ÖTRA ALEMÄNIA DAS ANDERE DEUTSCHLAND iwniiiinii ""tw in iiniiiiii" ri ' n iniinri nririiinrii w nrww i ORGANO DE LOS ALEMANES DEMOCRATICOS DE AMERICA DEL SUR MWWWMMWMM Die ersten 5.000 deutwehen Kriegsgefangenen wurden von den Russen freigelassen. Unser Bild zeigt sie Im Sammellage* Frankfurt/Oder unmittelbar nach ihrer Ankunft au» Russland .....................'"' "»................. ' BUENOS* AIRES • T U C U M A N 3 0 9 » 31 R E T 1 R O 7 2 6 4 NUMERO 1 27 V DE OCTUBRE DE 1946 Deutsche Bibliothek Frankfurt em Main k u v- DAS ANDERE DEUTSCHLAND VERTRETUNGEN DES ANDEREN DEUTSCHLAND BOLIVIEN La Paz: Guillermo Karbaum, Ca- silla 323. Tarija: Maniredo Hammerschlag, Lista de Correos. Cochabamba: Los Amlgos del Li- Dro, Casilla 450. BRASILIEN Rio de Janeiro: Curt Uebel und Willi Keller, beide Casilla 4231. PARAGUAY Asuncion: Enrique und Susanna tilocx, General Diaz 276- CHILE Osorno: Oscar Chylik, Casilla 423 URUGUAY Montevideo: LA OTRA ALEMA- NIA, Soriano 1224. MEXIKO Mexico D. F.: Walter Stein, Av. Victor Hugo 80, Colonia Anzures. USA New York: Gretl und Herrmann Ebeling, 203 West 98 Street, N. Y. 25. SCHWEIZ Basel: Herrmann Graul, Steinen- graben 12. Zürich: Neues Deutschland, Post- fach 143, Zürich-Fraumlinster. FRANKREICH Paris: S- P. D., 21 Place de la R6- publique, Paris 3. ENtlLAND London: Wilhelm Sander, 33 Fern- side Avenue, Mill Hill, London NW 7. Hans Gottfurcht, 20 East Heath Road, flat 3, London NW3. SUEDAFRIKA Johannesburg: Futran, 45 Sacks Building, Joubert & Comissio- neers Street u. Independant Cul- tural Ass., Mappin & Webb Hou- se, Cor. Hock & Piain Streets. Bei den obengenannten Vertre- tungen des ANDEREN DEUTSCH- LAND sind sowohl Einzelexemplare als Abonnements erhältlich. Wir bitten, in allen die Administra- tion und den Versand betreffen- den Fragen sich zunächst mit der zuständigen Landesvertretung in Verbinudung zu setze... Allen An- fragen bitten wir, ein adressiertes Freikouvert beizulegen. Vorausbezahlung des Abonne- mentsbetrages ist in jedem Falle unerlässlich. fparigiiay Die Freunde des Andern Deutsch- i land in Paraguay haben an die Ju- veeitud Sionista Hanoar Hazioni in Asuncion eine Sympathieerklärung für den Kampf um die Schaffung ei- nes jüdischen Staates gesandt, die die Unterschriften von E. Block, Asun- cion; Juan Günther, Villarica; Al- win Heuke, Colonia; G. Klein, San Bsrnardino, trägt. In dem Dankschreiben der Hanoar Hzyioni heisst es: ,,Es verdad«ramen- jte alentador, saber que el puebio ju- dio,_en esta hora critica de su histo- ria, cuente con amigcs sinceroa que lo aipoyen en sua justas reivindicacio- nes". Deutschsprachige Kurzwellensen- dung für ganz Südamerika Die seit 8 Jahren in Montevideo auf Langwelle gesendete deutsch- sprachige Radio-Stunde ,.La Voz del Dia" wird jetzt auch für ganz Südamerika über Kurzwelle CXA3 — Radio Ariel — Montevideo — 49 meter, 6.075 kilociclos — von 22 bis 23 Uhr arg. Sommerzeit täg- lich (ausser Sonntags) übertragen DEUTSCHLAND- HILFSWERK Aus Schweden wird uns berich- tet, dass alle Pakete, die von April bis Mitte Juli durch uns bestellt wurden, in Deutschland angekom- men sind, und dass täglich Be- stätigungen und Dankbrieje ein- laufen. Das Deutschland-Hilfswerk über' nimmt auch Bestellungen für Pa- kete an Privatpersonen. Gewicht: 5 kg, 10 kg, 22 kg; Preis: 25 bis 70 Pesos. Diese Pakete gehen in alle Zonen mit Ausnahme der russi- schen, und ohne Ausnahme in al- le Sektoren Grossberlins. — In die russische Zone können wir seit kurzem Päckchen im Gewicht von 500 Gramm schicken. Inhalt und Preis der Päckchen ist folgender: Rl 200 g Schokolade» 200 g Zuk- ker, 100 Süsstofftabletten, 4r P. R2 250 g Hirseflocken, 100 g Schokolade. 100 Süsstofftablet- ten. 4.- P. R3 200 g ungerösteten Kaffee, 200 g Kakaopulver. 5.- P. R5 1 Büchse Kaffeepulver, 200 g ungeröstet• Kaffee, 100 Süsstoff- tabletten. 6.. P. R6 1 Büchse Kondensmilch, un- gezuckert; 75 g Schwarztee. 4.- P. Deutschland - Hilfswerk, Austria 2064, Buenos Aires. U. T. 72-6058. Geschäftsstunden: täglich von 17 bis 21 Uhr. Deutschland-Hilfswerk Paraguay Die erste in Paraguay zugunsten des Deutschland.Hilfwerks durch- geführte Sammlung erbrachte den ansehnlichen Betrag von 400 ar- DAS ANDERE DEUTSCHLAND LA OTRA ALEMANIA (fundado el 1 de jumo de 1937) Registro nacional de la Propiedad Intelectual No. 178.948. Autorizado por Resoluciön no. 214 del Ministro del Interior (11 abril 1945) Confirmado por Decreto No. 20.917 (6 sept. 45) del Superior Gobierno de la Naciön. Editor y Director: Dr. Auguste Siemsen. Tesorero: Juan Carl. Avisos: Guillermo cleischer Redacciön y Administration: Tucumin 309 Buenos Aires (U. T. 31-7264) Einzelnummer: 30 Cts. Jahresabonnement: 6.— Pesos argentines (im voraus zahlbar) Geldbeträge erbitten wir aus- schliesslich per Giro oder Bono Postal oder Scheck auf Sr. Juan Carl Tucum*n 309 Bs. Aires. DAS ANDERE DEUTSCHLAND ist kein auf Profit ausgehendes Geschäftsunternehmen. Es lebt nur dank der Unterstützung set- ner Freunde. Spendet für den Pressefonds! Erscheint am 1. und 16. eines jeden Monats. gentinischen Pesos. Allen Spen- dern auch an dieser Stelle herziv chen Dank! Dr. ANNA SIEMSEN, ZEHN JAHRE WELTKRIEG. Preis: Pesos 4.50. Dies® politischen Monatsübersich- ten u. für den politisch Interessier- ten unentbehrlich zum Nachschla- gen und, zur Orientierung über die Entwicklung in d«n Jahren 1935 bis 1945. Das Buch ist durch die Buch- handlungen Barna und Cosmopoli- ta oder durch das Büro des Andern Deutschland zu beziehen. Wir bitten unsere Freunde, Sam- melbestellungen direkt bei uns »uf- tzygefoen. Militär parade 1950 \ Pexademezsck der Atombombe £ r y-y. ;v DAS ANDERE DEUTSCHLAND 3 GRUNDSATZLOSE POLITIK "The lEconomist" schliesst einen Arti- kel mit der üeberschrift "Friede ohne Ehre' Nachdem die englischen und ameri- kanischen Führer von den Grund Sät- zen dessen, was sie unter Politik ver- standen, abgewichen sind, besitzen die Westmächte jetzt weder Grundsätze noch Politik, und in Paris werden sie faule Früchte zeitigen. Sicher wer- den sie keinen grundsätzlichen Frie- den erreichen, und ebenso sicher wer- den sie kein festes machtpolitisches Bündnis mit Russland zustande brin- gen. Die Tatsache, dass trotzdem Ver- träge mit den fünf Sateliten zusam- mengestöppelt wurden, entkräftet die- ses Urteil nicht, es wird im Gegenteil bestätigt, wenn man die Verträge und die Art und Weise, in der sie aufge- setzt wurden, einer Prüfung unter- zieht. Sie verbergen die Haupttatsa- che nicht, dass es in Deutschland, dem Kern des Problems, weder Grundsätze, noch Politik noch Friede gibt. Die Amerikaner und Engländer sind im Begriff, mit den Russen In Deutsch- land zu brechen — wieder nicht aus realpolitischem Grund, sondern aus Gereiztheit. Wenn sie es aber wirk- lich tun, so werden sie bald einsehen, dass sie an die Stelle der Furcht vor einem einigen kommunistischen Deutschland nur die Furcht vor vier getrennten kommunistischen Deutsch- lands gesetzt haben. Es muss wieder und wieder gesagt werden, dass man weder in Deutschland, noch im Mittel- meergebiet, noch im mittleren und fernen Osten Etwas mit Nichts über- winden kann. Wenn die westliche De- mokratie ihren Platz behaupten will, Ist eine positive Politik erforderlich, und es kann keine positive Politik ge- ben ohne Grundsätze. Der Vorstoss Russlands wurde für England und Amerika die Hauptursa- che, von den im Jahr 1941 proklamier- ten Absichten abzuweichen. Aber das bedeutet nicht, dass Russland für et- was getadelt werden kann, was Rahmen unserer eigenen Verantwort- lichkeit und Kontrolle liegt. Das Ge- rede über die Werte der westlichen Kultur nimmt heute einen beklagens- werten Umfang an und ist mit den Gefühlen eines Antisowjetkreuzzuges vermischt. Aber wir haben kein Recht, die Russen des Verrates an westlichen Werten zu beschuldigen, die für sie niemals Werte bedeuteten. An ihren eigenen Werten und Zielen üben die Kommunisten keinen Verrat. Wir sind es, die von den Idealen abfielen, die der höchste Ausdruck westlicher Zi- vilisation waren, und zu denen wir uns noch vor fünf Jahren bekannten Die Wirklichkeit zeigt uns warnend, dass wir in unserem Zeitalter nicht erwarten können, die ganze Welt mit diesen Idealen in Einklang zu brin- gen, aber unser eigener Garten ist f;r'css genug, um alle unsere Energie ür seine Bearbeitung zu verwenden, ohne den Disteln auf des Nachbars Grundstück übertriebene Bedeutung zusugjßssen. Was die Werte der west- lichen Zivilisation angeht, so muss man sie vor allem praktisch darstel- len. Die Aussenpolitik Bevins Aylmer Vallance schliesst eine Würdigung des ersten Jahres der Labourregierung mit folgender Kritik Bevins: . . . Eine nachträgliche Prüfung der zwölf Monate Labour-Aussenpoli- tik führt zu dem bedauerlichen Schluss, dass Bsvin mit bemerkens- werter Hartnäckigkeit in jer± Frage und mit Unterstützung de.- rechten Flügels im Kabinett eine Strategie verfolgt, deren Endresultat sein muss, dass England ohne Freunde, ohne Macht und moralisch bankrott ist. Seine Ziele sind nicht bewusst schlecht. Aengstlich bemüht, den Le- bensstandard der englischen Arbeiter auf seiner Höhe zu halten, glaubt er, erstens die Unverletzlichkeit der eng- lischen Kontrolle der Oeivorkommen in Vorderasien und des Mittelmeerge- biets. zweitens einen möglichst ausge- dehnten Handel mit Westeuropa auf- rechterhalten zu müssen, der ent- scheidend von der wirtschaftlichen Rehabilitierung Deutschlands ab- hängt. Aus dieser allgemeinen Ansicht herays, der, die meisten Labourmit- glicr^T zustimmen würden, zieht er den Schlug, dass England im vorde- ren Orient das russische Vordringen hemmen muss, indem es die Unter- stützung der ,/zuverlässigen" Araber sucht, dass zweitens das Mittelmeerge- biet gesichert werden muss, indem man in Griechenland und Spanien möglichst ^iyale Regierungen hat, die England für den ihnen gewährten Rückhalt dankbar sind, drittens end- lich, dass Westdeutschland davor be- wahrt weiden muss, in die geschlosse- ne russische Oekonomie einbezogen zu werden, indem man die deutsche In- dustrie unter Leitung ven deutschen Elementen belebt, die Handel mit d^m Westen zu treiben wünschen. Die traurigen Resultate dieser Poli- tik sind schon sichtbar. Um des Oe- les willen willigt England in die grau- same Unterdrückung aller fortschritt- lichen Griechen und Aegypter durch halbfaschistische Regierungen ein, und riskigrt einen verhängnisvollen und blutigen Krieg mit den Jud£n in Palästina. In Europa aber haben wir uns zu jedem russenfreundlichen Land durch unwirksame Einmischung im Namen demokratischer .Freiheit in GegSjisatz gestellt und müssen uns in Deutschland nun gezwungenermassen auf nicht entfernte Nazis verlassen und auf die Verwaltung durch die im- mer noch nicht aufgelösten Industrie- trusts. Anstatt in jedem Land als So- zialisten die Freundschaft der Arbei- ter zu suchen, umwerben und beruhi- gen wir die schlechtesten Elemente des reaktionären Grossgrundbesitaes und des Feudalismus und stützen uns auf sie. Es ist möglich, dass diese Politik kurzfristige Dividenden abwerfen wird, aber ihre dauernden Folgen werden von vielen Labourmitgliedern als ka- tastrophal angesehen. Erstens können weder deutsche Kapitalisten noch griechische und arabische Feudalher- ren als zuverlässige Freunde Englands angesehen werden, selbst wenn es ih- nen gelingt, den Kräften ihrer eige- nen russlandfreundlichen Arbeiter- klasse zu widerstehen. Zweitens benö- tigt ein Erfolg des Bevinismus eine fortgesetzte Unterstützung des engli- schen Imperialismus vonseiten Ameri- kas. Aber demgegenüber muss gesagt werden, dass das wahrscheinlich in Bezug auf Palästina nicht von Dau- er sein kann. Und schliesslich muss diese Politik an der drohenden eng- lisch-amerikanischen Handelskonkur- renz scheitern und daran, dass der englischen Regierung wahrschein- lich einmal nichts anderes übrig blei- ben wird, als durch irgend ein Schlupfloch in dem kürzlich beschlos- senen Anleiheabkommen mit folgen- dem Handelsvertrag zu entwischen. REINICIOSE LA PRODUCCION DE FILMS ALEMANES Berlin (Especial). A poco mäs de un aho de la terminaeiön. de la guerra, reimeianse las actividades de la industria del film, en Alemania. En Babelsberg, cerca de Berlin, se ha constituido la Deutsche Film AG" (DEFA) cuyo lema es "El film .debe ser el lazo de union de los pueblos", El programa de films proyec- tado para los proximos doce meses comprende: "En cierto barrio de Berlin" (direccion Gerhard Lamprecht), un film que habla de los falsos ideales que los nazis inculcaron a la juventud"; „Ko- lonne Strupp' cuyo autor es el famoso poeta Friedrich Wolff y] que se desarrolla en los dias siguientes a la capitulaciön de Ber-j Hn; "Los asesinos entre nosotros", dirigido por WoHang Staudtke,/ que trata del problema de los soldados que regresan a sus ho- gares; "Tierra Libre", un film que glorifica a los agricultores;' "Wozzek", original del progresista autor Georg Büchner, "La be- 11a Elena", segün las inmortales melodias de Offenbach, „Rheins- berg", basado en la novela de Kurt Tucholsky; „Razzia am Alexanderplatz", un film contra el mercado negro; "Allez, hopp", un film de ambiente circense. Ademäs se proyectan 30 films cul« turales, diez de ios cuales- ya se eneuentran en vias de realiza- ciön, y cada semazia se filmard „El Testigo Ocular", de actucdir dad.es. 4 , DAS ANDERE DEUTSCHLAND i Die Folgen der Bevlnsöhen Machtpo- litik; müssen die moralische Selbstach- tung der guten englischen Labourbe- wegung untergraben. So wie es jetzt aussieht, wird die Grabschrift des Aussenministers wahrscheinlich lau- ten: „Er zerstörte die Seele der La- bourbewegung, und es gelang ihm nicht, das englische Oel zu retten." NOT! ^ Wir sind bescheiden geworden. Heu- te geht es nicht mehr um ein Volk ohne Raum, sondern nur noch um Menschen ohne Wohnungen. Aus der beispiellosen Zerstörung während der Kriegsjahre und dem Flüchtlingspro- blem der Gegenwart wurde ein Elend geboren, das einmalig ist, hoffentlich für alle Zeiten. Von allen amtlichen Stellen und privaten Organisationen, nicht zuletzt vom Ausland her, wird das denkbar mögliche getan, den Men- schen ohne Obdach zu helfen, ihr Los zu erleichtern. Aber die Mittel sind ge- ring, und die Bedürftigkeit ist so un- geheuer gross. In Hamburg leben im Augenblick in 21 Lagern und 15 Bunkern rund 10 600 Menschen unter der Obhut der Sozial- Verwaltung. Teilweise hausen sie un- ter Bedingungen, die jeden, der heute ein ncch so ärmliches Zimmerchen mit festen Wänden und heilen Fenster- scheiben sein eigen nennt, schaudern machen. Geht hinein in die Betonklöt- ze an der Gertigstrasse, Reeperbahn u.a., die kein Licht und kein frischer Windzug durchdringt. An den mitleid- losen Mauern blieben, so scheint es, die Angstschreie und Seufzer der Not aus bangen Stunden haften, immer noch lagert in diesen Räumen die ver- brauchte, feuchtwarme, stickige Luft, nur ab und zu abgelöst von dem Chlor- gestank aus den Aborten. Zusammen- gepfercht leben sie. sieben Quadrat- kilometer für 3 Personen. Gestelle mit Strohsäcken sind die Lager, eine Woll- decke der ganze Besitz. Denn Bett- Wäsche gibt es nicht. 1876 Männer und 012 Frauen vegetieren in diesen Ver- liessen und versinken nur zu bald In Hoffnungslosigkeit. Einen versöhnlicheren Eindruck hin- terlassen die Lager (Posmoorweg, ßportstrasse u. a.), die aus Baracken und Nissenhuts zusammengesetzt sind. Die Raum Verhältnisse sind zwar ähn- lich wie in den Bunkern, auch hier müssen sich zwei, drei, ja vier Fami- lien mit ihren Kindern den Platz im - jEtaum teilen. Aber die Sonne bescheint ihren kärglichen Platz, Wind und „Wärme vertreiben die mit Krankheits- keimen geschwängerte Luft aus den überbelegten Räumen. Das ist der Sommer, im Winter sieht es anders aus. Denn viele der Ba- racken sind fast baufällig, flatternde 1 Fetzen lassen eine frühere Notverga- eung nur noch ahnen, durch die schad- ihaften Seitenwände pfeift der Wind. Meies an der Einrichtung ist nur Not- behelf, anderes improvisiert. Hier liegt leine Frau, die entbinden soll, zwei Schritte weiter eine andere mit Lun- genentzündung, daneben ein Kindchen, das Tag und Nacht keine Ruhe gibt. Ueberhaupt Kinder: sie hocken bei den Erwachsenen, täglich, nächtlich, stündlich. Nur eine aufgedeckte Woll- decke trennt eine Familie von der an- deren. Einige Monate später, wenn es kälter wird, fällt auch dieser letzte Vorhang. Schwer wird es sein, wenn nicht unmöglich, die verderbliche Vor- stellungswelt, die sich in den kleinen Hirnen einnistet, wieder auszutreiben. » Wir wollen hier nicht von all den kleinen Unzulänglichkeiten sprechen, die bei einem Gemeinschaftsleben, ver- bunden mit einer gemeinschaftlichen Verpflegung, auftauchen. Zank, Ver- leumdungen, Beschwerden, mit oder ohne Grund, sind leider unvermeidlich. Aus allen sozialen Schichten, aus al- len Himmelsrichtungen kamen die Lagerbewohner, verzweifelt, verbittert und damit oft ungerecht. Denn, das muss betont werden, die Sozialverwal- tung scheute keine Anstrengung, um zu helfen, wo es möglich war. Sie schuf jetzt z. B. ein Erholungsheim für schwache Säuglinge, die mit ihren Müttern zusammen 4-6 Wochen lang in einem Haus an der Alster aufge- päppelt werden, sie richtete einen Kin- dergarten ein für die, deren Mütter in ein Krankenhaus müssen, sie verwies die Kinder aus den Bunkern, verbes- serte die sanitären Einrichtungen, um Epidemien vorzubeugen. Alle diese Massnahmen bedeuten aber nur kleine Hilfen, um üb er ein paar Augenblickshürden zu springen. Will man das Uebel an der Wurzel packen, ist nicht mehr und nicht we- niger zu tun, als neuen, zusätzlichen Wohnraum schaffen. ,,My home is my castle". sagt der Engländer. Auch im Deutschen ist der Wunsch nach sei- nen eigenen vier Wänden unbezwing- bar. Ihm dazu zu verhelfen, wird im- mer zu den vordringlichsten Aufgaben des wirtschaftlichen Wiederaufbaues gehören müssen! (Deutsche Nachrich- ten). PORTRAET EINES NAZIS Wir haben zu einer Zeit das Nazi- system und seine Träger angepran- gert, als die Weltpresse Ihre Verbre- chen totschwieg und darüber hinaus durch "unparteiische'' Berichte die Hitlerdiktatur unterstützte. Als die Welt schwieg, haben wir geschrien. Wir berichten heute nicht mehr über die Verbrechen der Nazis, da wir nichts Neues mehr darüber zu sagen haben. Aber der frühere Oberbürger- meister von München — die fette, ge- mein-brutale Visage könnte von keiner Karrikatur erreicht werden — und be- sondere Schützling Hitlers, Christian Weber, verdient, dass wir eine Aus- nahme machen. Wir entnehmen das Folgende der "Süddeutschen Zeitung": An jenem Tage Im März 1933, »I» am Rathausturm die Hakenkreuzfahne hoch- ging, bekam München seinen Bonzenkönig. Er kam aus dem ersten Weltkrieg, den er die längste Zeit als Trossknecht bei «ei- nen Pferden verbrachte, als Feldwebel zu- rück. "Bettelarm, auf Heuboden nächti- gend, keiner ernsthaften Arbeit zugeneigt, es «ei denn dem Schwarzhandel mit Fleisch, das er hinter dem Sattelbock In die Stadt schmuggelte", so schildern Ihn sein* ehemaligen Freunde, jaae tolle Fi- gur, der niederbayerische Pferdehändler Weber, der im "Straubinger Hol" seine er- sten registrierten Prügel bekam, als er den Rücken der Wirtstochter mit einer Pferde- llanke verwechselte. Mit der Mistgabel und dem sinnigen Ausspruch: "Baal, dreckigerI" wart ihn der Wirt hinaus. Weber begann nun sein Gastspiel bei seinem Kriegska- meraden Schreiber, dem Besitzer aes "Blauen Bocks". Auch dort «peilte er den Parasiten, schlief nachmittags Im Bett Schreibers und nachts auf dem Heubo- den und sass im allgemeinen zwischen dunklen Gestalten als ihr dunkelster. Hit- ler lernte er in seiner ersten Versamm- lung kennen. Sie wurden Freunde, Hitler, weil er Anhänger brauchte und die bru- talen Möglichkeiten des anderen erkann- te, Weber, weil er ein Geschäft witterte. 1933 zog Weber in die Residenz. Bald machten seine Gelage und perversen Ma- rotten von sich reden. Da war die "Nacht der Amazonen". Münchner SchulAädel wurden ausgezogen, mit Gold bronziert und vor einem "erlesenen" Kreise öffentlich im Nymphenburger Park ausgestellt. Die Zei- . tungen nannten es Kunst. In der Resi- denz wechselten die "Hausmädchen". Sie waren stets jung, und Weber geizte nicht. Besondere Verdienste erwarben sich die Operettengirls vom Gärtnertheater. Ihr In- tendant Fritz Fischer fungierte dabei als "Vermittler", für Weber wie für seinen Freund Gauleiter Wagner. Sie scheuten sich nicht, ihre Exzesse öffentlich zu pro- duzieren. Es waren ihrer nicht wenige ••Damen", die vor der Residenz vorfuhren, um über die kostbaren Ferserteppiche hin- weg in Christians Lusttetnpel zu verschwin- den. Ein Königreich für des Rossknechts Liebe! Geschäftstüchtigkeit ist ihm nicht abzu- streiten. Gemeinsam mit Schreiber eröffne- te er die Omnibuslinie München—Dietrams- zell, gleich darauf eine Tankstelle. Als sich Schreiber beim Umsturz weigerte, die Fah- ne zu hissen, schickte Weber mehrere Om- nibusse. in denen sich nicht nur SA-Männer, sondern auch Maschinengewehre befanden. Schreiber wurde festgenommen, in eine Sandgrube auf das Riesenfeld gefahren und dort so geschlagen, bis er blutüberströmt liegenblieb. So endete eine Liebe . . . Mit dem Umsturz begann seine Dikta- tur. Er übernahm das Benzinmonopol. Kein Liter Benzin wurde verkauft, an dem We- ber nicht verdiente. Immer mehr Omnibusse kamen in seinen Besitz. Die Strassenbahn war auf ihn angewiesen. Trotzdem er mit der Linie München—Freimann unsinnige Summen einnahm, wollte er zusätzlich von der Strassenbahn pro Kopl 10 Pfennig. Die Gestüte wuchsen aus dem Boden. Während die Kriegsfackel über Europa lohte, ging der Aasgeier Weber an die Sichtung seiner Beute. Liess die französischen Klassepfer- de von der Wehrmacht plündern und "kaufte" sie zu Spottpreisen. Der Pferde- händler war im Geschäft. Riem wurde von ihm beherrscht. Seine Günstlinge — es waren Ihrer nicht wenige — hatten volle Kassen. Er stellte u. k.. er beorderte zur Front. Er erwarb Aktien, wo er nur konn- te. Ueberau sassen seine Strohmänner. Kein grosses Geschäft, in dem er nicht seine schmutzigen Hände hatte. Noch heute be- schäftigen sich die Behörden mit der Aufgabe, Licht in die vielverzweigten, äu- sserst dunklen Unternehmungen dieses ge- schäftstüchtigen Ratsherrn zu bringen. Was Weber wollte, bekam er. Genehmigungen brauchte er nicht, Weber genehmigte sioh selbst. Der Multimillionär hinterliess eine Steuerschuld von 593.186 Mark. OESTERREICH In den von den Russen übernomme- nen Betrieben wurde gleich nach der Uebernahme die Akkordarbeit einge- führt mit dem Ziel, dadurch wie in Russland die Produktion erheblich zu steigern. Die Wirkung war aber bei der sozialistisch geschulten Arbeiter- schaft umgekehrt. Betriebsfunktionäxe lehnten die Akkordarbeit ab, da sie in Widersprach stehe zu den gewerk- schaftlichen Grundsätzen, und da die Arbeitsmoral der österreichischen Ar- beiter eines solchen Ansporns picht bedürfe. DAS ANDERE DEUTSCHLAND 5 DIE STRATEGEN DER FEHLSCHLÄGE So »ehr Offiziere in aller Welt und bestimmt mit nur seltenen Ausnah- men in Gehaben und Geist einander gleichen: der deutsche Offizier ist ein einmaliger Typ. Seit der „Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm L von Preussen Heer und Beamtentum organisierte und auch diesen seinen ,„Untertanen" vorzugs- weise mit Stockhieben seine Ansich- ten über Staat und Verwaltung ein- trichterte, und sein Sohn, Friedrich IL,dieses so fundamentierte Preussen durch sein Gemisch raffinierter politi- scher Schachzüge und waghalsiger Kr. oberungskriege zu einer kontinental- europäischen Grossmacht heraufriss — seit diesen Tagen ist der erst preussi- sche und dann deutsche Offizier das bedenkenlose Instrument königlich preussischer, kaiserlich deutscher in- nerer und äusserer Staatsmachtpolitik. Als Grundzüge seines Wesens sind dem deutschen Offizier anerzogen worden Härte, auch die Härte gegen sich selbst, und Gehorsam, erstere durch den Kadettendrill und letzterer durch den Fahneneid. Kadettendrill und Fahneneid sind so die höchsten und absolut unanzweifelbaren Werte und Wegbegleiter eines solchen Offi- zierslebens. Zwei Jahrhunderte hin- durch hat solche „Manneszucht" den preussischen Staat und auch das Kai- serreich hinaufgetragen, und sie nur allein auch nach des Untertanen, ja des Bürgers Meinung, der also die „Manneszucht" zu seinem Sonntags- vergnügen und zur Ordnung in Haus und Beruf erhob. Sie ist eine einmalige .und in sich ganz und gar geschlossene und nach aussen fest abgeriegelte Welt, die die- se Kaste hegte und pflegte und eifer- süchtig sich bewahrte. Die wachsende königlich-kaiserliche Staatsmacht, be- wusst des schuldigen Dankes, dotier- te freigiebig Schlachtenruhm und -sieg, hielt es für durchaus Im eige- nen und damit auch wohlverstande- nen Staatsmachtinteresse. Uniform- träger und Ordensinhaber in effekt- voller Aufstellung um Thron und Al- tar zu gruppieren. Genügend zahl- reich sind auch die Eineriffe ..höch- ster Stelle", die die ..Uniform" vor der „Besudelung" durch ..bürgerliche" Rechtsprechung bevahrten. — Welche " Höhen welch' ein strahlender, selbst die eigenen Auaren blendender Glanz! Kommt hinzu, dass dieser Stand, dem der Grosse Gott in seinen Him- meln das Unrecht einer NiedeTl*°re und damit eine ,.Renublik von .Wei- mar* " angetan hatte, dass dieser wahrhaft gottgewollt sich dünkende Stand 50 durch die Niederungen er- bärmlicher Volksherrschaft gezwun- gen wurde. Zwar war diese Reoublik. aus tiefer innerer Unsicherheit her- aus, nachsichtig und bereit zu iedem Entgegenkommen, um so den Herren Offizieren das Unbehagen, ia den E*el vor diesem übel duftenden Ge- bilde, Reoublik genannt, zu nehmen und den Dienstvertrag auch in einem, seines kaiserlichen Schlachtenruhms so sehr entblössten Söldnerheere zu ermöglichen. Mehr noch: diese Repu- blik nahm sogar den Mord, den er- von Oswald Zienau bärmlich feige verschleierten Meuchel- mord dieser Herren Offiziere selber oder den durch sie dirigierten und bezahlten Meuchelmord hin. Konnte eine Republik noch mehr tun, muss- ten die Herren nicht überzeugt sein, dass sie auch unter diesen Männern, die von ihren Arbeitsplätzen weg in die Ministersessel gekommen waren, wenn schon nicht zu einstigem Glän- ze, so doch zur selbstverständlich ge- zollten Hochachtung und staunend zugebilligten Anerkennung und damit treibt das Unvereinbare zu einer letz- ten Höhe. Ach, wie viel Mühe auf der einen Seite, wie viele hingestreckte Hände, tiefe Verbeugungen, am Gummiabsatz leider lautlos gewordenes Hackenklap- pen des ehemaligen Unteroffiziers oder Feldwebels. Und welche Verachtung, welcher Hohn, welche Niedertracht in den Augen und Gebärden der Herren, die durch ihr Gegenüber hindurch in die Leere sahen und nichts als Ver- achtung, bösen und tiefen Hass mit ihrem ganzen Wesen ausstrahlten . .\ Selbstverständlich, die typenmässige Charakterisierung oder Bestimmung einer Gesellschaftsklasse, einer Grup- pe von Individuen besagt nichts ge- gen ihre Aussenseiter, die selbst ei- ne durch Herkommen und direkten Zwang isolierte Kaste zu verzeichnen hat. Aeltere und jüngere deutsche Ge- schichte berichten, wenn auch als Einzelfall, so doch hier und da von irgendeiner Bedeutung, vom Austritt aus der Geburtskaste und dem Ver- zicht auf die Geburtsprivilegien, dem sich Hinwenden zu sittlich höheren Aufgaben und Leistungen, sei .■= auf welchem Gebiet es wolle. Um in un- serem Rahmen und in der jüngst ver- gangenen, also uns noch gegenwärti- gen Zeit und in unserer Zeit über- haupt zu bleiben: die deutschen radi- kalen und sozialethischen Bewegun- tren schon der zweiten Hälfte und zu Ende des verflossenen Jahrhunderts, die deutsche Sozialdemokratie darun- ter, zählten manchen Förderer, An- hänger und hatten manches Mitglied, das aus dem oben gekennzeichneten Kreise stammte und übergetreten war. weil Erfahrungen und Erkennt- n.'s.-e und der Zwang zu einem aus- gefüllteren und vernünftigeren Leben zu mächtig geworden waren. Wie auch der deutsche Pazifismus seit seiner Begründung und auch nun, wo wir von seiner Wiedererweckung hören. Namen aufweist, die ursprünglich im deutschen Adel und Militarismus ih- ren guten Klang hatten. In ihrer Ge- samtheit jedoch, als Kaste und Ober- klasse atmeten die Herren Offiziere höherer wie auch niederer Grade, und wie die in Uniform so auch die zum Zivilkleid verdammten, vernehmlich, sogar sehr vernehmlich auf, als ein Adolf Hitler sich anheischig machte, des Reiches Glanz und Herrlichkeit neu aufzuputzen und der Macht zu geben, was der Macht gebühre: gut geschnittene, die durchtrainierte Ge- stalt und stramme Haltung zu Schau und Wirkung bringende Uniform, den diamantenglitzernden Orden, den gül- denen, edelsteinbesetzten Marschall- stab, — der ganz und gar nicht in des Gemeinen Mannes Tornister ge- hört, wie ein gewisser Napoleon, wenn auch Schlachtengenie und Kaiser, so doch vor allem Revolutionsblüte und darum sehr verdächtig, einst meinte. ♦ Nach Herkommen wie Erziehung ist der Begriff der Revolte dieser einer zupackend fordernden Staatsmacht, sei sie dynastisch oder selbstherrlich usurpiert, stets verhafteten Schicht einfach unbekannt, allein der Gedan- ke daran einem deutschen Offizier ab- surd. Reift der Konflikt zwischen Auf- fassung und Pflicht, persönlichem Ehrbegriff und diesem widersprechen- den Befehl wirklich mal heran und teibt das Unvereinbare zu einer letz- ten Entscheidung, gibt es bestenfalls den Abschied von der Karriere, zu- meist mit dem Ausscheiden aus der Geburtenkaste verbunden, doch nicht die offene Auflehnung. Die grosse, an die Wurzeln der Existenz greifende Staatskrise, wo der Konflikt des Ein- zelnen zur rettenden Tat einer reprä- sentierenden Gruppe oder der Klasse überhaupt wird, fehlt in der neueren deutschen Geschichte; sie ist erst durch Adolf Hitler geschaffen worden. Die Erkenntnis, dass Hitler die Staatskrise, ja den Verderb und unaus- bleiblichen Untergang des deutschen Volkes bedeute und die deutsche Na- tion in Frage stelle, solche Erkennt» • nis verlangt genügend kritisches Ur- teilsvermögen und muss auch früh genug zu einer Allgemeinerkenntnis werden, soll sie irgendwelche Antriebs- kraft haben. Im deutschen Offizier- korps rief die schamlos offene Ver- gewaltigung der Deutschen Republik, die unverhüllt betrügerische Inbesitz- nahme der Staatsmacht kein Bewusst- sein von der anbrechenden Krise für Volk und Staat hervor. Die wenigen Finger einer Hand wären noch zu vie- le, würde man die Namen der damals kommandierenden Offiziere herzählen, die gegenüber Hitler als Persönlich- keit und gegenüber seinem System kritische Bedenken oder auch nur Ue- berlegungen angestellt und geäussert oder gar die gegebenen Konsequenzen gezogen hätten. Denn wenn schon die» "er oder jener — und der Offizier von heute ist ja nicht mehr nur engstir- niger und sturer Handwerker für Drill und Schlachtfeld, er nimmt ja doch teil am geistigen und politischen Le- ben seines Volkes und verfügt so nicht selten über Interessen und Fähigkei- ten, die eine höhere Schule oder ein kultiviertes Elternhaus in ihm ge- weckt haben — für sich selber Ue- berlegungen angestellt oder Bedenken empfunden hatte, so dachte er doch gar nicht daran, solche in einem Ka- meradenkreise zur Erörterung zu Iptin- gen. Das wäre ihm Einbruch in eine andere, nicht „zuständige" Sphäre gewesen, unvereinbar mit den beiden Pfeilern seines Standes- und Lebens- kodex: Gehorchen und Befehlen. Die ..Totentafel", die Fabian von Schlabrendorff seinem Erlebnisbericht 6 DAS ANDIRI DlüTSCHLAND „Offiziere gegen Hitler" (Im Europa- Verlag, Zürich erschienen) beifügt, enthält — und es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass sie nicht voll- ständig ist — 126 Namen. Ein knap- pes Drittel, nämlich 45, dieser Opfer des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 sind Offiziere, Stabs, und höhere und höchste kommandierende Offizie- re. 81 oKfer dieses geschichtswürdigen Tages jedoch sind Zivilisten, hohe Staats- und Behördenbeamte, Diploma- ten, beamtete und andere Juristen, Professoren und Geistliche beider Konfessionen, christliche und freie Gewerkschaftsführer, Sozialdemokra- ten und Kommunisten. Allein dieses Dokument der Ehr- furcht lässt uns bewusst werden, dass der Kampf gegen Hitler durchaus nicht ein solcher einzig der Offiziere gewesen ist. Wer aber der Meinung ist — und auch der Autor ist dieser Meinung —, dass die Ziffer nicht im- mer ein vollgültiger Beweis ist und über die Schwerpunkte einer Bewe- gung gar nichts aussagt, dem sagt von Schlabrendorff selber, dass der Kampf gegen Hitler in seinem Kernstück der Gewinnung der Heeresleitungen ein würgender und enervierender, auch ein an sich entmutigender Kampf gegen das Widerstreben und die fei- gen Ausflüchte von Offizieren gewesen Ist. Was hier als traditionell anerzo- gener, durch Kastengeist und -ab- schliessung und engen Gehorsambe- griff bestimmter Wesenszug des deut- schen Offiziers gekennzeichnet worden Ist, das findet sich bestätigt durch die dokumentarische Darstellung der Ge- schichte des 20. Juli 1944: Die politi- sche Einsicht und der über den Tag hinausreichende nationale Weitblick wie die Unbestechlichkeit gegenüber längst gefallenen Entscheidungen mit der unbedingten Verpflichtung zur letzten Konsequenz, wie die Wenigen sie auszeichneten, sind die moralisch- politische Verurteilung des Standes, der in jeder Hinsicht vor einer so eminenten historischen Situation, der wahrhaften Schicksalsstunde einer Nation, so jämmerlich kläglich versagt hat! Angesichts dieses vielfach erschüt- ternden Dokuments von historischem Werte, wie dieser schlicht geschrie- bene und die Persönlichkeit des Ver- fassers im Hintergrund lassende Er- lebnisbericht es ist, drängt sich einem mit Furchtbarkeit das Schicksalhaf- te der Fehlschläge aller versuchten und des schliesslich auf Biegen und Brechen durchgeführten Anschlags gegen Hitler auf. Bewusst und un- bewusst und wie von der einen Seite so von der anderen inszeniert, sehen wir eine wahre Strategie der Fehl- schläge vor uns. Vom „Plan Ham- merstein" im September 1939, der die Festnahme und den Sturz Hitlers ge- legentlich eines ihm eindringlich empfohlenen Besuches bei der von Hammerstein kommandierten Armee am Rhein vorsah, bis zum ,,unglück- seligen Zufall von geschichtlicher Be- deutung" am Spätabend des Atten- tastages, — verfolgt die Aktivisten das Missgeschick und schützt ein Ist- was, das entweder Instinkt oder gar „Zufall" genannt wird, Hitler. „Das Attentat auf Hitler muss er- folgen, um jeden Preis. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem der Staatsstreich versucht werden. Denn es kommt nicht mehr auf den prak- tischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewe- gung v«r der Welt und vor der Ge- schichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Al- les andere ist daneben gleichgültig" — lautet der Beschluss, der nach der Landung der Alliierten im Westen am « Juni 1944 gefasst wurde. Er ver- dient. festgehalten zu werden, dieser Beschluss, der eine hohe politische Einsicht und edle Gesinnung be- zeugt. In der ,,Totentarel" verzeichnet linden wir, wie schon bemerkt, auch die Namen von Gewerkschaftsfüh- rern, Sozialdemokraten, Kommuni- sten: Theodor Haubach, Franz Ja- kob, Julius Leber, Wilhelm Leusch- ner, Hermami Maass, Adolf Reich- wein, Anton Saefkow, Ernst Schep- penhorst, Ludwig Schwamb, Oswald Wirsich. — Geben wir einem mitver- schworenen Gesinnungsgenossen, der nicht dem Henker in die Hände ge- fallen ist, Gustav Dahrendorf, das Wort, damit er die politischen Ueber- legungen und Motive der sozialdemo- kratischen und kommunistischen Teil- nehmer am Staatsstreich des 20. Juli 1844 darlege: Aus einem Bericht der SPD Die erforderliche Lebensmittelein- fuhr, auf die wir auch in Zukunft an- gewiesen sind macht eine intakte Wirtschaft und eine entsprechende Ausfuhr von Industrieerzeugnissen notwendig. Die deutsche Industrie ist jedoch gegenwärtig infolge der Un- einigkeit der Siegermächte lahmgelegt Ia Deutschland wird gegenwärtig etwa 10 Prozent der Stahlmenge erzeugt, die im letzten Friedens jähr produziert wurde. Die Lahmlegung der Industrie wird verstärkt durch die Zonengrenzen und die bürokratische Maschinerie der deutschen und alliierten Verwaltun- gen. Besondere Sorge bereitet uns die Vernichtung Volkswirtschaft I i c h e r Werte und industrieller Anlagen. Wir fordern die völlige Abrüstung Deutsch- lands,' aber wir glauben, dass das nicht durch sinnlose Zerstörung von Werten geschehen sollte, die für Friedenkzwek- ke lebenswichtig sind. Es gibt sehr starke Kräfte in Deutschland, die die notwendige radi- kale Entnazifizierung bisher verhin- dert haben. Es haben sich besonders in der Polizei neue Gefahrenherde gebildet und auch in der Wirtschaft ist der Typ des reaktionären Funktio- närs noch die Regel, während in der landwirtschaftlichen Verwaltung kaum eine wesentliche Veränderung, gegen- über dem Zustand vor dem Zusam- menbruch erfolgt ist. Es sind nicht so sehr die Spitzen der Instanzen, die meist — als zu sehr mit dem Regime verstrickt — entlassen wurden, als vielmehr der mittlere und untere Ver- waltungskörper. Wir haben durchaus nicht immer Erfolg mit unseren Be- mühungen gehabt, die alliierten Stel- len von der Notwendigkeit der radika- len Entnazifizierung zu überzeugen. „War der Umsturzversuch des 20. Juli 1944 lediglich eine schlecht vor- bereitete Aktion mutlos gewordener Offiziere, die sich aus der Affäre zie- hen wollte? War es ein Versuch un- zufriedener. reaktionärer Militaristen, sich aus der Ehe mit dem Faschis- mus zu lösen? Für die geschichtliche Bewertung des 20. Juli ist eine solche Deutung ungerecht und falsch! Denn ein entscheidender und machtpoliti- scher Wille ist die bewegende Kaft in den Vorbereitungen hierzu gewesen. Es gab nur ein Ziel: Liquidation des Faschismus! Liquidation des Krie- ges! Für einen Aufstand der Massen fehlten die machtmässigen Voraus- setzungen. Damit stellte sich für die Arbeiterschaft die Frage, ob im Rah- men der Wehrmacht Möglichkeiten zu einer gewaltsamen Beseitigung der faschistischen Herrschaft gegeben wa- ren. Die am Staatsstreich beteiligten höheren Militärs waren sich darüber im klaren, dass eine entschlossene politische Einsicht in die Unhaltbar- keit des Naziregimes weder bei der Mehrheit der mittleren Offizierkorps noch bei grösseren Teilen der Trup- pen vorhanden war. Infolgedessen konnte ein Einsatz militärischer For- mationen für Zwecke des Umsturzes nur durch Befehl von oben erzwun- gen werden. Die erste Voraussetzung hierfür war, dass der bisherige Ober- ste Befehlshaber Hitler, auf den die Truppe vereidigt war, beseitigt wur- de. Die Vertreter der Arbeiterschaft erkannten die Unzulänglichkeit die- ses Planes. Und doch mussten sie sich ihm unterwerfen, denn sie wuss- ten, dass ein Zusammenwirken von, Wehrmacht und Arbeiterschaft die einzige Möglichkeit zur Beseitigung der Naziherrschaft und zur Beendi- gung des Krieges darstellte. Damals wurde auch der Beschluss gefasst, die militärisch-politische Wi- derstandsbewegung durch eine Ver- bindung zu den Kommunisten zu er- weitern. Es war besonders der So- zialdemokrat Professor Reichwein, der sich in dieser Richtung als Ver- mittler betätigte. AIs Folge dieser Bemühungen hat im Osten Berlins »ine Besprechung zwischen Vertretern der Sozialdemokraten und Kommu- nisten stattgefunden. An dieser ha- ben von Seiten der Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jakob, von Selten der Sozialdemokraten Julius Leber und Professor Reichwein teil- genommen ausserdem ein Mann, von dem sich später erwies dass er ein Gestapospitzel war.l Eine weitere Besprechung, deren Zweck die Herstellu"? der Verwun- dung zwischen den Kommunisten und bestimmten höheren Offizieren vor» wollte versuchen, durch schnelles Handeln die verhafteten Männer der Arbeiterschaft, vor allem auch Ju- lius Leber, vor der Hinrichtung zu retten. Letzteren schätzte er beson- ders und sah in ihm den wichtigsten politischen Mann der Zukunft." Diesem Kampfe und diesen Toten alle Ehre, und der Kameradschaft- lichkeift der Kämpfer in Uniform und Zivil und Arbeiterrock hohe Ach- tung. DAS ANDERE DEUTSCHLAND 7 Der Kongress Der Kongress der S.F.l.O. hüt sich nahezu ausschliesslich mit innerfran- zösischen Fragen beschäftigt, was nach d6m Vfcrltfst von Stimmen und Man- daten bei der letzten Wahl und ange- sichts der Neuwahl für die normale Kammer, nicht weiter verwunderlich ist. Die bald nach der Annahme der Ver- fassung stattfindenden Wahlen werden wieder, wie früher. Wahlen für eine ordentliche Kammer sein, die voraus- sichtlich für fünf Jahre gewählt wer- den wird. Die Gesetzgebung während dieser Periode wird von der grössten Bedeutung sein. Der innere Aufbau mit seinen vielen Problemen wird in dieser Zeitspanne seine Lösung finden müs- sen; die Verständigung über die inter- nationalen Fragen, unter denen die deutsche für Frankreich von lebens- wichtiger Bedeutung ist, wird ebenso- wenig noch lange hinausgeschoben werden können, wenn nicht unabseh- barer Schaden angerichtet werden soll. Es war daher natürlich, dass der französische Sozialistenkongress, in Ansehung dieser kurz dargelegten po- litischen Probleme, es sich vorgenom- men hatte, eine allgemeine Prüfung der Haltung der Partei in der letzten Ver- gangenheit vorzunehmen und, auf Grund dieser Prüfung, die Haltung für die nächste Zukunft festzulegen Dag ist auch geschehen. Die Fra- gen der Theorie und der Praxis des Marxismus, der Begriff des histori- schen Materialismus und des Klassen- kampfes, die Idee des humanistischen Sozialismus, wie er von Leon Blum bei zahlreichen Gelegenheiten mündlich und schriftlich vertreten worden ist: all diese Dinge, die eng zusammenge- hören, durcheinanderlaufen und von- einander kaum zu trennen sind, wur- den ausgiebig in ihrer Anwendung auf das praktisch-politische Leben erör- tert. Eine jyirklich gründliche Erörte- rung ist auf einem Kongress nicht möglich, sie soll denn auch in zu schaffenden Studienkommissionen er- folgen. Einen Weg zu finden, auf dem die Scharte der letzten Wahlen wieder Ausgewetzt werden könnte, die Wie- dergewinnung und Neugewinnung breiter Arbeiterschichten sich errei- chen liesse und die erfolgreiche Be- kämpfung der gegnerischen Parteien ermöglichi werde, das waren in der Hauptsache die Fragen, die, im Zusam- menhang mit den oben genannten so- zialistischen Grundgedanken, den In- halt der dreitägigen Diskussion bilde- ten. Von der Opposition wurde eine klarere und entschlossenere Anwen- dung der sozialistischen Prinzipien verlangt, vor allem sollen die Idee des proletarischen Klassenkampfes in der Agitation stärker betont und da- durch die besonderen Interessen der arbeitenden Menschen besser hervorge- hoben werden- Die Gewinnung der gan- zen Arbeiterklasse müsse das Ziel der sozialistischen Partei sein und bleiben. Das sei aber nicht mit irgend welchen Verschleierungen und Konzessionen an die bürgerliche Gesellschaftsordnung nWlich, sondern nur unter klarer Her- vorhebung all der Tatsachen, die die erstrebte sozialistische Regelung der der von Max Cohen-Reuss, Paris Gesellschaft von der jetzigen bürgerli- chen trenne. An einem Beispiel sei cfas, was die Opposition fordert, deutlich gemacht, denn es ist sehr aufschlussreich. Leon Blum hatte die sozialistische Theorie und ihre Anwendung in der Praxis dargelegt, die Angriffe gegen seinen ..humanistischen" Sozialismus damit abgewehrt, dass er sagte, dass Sozialis- mus und Humanität identisch seien, ein Sozialismus ohne Humanität sei ein Widerspruch, in sich, wo keine Hu- manität vorhanden sei, gäbe es auch' keinen Sozialismus, ebenso nicht ohne menschliche Freiheit, der Sozialismus habe seinen Sinn verloren, wenn er den Menschen nicht frei mache. Die Situa- tion in der gegenwärtigen Lage sei sehr schwierig, es gebe besondere Um- stände. da die Gesamtinteressen der Nation (damit war der Kampf gegen Hitler gemeint) mit denen der Arbei- terschaft zusammenfielen. Und heute, wo die Beteiligung von Sozialisten an der Regierung durch den Zwang der Dinge unvermeidlich sei, müssten die sozialistischen Minister, wenn sie ihr Amt redlich führen wollten, loyale Verweser des Gegenwartsstaates und des allgemeinen Wohls sein. Mit die- sen Bemerkungen hafte L6on Blum, dessen Thesen auch dann Aufmerk- samkeit verdienen, (er hat diese Auf- merksamkeit auch gefunden), wenn man ihnen nicht zustimmen kann, den Kern der Meinungsverschieden- heiten aufgedeckt. Seine Ausfüh- rungen über die menschliche Freiheit im Sozialismus fanden keinen Wi- derspruch, den ,,humanistischen" So- zialismus haben die meisten Delegier- ten sich wohl etwas gedämpfter ge- wünscht und seine volle Anwendung auf die Zeit nach errungenem Sieg vertagen wollen. Starke Gegnerschaft aber rief die Bemerkung vom „loya- len Verweser der Gegenwartsgesell- schaft und des Allgemeinwohls" her- vor. Die andere Auffassung wurde vom Führer des oppositionellen Teils der Delegierten, dem Abgeordneten Guy Moliet, gegeben. Er forderte in seiner Rede eine kampffrohere Lei- tung der Auseinandersetzungen mit den Gegnern und eine selbständige und eigene Politik auf allen Gebie- ten. die zur Diskussion stünden. Die Trennung von den gegnerischen Par- teien in den Grundauffassungen müs- se auch dann hervorgehoben werden, wenn die politische Konstellation im Parlament zeitweilig ein Zusammenge- hen bei gewissen Fragen nötig mil- che. Es gälte besonders, diese eigne, sozialistische Politik gegen d$s MRP CMouvement Republicaln Populaire) zu vertreten. Aber auch gegen die Kommunisten, mit denen man aber von Fall zu Fall eine gemeinsame Ak- tionsfront bilden solle. Moliet erhielt starken und spontanen Beifall, als er L6on Blum gegenüber betonte, dass die sozialistischen Minister vor allem, die oond er Interessen der Arbeiter- schift so gut wie irgend möglich zu vertreten und sich für die VorbereL Sozialisten tung einer sozialistischen Ordnung auch in ihrem Amt einzusetzen hät- ten- Die loyale Verwaltung des Ge- genwartstaates sei eine gefährliche These, es sei eine bei weitem wichti- gere Pflicht für sie, bereits jetzt, wenn es irgendwie gehe, dem Gebäu- de der kapitalistischen Ordnung eini- ge wohl;,ezielte Hiebe mit der Spitz- hacke zu versetzen. Nur wenige Redner haben interna- tionale Fragen angeschnitten, das deutsche Problem ist nur ganz kurz gestreift worden. Es verdient jedoch hervorgehoben zu werden, dass die Artikel Leon Blums im ,,Populaire", in denen das deutsche Probiern vom sozialistischen Standpunkt aus be- handelt worden ist, keinerlei Kritik hervorgerufen haben. Das ist umso bemerkenswerter, als ihre Veröffentli- chung auch in sozialistischen Kreisen als inopportun bezeichnet worden war. Was die prinzipielle Haltung uer öl iO zu Deutschland betrifft, so wird hier- über in der Schluss!esolution das •folgende gesagt: „Die kollektive Si- cherheit macht eine internationale Regelung des deutschen Schicksals notwendig. Indem sie jede Zerstük- kelung und jeae Annektion, wie auch die Aufrechterhaltung der Einteilung in 4 Okkupationszonen ablehnt, for- dert die Partei: Eine internationale Besetzung, die bis zur totalen Ent- nazifizierung aufrecht zu erhalten ist. die wirtschaftliche Internationali- sierung, und zwar zu Gunsten der' zu Schaden gekommenen Staaten, des Ruhrgebiets, das bisher das Kriegsar» senal Deutschlands war, die Verwer- tung der Saargruben durch Frank- reich zu Gunsten der Reparationsfor. derungen." In der von der Opposition dem Kongress vorgelegten Entschließung (.Resolution Guy Moliet) war die Stel- lung zu Deutschland iolgendermassen formuliert worden: „Man kann nicht durch eine Zerstückelung Deutsch- lands, auch nicht indem man das deutsche Volk in das tiefste Elend stösst, den Nazismus austreiben; der- artige Methoden müssten im Gegen- teil dazu führen, die Ursachen weiter aufrecht zu erhalten, die ihn geschaf- fen haben. Nur ein konstruktiver In- ternationalismus wird die Lösung bringen, indem er über den nationa- len Rahmen hinausgeht bis zu einem. Föderalismus (gemeint ist der euro- päische Föderal Linus), der die Wie- dergeburt r_*ier mündig gewordenen und ihr üanicksal selbst bestimmen- den Arbeiterschaft, geeint in einer neuen Internationalen und fähig ihre historische Mission zu erfüllen, er- laubt " Es ist schwer zu sagen ob sich die Lage der SFIO durch die auf dem Kongress getassten Entschliessungen und durch den klar ausgesprochenen Willen, eine energischere, unabhän- gigere und betontere marxistische Hal- tung einzunehmen, verbessern wird. Wejm es der SFIO, was ihre Absicht ist, gelingt, neue Arbeitermassen zu gewinnen, und wieder stärkeren Ein- fluss in den Syndikaten auszuüben, so würde auch ein nochmaliger Rück- gang bei den Wahlen nur von vor- französischen 8 DAS ANDERE DEUTSCHLAND Churchill und '„Das Andere Deutschland1' ist vor, während und nach dem Weltkrieg für die Vereinigten Staaten Europas eingetreten. Wir haben betont, dass ihre Schaf- fung von der Zusammenarbeit Frankreichs und Deutschlands abhängt, und dass Frankreich sowohl historisch, wie aus der heutigen Situation heraus die Führung zukommt, nicht im Sin- re einer Heaemonie, wie sie Na- poleon I. erstrebte, sondern im S n*e einer Einfügung in die eu- . rojpäische Föderation Gleichbe- rechtigter. Wir haben darauf hin- gewiesen, dass die Schaffung der . V. St. E. das einzige Mittel ist, das deutsche Problem zu lösen und dadurch entscheidend zur Be- friedung Europas beizutragen, und dass die V. St. F. darüber r n"us ein wichtiger Schritt zur Fildung einer wirklichen Organi- sation der Vereinigten Staaten der Welt sein würde Wir haben endlich * unserer Ueberzeugung /Mjsdruck gegeben, dass die V St. E. nur auf sozialistischer n-ündTaae und nicht im Gegen- satz zur Sowjetunion verwirklich* wenden- können. ■ D^s sind nicht von uns erfun- dene billige Gedankengebilde und Abstraktionen, es sind viel- neh* Forderungen,' die schon zur 7eit der ■ grossen französischen FevoHit'on auftauchten und seit- .Ke1" von Einzelnen wie Romain1 Fo'lrnd und von Gruppen fran- r^~vicher und deutscher Soziali- smen — in Deutschland vor al- 1—-n vo- den Sozialistischen Mo- ra'r^'ten — vertreten und ver- fersten worden sind, Forderun- r-~,v-, ^ren Nichtbeachtung und fT:<-.Mo'-Hi]lur r.:"X' zuletzt an Weltkriege" schuld die Europa zu einen1 Trüm- merhaufen aemacht haben. For- den maen, die sich heute als ■ zwingende Notwendigkeit aus übergehender Bedeutung sein. Aber gerade darüber lässt sich nichts vor- aussagen. Der Kampf um die endgül- tige Gewinnung der Arbeiterschaft wird nicht leicht 'sein, aber doch kaum ohne einen gewissen Erfolg bleiben: man wird abwarten müssen, ob die cuf dem Kongress gefassten Vorsätze mit der versprochenen Energie durchgeführt werden. die Vereinigten von August Siemsen der furchtbaren Nachkriegssitua- tion ergeben. Für die „Realpolitiker" waren die V. St. E. eine ärgerliche oder lächerliche Utopie, so wie vor weniger als hundert, jähren die Einigung Deutschlands vielen als törichter Traum erschien. Und nun erleben wir, dass ein so hart gesottener Realpolitiker und Im- perialist wie Churchill in seiner in Zürich am 19. September ge- haltenen Rede sich die Forderung der V. St. E. zu eigen macht. Es fragt sich nur, ob Churchill da- mit dasselbe wie wir meint oder etwas wesentlich anderes. Bei flüchtiger Betrachtung könnte es scheinen, als ob eine weitgehende Uebereinstimmung bestehe. Voraussetzung der Ver- wirklichung der V. St. F. ist auch für Churchill die französisch- deutsche Zusammenarbeit; ohne ein geistiq grosses Frankreich und ohne ein geistig grosses Deutschland gebe es keine euro- cäische Wiedergeburt; nach der EntmiUtansierung Deutschlands müsse das Vergangene verges- sen und der Blick in die Zukunft ger'chtet werden- auch er erwar- tet von den V. St. E. die Siehe rung des Friedens in Europa und einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des Friedens in der Welt. Der wohlmeinende und harm- lose Zeitungsleser wird nach der Lektüre von Churchills Rede wahrscheinlich in den enthusia- stischen Beifall der Züricher Zu- hörerschaft eingestimmt haben Er wird, wenn Churchill „volle Freiheit nach den Prinzipien der Atlantikcharter" gefordert hat, sich kaum daran erinnert haben, dass gerade Churchill es war, der diese Atlantikcharter dadurch wie ein lästig gewordenes Stück Pa- pier zerriss, dass er zur Zeit, als die Gefahr für England beschwo- ren war, erklärte, der Krieg habe jetzt seinen ideologischen Cha- rakter verloren. Es ist nicht schwer, zu erken- nen, was Churchill dazu veran- lasst haf, die früher verleugnete Atlantikcharter wieder hervorzu- holen, und warum er, der Ver- Staaten Europas fechter der englischen Interessen und des englischen Imperiums,, statt der früheren englischen« Politik des europäischen Gleich- gewichts heute die Ein aung Eu- ropas proklamiert. Der Grund ist die geschwächte und gefährdete Nachkriegssituation Englands, das neben den USA und der TTSSR auf einen untergeordneten Platz gedrängt wird. Natürlich sind für Churchill die Sowjet- , union und der Kommunismus der Hauotgegner. Er hat sich früher • nicht genug tun können in Ver- nnalimpfung des Kommunismus und Sozialismus und ihrer Ver- treter, und er hat bei den engli- schen Wahlen die Arbeiterpartei mit den abgenütztesten Argu- menten aus der reaktionären Vottenk'ste bekämpft. Anderer- seits aber konnte man. auch. oh- ne die Veröffentlichungen von EUiot Roosevelt wissen, dass Churchill nicht ein zum Junior Sozius der USA herabgesunkenes England wünscht. Was er er-' strebt, ist eine europäische Föde- ration, auf die Fnaland sich öko- nomisch und Doli tisch stützen kann, um so seine gefährdete W^ltste^.una zu behaupten. Schon während des Krieges hat Churchill dieses Ziel verfolgt durch das im Augenblick der französisrhen Katastrophe ge- machte Angebet eines Zusam- menschlusses des englischen und französischen Imperiums und vor al'em durch die Unterstützung aller reaktionären, in erster Li- nne der monarchistischen Kräfte in Europa, mit denen er einen Damm aeaen die rote Flut aufzu- richten hoffte, und von denen er ökonomische und politische Y- o- Deration mit England erwarJ vte. Dahin gehört auch die Ver-' ne- rung der zweiten Front im We- sten zu gunsten einer .^ssen Balkanoffensive, durch r1 « er das Vordringen Russland- nächi Westen verhindern wollte Auch in der Züriche' F c°e tre- ten Churchills reaktionäre Ab- sichten trotz aller Tarnung deut- lich aenug hervor. Er beruft sich auf die Europa-Union des Gra- fen Coudenhove-Kalergi, die ei- ne ausgesprochene Spitze gegen die Sowjetunion hatte. Und was Deutschland angeht, so meint er. »ÄS ANDERE DEUTSCHLAND 9 «die" alten „Staaten und Fürsten- tümer1', also die Ueberbleibsel des mittelalterlichen Feudalis- mus sollten sich zu einer deut- schen Föderation zusammen- schliessen! Am deutlichsten aber verrät sich Churchill da, wo er von der Gefahr der Atombombe spricht. Zur Zeit sei die Atombombe im Besitz einer Nation, die sie nur zur Verteidigung von Recht und Freiheit' verwenden werde. Das wurde zur gleichen Zeit gesagt, als der amerikanische Handels- sekretär Wallace es für notwen- dig hielt, die Oelsens] ichkeit darauf hinzuweisen, dass die Aussenpolitik von Byrnes zum Kriege mit der Sowjetunion füh- ren müsse, zur gleichen Zeit, wo die Entlassung von Wallace durch das Steigen der amerika- nischen Rüstungswerte quittiert wurde. Andererseits sieht Chur- chill tödliche Gefahren für die Zivilisation und sogar für den Fortbestand des Erdballs voraus, wenn die Atombombe in den Be- sitz „anderer' Mächte kommen würde. Die Rettung der Men- schen und der Länder erwartet er von der schnellen Bereitschaft von Männern und Frauen zum Kampfe gegen den drohenden Terror, d. h. augenscheinlich in den V. St. E. zusammengefaßten Männer und Frauen gegen den von der Sowjetunion drohenden Terror. Oder was soll sonst der Sinn dieser Auslassungen sein? Wenn Churchill am Schluss ei- ner Rede die Hoffnung ausge- sprochen hat, dass USA und USSR die Freunde und Beschüt- zer des neuen Europa.sein wer- den, so Ist das, soweit die Sow- jetunion in betracht kommt, nur ein leeres Wort, da die V. St. E. Churchills gerade ein Bollwerk gegen die Sowjetunion sein sol- len. Die scharfe Ablehnung, die Churchills Rede in Moskau ge- funden hat, ist also selbstver- ständlich. Ebenso werden sich die kommunistischen Parteien der europäischen Länder mit al- ler Kraft den V. St. E. Churchill- scher Provenienz widersetzen. Und es wäre ein verhängn1'svol- ler Fehler, wenn, wie gewiss nicht anzunehmen ist, die sozia- listischen Parteien Churchills Pläne unterstützen würden. Er kann nur mit der Föttierung durch die antibolsch'ev/ist i schen Kräfte Europas rechnen. Es ist traurig, dass nicht Bevin als Vertreter der Arbeiterregie- rung Anwalt der V. St. E., der wirklichen V. St. E., geworden ist, sondern dass sich Churchill die Forderung der V. St. E. in pervertierter Form für seine reak- tionären Zwecke zu eigen ge- macht hat. Zum Glück ist aber die Chur- chillsche Konzeption der V. St. E. undurchführbar. Es fehlen ihr die beiden Hauptbedingungen, deren Unerlässlichkeit wir stets betont haben: der Sozialismus als wirt- schaftliche Grundlage und die Freundschaft und Mitarbeit der Sowjetunion. Nur die fortschrittlichen Kräf- te Europas, in erster Linie die er- neuerte Arbeiterbewegung Eu- ropas kann im Bunde mit eines durch Erfahrung und Erkenntnis gereiften englischen Arbeiterpar- tei und mit Unterstützung der von ihren Aengsten befreiten Sowjet- union die Einigung Europas her- beiführen. EIN IRRTUM In Nr. 124 veröffentlichte DAD einen Bericht aus Brasilien, der Teile eines von mir gezeichneten Briefes wiedergab. Ein offener Brief, wie der Name schon sagt, richtet sich an alle, die von seinem Inhalt Kenntnis neh- men wollen, und sein Verfasser muss es sich gefallen lassen, dass man seine Meinung zurückweist wenn sie den .Lesern nicht gefallen sollte. Der Schreiber dieser Zeilen, dltr auch der Verfasser des erwähnten of- fenen Briefes ist, gesteht, dass er sei- ne Artikel nicht nur selbst schreibt, sondern sie auch nach ihrer Veröf- fentlichung zuweilen überliest, um hinter seine eigenen Fehler zu kom- men, die ihm bei d?r Niederschrift eventuell unterlaufen sein können. Schon wenige Tage nach der Veröf- fentlichung des offenen Briefes ka- men mir schwere Bedenken, ob nicht ein mehr als zehn Jahre unterdrück- ter Tätigkeitsdrang mich vielleicht zu einem überstürzten Schritt veranlasst hatte. Diese Zweifel wurden zur Ge- wissheit als ich mit den Kräften in Berührung kam, deren Verbindung ich gesucht hatte. Ich kann nun weder meinen Freunden noch mir selbst ge- genüber bei einer Meinung beharren, die ich als irrig erkannt habe, selbst wenn damit das Eingeständnis ver- bunden sein sollte, einen Fehler be- gangen zu haben. Das Recht der Kri- tik, von dem ich so oft Gebrauch ge- macht habe, möchte ich heute daher uns. selbst gegenüber zur Anwendung bringen und den „Offenen Brief an einen Genossen" einer nochmaligen Betrachtung unterziehen. Unser Brief, der aus ein Malötest UND SEINE Bl von Willy Keller (Rio de Janeiro) gedacht war, endete als ein soziolo- gisches Experiment. Niemals haben wir soviele Zuschriften erhalten, wie auf diesen offenen Brief, — und, um es gleich herauszusagen, seine For- mulierung wurde einstimmig abge- lehnt. Die Ablehnung erfolgte nicht In der Form eines Mißtrauensvotums, sondern in der Form einer freund- schaftlichen Warnung. Ein Misstrau- ensvotum hätte es notwendig gemacht, die Vertrauensfrage zu stellen, die freundschaftliche Warnung jedoch zeigte uns, dass wir wirklich über einen Kreis zuverlässiger Freunde ver- fügten, die für uns die Augen offen hielten, um für uns in die Bresche zu springen wenn unser eigenes Ur- teil einmal fehl gehen sollte. Mit einiger Genugtuung können wir da- her sagen: Unsere Niederlage war der grösste Erfolg, den wir x bisher errungen haben! In Brasilien gibt es keine Organi- sation deutscher Antifaschisten. Die behördlichen Bestimmungen gestatten das Bestehen einer deutschen anti- faschistischen Organisation nicht. (Auch die ,,NotgemeinschaIt Deutscher Antifaschisten" gibt es de jure nicht). Sofern man örtlich von diesen allge- meinen Massnahmen abgegangen ist, handelte es sich nur um eine ge- schickte Form der Selbstüberwa- chung, die die Behörden den" deut- schen Antifaschisten einräumten, um sich selbst das Leben zu erleichtern, oder aber um die berühmte demokra- tische Freiheit, die man Zntisinnigen Elementen einzuräumen pflegt, um sie besser unter die Lupe nehmen zu können. In beiden Fällen handelte es sich nur um opportune Polizei- massnahmen und nicht um die juri- stische Anerkennung, einer deutschen antifaschistischen Organisation. Wir haben daher in allen unseren Bespre- chungen und Veröffentlichungen im- mer wieder daraufhingewiesen, dass die Notgemeinschaft keine Sammel- stelle für Herdentiere ist, dass die ideelle Verbindung mit der Notge- meinschaft gleichbedeutend ist mit einem Bekenntnis zu sich selbst, zur eigenen Meinung und zur eigenen Verantwortung, dass die Schwanken- den und Unentschlossenen sich bei uns nicht in die Masse flüchten kön- nen, dass jeder für sich allein zu ste- hen hat, ganz allein und ohne Aus- sicht auf fremde Hilfe, lediglich von dem Vertrauen gestützt; solche Kerle wie ich, so unerbittlich und so auf- recht, gibt es noch eine ganze Anzafc£ und ich darf sie meine Freunde nen- nen. Die Notgemeinschaft verlangte von ihren Freunden den Mut zur Einsamkeit, den Verzicht äusserer Anerkennung und die Verpflichtung, unserer Sache uim der Sache willerAu dienen. Bei uns gab es nichts zu ge- winnen, als die Genugtuung, ein» grosse und menschenwürdige Sache zu unterstützen. Dabei war uns im- mer bewusgt dass wir ausschliesslich der Zukunft leben, einer Zukunft, die wir selbst nicht mehr erblicken wer- den. Die äusseren Verhältnisse haben uns natürlich gezwungen, bestimmte Um- gangsformen anzunehmen, die die Be- ziehungen. zu unseren Freunden $e- 10 DAS ANDIWE OIUTSCHLAND , geln. Unsere Brief* habin hunder- te und tausende von Kilometern zu »iberwinden und es vergeh 211 viele Tage und Wochen, ehe sie unsere Freunde erreichen, und ehe deren Antworten wieder zu uns zurückkeh- ren. Wir können infolgedessen un- sere Briefe nicht zur Debatte stellen, bevor wir sie veröffentlichen, sondern müssen die Debatte der Veröffentli- chung anschliessen. Auf Grund der eigentümlichen Bedingungen, unter de- nen unsere Arbeit zu leiden hat. könnten wir diese Debatten mit Leichtigkeit verhindern oder aber sie in jede von uns gewünschte Richtung abdrängen., wenn wir wollten. Wir könnten uns > also eine absolustische Stellung sichern, die voraussichtlich hoch lange Zeit niemand zu erschüt- tern vermöchte. Das aber würde für uns einen solchen Verrat an unseren Ideäl*n bedeuten dass wir uns damit unsere eigenen politische Existenz- berechtigung absprechen müssten. Wir ziehen es daher zehnmal vor. von un- seren Freunden im offenen Mei- nungskampf besiegt zu werden, als Ihn^n unseren Willen aufzuzwingen. Wie wir bereits geschrieben haben, unser Brief hat eine einstimmige Ab- lehnung erfahren, mit einer Ausnah- me des Genossen, an den unser of- fener Brief gerichtet war. (In Brief Nr. 16 der Notgemeinschaft geben wir die eingegangenen Zuschriften wie- der.) Es bli6b uns also nur die Wahl, das spontane Urteil unserer Freunde anzuerkennen, wenn wir sie weiterhin vertreten wollten, oder aber vom Schauplatz unserer bisherigen Tätig- keit abzutreten. Ehe uns jedoch der erste Protest er- reichte. mussten wir schon einse- hen, dass unser Schritt übereilt und vöti gänzlich falschen Voraussetzun- gen ausgegangen war. Von dem Wunsche geleitet, aktiv an der Gestaltung der deutschen Zu- kunft teilzunehmen, glaubten wir den Zeitpunkt für gekommen, hier in Bra- silien eine Organisation aufbauen zu tonnen, in der sich die deutschen an- tifaschistischen Kräfte zusammen- Schliessen sollten. Bedingung für den Eusammenschluss musste natürlich äie völlige Gleichberechtigung und Unabhängigkeit aller interessierten Personen sein. Wir traten also mit anderen Gruppen in Verbindung, die sich geneigt gezeigt hatten, eine Ver- tretung der deutschen Antifaschisten in Brasilien zu schaffen. Zu unserer grössten Ueberraschuog sahen wir uns vom ersten Augenblick an in Bul- lenkämpfe um Funktionärstellungen innnerhalb der Partei verwickelt, was ganz bestimmt nicht unsere Absicht v.ar. "Ehe Verhandlungen aufgenom- men werden konnten, wurden uns be- reits Verhaltungsmaßregeln ..vom Parteivorstand in Hannover durch besonderen Brief des Genossen San- der in London beauftragt" übermit- telt. Ehe wir auch nur den Mei- nungsaustausch eröffnen konnten, wurden wir darauf hingewiesen dass Dr. Biemsen „für die in Uebersee be- findlichen Funktionäre der SPD nicht tragbar" sei *), dass wir also eine langjährige Freundschaft zu opfern hätten. — ohne zu wissen, was wir dafür eintauschen sollten — ehe man uns das Recht zubilligen wollte, die Füsse zu reinigen, um in das ge- hoiligte Parteigehäuae eintreten zu dürfen. Das genügte! Es fiel uns wie Schuppen von den Augen, in welch unmögliche Situation wir uns begeben hatten. Es gab zwar noch keine Organisation, und es gab auch keine Mitglieder, aber es gab schon Funktionäre, die Parteibefehle weiter- leiteten und den politischen Bann- strahl gegen im offenen Kampfe be- währte Genossen wie Dr. Biemsen schleuderten. Mit Trauer und Ent- setzet! mussten wir erkennen, dass die alte Parteimühle weiterklapperte, und dass sie uns unweigerlich zermahlen hätte, wenn wir hätten versuchen wollen in ihr Getriebe zu greifen. Wir erkannten aber auch, dass die un- abhängige, kritische Stellung, die wir bisher den Ereignissen gegenüber be- wahrt hatten, die. einzige realistische *) Es wäre interessant zu erfahren, ob diese ..Funktionäre der SPD in Uebersee" sich selbst ernannt haben, oder ob sie anerkannt sind, und um wen es sich dabei handelt. Unseres Wissens sind alle aktiven deutschen Sozialisten in Südamerika beim ,,An- dern Deutschland" bis auf einige We- nige. die es vorzogen, sich bei den ,,Freien Deutschen" zu organisieren. Haltung ist, die politische Emigran- ten, die durch den Atlantischen Ozean und eine zwölfjährige Abwesenheit von der Entwicklung ihrer Heimat getrennt sind, .einnehmen können. Es kann in Brasilien keine aktive, deutsche politische Partei geben, dich in der Lage wäre, auf die Gestaltung des deutschen Schicksals Einfluss zu nehmen. Es fehlen einfach die Vor- aussetzungen dazu. Es kann hoch- • stens einen Partei-Blinddarm geben, den man jederzeit entfernen kann, ganz gleichgültig, wer das Operations- messer schwingen sollte. Es gibt kein Dran-vorbei, wir ha- ben uns für Augenblicke von Gefüh- len und *7ünschen verleiten lassen, anstatt wie bisher, von unserer Ver- nunft Gebrauch zu machen. Wir ha- ben uns von Hoffnungen betören las- sen. die sich nicht erfüllen konnten, weil sie von falschen Annahmen aus- gingen, Selbst aber, wenn wir dieses Mal geirrt haben sollten, unsere Freunde irrten nicht. Mit einer Ein- mütigkeit, die sich mit erfreulicher Zwangslosigkeit äusserte, mit einer Eindringlichen, freundschaftlichen Mahnung, die sich trotzdem niemals zum verdammenden Urteil erhob, drückten sie uns ihre Missbilligung aus und bewiesen uns gerade damit die unbedingte Solidarität, die sie mit uns verband. Dafür danken wir ih- nen! Freundschaft, die sich auf sol- che Freundte gründet, muss bestehen, es gibt keine Schwierigkeiten, die sich Iii cht überwinden liessen. Wir keh- ren also wieder dahin zurück, wo wir gestanden hatten, zu unserer Selbst- Verantwortung, zu unserer Freiheit der Meinung und zu unserem organi- sationslosen Freundschaftsbund. Es kann unter heutigen Umständen keine organisatorische Freiheit für deutsche Antifaschisten geben. Die Parteien und Organisationen müssen unter dem Zwang, der auf ihnen lastet, ra Werkzeugen der politischen Macht- träger degenerieren, wo immer es auch sein möge. Erst der Tag. der allen Völkern die Freiheit bringen wird, wird sie auch dem deutschen Volke bringen. Bis dahin wollen wir von dem Vorteil, keine Werkzeuge zu sein, vollen Gebrauch machen, wie bisher. SCHLESIEN, LAND DER HEIMATLOSEN Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie. ftJrtzeugind, Böses muss gebären. Der Zug der Vertriebenen ,.Man trägt die Heimat nicht an den Fussohlen mit." Ein deutsches Mädel sprach so zu mir. Ich hatte mich vom Mittagessen im Hotel „Monopol" in Breslau abgeschlichen und war in den Strassen auf einen traurigen Zug g*- stossen: Karren, einer hinter dem an- dern, Stosskarrefi mit einem Rad, Kinderwagen, Ziehkarren mit vier kleines, runden Scheiben, wie von ei- nem Spielzeug, vollgepackt, soviel sie zu tragen vermochten. Nicht mit Reichtümern: alten, lumpigen Klei- dern, schmutzigen Decken, mit bauchi- gen Säcken und Taschen, Gefässen aller Art. Und davor schweissdurch- nässte, verstaubte Menschen, Deut- sch«, meist Frauen, verwahrlost, jun- ge, hal&friichsist* Burschen sdör zit- ternd^ Greiie <äti der Deichsel. Dort echleifti Sinei1 einifc ohn« Rä- der kreischend über das Pflaster. Er keuchte, stürzte atemlos. Hinter ihm stauten sich die andern Wagen; man schrie, fluchte. Einer der jungen pol- nischen Soldaten, die mit dem Gewehr in der Hand den Zug flankierten, trat zu ihm. „Vorwärts", mdhnte er sachlich. Der alte Mann rappelte sich auf und legte sich wieder in den Strick wie ein müdes Pferd. „Ist d:is nicht ein reiner Irrsinn?" Ilse—so hiess die Siebzehnjährige, mit der ich sprach — liess auf dem Bahn- hofplate, wo sich die KarrSn vor der Rampe stauten, aufatmend die Deich- sel sinken. ,,Im Osten liegt ein grosser Raum, ohne Menschen, und uns wirft man hier heraus, schickt uns in die englische Zone, wo die Menschen schon wie in der Savdinenbüchse le- ben. Wczu macht man das über- haupt? Die Polen sind doch gar nicht fähig, wieder etwas hier zu organisie- ren. Sehen Sie unsere Stadt an; Rui- nen an Ruinen, nicht aufgeräumt, nichts aufgebaut, öie sollten mal se- hen, wie Breslau aussähe, w^nn min uns hätte machen lassen." Ich zuckte die Achseln. „Sie sind ungerecht, die Polen können es nicht", entschuldigte, ich. „Ihr Deutschen habt ihnen War- schau kaputt gemacht, Haus für Haus, mit Absicht. Nun bauen sie eben erst ihre Hauptstadt auf. Und auch das. geht langsam, weil sie keine Materia-. lien haben, keine Baumaschinen. Ihr* könntet es nicht besser machen." Sie sih verächtlich zu mir auf. „Wir wür- den aufbauen, das sage ich Ihnen, und müssten wir die alten Mauern mit-'' den Fingernägeln abtragen; wenn es um die Heimat geht . . „Sie ist es nun nicht mehr." Diese Bemerkung tat mir weh. aber der Journalist darf sich nicht scheuen, Wunden zu berüh- ren. „Sie bleibt es", antwortete das junge Mädchen mit bitterer Be- stimmtheit. -.Ich werde sie nie verges- sen, auch wenn es mir anderswo gut ö^hfc, nie, nie." „Sie glauben also, Sie werden wiederkommen?." — »Said"*, niokijfr sie, „bald." DAS ANDERE DEUTSCHLAND II „Wir kommen wieder." So reden al- • le. Heimat — sie gröhlten das Wort unter Hitler als imperialistisches Schlagwort, als Deckmantel zahlloser Schandtaten. Und wenn wir Schwei- zer es brauchen wollten, stockte es uns auf der Zunge. Heute, in der Er- niedrigung, werden sie, zu spät, auf seinen wahren, schönen Sinn zurück- geführt. Ich traf einen Arzt, der im bittersten Elend, chne Arbeitsmöglichkeit, in Breslau ausharrte. „Polen dar! ich nicht behandeln, und die Deutschen können mich nicht bezahlen. Wir le- ben ja alle nur noch von dem Ver- kauf der. letzten Dinge, die wir ha- ben. Stück für Stück geht weg, zu Schleuderpreisen; wer zahlt schon ei- nem elenden Deutschen einen rechten Preis? Das Leben ist teurer als an- derswo, aber wir können keine verbil- ligten Lebensmittel beziehen wie die Polen; wohl haben wir Karten, aber Wir kriegen nichts dafür. Wenn wir uns auf der Strasse tseigen, müssen Wir riskieren, aufgegriffen und ir- gendwo zur Arbeit kommandiert zu werden. Auf dem Lande draussen tra- gen die Deutschen sogar Armbinden, damit man sie gleich kennt. Man holt uns selbst mit Camions beim Gottes- dienst ab, in unsern besten Kleidern. Ich weiss, drüben hätte ich Arbeit: aber ich kann hier nicht weg; ich bleibe hi&r, bis ich mein letztes Hemd verkauft habe, bis man mich raus- wirft. Glücklicherweise sind die Rus- sen da; sie sind oft etwas willkürlich, weijn sie getrunken haben sogar ge- fährlich, aber im Grunde gute Kerle, mit denen man reden kann. Aber die Polen . . ." Er blickte vorsichtig um sich und spuckte aus. Gott straft nicht mit einem Stock. Die Kolonisatoren Man kann es den Deutschen nicht verargen, wenn sie immer noch hoch- mutig als Herrenrasse auf die Polen herabsehen. Denn die Menschen, di» da aus dem Osten eintreffen, gehören im allgemeinen nicht zur Elite der Na- tion. Lemberg, dieser politische Wet- terwinkel, in dem seit jeher alle paar Jahre irgendein plünderndes Heer durchzog, ein Paradies der Räuber, War nicht gerade der geeignetste Ort, bürgerliche Tugenden zu entwickeln Warum ein Haus bauen, wenn es mir im nächsten Monat über dem Kopf verbrannt, warum Geld sparen, wenn es mir weggenommen wird? fragte man sich dort, setzte sich in irgend ein Loch und lebte von der Hand in den Mund. Dieser Volksschlag nun ist berufen, an Stelle der abziehenden Deutschen zu treten, slawische Kolo- nisatoren und Vorposten im deutschen Raum, in diesem herrlichen Erbe von schönen Strassen und schmucken Häusern (soweit sie noch stehen). Ne- ben ihnen machte sich in den ersten Monaten der Besitznahme das übelste "Räuljer- und Spekulantentum breit; wer rechtzeitig, d. h. zur Zeit der brutalen und wilden Willkür kam. konnte hier ein Vermögen erraffen. •— Breslaus verschonte Hotels sahen die Orgien dieser Hyänen. Ein Kellner erzMilte uns in seliger Erinnerung von Umsätzen bis zu 300 000 Zlotys im Tag. Seither hat allerdings» die polnische Regierung .energisch durchgegriffen. Ungesetzliche Uebergriffe gegen Deut- sche werden, soweit diese Anzeige zu erstatten wagen, streng bestraft. Das Land wird, anders als bei der Boden- reform im Innern des Landes, nicht mehr zu Eigentum, sondern nur zu Lehen vergeben, um die Spekulation zu verhindern. Und so ist seit einiger Zeit d-r Korrupticnsspuk verflogen. Dafür wird gearbeitet. So sind die grossen Breslauer Waggonfabriken wiederhergestellt und in Betrieb ge- nommen worden. Es verdient überhaupt festgehalten zu werden, dass die offiziellen Stellen alles tun, um das Schicksal der ver- triebenen Deutschen so human wie möglich zu gestalten, bestimmt huma- ner, als die,SS mit den Pclen verfuhr, die im Warthegau durch deutsche Siedler verdrängt wurden, Ohne Vor- anzeige, im Zeitraum einer halben Stunde, mit zehn Kilo Gepäck, wur- den sie rausgeschmissen, oft mitten im bittersten Winter. Dia Schlesier dürfen so viel von ihrem Hab und Gut mitnehmen, als sie schleppen können, dazu tausend Mark Papier- geld pro Kopf. Die Repatriitiungszü- ge führen einen Lazarettwagen und Lebensmittel mit — wenigstens lau- tet die Vorschrift so. Wie sich diese Anordnungen jeweils im kleinen rea- lisieren, steht auf einem andern Blatt. Der eine braucht einem gross- zügigen Beamten bei der Kontrolle sein Gepäck überhaupt nicht 2U öff- nen; andere werden gleichsam auf den Kopf gestellt und nach allen Re- geln ausgeplündert. Das ist Glückssa- che. Sehelsien — deutsche oder polnische Erde! Denn alle Humanität und Korrekt- heit ist eine Farce, wo eine Sache in ihren Wurzeln ungerecht und un- menschlich ist: eine Tragödie kann nicht humanisiert werden. Es geht bei dem weitaus grössten Teil von Schle- sien nicht um strittige Uebsrschnei- dungsgebiete mit tyrannisierenden Mehrheiten und unterdrückten Min- derheiten, sondern urg, alten deut- schen Kulturboden, der durch die deutsche Mystik, durch - Namen wie Jakob Böhme oder Angelus Sile- si'us untrennbar mit der deutschen Geisiesgeschichte verbunden ist. Diese Sinnesart ist eins mit dieser Land- schaft, ihrer goldenen Erdigkeit und den weichen Linien ihrer Schwingun- gen. Man fühlt es, von Lodz im Auto nach Westen fahrend, wann man in den deutschen Bereich eintritt, nicht nur., an den bessern Strassen und den sauberen Häusern, sondern auch dar- an, dass d^e Landschaft gestaltet, in den menschlichen Formwillen einbe- zogen wird: an den schönen Alleen, den grüngebetteten Siedlungen. Und wenn die Polen heute unter Berufung auf die Piastenherzöge im Mittelalter behr^ipten, Breslau sei eine alte pol- nische Stadt — sie heisst heute Wroc- law, nach ihrem alten Namen Wratis- lawa — so ist das genau so albern, wie wenn die Deutschen Krakau, das schon so östlich umwitterte, zum deutschen Kulturzentrum proklamier- ten. Jahrhunderte lassen sich nicht mit einem Stiefeltritt auswischen. Wyr kennen diese Mentalität, wel- che aus historischen Begriffen wie ,,Reichsboden" usw. das Recht abzu- leiten sucht, die Gegenwart auf den Kopf zu stellen, bereits zur Genüge. Sie ist, das'müssen wir immer wieder festhalten, keine polnische Erfindung, sondern eir^ Schöpfung jenes selben Mannes, der zuerst die irrationalen Kräfte des Volkstums aus ihrer ge- müthaften Geborgenheit gezerrt und zu groben Begriffen schabionisiert hat, brauchbar zu jedem Missbrauch ,,Blut und Boden": Er war der erste, d-r sie getrennt, als er die deutschen Siedler aus Siebenbürgen zurückrief... Er verkaufte ihren Besitz gegen Oel und Weizen an die Rumänen, als er die Baltendeutschen der russischen Freundschaft opferte, das Sältirol der italienischen. Hitler war *er erste, der das Geheimnis der Bindung an die Erde gering- achtete und verriet, der mit den Völkern, auch mit dem eigenen, jonglierte wie mit Schlacht- vieh. Kann man die Polen, neben den Juden seine verachteten Opfer, ver- urteilen, wenn sie sich, noiens volens vom russischen Druck nach Westen gewälzt, als gelehrige Schüler erwei- sen? Hinter dieser neuen Volkerwan- derung steht viel mehr als imperiali- stische Grenzverschiebungen und na- tionale Machtkämpfe, eine Entwurze- lung des Menschen überhaupt, der vom Wind der Geschichte umheige- biasen werden kann wie ein Sand- korn. Man sagt, dass Sentimentali- tät ein Mangel an echtem Gefühl sei: so ist vielleicht auch der verderbliche Nationalismus der Völker nichts an- deres als eben eine Kompensation der mangelnden Bindung an die Erde. Das Fait accompli für den Friedensvertrag Ich habe schon bemerkt, dass es den Polen bei der ganzen Sache nicht ganz wohl ist, als fühlten sie, dass sie in einem verfluchten Geiste handeln, und dass darin nichts Gutes aus dieser Saat erwachsen kann. Breslau, zu 65 Prozent zerstört, mutet heute an wie eine Gespensterstadt, nicht nur weil ganze Quartiere als menschenleere Trümmerwüsten daliegen (voraus- sichtlich auf Jahrzehnte hinaus), son- dern weil schon jetzt das Minderwer- tigkeitsgefühl gegenüber den Deut, sehen an den neuen Herren zu nigen und den Zufluss wertvoller Elemente durch Unsicherheit&gefühle zu hem- men beginnt. „In dreissig Jahren", seufzte eine Dame, ,,werden sie wie- der oben sein, sie mit ihrem herrli- chen Organisationstalent. Da kommen wir nie mit: wir können unser eige- nes Land nicht einmal organisieren. Das ist uns schon im Osten misslun- gen. Und die Deutschen werden Schlesien nicht vergessen. Vielleicht werden ihnen sogar die Angelsach- sen helfen; sie haben ja unsere neuen Westgrenzen noch nicht garantiert. So bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit Haut und Haar den Rus- sen zu verschreiben . . . Und was haben diese mit uns vor?'' So hat man die Polen, indem man sie dem schlechten Gewissen und der Angst überantwortete, in eine Abhängigkeit gebracht, die ihnen höchst schmerzlich werden dürfte. Ungewissheit ist ein schlechtes Ar- beitsklima, eine Schrittmacherin der Hysterie. Sie zwingt die Pdlen zu ei- ner überstürzten Deportation der 12 DAS ANDERE DEUTSCHLAND Deutschen, der durch den polnischen Zustrom nicht ausgeglichen werden kann: die Friedensverhandlungen, weiche die endgültige Regelung de- Grenzen bringen soll, müssen unter dem Zeichen eines Fait accompli Ste- hers Weite Strecken bester Erde, wo früher die intensivste Bodenkultur, der Zuckerrübenbau, herrschte, wo- gen heute als blühende Unkrautfel- der. So darbt man heute mitten in der Kornkammer. Viele Kohlenmi- nen liegen still — wegen Arbeiter- Ich wiu Innen nichts Uber nwi..* und meiner Familie Schicksale erzäh- len. Diese Schicksale sind uninteres- sant. Wir sitzen seit der Zeit nach dtm Münchenvertrag in Schweden und haben ein verhältnismässig ruhi- ges Leben geführt. Anders ist es mit unserem Schorsch Trapp, der nach Nurwegen in die Emigration g-g^ngen war. Vorgestern habe ich ihn wieder- gesehen, nach einer Odyssee ohne- gleichen, durch die er nur durch vie- le, viele Wunder gekommen ist. Na- türlich sprachen wir gleich in der er- sten Stunde unseres Beisammens-ins Wer die Heimat. Dar Bericht des gu- ten Schorsch über seinen Abschied von Teplitz-Schöna i hat dann das Gespräch auf Sie und Ihre Familie gebracht : Mit Schorsch war das so: Er, der unbedingt Rechtschaffene, hat sich selbstverständlich der norwegischen Freiheitsbewegung 'zur Verfügung ge- stellt und hat für sie sehr gewagte Dinge unternommen. U. a. hat er iür die Freiheitskämpfer eine Druck-r- presse gebaut, die im unterirdischen Kampf wichtige Dienste verrichtet^. Schorsch hat im Kampf gegen den Hitlerismus seit*) Pflicht getan, als unser Gesinnungsgenosse und als ein d2r Kultur ergebener Mensch, der die kulturvernichtende Rolle des Na- zismus immer gekannt hat, — er hat der sozialdemokratischen Bewegung unentwegt die Treue gehalten. Nach der Verschärfung des Nazikurses in Norwegen, 1942, wurde Schorsch ver- haftet und zunächst in das berüchtig- te Konzentrationslager Grini bei Os- ' 1° gebracht. Vcn dort wurde er nach der Heimat transportiert und dann durch ■ einige ander-e Konzentrations- lager geschleift, bis er, im Sommer 1943, in Dachau landete. Dort war er bis zum Zusammenbruch d*s Nazis- mus. Amerikaner retteten ihn ver dem Schicksal, zusammen mit den Leichenhaufen, die ihn umgaben, ver- scharrt su werden. Die Zähne sind ihm im Lager ausgefallen, teils ein- geschlagen worden. Bei einem der vielen Lagerappelle in schneidender Kälte ist ihm die ganze Gesichrshaut erfroren; sein ganzes Gesicht ist jetzt mit Runzeln und roten Knollen bed-ckt und die ganze Gestalt sieht aus, als wäre sie geschrumpft. — So kam Schorsch also, nach der Erret- tung und Befreiung durch amerika- nische Soldaten, zurück in die „befrei- te" Heimat. Und dort sah er, wie seine, wie unsere Landsleute, verge- waltigt, geschlagen, beraubt, getötet cd-r von ihrer Scholle vertrieben mangel. Der Zwang der Realitäten veranlasst die Polen zur Milde: wer irgendwo eine polnische Grossmutter nachweisen kann und sich „repoloni- sieren" lassen will, kann bleiben- Viele tun es, um deg Arbeitsplatzes wil- len; aber sie bleiben Deutsche im Herzen, auch wenn sie dies Bekennt- nis nur zu flüstern wagen — vorläu- fig. In aller Stille formt sich eine neue fünfte Kolonne. Aber wenn es einen Weg zurück geben sollte — dann wehe dem Lande Schlesien. AI- wurden, nur deshalb, weil sie deut- scher Muttersprache sind. Unter- schiedslos wurden die Menschen in neue Konzentrationslager gejagt, die nun im Zeichen der Freiheit und De- mokratie errichtet wurden. Zahllose Menschen, an deren Loyalität gegen die Tschechoslcvakische Republik gar kein Zweifel besteht und viele Ande- re, die viele Jahre oder Monate in Hitlers Konzentrationslagern zuge- bracht hatten und dort übel zuge- richtet wurden, wurden nun vcn den tschechischen Chauvinisten genau so schlimm od-r noch ärger misshandelt, als vcn den nazistischen Peinigern. Das System war das gleiche, nur die Etikette hatte sich geändert. Wie Sie wissen, müssen alle Sudetendeutschen das Land unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe verlassen, soweit sie überhaupt noch etwas ihr Eigen nen- nen. Denn ihre ganze Habe ist vom Staat beschlagnahmt oder von den zivilen „Freiheitskämpfern", vcn de- nen die meisten treu und fleissig in Hitlers Kriegsbetrieben gearbeitet ha- ben, ganz einfach fortgeführt worden- Mehr als eine Million ist schon ver- trieben, die anderen werden das Land bis Ende 1946 verlassen müssen. Es will auch niemand bleiben, so furchtbar sind die Zustände, die Schuldige und Unschuldige in gleicher Weise treffen. Lieber als Bettler auf die Landstrasse nach Deutschland, denn als vollkommen rechtloser Skla- ve der Willkür tschechischer Chauvi- nisten ausgesetzt sein. Das ist auch die Parole jener sudetendeutschen So- Alls einem Bericht der SPD Ein weiterer Hauptpunkt ist das grosse Wohnungselend, das verstärkt wird durch den Flüchtlingsstrom und vorderhand noch keine Linderung durch Ersatzbauten oder Reparaturen grösseren Ausmasses erhält. Eine grö- ssere Freizügigkeit, besonders für Re- paraturen, würde zur Linderung, wenn auch nicht zur Behebung der Wohnungsnot beitragen. Das Flüchtlinselend ist eine unserer drückendsten Sorgen. Die britische Zone ist überfüllt, trotzdem müssen noch mehr als I Million Menschen aufgenommen werden. Sie hat heute schon fast 50 Prozent mehr Einwoh- ner als zu normalen Zeiten. Die Men- schen sind körperlich und geistig am Ende und die Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die sie ausstrah- len. überträgt sich auf die Allgemein- heit. lein schon das Gerücht, die Grenze werde an die wütende Neisse zurück- verlegt, entfesselte eine Welle der Vernichtung in dem abzutretenden Ge«- biet. Im ganzen Lande sind die alten Kataster und Grundbücher spurlos verbrannt worden, um keinem mög- lichen Heimkehrer mehr ein Doku- ment des Rechts zu hinterlassen. Al- les aus Angst. Man wird nicht unge-. straft „verrückt". Peter Schmid („Weltwoche", 16. 8. 1946) ICKSALE zialdemokraien, die, wie Sie wissen, im Jahr 1938 als freiwillige Grenz- wächter für die tschechoslcvakiscihe Demokratie ihr Leben eingesetzt ha- ben. (Auch Ernst Thöner, der gute, treue, sollte aus der Heimat depor- tiert werden. Er und seine Familie ha- ben Selbstmord begangen. Er, seine Tochter und seine Schwiegereltern sind tct. Die Frau wurde gerettet und lebt einsam, in tiefster Not und Ver- zweiflung in Teplitz-Schönau.) W^s dies alles mit Schorsch zu tun hat? Nun, aucn er ist von den tsche- cniscLh>~n Chauvinisten wegen seiner freimütig en itecmsc-uaffenueit wie- derupi vernaltet und ins Gefängnis gesteckt worden. Nur mit Mühe war er wieder nerauszubringen. Wir sude- tendeutschen Sozialisten in Schweden hat^gji inzwischen eine Hilisaktion eingeleitet, die die Rettung einiger Menschen üum Ziele hatte. Schorsch ist iu diese AK*ion einoezvgen worden, und ist naen vielen nontauschungen, und neuen Strapazen am 28. Dezem- ber naen Schweden gekommen. Und hier Konnten wir inn also wieder in die Arme schli-ssen. — Glauben Sie nicht, sein Ueist oder sein Künstler- tum habe Schaden gelitten! Sein Frohsinn ist unverwüstlich. Er hat während der ganzen Reise nach Schweden seine Schicksalsgenossen davor bewahrt, in Sentimentalität und Verzweiflung zu verfallen, und hier im Quavantäne-Lager ist er der Munterste unter den Munteren. Scheu ist er wieder am Werk mit Rötelstift, Linoleum und Schneiflewerkzeug, — er ist zu einem ganz bedeutenden Künstler herangereift, dessen Name bald in ganz Skandinavien einen gu- ten Klang hab=n wird. Und als er hörte, es gebe hier guten Wein, der nicht zu teuer ist, da strahlte er: mit dem monatlichen Taschengeld, das die Flüchtlinge im Lager bekommen, könne er drei Flaschen kaufen! Er entbehrt nichts: er hat sein Künstler- Werkzeug, — seine Zigaretten, seinen Kaffee — und seine Hahne, mit der er sich unmittelbar nach der Wieder- kehr aus Dachau verheiratet hat. Und wir haben ihn, und es ist, als hätten sich unsere Kräfte verviel- facht. — Schorsch und ich wollen dem _ Wohlleben hier bald entfliehen und die Strasse nach Deutschland wan- dern, um dort am Wiederaufbau des Landes mitzuarbeiten und mitzuhel- fen, unseren Parteigenossen unter den Sudetendeutschen das tzu schaf- fen, was sie nie hattgjj: ein Vaterland. SUDETENDEUTSCHE SCH DAS ANDERE DEUTSCHLAND 13 BERICHTE AUS DEUTSCHLAND Gemeindewahlen Der Ausfall der Wahlen in Bran- denburg und Mecklenburg entspricht dem der Wahlen in Sachsen und Thü- ringen: Die Einheitspartei hat die meisten Stimmen bekommen, aber ihr Erfolg bleibt hinter deji Erwartungen zurück. Sehr viele ungültige Stimmen — augenscheinlich als Protest gegen den bei der Gründung der SED an- gewendeten Zwang — und mehr Stim- men für die bürgerlichen Parteien, als man nach Lage der Dinge erwartet hatte. In der britischen und französischen Zone ist das hervorspringendste Merk- mal die Niederlage der Kommunisten, die sogar hinter den ^Unabhängigen" und der ,.Niedersächsischen Landwir- tepartei" zurückbleiben. Die Sozialde- mokraten haben gut abgeschnitten, aber nicht mehr aufgeholt, als die Kommunisten verloren haben. Hinter der stärksten Partei, den Christlichen Demokraten bleiben sie im vorwie- gend katholischen französischen Ge- biet weit, im britischen etwas zurück. Das Zentrum hat mit über 600 000 Stimmen einen Achtun^erfolg gegen- über der CDU erhalten, ein Beweis dafür, dass die Entwicklung im bür- gerlichen und besonders im katholi- sche^ Lager noch durchaus im Fluss ist. Es ist aus der Ferne nicht möglich, einen befriedigenden Kommentar zu diesem Wahlausfall zu geben, da zu viele Faktoren nicht bekannt sind Man darf auch nicht vergessen, dass bei Gemeindewahlen lokale Interessen eine grosse Rolle spielen, und dass sie stets ungünstiger für die Arbeiterlin- ke sind als allgemeine Wahlen. Für die überraschend grq^se Niederlage der Kommunisten können als Erklä- rung in Betracht kommen: Der Ver- iusv vialer Funktionäre unter dem Na- yiregime, antibolschewistische Pro- paganda, Ablehnung der Forcierung der Einheitspartei, Abtrennung der ostdeutschen Gebiete, jedenfalls hat dieser MjsjsSrfolg auf die russische Haltung zur deutschen. Frage einge- wirkt. Molotows Erklärung, dass das von *,len Polen okkupierte Gebiet end- gültig zu Polen gehöre, ist wohl als Reaiticn darauf aufzufassen. Sie bringt die SED, die für die Rückga- be Schlesiens eingetreten war, in ei- ne sehr unangenehme Lage. Eine Versammlung der Bergarbei- tergewerkschaft des Ruhrbergbaues verlangte, dass die Kohlengruben zu verstaatlichen seien, dass die auf Re- parationskont'o zu liefernden Kohlen- mengen unverzüglich festgesetzt wür- den, dass durch eine für jeden Schacht einzusetzende Arbeiterkommission das Wohnraumprcblem für die Arbeiter unvej'ziüglicji gelöst werde, und dass die Verpflegung für die untertags Ar- beitenden ayf 5000 cal. pro Tag erhöht werden soll. Der Minister für die britische Zone erklärte, dass es das Bestreben der Militärregierung sei, die Nahrungs- §9 «WM Wie MHttok auf 1550 cal. pro Tag zu erhöhen, da es sich erwiesen habe, dass ein Durch- schnitt von 1050 cal. für die Bevöl- kerung nicht tragbar sei. Um zu die- sem Ziel zu gelangen, würde unver. züglich eine deutsche Behörde für Er- nährung und Landwirtschaft geschaf- fen, welche die Erzeugung und den Bedarf der britischen und amerikani- schen Zonen koordinieren solle. Der Generalgouverneur der franzö- sischen Zone versprach, unverzüglich nach der Ernte die Lebensmittelzutei- lung auf 1500 cal. pro Tag zu erhö- hen. Die Zuckerzuteilung in der russi- schen Zone ist pro Person und Jahr auf 7,2 kg angesetzt, für die ameri- kanische Zone auf 1,5 kg pro Person und Jahr. Die monatliche Fettzutei- lung in Berlin beträgt z. Zt. 110 g, die Fleischzuteilung in Berlin 50-100 g pro Monat je nach Kategorie. Nach Mitteilung von Beamten der brit. Militärregierung kommt es im- mer häufiger vor, dass Fahrer und Schaffner von Strassen- und U-Bah- nen vor Erschöpfung infolge Unter- ernährung von ihren Sitzen fallen. Reaktionäre Agrarpolitik in Hannover "Das Neue Deutscsland", Organ der SED, behauptet, dass in Hannover die alten Leiter des nazistischen Reichs _ nährstands erfolgreich bemüht sind, den im Osten enteigneten Ritterguts- besitzern auf Kosten der Kleinpächter wieder zu Grundbesitz zu verhelfen. Wir lesen da: "Das willige Werkzeug dieser Poli- tik ist Herr Baron von Rheden, der an der Spitze der Eroährungswirt- schaft der Provinz Hannover steht. Von Rheden ist der Untergebene des Herrn Schlange-Schöningen. Mit sei- ner Preispolitik macht er die Bauern bankrott und zwingt sie schliesslich, ihr Land zu verkaufen, auf das die Ostjunker schon wie hungrige Hyänen warten. Das Bauernlegen hat bereits begon- nen. Im Kreise Fallingbostel, Regie- rungsbezirk Lüneburg, liegt der Trup- penübungsplatz Ostenholz. Hier sind Bauern und kleine Pächter auf je 10- 20 Morgen angesiedelt. Der Präsident des Landeskulturamtes, Herr Düster- berg, engster Mitarbeiter des Barons von Rheden, hat im Einverständnis mit der Regierung in Lüneburg diesen Pächtern den Pachtvertrag gekündigt. Polizei wurde eingesetzt, um die Päch- ter, die das jahrelang mit ihrem Schweis® gedüngte Land nicht verlas- sen wollten, zu vertreiben. Die Versorgung der geflüchteten Ostjunker mit Grund und Boden scheint überhaupt die Spezialaufgabe des Herrn Düsterberg zu sein. Ein Herr von Brockhausen der angeblich hos mit Gasthaus durch Vermittlung des Herrn Düsterberg erhalten. Herr Recihtholz erhielt den Meierhof in Osrtenholz, Dr. Scholz-Dawitsch den Metjenhof, von Tilk den Siiltebrucb- hof, beide ebenfalls in Ostenholz. Ein von Brochthausen der angeblich ein Neffe Hindenburgs ist, wurde mit dem Hof Heyersmühlen in Ostenholz bedacht, Baron von Zitzewitz bekam den Hammbruch-Hamshof in Oberho- de. Der Ostj unker Herr Röders er- hielt nicht nur den Tankenhof in Et- tenbostel, sondern wurde zugleich Bürgermeister und Ortsbauernführer. Im Ostenholzer Moor hat die Guts- besitzerin Peters, die in Mecklenburg enteignet wurde, zwei Staatsgüter mit rund 8000 Morgen Land übernommen. Pro Morgen zahlt sie nicht mehr als 80 Pfennige Pacht. Ebenso billig kommt sie bei der Entlohnung ihrer Gutsarbeiter weg. Sie beschäftigt Flüchtlinge und Evakuierte. Den Män- nern zahlt sie 52 Pfennig Stunden- lohn, den Frauen 37 Pfennig und den Jugendlichen 32 Pfennig. Von diesen Hungerlöhnen gehen aber noch 12 Pfennig pro Stunde für Deputat ab." Der rechte Mann am rechten Platz? Karl Becker, einst Wehrwirtschaft- ler in Remscheidt. ist heute Vorsit- zender des Wirtschaftsverbandes Ei- sen- und Blech- und Metallwaren- industrie, Sitz Wuppertal-Elberfeld, der sich über das ganze Gebiet der britischen Zone erstreckt. Becker ist also in dieser "Zone einer der mächtig- sten und einflussreichsten Männer in der Eisenverarbeitungsindustrie. Er ist der Mann, der in engster Beziehung zü allen Oberpräsidenten, Generaldi- rektoren, Aufsichtsräten usw. steht. Der Wirtschaftsrat in Minden ist sei- ne eigene Erfindung, sein Kind und seine Domäne. Es ist schwer, den Versicherungen der Herren von der Industrie von ihrem "Willen zum de- mokratischen Neuaufbau der Wirt- schaft" Glauben zu schenken, solange sie einen Braunhemdträger von 1933. politischen und wirtschaftlichen Be- rater der Nazibehörden, Wehrwirt- schaftsführer erster Klasse, vom Schlage des Karl Becker, zum Präsi- denten ihres Wirtschaftsverbandes ha- ben. Der Industrieverband für Bergbau wendet sich scharf gegen die Heraus- gabe einer von der englischen Be- satzungsbehörde genehmigten Zeitung der Bergbaudirektion, mit der Be- hauptung, dass in der Bergbaudirek- tion noch immer die alten Nazis sitzen. In der britischen Zone schlössen sich alle industriellen Gewerkschaften zu einem Verband zusammen. Er um- fasst 1.250.000 Mitglieder und fordert .die Herausgabe von drei Gewerk- schaftszeitungen, je eine für den Rhein-Westfalen Staat, für Hannover und für die Hansestadt Hamburg. Der ehemalige "Herrenklub" in Ber- lin wurde dem Kulturbund zur demo- kratischen Erneuerung Deutschlands als Klubhaus übergeben. Der Kultur- bund richtet auf der Insel Arenshop Erholungs — und Schaffensstätten für Schriftsteller, Künstler und Wis- senschaftler ein. Eine neue Zeit- schritt mit dem Titel "Aussprache" wird demnächst erseheinen. DAS AND ER I DIUTS C H LAND Kurt Stechert. Wie war das mißlich? Bermann-Pischer Verlag Stockholm 1945 Mit grosser, fast stets dokumentie- render Sachkenntnis und dem Streben des gewissenhaften Historikers nach Objektivität zeichnet stechert in die- sem Buch den Weg Deutschlands in Üie Katastrophe der Hitler-Diktatur, dabei immer von den wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen ausgehend. Beherrschend in der Entwicklung, wie er sie sieht, ist das allmähliche Zu- sammenwachsen des aristokratischen Konservatismus der Junker und des modernen Feudalkapitalismus mit der plebejischen Reaktion des Mittelstan- des und Kleinbürgertums, deren Ur- sprüngen und deren Werdegang er sein besonderes Augenmerk zuwendet. Da- bei werden insbesondere der Antise- mitismus Adolf Stöckers und das All- deutschtum eingehend behandelt. Zu- nächst vom aristokratischen Konser- vatismus für seine Zwecke gebraucht, emanzipiert sich die plebejisch-antise- mitische Reaktion, um in ihrer extre- men Form des Nationalsozialismus schliesslich ganz die Oberhand zu ge- winnen. Die neuere Entwicklung, die Ereig- ne unseres Jahrhunderts, werden b<*onten Strebens n»ch Ob- jektivität allzu sehr vom Standpunkt eines reformistischen Sozial-Demokra- ten aus gesehen. Darunter leiden we- Dsr»teliung der Entwicklung der 2 ri ? Kräfte als vielmehr die Buch aber to Lesern ^ Lln,e stehen. so wird Jra^ä!f Llnie. die von der Poli- tl.k der SPD im Kriege in gerader Li- SfjZWaSufll" iiber das Bündnis Bberts mit der Generalität gegen die weÄ„°S BtodnIs der Ge- 611 ml der Unternehmeror- ganlsation air Straflosigkeit der Mör- Luxpmhnr Liebknecht und Rosa *£^2?,. r,T ~ewaIt8amra Abwtir- < "Regierung int Sachsen und Thüringen, zur Stabilisierung des mIt®lfe der Inflation, stLt i £ g Reichswehr als Staat im Staat usw, ins Dritte Reich führt, nicht gesehen und deshalb nicht aufgezeigt. Und wie von der SPD, so wird auch von Stechert die positive Bedeutung des „aufgeklärten" Kapi- talismus Dulsbergs und der I.-G.- Farben, sowie der verarbeitenden In- dustrie für die Demokratie und die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit ihnen weit überschätzt. Die Zusam- menarbeit mit ihnen und der entspre- chenden Zentrums- und Reichswehr- kreise hätte auch ohne die Wirt- schaftskrise und ihre Wirkungen höch- stens ein "juste milieu" schaffen kön- nen, das für die Arbeiterklasse nicht erträglich gewesen wäre und keine Dauer versprochen hätte. Die Lektüre des Buches wird etwas erschwert durch die Belegung einer "VCenge von Einzelheiten mit Zitaten und einen dadurch hervorgerufenen ge- issea Mangel an Übersichtlichkeit und Konzentrierung der Fülle des Stoffes. Andererseits aber enthält das Buch eine solche Menge wertvollen Materials, dass es für den Historiker und Politiker von grösstem Nutzen ist. A. 8 . Zwei Darstellungen der deutschen Geschichte Veit Valentin „The «German People". Their History and Civilization from the Holy Roman Empire to the Third Reich. Alfred A. Knopf, New York, 1946. A. J. P. Taylor „The Course of Ger- man History". Coward-McCatin, New York, 1946. Der nach Amerika emigrierte deut- sche Professor Veit Valentin hat in seinem , German People" den Versuch unternommen, den englisch- sprechenden Völkern die Deutschen und ihre Geschichte nahezubringen* 'und verständlich zu machen. Ueber 730 Seiten geht der Kurs von Karl dem Grossen bis zum Zusammen- bruch des Nationalsozialismus Im Zweiten Weltkrieg. Die ersten rund 1000 Jahre hat Valentin auf 300 Sei- ten zusammengepresst. Das ist eine Ieistun? der Kommission, wenn man die Revue der Daten und Namen all der Kaiser und Nehenkaiser pausieren sieht. Die breite Masse des Volkes dagegen bleibt, ein °raues, undeutli- ches Etwas Es -ist konservative Ge- schichtsschreibung. — Da das Buch hauptsächlich für den gebildeten Nordamerikaner und Engländer ge- schrieben ist, wäre es ohne Zweifel besser gewesen, wenn Valentin die bis in die Gegenwart wirkenden und bedeutsamen Entwicklungstendenzen der ersten tausend Jahre, bis etwa 1815, zu einem längeren Einleitung«- essav zusammengefasst hätte, um cioh auf des Werden des modernen Deutschlands m konzentrieren. Denn erst mit den Nanoleonischen Kriegen, der Restauration den Revolutionen von 1830 und 1848 und den folgenden Ereignissen gewinnt das Buch .zün- dende und erregende Aktualität: und hier hat Valentin viel Nachdenkli- ches zu sagen. Seiner These, dass das deutsche Schicksal vom deutschen Volkscharakter sreformt worden ist und weiterhin »p^mt wird, bleibt er in dieser idealistischen Ueber=nitzun» in der Praxis allerdings fund zum Glück) selbst nicht treu, da er zeigt, wie die peo'ranhischen Gegebenhei- ten und Bedingungen Deutschlands Geschichte beeinflußt h'^hen. und wie r>«?s Geschehen. Denken Fühlen uni Bewusstsein fli° Deutschen geformt hat. Eine solche Formulierung zeitrt indessen, dass sich der Historiker selbst nicht völlig über seine Ge- schich> sphV.osonh i e im klaren Ist. Aus di^em Grunde ist denn auch setne Sc-hliissbetrachtunEr über den deutschen Volksctvirakter mit "einen sechs durch wp'1- im erfreulichen "Ricen- srhaft°n fl. Kleinlichkeit und Besitz- eier, 2 Titel- und Autoritätsgläubig- velt. 3. Misstrauen ge^eri eine zentra- le Rpchtsautorität. 4. Engherzigkeit, Servilität. Unwissenheit 5. Sklaven- "eist, ß individuelle Eigenbrötelei und Spezialistentum) im Konventionellen stecken geblieben. Das ist schade, da das Buch nach den Schmarren und Geschiehtsklitterun»en über Deutsch- land a la Emil Ludwig erfreulich fachlich und wissenschaftlich "eha1- ten ist. Der junge englische Historiker A- J. P. Taylor hat sich auf die Zeit vom Wiener Kongress an beschränkt. Es Ist ein ernst gemeintes Buch und, es ist durchweg — auch dort Wo der In- terpretation der Tatsachen und <3Nh schehnisse widersprochen werden muss — ernst zu nehmen. Jedoch wa- ren aktuelle Ereignisse der Anlass für däs Entstehen des Buches. So ist es denn kein Wunder, wenn die Interpre- tation der deutschen Geschichte aus der damaligen (1940—1943) weltpoliti- schen Konstellation der Verbindung des Westens mit dem Osten im Kamp- fe gegen Deutschland heraus ge- schieht. DP führt zu Einseitigkeiten, die unhaltbar sind- Wenn es näm- lich wahr ist. das sich Deutschlands Aggressionsdrang abwechselnd oder gleichzeitig gegen den kulturell über- legenen Westen und den inferioren Osten gerichtet hat, so ist es gleich- falls wahr — was Taylor vergisst dass zentripetale Aggressionskräfte sich wieder und wieder gegen das Herzland Europas gerichtet und zu Deutschlands Zerrissenheit. Ohnmacht und folglich dem verspäteten aber mächtigen Nationalbewusstsein geführt haben. Deutschlands Geschicke sind üb*r Jahrhunderte hinweg von ausser- deutschen Kräften bestimmt wer- den. Und diese ausser deutschen Kräf- te sind ein integraler Bestandteil der deutschen Geschichte. Eine europäi- sche Solidarität gegen Deutschland und auf Deutschlands Kosten war, nach Taylor, gut und richtig. Und gut und richtig waren die Folgen: der Westfälische Friede und die an- haltenden Bevormundungen durch die europäischen Mächte. Die Logik die. ser Konzeption führt den englischen Historiker dazu, sich zum Advokaten des historisch und politisch widerleg- ten Separatismus zu erniedrigen. Der Separatismus feiert heute fröhliche Urständ und hat bis zur Vernich- tung des Staatsgebildes Deutschland p-eführt. Sollte das zur Belebung des deutschen Nationalismus führen, so hat es Taylor leicht, in Verkehrung von Ursache und Wirkung auf seine These von der. brutalen Aggressivität der Deutschen hinzuweisen. Sollte aber, da sich Osten und Westen über das nicht-existente Deutschland ge- troffen haben damit keineswegs ein ewiger Frieden auf Erden verwirk- licht worden sein, werden jeweilige Taylors auf der einen wie auf der anderen Seite es nicht schwer haben, aus der Ueberfülle des historischen Materials heraus zu beweisen, dass die Engländer, Franzosen. Russen usw. schon immer barbarisch -aggressiv ge« wesen sind. Und das kann wie dal vorliegende Buch zeigt, auf sehr klu- ge und fast sachliche Art getan Wer- den. Herman Ebelini ..Anna Seghers, ,,Der Ausflug der to- ten Mädchen" und andere Erzählun- gen. Lion Feuchtwangcr ,,Venedig". Bertolt Brecht „Furcht und Elend des HI. Reiches". — Sämtlich Aurora* Verlag, New York, 1946. Anna Seghers erweist sich wieder einmal als hervorragende Schriftstelle- rin, die mit dem Instrument der deut- schen Sprache meisterlich umzugehen versteht. In der Titelnovelle wandern ihre Gedanken von der mexikanischen Wüste im Tagtraum zurück zu ei» nem Schulausflug am Rhein. Sie sieht alle ihre blond- und braunbezopften Schulkameradinnen wieder vor sich, erlebt rückblickend jenen Tag als ver- klärte Gegenwart und weiss doch wie das im Traum so ist —, welches Schicksal die Zukunft jeder etosetaeii bereiten wird. Poettidbe BeemnMtifiHt v tyiti-«.,. -ge®»nWtanabe Tragik gehen OauemdüteiriandeT übet, unddle von der Dichterin flüchtig und doch so treffend gezeichneben Charaktere fes- seln, ergreifen und erschüttern. : ülii Feuchtwanger' legt fünfzehn Kurzgeschichten vor, die im bunten »Wirbel von Ereignissen und Men- schenschicksalen rund um die Welt führen, und die innerlich nichts mit- verbindet. Keine ist von überragender Bedeutungi Abe^ sie le- sen sich 'gut. • y ß. . Brechte 24 Szenen aus dem Dritten Reich sind schon vielfach gedruckt und ttiehrfach aufgeführt worden. Jetzt zu einem Band vereinigt, ergibt sich ein eindringliches Bild des allge- genwärtigen Terrors, der alles Denken, Fühlen und Handeln der Menschen durchdringt, pervertiert und gelegent- Ii^;ifl 1 Million Der erste deutsche Gewerkschafts- kongreß« übersandte dem AOK eine BesoluWai, In welcher als Sofortpro- gramm folgende Forderungen gestellt wurden: Sanierung d|r Währung, Preisregulierung, Aufhebung der Kar- telle und Monopole und Ueberführung dieser Institutionen in die Kontrolle der Gewerkschaften. Von dter Traraportarbeiter-Interna- tionale- Die Internationale Trans- portarbeite r -Föderation hielt in Zü- rich ihren ersten Kongress nach dem' Kriege ab. Säbels war die deutsche Widerstandsbewegung mit Paul Jahn " '~l—engast vertreten. Diese Hin- __^..MWMd«ÄSoWn WeWeW« war'mehr als eine Geste. Hatte doch gepule die IFT durch ihre aktive Fn- terätützung des Kampfes der deut- schen Arbelt« gegen Hitler stets ein vorbildliches Verständnis für die In- Dernationalen Zusammenhange des Faschismus und die Aufgabe einer Gewerkschat'tsinternatiohale bewiesen. Welche Verluste ihr die LrlüUm.« dieser Autgabe einbrachte, zeigte die lange Liste der Opfer, deren Tod man auf dem Kongress dachte. Auch dabei wurden die deutschen Vertre- ter mit einbezogen. — Die Eingliede rung der Transportarbeiter-Interna- tionale in den Weltgewerkschaftsbund wurde aufgeschoben, bis Klarheit dar- über geschaffen ist, wie weit eine solche Eingliederung die Erfüllung der Aufgaben einer Berufsinternatlo* nale gestattet. — Unter dem star- ken Eindruck einer Rede des spani- schen Versorgungsminister Triton Görnez wurde ein Beschluss zur Un- terstützung der spanischen Republik gefasst. ENRIQUE /. BIER BUCHHALTUNGEN Arbeits-, Steuerrecht, Pensionsgesetze. 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