Produktion in der Kohlenindustrie erheblich gestiegen. Allerdings kann die geförderte Koh- le bei weitem nicht verteilt werden. Bereits liegen Millionen Tonnen Stein- kohle und Koks auf den Halden. Die Rheinschiffahrt vermag zur Entspän- nung der Lage vorerst wenig beizu- tragen. Eine Besserung ist erst im Laufe der Zeit zu erwarten. Unter die- sen Umständen sind einem Güteraus- tausch zwischen den Zonen vorerst noch sehr enge Grenzen gezogen, was wiederum eine einheitliche Planung von Produktion, Beschäftigung, des Bank-, Geld- und Kreditwesens als nicht so dringend erscheinen lässt. Obwohl die umlaufende Geldmenge in keinem Verhältnis zum laufenden Güterangebot steht, scheint eine of- fene Inflation bisher verhindert wor- den zu sein. Die Gründe hierfür be- stehen vor allem darin, dass die lau- fenden Einkommenszahlungen recht knapp sind und weite Kreise der Be- völkerung zum Lebensunterhalt ihre Barreserven aufbrauchen. Die vorliegenden Nachrichten aus der französischen und russischen Zo- ne sind so widerspruchsvoll, dass sich ein klares Bild nicht erkennen lässt. Für die weitere Zukunft der Wirt- schaftsentwicklung in der russischen Zone sind vor allem die Verstaatli- chungsmassnahmen auf dem Gebiete der industriellen Produktion des Bank- und Kredikwesens, sowie des Grossgrundbesitzes von Bedeutung. Zusammenfassend ist somit für Deutschland zu sagen, dass die wirt- schaftliche Tätigkeit noch auf lan- ge Zeit hinaus nicht einen norma- len Umfang erreichen wird, mit Aus- nahme der Kohlenproduktion, die ei- nen erheblichen Beitrag zur Deckung der europäischen Kohlenbedarfs zu leisten vermag. In den übrigen In- dustrien wird die Produktion wohl kaum über die Befriedigung der aller- dringendsten regionalen Bedürfnisse hinausgehen. Von einem Güteraus- tausch zwischen den Zonen oder gar mit dem Ausland Wird wohl noch lan- ge nicht die Rede sein können. In erster Linie wird das gesamte wirtschaftliche Leben durch die uner- hörte Transportkalamität gelähmt, die auch die reibungslose Verteilung der geförderten Kohle verhindert. AUS DEM BRIEF EINES DEUTSCHEN JUDEN ' Der folgende Brief wurde uns aus New York zugesandt. Er ist an Jüdische Freun- de gerichtet. „Zweieinhalb Jahre, von November 1942 ab, habe ich illegal gelebt. Es waren etwas beunruhigende Zeiten und nicht ganz ungefährliche. Jetzt, da ich es überstanden habe, kann ich sagen, dass es doch manchmal recht! interessant gewesen ist. Eines vor allem lasst Euch sagen von einem, der es nun wirklich erlebt hat: hätte ich nicht meine zahlreichen christlichen Freunde gehabt, so lebte ich heute nicht mehr. Was meine „arische" Frau, die ich jetzt vor einem halben Jahr heiraten durfte, an persönlichem Mut, an Verachtung der von der Gestapo ständig drohenden Gefahr - geleistet hat, das ist nicht mit wenigen Worten zu sagen. Sie hat mich die ganze Zeit verborgen gehalten. Ausser mir hat sie einige Monate lang noch ein anderes jüdisches Ehepaar bei sich beherbergt. Das 'lört sich einfach an. Aber- . . Es gab nicht nur wohlmeinende Menschen. Jeder Nachbar könnte ein Denunziant sein. Die Luftangriffe zwangen uns, besonders seit November» 1943, Schutztounker aufzusuchen. Man DA* ANDERE DEUTSCHLAND 11 musste auf die Strassen, kam mit an- deren Leuten zusammen, unter Um- ständen mit solchen, die einen von früher her kannten. Und datin: wir sind im ganzen drei- mal ausgebombt worden. Total — das heisst: Verlust der Wohnung, die Schutz war; Verlust aller Sachen. Man sass auf der Strasse. Die Frage nach dem „Was nun?" war nicht immer? leicht zu beantworten. Mir selbst war selbstverständlich jede Initiative ge- nommen. Doch alle dreimal gelang es meiner Frau, einen neuen Unterschlupf zu finden- Es war, glaubt es mir, nicht so le'cht, wie es sich jetzt schreibt und liest. Ein anderer, ebenfalls christlicher Freund hatte mir seine Papiere gege- ben, dftzu seine Militärpapiere, die er dann als verloren meldete. Ein Gra- phiker fälschte die Stempel. Ein eben- falls untergetauchter jüdischer Buch- - drucker druckte nachts Ausschlies- sungspapiere für den Volkssturm- Was ich Euch nun in aller Dring- lichkeit 25u sagen wünsche, ist dies: uns, die es besser wissen müssen, ekelt es an. immer wieder zu hören, dass alle Deutschen Verbrecher sind und alle Nazis. Ich kannte PG's, die mir geholfen haben. Und ich kannte Juden, die für die Gestapo hunderte „ ge- flitzter" Juden auf der Strasse und in Lokalen sreschnappt haben. Sie durften dafür länger hier bleiben. Zum Schluss haben sie, wie sollte es auch enders sein?, doch ihren Lohn erhal- ten. Fie leben wohl alle nicht mehr. Noch einiges ärgert uns: dass näm- lich die „arischen" Ehefrauen, die ihren Männern das Leben gerettet haben, nun von manchen Herren wie ein Stück Dreck behandelt werden- Und es ärgert uns, dass man uns unser Nochdasein ein wenig verübelt. Mit den toten Juden kann man nämlieh eine viel bessere Reklame machen, und sie kosten auch viel weniger. Und ps kränkt uns. da*s zum Beispiel die -piTSFr uns. die wir übrig geblieben Find, als Verräter ansehen. Ständi? friert man uns: ..Warum lebst Du? Hitler hat doch alle Juden totgeschla- gen." Ich selbst habe intensive Ver- höre durchmachen müssen, weil ich der erste Jude war. der der betreffen- den Armee bisher be?e?net war. Das leur-htete mir damals durchaus ein. weil sich viele Gestapoleute als Juden mit dem selben Stern getarnt hatten. Ab*r r'er Argwohn hat sich festgefres- sn TTnd die damalige Ansicht, pro- vor, Hin Ehrenbur?. ist nicht icr>nrotten. Ich sage das nicht, weil jnT-, EuF^en hasse, sondern weil ich ]i>he und ein weni? enttäuscht hin. hin's nur ein wenig, die, meisten änr1*ren sind's mehr. J^rn-nel Löwenstein hat die 12 Jahre 9110h überstanden und nicht einmal illr^al sondern völlig legal und gar "pinht sn schlecht. Er war der unge- krönte König des.....in dem sich mirh eine Gestapostelle befand. Der Leiter dieses Lagers liebte sam innig, weil er von ihm oft unter den Tisch £ soffen wurde. Sam konnte auf die- se Weise sehr viel bei ihm erreichen und hat «einen Einfluss mm Guten für viele Juden ausgeflutet. Die Zähl „SIE SOLLTEN UNS DEN K MACHEN LASSEN" . . . Ich bin wieder daheim. Nun lass Dir erzählen, was ich inzwischen alles erlebt habe. Die Ueberfahrt dau- erte 10 Tage von New York-LeHavre. Hier waren wir ca. 1 Woche im Lager, Die deutsche Lagerpolizei begrüsste uns entsprechend: "Na, Ihr Demokra- ten, wir kommen ja auch bald nach Hause, da könnt Ihr was erleben, Ihr Judennachläufer'* usw. Waschechtes, faschistisches Gesindel. Die Verpfle- gung war hundsmiserabel. Dafür konnte man, wenn es dunkel geworden war, von dem "Stammpersonal'' ge- gen Zigaretten u. a. alles haben . . . Dann gings nach Aibling (Oberbay- ern). Da läuft immer noch eine grö- ssenwahnsinnige Offiziersbande her- um, die den Lagerbetrieb schmeisst. Sie haben immer hoch den alten preu- ssischen Ton an sich: "Na, mein Lie- ber, sind Sie richtig "umgeschult"? Wissen Sie ganz genau, wer den Krieg gewonnen hat?" usw. Wir waren froh, dass wir ein 2. Paar Schuhe von USA mitnehmen konnten, da viele von uns doch nichts mehr hatten. Hier wurde uns diese Mehrbekleidung wieder abgenommen. Dann gings ins englische Lager Munsterlagev (Lüneburger Heide). Was sich da ereignete, spottet aller Beschreibung. Es ist ganz wie in "Gro- sser Zeit". Offiziere mit dem entspre- chenden Vorzeichen massen sich eine Sprache an, die, von den englischen Dienststellen geduldet, alles andere als "demokratisch" ist. Wenn jemand ernstlich dagegen Front macht, so wird er bei der englischen Dienststelle so hingestellt, als ob er die Lagerord- nung missachte und entsprechend be- straft. Du kannst Dir vorstellen, dass es uns recht komisch vorkam. Hier in Göttingen bewohnen meine Frau und ich zwei kleine Zimmer und eine Küche, da wir ja unser Heim in T. verloren haben. Nun ist uns in ein kleines Zimmer noch eine ehem. hohe Würdenträgerin der Partei, eine Rechtsstudentin, hineingesetzt worden. Sie macht aus ihrer Gesinnung kein Hehl. Warum denn auch? Du siehst hier ' in der Universitätsstadt viele ehem. junge Offizier; als ich *. B. einen fragte, warum er immer die verfluchten Langschäfter trage, ant- wortete er, schliesslich wäre er Offizier gewesen, Es ist eine faschistische Stadt und es wird nichts Vernünftiges dagegen unternommen. Eis kommen auch zahlreiche Fehler der Militfir- dienststellen vor, z. B. aüs einem SS- Lager kommen Oberbonzen, u. a. der SS-Obersturmführer von hier mit einem Jeep und entsprechender amerikani- scher Begleitung in die Stadt "um ei- nen Zug durch die Gemeinde'* zu ma- chen. Unglücklicherweise oder glückli- cherweise landen sie bei der Bückfahrt im Strassengraben, anschliessend der Leute, denen er auf diese Weise hat helfen können, ist sehr hoch. Die Zahl derer, die er unterstützt hat mit dem Geld, das er dem Gestapamann b*im Pokern Abnahm, geht in die Hun- derte, . w ALLEIN Krankenhaus. Grosses Versehlete- rungsmanöver. Alles dies sieht die Be- völkerung, und den Antifaschisten platzt der Kragen. Man kann nichts machen. Der hiesige Manager unserer Berufs- organisation ist derselbe wie 1934, und was kannst Du von diesen Leuten er- warten? Wenn diese Zustände nicht grundlegend geändert werden, hat die Demokratie eine schlechte Chance in Deutschland. Mir ist es unmöglich, Hine Praxis zu eröffnen, da ich ja kei- nerlei Instrumente habe und die Plätze alle von den "alten Kollegen" besetzt sind. Man könnte lachen, wenn es nicht so ernst wäre. ... Es wäre gut, wenn man die so- genannte Entnazifizierung nicht so im Ausland herumposaunen würde. Die Nazis hier lachen darüber, und uns an- deren geht es nach wie vor: wir wer- den, da sie direkt und indirekt überall Einfluss haben, an die Wand ge- drückt. Ich habe keine Kleider als ein paar kaputte Klamotten . .. Leute aber, die in den Hitlerjahren schwer reich ge- worden sind, tragen jetzt mit Eleganz ihre Frühjahrsmoden. Was wir nötig haben, ist eine wirkliche Hilfe der de- mokratischen LÄnder, oder sie sollten uns den Kram allein machen lassen, dann würde vieles anders aussehen! Ich würde mich so gern irgendwie be- tätigen, aber wenn man täglich die Hemmungen sieht, die mit Duldung gewisser Behörden einem in den Weg geworfen werden, . . . dann weiss man nicht, wie man die Dinge meistern soll." Die Ueberlegezihelt der Weissen Äaese. Ein Mann mit dem schönen Namen Ira Calvin White hat zwei Bücher mit den ebenso schönen Titeln „Nur Blonde sind Engel'* und „Die verlo- rene weisse Rasse" verfasst. Darin schreibt u. a,: "Die niedrigste Art der Weissen kann noch schöne Kinder erzeugen, und der erstklassigste Ne- ger kann das nicht. Gott wollte es so, und es ist die Aufgabe des Weissen, dafür zu sorgen, da*s SEIN Wille aus. geführt werde." „Es ist das radikale Gesindel, das die Neger aufwiegelt und in sie dringt, ihre Zulassung in un- sere Gesellschaft zu verlangen. Man tut damit den Negern ein grobes Un- recht an, denn sie haben dadurch nur Schwierigkeiten zu erwarten, und was ihnen zugemessen wird, wird auch ih- ren Aufstachlern zugemessen werden. Aber diese radikalen Juden lassen sich nicht warnen, denn der Autor weiss, dass sie viele Male gewarnt wurden und wissen, was sie tun. Sie müssen offenbar den Krieg lieben. Nun, sie können sich dann nicht be- klagen, wenn er kommt",-- Die „Golden Rule Foundation", die jährlich die hervorragendste Mutter auswählt äls Vertreterin aller amen, kmischen Müfiter auf dem Muttertag, hat »um ersten Mal einer Nft$erin die. se lUtre auerkinnt. 12 DAS ANDERE DEUTSCHLAND ARBEITERBEWEGUNG Sozialgesetzgebung Iii Belgien Die neue belgische Sozialgesetzge- bung gründet die sozialen Leistungen auf Beiträge der Arbeiter von 8 %, der Angestellten von 8 % % und der Unternehmer von 15 xh %. Die Kran- kenversicherung garantiert freie Arzt- wahl, Apotheke und Krankenhaus. Der Kranke erhält im ersten Jahr 70 %, später 50 % des Lohns bis zur Erreichung der Altersversicherung. Die Altersversicherung beträgt 50 % des Lohns und soll bei Anwachsen des Sozialversicherungsfonds auf 75 Bisher verstaatlicht: 1. Die Bank of England. Die Aktio- näre erhielten Regierungsanleihen x entsprechend dem Wert ihrer "Aktien. 2. Kohlenbergwerke. Ein Nationales Kohlenamt, in dem Techniker, Arbei- ter, Wissenschaftler und Finanzsach. verständige vertreten sind, plant die Kohlenproduktion, schliesst unrenta- ble Minen, vergrössert andere, entwik- kelt Nebenprodukte, setzt Preise und Produktionsziffern fest. 3. Radiostätionen. Die British Broadcasting Corporation bleibt Re- gierungsmonopol, trotz des Wider- stands der Konservativen. 4. Versicherungswesen. Sozialversi- cherung „von der Wiege bis aum Gra. be", ähnlich dem Beveridge Plan. 5. Bauindustrie. 80 % aller Häuser werden vom Staat gebaut. Dem Parlament vorgelegt: ... 1. Zivilluftfahrt. Drei staatliche LuftfgJartgesellschaften, die dem Luft- fahrtministerium unterstellt sind, ver- walten alle Luftlinien und Plugplätze. 2. Fernverbindungen. 1930 entstand aus dem Zusammenschluss von 4 ver- schiedenen Gesellschaften die ..Ka- bel- und Radiotelegrammgesellschaft", die eine Monopolstellung innehatte. Sie wird jetzt verstaatlicht. 3. Eisen- und Stahlindustrie. Im Mai beschloss das Parlament, mit der Verstaatlichung zu beginnen. Die Re- gierung arbeitet einen Plan aus, der die Verstaatlichung folgender Indu- striezweige vorsieht:- Eisenerz, Koks, Roheisen und Stahl, schwere Walz- werke und verschiedene Fertigfabri- kate. In der Zwischenzeit wird die Industrie von einem Stahlkontrollrat überwacht, der Rohstoffe zuteilt und Modernisierungsarbeiten durchsührt. 4. Gesundheitswesen. Bis 1948 wer- ben alle Aerzte» Zahnärzte, Speziali- sten und Krankenhäuser dem Staat- lichen Gesundheitsdienst unterstellt sein. 5. Atomenergie. Die Regierung kon- trolliert alles, was mit Atomenergie zusammenhängt: Herstellung, Patente, Informationen. In naher Zukunft: 1. Elektrizität. Die Stromversorgung untersteht schon, dem Zentralen Elek. trizitätsamt, welches den privaten Er- zeugern den Strom abkauft , und pri- vaten oder städtischen Verbrauchern weiterverkauft. _ UND SOZIALISMUS Prozent erhöht werden. Die Arbeits- losenversicherung beläuft sich auf 50 Prozent. Ferner werden Familienzu- schüsse und bezahlte Ferien zugesi- chert. Bei der Geburt des ersten Kin- des erhält die Familie 120 frs.> bei den späteren Kindern 560 frs. Ausser- dem erhält die Mutter bei jeder Ge- burt 120 frs. und, falls sie werktätig ist. sechs Wochen vor und sechs Wo- chen nach der Geburt 75 % ihres Lohns. Beim Tode eines Arbeiters er- hält die Familie 30 (später 50) Tage lang den vollen Lohn ausbezahlt. 2. Gas. Das Brennstoff- und Kraft- ministerium hat den Gasfabriken mit- geteilt, dass die Betriebe ohne Aus- nahme verstaatlicht werden. 3. Transportwesen. Die Pläne der Labour Party sehen vor, dass Eisen- bahnen und Lastautos, Kanäle. Dock- und Hafenanlagen zu tiner Einheit zusammengefasst und dem Transport, ministerium unterstellt werden. Ab 1950: 1. Petroleum. Verstaatlichung der Petroleumindustrie wird vom Exeku- tivkomitee der Labour Party vorberei- tet. 2. Landwirtschaft. Die Befugnisse, die die Regierung im Kriege hatte, sind ihr auf weitere 5 Jahre zuge- standen worden. Die Regierung setzt die Preise fest und schreibt vor, was erzeugt werden muss. Nicht leistungs- fähige Betriebe können unter direkte Regierungskontrolle gestellt und, wenn das nicht hilft, enteignet werden. Vorläufig noch nicht: 15 Industrien, die Verbrauchsgüter herstellen, wie Textilien, Haushaltsge- genstände. Leichtmetallwaren, werden vorläufig noch nicht verstaatlicht, au- sser wenn ihre Leistungen unbefrie- digend sind. Arbeitsausschüsse von je 13 Mitgliedern untersuchen die Lage dieser Industrien. Ergebnisse; England muss importieren, um Le. bensmittel hinführen zu können. Das Ziel der Labour Regierung ist, die Exporte gegenüber 1938 um 75 % zu steigern, um Lebensmittel kaufen und die im Kriege auf Kredit gekauften Waren bezahlen zu können. Noch vor 6 Monaten erschien dieses Ziel uner- reichbar; damals waren die monatli- chen Exporte nur halb so gross wie im entsprechenden Monat des Janras 1938. Im Mai jedoch, zum ersten "Mal seit Kriegsende. waren die Exporte grösser als 1938, und zwar um 15 %. Man rechnet heute damit, dass das Ziel der Regierung Ende 1947 erreicht wird. K an ach Die stärkste demokratisch-sozialisti- sche Organisation auf der westlichen Halbkugel ist die kanadische CCIf (Cooperative Commonwealth Federa- tion). Die Bewegung entstand 1932, hatte 1935 sieben Mitglieder im Bun- desparlament, 1940 elf, 1946 achtund- zwanzig. In vielen Provinaen, die in Kanada dasselbe Mas^ an Autonomie haben wie die Bundesstaaten Nord- amerikas. ist sie im Provinzparlament vertreten. In der Provinz Saskatche- wan (Einwohnerzahl: knapp 1 Million: Grösse: etwa wie Deutschland nach dem 1. Weltkrieg) hat CCF im Juni 1944 die absolute Mehrheit gewonnen und beherrscht die Regierung. Sasketchewan ist ein Landwirt- . schaftsgebiet mit Betrieben von durch- schnittlich 40 ha. Daher sind die Vertreter der CCF in der Regierung und im Parlament fast alle Farmer. Die Industrie ist noch in den Anfän- gen. Die CCF-Regierung erliess zuerst ein Landwirteschutzgesetz; es berech- tigt den Farmer, In Jahren der Miss- ernte mit Zins- und Amortisationszah- lungen für Hypotheken auszusetzen. — Landwirtschaftliche Genossenschaf- ten wurden eingerichtet; ihre Zahl beträgt jetzt 876. mit 200.000 Mit- gliedern. — Die Regierung hat Fabri- ken eingerichtet zur Verarbeitung der Produkte des Landes und zur Ver- sorgung der Bevölkerung; Wollwebe- rei, Gerberei, Schuhfabrik, Kistenfa- brik, Ziegelei, Fischkonservenfabrik. Druckerei, landwirtschaftliches Labo- ratorium, Sortieren von Saatgut. Elek- trizitätswerke und Versicherungswesen wurden verstaatlicht. Die Regierung besitzt die Autobuslinien, welche die weit voneinander entfernt liegenden Ortschaften dieses grossen Gebietes verbinden. Sie verschickt Aerzte und errichtet Krankenhäuser in den ent- legensten Gegenden; Behandlung ist unentgeltlich. Sie kauft den Pelzjä- gern ihre Ware ab und zahlt höhere Preise, da der Zwischenhandel aus- geschaltet ist. Gewerkschaften sind staatlich an. erkannt. Die gesetzlich festgelegten Mindestlöhne in Saskatchewan sind die höchsten in ganz Kanada. Jeder Arbeiter hat zwei Wochen bezahlte Ferien. — Auch Frauen haben das Wahlrecht. Das Wahlalter wurde von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt. » SFGW „Students for Federal World Govem ment" — Studenten für Bundes-Welt- Regierung" heisst eine von Kriegs- teilnehmern geschaffene Studentenor- ganisation in USA, die eine enthu- siastische und sehr erfolgreiche Pro- paganda für den Abbau der Souverä- nität der Staaten zu gunsteft einer Weltregierung der föderierten Natio- nen entfaltet. Einige der durch die Kriegsgreuel tief beeindruckten Leiter der Bewegung haben das Studium aufgegeben, um ihre ganze Kraft der Sache des Weltfriedens und der zu schaffenden Weltregierung zur Verfü- gung au stellen. In einem Aufruf heisst es: Ihr habt uns von Amerika fortge- schickt- um für den Krieg Bomben zu werfen — Wir sind nach Amerika zurückgekehrt, um Bomben für den Frieden zu werfen. (World Over Press) VERSTAATLICHUNG ENGLISCHER INDUSTRIEN DAS ANDERE DEUTSCHLAND 13 DREI BRIEFE III. Der Pazifismus und die Revolution (Botschaft vom 15. März 1933 an den Nationalen Oster-Kongresa der Internationalen Liga der Frie- denskämpfer.) In dem Augenblick wo die Interna, tionale Liga der Friedenskämpfer im Begriff steht, zu einem Kongress zu- sammenzutreten, um — wie es nach 2jähriger Erfahrung nötig ist — ihre Grundsätze und ihre Aktionsmittel zu diskutieren, ist es meine Pflicht als Ehrenpräsident der Liga sie daran zu erinnern, dass ich ihr in einem offe- nen Brief an Victor Meric vom 12. Juli 1932, der in La Patrie Humaine veröffentlicht wurde — 3 wesentliche Fragen gestellt habe, die unbeantwor- tet geblieben sind. Ich sehe mich genötigt, sie au er- neuern, indem ich sie scharf umreisse: denn wir dürfen heute keine Zwei- deutigkeiten mehr hinnehmen über die Grundsätze einer Aktion, die von ei- nem Tag zum andern notwendig wer- den kann. Ich lese in den Statuten der Liga, wie sie Meric im Bolletin Oficial der L. I. C. P., enthalten in der Patrie Humaine vom 11. März, neu veröffent- licht, folgende grundsätzliche Erklä- rungen : .■Die Liga stellt den Pazifismus über Alles —1 „Wer sich der Liga anschliesst, ver- pflichtet sich- auf einem einzigen Ge- biet zu kämpfen: dem des Pazifis- mus." Meric versichert, vielleicht in gar 7 ' gebieterischem Ton dass diese Er- I 5 vngen, die einen Teil der Satzun- p 1 der Liga darstellen, unantastbar ;ind und „unter keiner Bedingung" erlaubt ist, an sie zu rühren. Ich bin im Gegenteil der Meinung, dass nichts unantastbar ist vor der Vernunft und der Erfahrung, und dass diese Grund- sätze — die niemals von einer Voll- versammlung ernstlich diskutiert wor- den sind — durch eine solche geprüft werden sollten im Licht all der Din- ge, die wir in den 2 Jahren Lebens- dauer der Liga beobachtet haben Was mich angeht, so finde ich, dass diese Erklärungen- abstrakt und starr wie sie sind, den Notwendigkeiten und Pflichten der Realität nicht genügend Rechnung tragen, — Notwendigkeiten und Pflichten ebensosehr individuel- ler, wie sozialer und materieller Art. Ich stelle, um ein Beispiel au ge- ben, 4 Grundfragen: 1) Wenn die in- dividuelle Freiheit und das Leben be- droht sind, — proklamiert Ihr auch dann die Herrschaft des absoluten Pa- zifismus, der die Widerstandslosigkeit gegen die Gewalt verlangt, — oder den reinen Widerstand des Geistes ohne tatsächliche Gewalt? 2 Wenn zwar Ihr persönlich Euch In Sicherheit bringen konntet, aber die Bevölkerung Eures Landes den VON ROMA Schrecken einer Invasion ausgesetzt seht — oder, klarer ausgedrückt: der wahrscheinlichen Zerstörung von Städ- ten und Landstrichen durch Luftflot- ten — würdet Ihr den Opfern (oder denen, die in Gefahr stehen, es zu werden) dieselbe Haltung der Wider- standslosigkeit und des absoluten Pa- zifismus raten? Und wenn nicht, — was würdet Ihr ihnen taten? 3) Wenn eine soziale Klasse, wenn ein Arbeitervolk vernichtet wird durch die Skrupel- und hemmungslo- se Gewalt eines faschistischen Staats- streiches wie in Italien und Deutsch- land (und das Beispiel breitet sich aus!), würdet Ihr den Opfern zur Tak- tik oder Moral der gekreuzten Arme raten? Und wenn nicht, — was wür- det Ihr ihnen raten? 4) Wenn (und dies ist schon kein Ausnahmeereignis mehr, sondern ein Dauerzustand, an dem wir alle mit- schuldig sind), — wenn die Regie- rung, die uns vertritt, an eroberten Ländern, an versklavten Völkern eine erniedrigende und verderbliche Aus- beutung verübt, — wenn die nationa- le Gemeinschaft, der wir angehören, sich an diesen Verbrechen bereichert, und wenn die ausgebeuteten Völker, dieser Marter müde, sich empören, — werden wir ihnen unseren ausbeute- rischen „Pazifismus" empfehlen, die geduldige Hinnahme? Oder was wer- den wir ihnen raten? Werden wir sa- gen: „Das ist ja viel zu weit weg. Bekümmern wir uns doch um uns selbst und Jeder tue das Gleich«. Je- der für sich?" — Ich kann nicht glauben, dass das* Eure Meinung ist oder die Eurer Mehrheit. Wenn es so wäre, würde ich mich unverzüglich von der Liga tren; nen. Ich kann nicht damit einverstan- den sein, dass die Liga ihre Sorge auf die Errettung des Einaelnen be- schränkt- in welchem Sinne immer sie sie auch verstehen möge; sei es in der edelsten Form, zur Errettung des sitt- lichen und religiösen Gewissens, — oder in der niedrigsten des Egoisten: ,,rette sich wer kann!" Ich finde es selbstverständlich, dass auch diese Sorge besteht, und dass man ihr Rech- nung trägt. Aber wenn sie den An- spruch erheben sollte, die allein wich- tige zu sein und sich an der sozia- len Rettung, am Schutz der Allge- meinheit zu desinteressieren, so er- wiese sie sich als schimpflich unzu- reichend, und ich müsste sie als un- würdig anklagen. Der Pazifismus kann nicht ohne de- moralisierenden Verzicht „über Al- les" gesetzt werden — über die ver- zweifelten Kämpfe der Ausgebeuteten und Unterdrückten: das wäre nicht neutral — es gibt der Unterdrückung gegenüber keine Neutralität. Entweder man ist gegen sie, oder man ist für sie, und dann ist man ihr Komplize. Man muss wählen. Es ist zu leicht, sich einfach „gegen alle Kriege" au erklären. Ihr könnt nicht Unterdrück- te und Unterdrücker in denselben Sack stecken. IN ROLLAND Ich bitte Euch, klar zu bekennen» wie Ihr Euch stellt 1) zu den schicksalhaften Kämpfen des Proletariats gegen Imperialisten und Faschisten, zu der notwendigen Revolution; 2) zu den unvermeidlichen Erhe- bungen versklavter Völker, zur be- waffneten Unabhängigkeit -der Kolo- nien. Wie wird Eure Haltung, Eure Alu tionslinie diesen gegenüber sein? Ihr könnt zweierlei Taktiken pro- klamieren: die Gandhis, den organi- sierten passiven Widerstand ohne Ge- walt; öder die Lenins, die Revolution mit allen Forderungen zur Tat, die sie in sich schliesst, — um die gegen- wärtige soziale Lage durch eine neue, gerechtere und menschlichere zu er- setzen. Verboten aber Ist es Euch, der Frage auszuweichen. Sie wird sich Euch aufzwingen, morgen, im Feuer und in den blutigen Rauchwolken der Tat. Lasst sie Euch unvorbereitet, oh- ne festgelegte Richtlinien überraschen, — so heisst das. Euch selbst zur durchaus nicht rühmlichen, sondern schmählichen Niederlage verurteilen, wie sie die Pazifisten von 1914 erlit- ten, als sie herumirrten und : birr- ten ohne Richtung unc' ^'ihrung. Legt also Eure Richtlinien fest! Ich weiss, dass das nicht möglich sein wird ohne stürmische Diskussio- nen, die die Einheit Eurer Bewegung sprengen könnten. Denn, um ganz of- fen zu sein, die widersprechendsten Anschauungen finden sich heute un- ter dem allgemeinen Etikett des Pa- zifismus zusammen. Ich messe dieser Einheit, die auf Konfusion beruht, keinerlei Wert bei. Ehe die Tatsachen es übernehmen, sie zu sprengen unter Umständen, die tötlich sein können, — scheint es mir gesünder und ehren- hafter, dass die verschiedenen Gei- stesrichtungen einander in der Diskus* sion des Kongresses gegenübertreten, und dass man, falls es nötig ist. die Spaltung durchführt, aber auf ehr- lichem Weg. Minderheiten, die sich darüber klar sind, was sie wollen, was sie können, und sich darin einig sind, bis zum Ende dafür zu stehen, sind viel stärker als verworrene Mehrhei- ten, die nie ehrlich Licht in Ihr Chaos haben bringen wollen. Dafür haben wir schon zuviel Beispiele gehabt, — in Frankreich während des Krieges und in Deutschland in diesen letzten Monaten. Wagt es, ehrlich im hellen Sonnen- licht das zu sein, das Ihr seid! Be- kennt Euch klar zu Eurer Aktlonsli- nle! Was mich betrifft, so bekenne ich mich hier zu der meinen. Ueber al- les stelle ich die Verteidigung der durch die soziale Lage Unterdrückten und ihre Bemühungen, eine neue Ge- sellschaft au errichten, — die Vertei- digung der sozialen Revolution und der ausgebeuteten Völker; und Ich rufe zu ihrer Hilfe auf die vereinigten Kräfte der Anhänger des organisier- ten passiven Widerstandes, derer, de- 14 DAS ANDERE DEUTSCHLAND >IE ARBEITERWAHLFAHRT NIEDERRHEIN schreibt uns: Helfen! Dieses Wort schreit uns täglich entgegen. Aus den Trümmern unserer Häuser, *aus den Blendsquar- tiern unserer Luftschutzbunker, aus den Augen eines jeden Menschen, der uns auf der Strasse begegnet. Hilfe brauchen sie 5753 HERRENKLEIDUNG nach Mass und FERTIG KLEFDUNG in vorbildlicher Ausführung! €L 970 LAVALLE 970 U. T. 35-1110