OT R A ALE MAN IÄ DAS ANDERE DELITSCHLAN ORGANO DE "LOS ALEMANES DEMQCRATICQS DE .AMERICA &EL AUS DEM INHALT« August Siemsen: DIE KATHOLISCHE KIRCHE UND DIE BUERGERL1CHE KONZENTRATION IN EUROPA Pfarrer Fuchs: DIE DEUTSCHEN KIRCHEN UND DER NATIONALSOZIALISMUS Erich Fromm: INDIVIDUALITAET ALS ILLUSION DIE WAHLEN IN BERLIN UND IN DER RUSSISCHEN ZONE Albrecht Kaushofer: MOABITER SONNETTE ORIGINAL BERICHTE AUS DEUTSCHLAND KONFESSIONELLE ENGHERZIGKEIT DER "CARITAS" * * & BUENOS - AIRES • TUCUMAN309 • 31 ' RETIRO 7 2 6 4 NUMERO 130 15 DE NOVIEMBRE DE 1946 Deutsche BSbiicKvi-kl Frankfurt sm ] * » r v DAS ANDCRE 0KUT S CHI AND » - v KONFESSIONELLE ENGHERZIGKEIT --- —-- DAS ANDERE DEUTSCHLAND LA OTRA ALEMANIA (fundado el 7 d» junio de 1937) Registro nacional de la Propiedad Inteleetual No. 178.948. Autorizado por Resolueiön no. 214 del Ministro dei Interior (11 abril 1946) Confirmado por Decreto No. 20.917 (6 sept. 45) del Superior Gobierno de la Naeiön. Editor y Director; Dr. Auguste Siemeen. Tesorero: Juan Carl. Aviso«: Guillermo eleischer Redacciön y Administration: Tucumin 309 Buenos Aires (U. T. 31-7264) Einzelnummer: 30 Cts. Jahresabonnement: 6.— Pesos argentines (im voraue zahlbar) Geldbeträge erbitten wir aus- schliesslich per Giro oder Bono Postal oder Scheck auf Sr. Juan Carl Tucumän 309 Bs. Aires. DAS ANDERE DEUTSCHLAND ist kein auf Profit ausgehendes Geschäftsunternehmen. Es lebt nur dank der Unterstützung sei- ner Freunde. Spendet für den Pressefonds! Erscheint am 1. und 15. eines jeden Monats. DER "CARITAS" Die katholische Wohltätiglceitsorganisa- tion ,,Caritas" sammelt im Ausland und auch hier für die notleidende deutsche Heimat, Sie versichert, dass ihre Samm- lungen den Hungernden und Frierenden ohne Unterschied der Konfession zugu- te kommen. Man möchte das gern glau- ben. Aber die folgenden Darlegungen der „Neuen Zürcher Zeitung" lassen sehr ernsthafte Zweifel berechtigt erscheinen. Es ist bekannt geworden, dass die „Schweizerische Caritas-Zentrale" an die katholischen Pfarrämter ein streng vertrauliches Zirkular verschickt hat, in dem der Passus zu lesen ist: ,,In gleicher Weise möchten wir Ihnen bekannt geben, dass auch gegenüber f I VLKXitiiAliNUEN DES ANDEJttEM UfcXTsLULAND BOUVIEJN La Jt'az: Guillermo Karbaum, Ca- cilia 323. Xarija: Maniredo Hammerschlag, Lista üe Correos. Cochabamba: los Amigos dei Li- oro, Casilla 450. BRASILIEN Bio de Janeiro: Cun Uebel und Willi Keller, beide Casilla 4231. PARAGUAY Asuncion: Enrique und Susanna tiiocx, Generai Uiaz 27L CHILE Osoiuo: Oscar Chylik, Casilla 423 vBLUÜAY Montevideo: LA OTRA ALEMA- NIA, Soriano 1224. MEXIKO Mexico 1>. f.: Walter Stein, Av. Victor Hugo 80, Colonia Anzures. USA New York: Gretl und Herrmann isbeiing, *208 West 98 Street, IN , 2, SCHWEIZ Basel: Herrmann Graul, Steinen- graben 12. Zürich: Neues Deutschland, Post- fach 143, Zürich-Fraumünster. FRANKREICH Paris: S. P. D., 9, rue Victor Mass6, Paris 9e. ENGLAND London: Wilhelm Sander, 33 Fern- side Avenue, Mill Hill, London NW 7. Hans Gottfurcht, 20 East Heath Road, flat 3, London NW3 SUEDAFRIKA ■'Johannesburg: Pntran, 45 Sacks Building, Joubert & Comissio- neers Street u. Independant Cul- «tural Ass., Mappin & Webb Hou- se, Cor. Hock is Piain Streets. Bei den obengenannten Vertre- tungen des ANDEREN DEUTSCH- LAND sind sowohl Einzelexemplare als Abonnements erhältlich. Wir bitten, in allen die Administra- tion und den Versand betreffen- den Fragen sich zunächst mit der zuständigen Landesvertretung m Verbinudung zu setze Allen An. fragen bitten wir, ein adressiertes ^eikouvert beizulegen. Vorausbezahlung des Abonne- mentsbetrages ist in jedem Falle unerlässlich. der »Kinderhilfe Pest-alozzidorf' Ver- sieht geboten ist. Die Leiter dieser Aktion sind nicht katholisch." Wir sind überzeugt, dass dieser Standpunkt in den Kreisen der schweizerischen Hilfswerke für das kriegsgeschädigte Ausland tiefe Kon- sternation wecken wird. Ganz ein- fach aus dem Grunde, weil hier eine Intoleranz zum Ausdruck kommt, von .der man annehmen wollte, dass sie zum mindesten auf dem Gebiete der Philanthropie an Aktualität verloren habe. Die Not im Ausland ist so rie- sengross und fordert von uns in so hohem Masse die spontane Reaktion unseres Hilfswillens, dass die Wah- rung konfessioneller Sonderinteressen automatisch in den Hintergrund zu treten hat. Die Zusammenarbeit ka- tholischer und protestantischer Ver- treter in ungezählten Werken auf dem Gelände der Not war übrigens, von Ausnahmen abgesehen, von einer so wohltuenden Selbstverständlichkeit, dass von dieser schönen Folie nun der Passus im Schreiben der Schweizeri- schen Caritas-Zentrale recht bedauer- lich absticht. Man jnahnt zur Vorsicht, weil die Leiter der Aktion ,.Kinderdorf Pesta- lozzi" nicht katholisch sind. Ausge- rechnet in diesem Falle ist die Mah- nung um so unverständlicher, als es gerade zum unumstösslichen Grund- satz dieser Einrichtung gehört, die Kinder in ihrem Glauben zu erziehen. Die ersten, dreissig Kinder, die sich jetzt im Waisenhaus in Trogen auf- halten. sind französische Vollwaisen, und zwar katholische Kinder. Die Hauseltern sind katholisch. Der Leh- rer ist katholisch, der Geistliche selbst- verständlich ebenfalls. Im Vorstand des Kinderdorfes Pestalozzi sind ka- tholische Kreise vertreten, wie etwa das Schweizerische Rote Kreuz Kin- derhilfe durch Direktor Griveili, der das unverständliche Schreiben der Ca- ritas - Zentrale unterschrieben hat- Wenn man nun die Tatsache, dass die Leiter der Aktion keine Katholiken sind, für Grund genug hält, um vor diesem menschlich so schönen Werke zur Vorsicht zu warnen, so muss dar- aus so etwas wie die Anmeldung ei- nes totalen konfessionellen Anspruchs abgelesen werden Die Haltung dieses vertraulichen Zirkulars der Caritas-Zentrale ist au- sserordentlich gefährlich und könnte, wenn sie von massgebenden katholi- schen Kreisen gedeckt wird, für die schweizerische Hilfstätigkeit katastro- phale Konsequenzen haben. Wir sind indessen glücklich, zu wissen, dass die Protestanten den Spiess nicht umdre- hen. und nicht die schauderhafte Frage auf werfen wollen: „Welcher Konfession sind jene Menschen, de- nen die Gelder. Nahrungsmittel, Klei- der und Medikamente in den Notge- bieten zugehen?" Die protestantische Bevölkerung der Schweiz wird sich durch die Tatsache, dass weitaus der grösste Teil der von Nicht-Katholi- ken gespendeten Gelder und Natura- lien katholischen Menschen zufliesst, ihren Gebe willen niemals schwächen lassen. Wenn Protestanten in Erfül- lung ihrer schweizerischen Samariter- pflicht den Notleidenden nicht nach seinem Glauben fragen ehe sie ihm die helfende Hand erichen, so s-il-n die Katholiken auch nicht jene Hanl nach ihrer konfessionellen Beschaffen- heit abtasten, die dem Leidenden die Labung reicht. Die Aktion ,,Zürich hilft Wien" der Zwinglistadt Zürich etwa hilft der katholischen Donau- stadt, ohne auch nur einen Augen- blick konfessionelle Bedenken in Er- wägung zu ziehen. Es wäre tief schmerzlich,- wenn die »Caritas" in Luzern die Caritas der Schweiz auf das bedenkliche Geleise des Kultur- kampfes hinüberrangieren wollte. Wer immer irgendwie im humanitären Gemeinschaftswerk der Schweiz mit- arbeitet und mithilft, der muss in dem Schreiben der Caritas-Zentrale ein Dokument erblicken, das tiefbetrübend ist und dessen faux pas nur durch ein offenes, charaktervolles Abrücken massgebender katholischer Kirchen- stellen wieder gut gemacht werden kann. „Gerechter Zorn*' Ein amerikanisches Unternehmer- blatt, "Air Conditioning and Refrigera- tion News" schreibt: ..Wenn wir uns nicht in gerechtem Zorn aufraffen und den Senat zwin- gen, gemeinsam mit dem Repräsen- tantenhaus durch Revision der Geset- ze die Gewerkschaften verantwortlich zu machen für das allgemeine Wohl, wird Gras auf den Strassen wachsen und unsere Kinder werden hungrig und verelendet sein wie in Buropa. Die ungehemmten und zügellos aggressi- ven Gewerkschaften werden uns alle vernichten und uns alle mit Leib und Seele und ewigem Heil der russischen Gestapo überliefern. DAS ANDERE DEUTSCHLAND 3 DIE KATHOLISCHE KIRCHE UND DIE BÜRGERLICHE KONZENTRATION IN EUROPA Bei den Wahlen in Frankreich, Belgien und Holland, in Italien, Oesterreich und Deutschland haben die christlichen Parteien grosse Erfolge erzielt. Sie erschei- nen mehr oder weniger als Sam- melbecken derer, die weder den Sozialisten .noch den Kommu- nisten ihre Stimme geben wollen. Die Frage, welche Entwicklung diese Parteien nehmen werden, ist deshalb von grosser Bedeu- tung. Obgleich keineswegs- nur Ka- tholiken ihnen angehören oder sie wählen, ist der Katholizismus ihre stärkste Kraft. Nun liegt es klar zutage, dass die katholische Kirche als ganzes seit der Fran- zösischen Revolution eine wesent- lich reaktionäre Rolle gespielt und sich stets den fortschrittli- chen Gedanken und Massnahmen entgegengestemmt hat. Wir er- innern nur daran, dass die Kir- che, wo sie die Herrschaft hatte, wie bis in die jüngste Zeit in Mexiko und Spanien, die Massen in Unwissenheit, Unterwürfigkeit und Armut hielt, und an den Kle- rikalismus in Frankreich und sei- ne Haltung beim Dreyfusskcmdal. In allerneuester Zeit hat das Papsttum keine Bedenken getra- gen, mit Mussolini und Hitler Konkordate abzuschließen, die — ob gewollt oder nicht — zur Befestigung ihrer Terrordiktcrtu- ren beigetragen haben, und Franca, der sein eigenes Volk mit Hilfe von Mussolini und Hitlei und den Mauren niedergezwun- gen hat und bis heute unter- drückt, erfreute und erfreut sich der Gunst des Vatikans, so dass er am 20. Jahrestag der Falange Spanien als „letztes Bollwerk der Christenheit11 bezeichnen konn- te, ohne dass der Papst dagegen protestiert hätte. Nun wird demgegenüber von den Verteidigern der katholischen Kirche darauf, hingewiesen, dass es zahlreiche' katholische Geist- liche und Laien gegeben hat, die mit vorbildlichem Mut den Na- zis in Deutschland und in den besetzten Ländern Widerstand geleistet haben. Das ist zweifel- los wahr. Aber es handelt sich Von August Siemsen hier nicht um die Haltung Einzel- ner. Es hat Bekämpfer des Natio- nalsozialismus und Faschismus auch unter Nationalisten und Re- aktionären gegeben. Und wie bei diesen ,so ist bei vielen Katholi- ken ihre traditionsgebundene konservative Grundhaltung für den Widerstand massgebend ge- wesen. Das gilt z. B. für die deut- schen Kirchenfürsten Faulhaber und von Galen. Aber selbst wenn alle katholischen Kämpfer und Op fer aus Menschlichkeit und Näch- stenliebe oder um der Wahrheit und ' Gerechtigkeit willen ge- kämpft und geduldet hätten, wie es gewiss manche getan haben, so würde das nur beweisen- dass es in der katholischen Kirche im Gegensatz zu ihrer offiziellen Hal- tung Christen im Sinne der ur- sprünglichen Lehre Jesu und des Urchristentums erbt- i'p^pc-^-g jedoch würde dadurch die Kir- und ihre Politik erechtfer- tigt. Die reaktionäre Funktion der katholischen Kirche in unserer Zeit ergibt sich mit Notwendig- keit aus ihrer autoritären und to- talitären Grundlage. So ist sie und so muss sie bleiben, wenn sie sich nicht selbst aufgeben will — so könnte man das be- kannte Wort des Jesuitengenerals über seinen Orden variieren. Paul Schmid-Amman sagt in seinem Buch "Der politische Ka- tholizismus", dass der katholische Klerus als Ganzes gesehen, die Reaktion und den Faschismus untertütze, weil er erwarte, "die staatliche Diktatur würde der kirchlichen die Arbeit erleich- tem,, würde mit der Beseitigung der Gewissensfreiheit auch die Gean der röm' ' archie tödlich treffen und damit ihre geistige Macht über Millionen von Menschen festigen. Um der Erhaltung dieser Macht willen hat sich der Klerus in zahlreichen Ländern dazu hergegeben, das Zeichen dr christlichen Kreuzes auf- das schmählichste zu miss- brauchen, indem er mithalf, es in Haken-' Kruken-, Pfeil- ' und Feuerkreuze umzufälschen und vnter dieser Feldzeichen den Krieg gegen die Freiheit der Ge- wissen und gegen die Freiheit der Völker zu führen". Ueberall, wo nur die geringste EL CATOLICISMO AVANZA EN LOS ESTADOS UNIDOS Aproximadamente, una cuarta parte de la poblaciön de Estados Unidos con» fiesa hoy cii'a ia religio« catölica. Esto significa que el catoiicismo ha hecho m6s progresos en este pais que cualquiera de los credos protestantes. En una tabla comparativa, solo e-i jvdaismo le s< brepasa. y por causas semejantes: alba n&ta- lidad y räpida mmigraciön de adeptos. Pero aun los judios mismos estan dividit*o» en ortodoxos y refo.-mados, mientras que los catölicos, aqui como en todas partes, presentan un frenfce unido, aparte el hecho de que los grupos racial-twa auch •'m schv^e- rischen Katholizismus aufbre- chenden demokratisch-sozialen Bewegung wäre kaum ein ande- res Schicksal beschieden als das- jenige- das gewissen katholischen r—-c .ige 1 s_" - heut» drcM spricht es selbst aus: "Solange das Papsttum auch eine politi- sche Macht mit AHsoIutheitsan- spruch bleibt, geht es aufs Gan- ze und will es das Ganze. Es ist autoritär und totalitär." Christliche Sammelpartei, So- zialisten und Kommunisten sind nach dem Weltkrieg die drei massgebenden Parteien im west- lichen Festlandseuropa. Sie ha- ben sich in den meisten Ländern zunächst zu einer Notarbeit zu- sammengefunden, die nicht von Dauer sein kann. Die Sozialisten stehen in der ' 'itte. Das bedeutet. Macht, Verantwortung und Ge- fahr. Nur eine beschränkte Zu- sammenarb 'ii bei bestimmten." Fraqen ist mit den christlichen Sammelparteien möglich, nicht aber eine Koalition. Sie müsste zur politischen Stagnation wie in der Weimarer Republik oder zur Kapitulation und zur Preisgabe sozialistischer Grundsätze füh- ren. Eine klare sozialistische und revolutionäre Politik dagegen müsste es erreichen, die linken Elemente aus dem christlich- bürgerlichen Mischmasch loszu- trennen. Die sozialistischen Parteien Europas stehen hier vor schwe- ren Entscheidungen, vor einer Erprobung, von der vielleicht ihre Existenz abhängen wird. Die deutschen Kirchen und der Nationalsozialismus Die Kirchen haben c.n aie Besat- zungsmächte eine Denkschrift ge- richtet, die diese an die Oeffentlich- keit gaben mit ihrer ablehnenden — zu unserer grossen Freude ablehnen- den — Antwort. In dieser Denkschrift schlagen die Kirchen im einzelnen Milderungen des Vorgehens vor, über die alle Verantwortungsbewussten sich schon einig sind. Aber erschrek- kend sind zwei Punkte der Denk- schrift. Der eine ist in der prinzipiel- len Einleitung die Ausführung, dass man mit diesem Gesetz die Nazis be- strafe wegen der Zugehörigkeit zu einer Sache, die zur Zeit ihres Se- gens nicht unter Strafe gestanden habe. Die Kirchen schliessen sich da- mit der primitiven Auffassung an, dass das Vorgehen gegen Nazis ein Akt der Strafe sei. Man verdunkelt vor dem Volke die Tatsache, dass der nationalsozialistische Geist ein Gift ist, das ausgeschieden werden muss gewiss kann es nur ausgeschieden werden durch einen Prozess der Bus- se und Umsinnung. Aber wie kann Busse und Umsinnung einsetzen, wenn das Volk erleben soll, dass die Träger dieses Giftes nach wie vor in einflussreichen Aemtern sitzen, über- all im Arbeitsleben ihre Stellung ha- ben, über all ihre Hetze betreiben kön- nen? Die Reinigunug ist also ein Akt dringendster Not, und wenn einer, der ein ganz kleines, unbedeutendes Glied dieser Bewegung war, dabei schwer getroffen wird, sollte man ihm nicht zumuten können, dass er sich sagt: Gewiss war es nicht mein Wille, dass diese furchtbaren Dinge ge- schehen. Aber, ohne es zu wissen, ha- be ich die gestützt, die sie taten. Dass ich jetzt dafür leiden muss, ist eine gerechte Sühne. Ich will nicht mur- ren. Ich will ruhig ausharren, bis meine Erprobung es ermöglicht, dass ich wieder in die Arbeit eingereiht werde. Hier und da trifft man solche Menschen und freut sich ihrer. Aber sollte es nicht eine der ersten Auf- gaben der Kirche sein, diese Bussge- sinnung und Umkehrgesinnung zu wecken, statt sich einfach zu denen zu stellen, die von ungerechter Be- strafung reden? Und: Lagen nicht vor der Wahl 1933 Hitlers Reden vor? Lag nicht sein Buch "Mein Kampf" vor? War nicht die schauervolle Agitation da mit ihrem Verleumdungsfeldzug ge- gen alle verantwortlichen Männer in Deutschland, gegen die Juden, mit ihren Drohungen gegen sie und ge- gen den Frieden der Welt? Wir Geg- ner Hitlers . wussten jedenfalls genau, dass der Sieg Hitlers uns und unsern Familien Existenz und vielleicht das Leben kosten wurde. Wer sich hin- ter diese Bewegung stellte, unter- stützte Dinge, zu deren Verurteilunug nicht ein ausgebildeter, weitreichen- der Verstand, sondern nur — "nur" — ein klares Gewissen und wirkliches Anstandsgefühl nötig war. Das ist ja unsere — "unsere" — des deutschen Volkes — schwerste Schuld, dass die- ses klare Gewissen und dieses Gefühl für Anständigkeit so schwach ge- worden war durch das, was wir alle nicht zu überwinden wussten. Wenn die Kirchen heute nun den eigentlichen Punkt so verschieben, als "bestrafe"' man die Nazis für die Zu- gehörigkeit zu einer Partei, die durchaus legal war, als sie ihr bei- traten, so bekunden sie damit den Willen, an diesem Punkte jedenfalls an der notwendigen Umsinnung nicht mitzuhelfen sondern wie nach 1918 der Dolchstosslegende gegenüber und in der Frage der Kriegsschuld 6«v % 6 DAS ANDERE DEUTSCHLAND deutschen Volke die sittliche Führung zu verweigern,, die religiöse Gemein- schaften ihren Anhängern schuldig sind. Karl Barth und Niemöller werden ihren tapfern Kampf weiterkämpfen. Mögen sie viele, viele im "kirchlichen ' Lager erreichen. Aber die von Aussen zu sehenden Zeichen sind betrüblich. Hierzu kommt der zweite Punkt je- ner Denkschrift. Die Kirchen erklä ren, dass sie nur da eine Pflicht fühl ten gegen Pfarrer vorzugehen, wo diese nicht dem Totalitätsanspruch des Staates an die Kirche entgegen- getreten seien, das heisst also ein Pfarrer, der bis zuletzt Nationalsozia- list und kriegsbegeisterter Militarist war, kann durchaus weiter wirken wenn er nur einer von denen war, die innerhalb des kirchlichen Berei- ches sich den Herrschaftsansprüchen des Staates nicht gebeugt hat. Die Zahl dieser Pfarrer ist nicht gering und es ist ein sehr weithin empfundenes Aergernis, dass selbst in gehobenen kircnlichen Aemtern heute noch Leu- te sitzen, die der nationalsozialisti- schen Ideologie und der militärischen Haltung verfallen waren und sind. Nun hat die Kirche in dieser Denk- schrift deutlich ihren Willen ausge- sprochen, auch weiterhin von den Pfarrern nur die Verteidigung der Gewissensfreiheit der Kirchen und des kirlichen Amtes zu fordern, sie aber vom Kampfe für Gewissensfrei- heit unud Gerechtigkeit m ihrem Vol- ke und für ihr Volk zu entlasten. Die Kirchen sehen also bis heute nicht ihre furchtbare Schuld, die darin be- steht, dass sie uns alle, die wir vor 1933 gegen Hitler kämpften, im Stiche liessen und. erst ihren Kampf be- gannen als sie selbst angegriffen wa- ren. Wie anders hätte vieles laufen können, wenn die Kirche auf die ge- hört hätte, die auf die tödliche Ge- fahr aufmerksam machten, die da für unser Volk, für christliche Fröm- migkeit, für die Menschheit und alles Menschliche heraufzog. Man wollte nicht hören — und man hört bis heute nicht. (Pfarrer Fuchs in "Neue Wege") ILLUSION denn wenn der Mensch von heute gar nichts hat — Wünsche hat er be- stimmt, zu viele Wünsche! Es scheint sein einziges Problem, dass er das, was er will, nicht bekommen kann. All seine Kraft verwendet er darauf, das, was er will, zu erlangen. Doch kaum einer stellt sich je die Frage: ob er denn weiss, was er in Wahrheit will. In der Schulzeit, ja da "will" man schöne und seltene Marken- und dann "will" man immer mehr Erfolg, will mehr Geld verdienen, will mehr Ansehen. Wenn sie doch nur einmal einhalten wollten in ihrer besessenen Aktivität unu nachdenken wollten! Vielleicht tauchte dann in ihnen die Frage aui: "Wenn ich die neue Stel- lung, den neuen Wagen bekomme, wenn, ich die Reise nun machen kann — was dann? Was frommt mir das alles? Bin wirklich ich es. der all das braucht? Renne und hetze icn nicht immer wieder nach irgendeinem angeblichen Glück, das mich ver- höhnt, sobald ich es habe!" Solche Fragen, sobald sie sich erst einmal ernsthaft erheben, wirken er- schreckend: denn sie stellen recht ei- gentlich die Grundlagen in Frage, auf denen sich fast (Me gesamte Aktivi- tät unserer Zeitgenossen aufbaut: ihr Nichtwissen um ihr wirkliches Wol- len. Und daher suchen die meisten, -olche beunruhigenden Gedanken möglichst schnell wiecfet loszuwerden. Und sie "fühlen" promt: Die Frage hat sie nur deshalb gequält, weil sie ermüdet waren; es war eine "Depres- sion". Und wieder gehen sie auf die Jagd r.ach Zielen, von denen sie wäh- nen, es «eien die ihren- Aber durch all öiese Unrast weht ein ferner, kaum wahrnehmbarer An- hauch der Wahrheit; die lautet: der Mensch vor> heute lebt in der Illusi- on, er wisse, was er wolle — während er tatsächlich das will, von dem er- wartet wird, dass er es wolle. Um diesen Anhauch, zu lassen, zu klären und zur vollen Wahrheit zu verdichten, muss man sich vergegen- wärtigen: es ist verhältnismässig nicht leicht, zu wissen, was man wirklich wül. Die meisten sind zwar überzeugt, INDIVIDUALITÄT ALS Ein grosser Teil unseres ganzen Bildungswesens hat bezüglich der Grundfragen sozialen und individuel- len Lebens und im Hinblick auf see- lische, ethische, wirtschaftliche und politische Probleme nur die eine Auf- gabe, den Kernpunkt zu umgehen und den ganzen Fragenkomplex zu ver- nebeln. Eine recht gute Nebelwand liefert dabei die Behauptung, die Fragen seien zu kompliziert, als dass ein einfacher Mensch sie begreifen könne — während es in Wirklichkeit, so bestellt ist, dass viele persönliche und soziale Grundfragen so einfach sind, dass jedermann sie verstehen kann. Damit, dass man sie als so masslos verwickelt hinstellt, dass nur der "Spezialist" sie versteht, und er bloss auf seinem Spezialgebiet, sucht man dem Menschen nur das Vertrauen auf seine Denkfähigkeit zu nehmen und damit den Mut, die für Ihn entscheidenden Fragen selbständig zu lösen. Hilflos sieht er sich in ei- nen Wust von Worten gehüllt und wartet mit rührender Geduld, bis ihm die Herren Spezialisten mitteilen, was er zu tun hat, und wohin er sico wenden soll. Diese Art von Beeinflussung hat eine doppelte Folge: Einmal einen kindlichen Autoritätsglauben, zum anderen einen Skeptizismus gegen- über allem Gerede und Gedruckten Diese Verbindung von Zynismus und Naivität ist kennzeichnend für den Menschen unserer Zeit; sie hält ihn von eigenem Denken, eigener Mei- nungsbildung und freier Entscheidung ab; sie entmutigt ihn. Wieder ein Weg zur Lähmung kri- tischen Denkvermögens ist die Zer- störung jeglichen organischen Welt- bildes. Die Tatsachen verlieren so ih- re besonderen Eigenschaften, die iie allein als Bestandteile eines organi- schen Ganzen besitzen, und haben nur noch abstrakte Bedeutung; jede Tat- sache ist dann weiter nichts als "eine Tatsache mehr", und es kommt bloss darauf an, ob du mehr oder weniger Tatsachen kennst. Radio, Film und Presse üben in dieser Beziehung eine verheerende Wirkung aus Auf die Von Erich Fromm Mitteilung vom Bombardement einer Stadt, des Todes von Tausenden, folgt ohne die mindeste Scham eine Wein- oder Seifenreklame; manch- mal steht sie auch mittendrin. Der gleiche New Yorker Ansager schildert den Radiohörern mit derselben sug- gestiv einschmeichelnden und gewich- tigen Stimme, die ihm eben erst dazu diente, den Ernst der politischen Lage zu Gemüt zu führen, die Wunder ei- nes Bouillonwürfels, dessen Hersteller die Nachrichtensendung bezahlt hat. In der Wochenschau folgt den Auf- nahmen von torpedierten Schiffen ei- ne Modenschäu Zeitungen übermic- teln uns die läppischen Ansichten oder die häuslichen Gewohnheiten dei jüngsten Dame der "besten Gesell- schaff' mit dem gleichen Ernst und' in mindestens ebensoviel Zeilen wie Mitteilungen über bedeutsame künst- lerische oder wissenschaftliche Er- eignisse. Damit wird jede natürliche, echte Beziehung zu dem Gehörten Gesehenen oder Gelesenen abge- schnitten. Wir sind nicht mehr erreg' unsere Gefühle und kritischen Fähig keiten erschlaffen; allem, was in dei Welt geschieht, stehen wir gleichmü tig und stumpf gegenüber. So wird dem Leben unter dem Na- men "Freiheit" jeder organische Auf- bau genommen; es besteht nur noch aus vielen kleinen Stücken, jedes vom andern getrennt und ohne Be Ziehung zum Ganzen. Das Individuum sitzt davor wie ein Kind vor seinem Puzzle-Spiel — aber das Kind weiss wenigstens, wie ein Haus aussieht und kann daher in den winzigen Papp- stückchen die Teile des Hauses er- kennen. Der Erwachsene aber nat keine Ahnung von jenem Ganzen, dessen Teile man ihm in die Hand gab. Beunruhigt starrt er auf die far- bigen Ausschnitte und sieht keinen Sinn. . Alles vom Mangel an Ursprünglich- keit in Fühlen und Denken Gesagte gilt auch für den Willensakt. Man erkennt das nicht ohne weiteres DAS ANDERE DEUTSCHLAND 7 es gäbe nichts Einfacheres, aber es ist eines der schwierigsten Probleme, die der Mensch zu lösen hat. Es ist eine Aufgabe, um die wir uns krampfhaft zu drücken suchen, indem wir konfek- tionsmässig hergestellte Lebensziele als eigene adoptieren. Der Mensch ist heutzutage bereit, die grössten Gefah- ren auf sicn zu nehmen, um ein Ziel zu erreichen, von dem man annimmt, es sei das seine: ein ihm untergescho- benes. blind von ihm übernommenes Ziel. Hingegen schaudert er ängstlich davor zurück, sich eigene Ziele zu stecken und dafür die Gefahr und Verantwortung auf sich zu nehmen. Angespannte Tätigkeit nimmt man oft als Beweis für Selbstbestimmung und eigenen Antrieb. Und doch kann ein solches Tun genau so wenig spon- tan oder selbstbestimmt sein wie das eines Hypnotisierten oder auch das eines Komödianten, der seine Rolle aus fremder H?|id empfangen, gelernt, nach fremdem Ideen unter fremder Aufsicht probiert hat und nun dar- stellt, wobei er eine Menge von Ein- »elheiten und eine Fülle Gefühl' von sich aus hergeben mag — er spielt doch nur eine ihm übertragene Rolle. Die Schwierigkeit, zu erkennen, m welch weitem Umfang unsere Wün- sche — wie Denken und Fühlen — nicht wirklich die unser;:, vielmehr von aussen uns eingepflanzt sind, steht in enger Verbindung mit dem ProDiem: Autorität Ufnd Freiheit. In der Geschichte der Neuzeit wur- de die Autorität der Kirche ersetzt durch die des Staates, die des Staates durch die des Gewissens, und letztere fand dann in unserer Aera Ersatz durch die namenlose Autorität 6er öf- fentlichen Meinung und des "common ssnse", des "gesunden Menschenver- standes", diesen Instrumenten gleich- förmiger Auspassung. Weil wir uns von den alten offenen Formen der Autori- tät befreit haben, sehen wir nicht, dass wir einer neuen Art Autorität zur Beute geworden sind. Wir snd Auto, maten geworden und leben unter der Illusion, Individualitäten eigenen Wil- lens zu sein- Diese Illusion hilft dem Individu- um, die eigene Unsicherheit nicht zu sehen, aber das ist auch die ganz*; Hilfe, die so eine Iüision bringen kau». Von seinen Grundfesten her ist das individuelle Selbst erschüttert, ge- schwächt, fühlt keine Sicherheit. Der Mensch bewegt sich in einer Welt zu der er keine natürlichen Beziehungen »lehr im. weil in ilir alles und jeder- mann und er selbst instrumentalisiert. maschi*iisiert, motorisiert und zum Be- standteilchen der Riesenmaschine ge- worden ist, die Menschenhände er- bauten. Er dei-kt iir-d fühlt und will alles, was man seiner Annahme nach von seinem Denken. Fühlen, Wolle*, erwartet. Dabei verliert er das Selbst auf dem allein sich jede natürlich* Sicherheit einer freien Individualität aufbauen kann. Dieser Selbst-Verlust, hat das Be. «lürfnis, sich anzupassen, mit allen an. deren "konform zu gehen", noch er- höht. Denn es regte sich nun in den Tiefen ein Zweifel an der eigenen Identität. "Wenn ich nichts bin als »tnrts, das man meiner Ansieht nt«h vwa vür erwartet — wer bin daa» ich"? — Wir sahen, wie der Zweifel an dem eigenen Selbst a.l.ihob mit dem Zusammenbruch der mittelalterlichen Ordnung, ;n weicht! jeder einzeme noch seinen lestbestimmter. Platz in- nehatte. Seit Descartes war die Fragt nach der Identität des Ich ein Haupt, probiern der Philosophie. Heute nimmt man es für gewiss dass wir "wir" sind. Allein der Zweifel an oem eigenep Ich lebt noch; er ist sogar mächtig gewachsen. Luigi Pirandello gab die- sem Zeitgefühl in seinen Bühnendich- tungen Ausdruck. Er beginnt mit der Fnage: "Wer bin ich? Habe ich für meine Identität einen anderen Beweis als meinen Körper, solange er da ist?'' — Seme Antwort enthält nicht wie Descartes' „Ich denke, also bin ich" eine Bestätigung des individuellen Selbst, sondern seine Verneinung: "Ich habe keine Identität ausser der einen, die nur der Reflex, c'.as Spiegelbild dessen ist, was die anderen erwarten, dass ich es sei. Ich bin, wie du mich wünschest.'' Die Identität ist dahin und diamit die Anpassung nur um so dringender geboten; kann einer doch nur dann seiner sicher sein, wer*) er dei? Erwar- tungen der anderen gemäss lebt. Ent- spricht sein Leben nicht diesem Bild, so riskiert er nicht allein Tadei und Ausschluss, sondern auch den Verlust der Identität seiner eigenen Person, lichkeit, und das heisst: Geisteskrank- heit. Wenn man mit den Erwartungen der andern konform geht, nicht "an- ders'' ist, verstummen die Zweifei an der eigenen Identit?t; eine gewisse Sicherheit ist gew.nnen. Doch die Preisgabe selbstbestimmender Spon- tanität macht einen Strich durch das Leben. Das Automaton in Menschen- gestalt, das biologisch noch lebt, ist in Geist und Gefühl etwas Totes. Es wandelt durch ein reges, bewegtes Ge- triebe, und sein Leben rinnt ihm wie Sand duren die Finger. Hinter einer Fassade von Selbstzufriedenheit ind Optimismus ist der moderne Mensch im tiefsten unglücklich. In bodenloser Verzweiflung klammert er sich an die Worte "Individualismus"' und Indivi- dualität". Ja, er will "wanders" sein; es gibt für ihn fast keine grössere Emp fehlung, als wenn irgendein Ding "et- was anderes" ist- Wandelnde Mäd- chenschablonen tragen ihre Anfangs- buchstaben, od er ihr "Tierkreiszeichen" am Busen zur Schau — alles aus Hunger nach "Anderssein", aber das alles sind nur noch letzte Spuren, die RASSENVERBRECHEN IN Im August landen im Staate Ge- orgia, der fast zur Hälfte von Farbi- gen bewohnt ist, die Gouverneurswah- len statt. Im Wahlkreis Rupert wur- de von Tausenden von Negern ein ein- ziger offiziell zur Wahl zugelassen. Die andern hatte man durch komplizierte Gesetzauslegung daran gehindert, ihr Stimmrecht auszuüben. Bei diesem einzigen Schwarzen aber war es ein- fach nicht möglich gewesen, dies Ziel au erreichen. Dieser schwarze Wähler wagte es also, abzustimmen. Am näch- sten, Abend erschienen zur Bssentetun- de vier weisse Miltner vor dem Haus von 6er Individualltat übrigblieben. Der heutige Mensch dürstet nach Le- ben; aber der Automat, zu dem er ge- worden, kann kein Dasein im Sinne freiwilliger, natürlicher Selbstbestim- mung spontan erleben, und so nimmt, er als Surrogat jede Art Aufregung und Nervenkitzel: Drinks, Sporisensa. t onen und im Kino immer wieder das Reizmittel gedrehter Schicksale eriun. dener Personen, deren spontane Ge- fühle er in Vertretung nachlebt. — Worin liegt dann heute die Bedeu- tung öer Freiheit? Sie sind Irei von äusseren Bedingun- gen.!, welche sie davon abhalten könn- ten, zu denken, zu bündeln, wie sie es für richtig halten. Sie wollten frei sem, um nach eigenem Wollen zu han- deln. Wenn sie nur wussten, was sie wollen, denken und ühlen: Sie wis- sen es nicht. Sie fügen sich anony. men Autoritäten, adoptiertr- ein frem- des Selbst, und je mehr sie sich dessen befleissigen, um so grösser der Zwang zur Anpassung. Trotz dem äusseren, dick .autgetragenen Anstrich von Op- timismus und Initiative sitzt dem Menschen das Ohnmachtsgefühl schon so un der Kehle, dass er wie gelähmt nahenden Katastrophen engegei.starrt, Oberflächlich betrachtet funktionie- re-! die Menschen wirtschaftlich und sozial noch zufriedenstellend, aber es wäre gefährlich, zu übersehen, was sich hinter diesem erfreulichen An. schein verbirgt. Wenn das Leben den S;nr verliert, weil es iueht gelebt wird, verzweifelt der M^gsch. Menschen sterben nicht einfach den physisch«.! Hungertod, Sie sterben auch nicht einfach den psychischen Hungertod. Wenn wir nur die ökonomischen Bedürfnisse des ein. Aschen Bürgers betrachten, wenn wir nicht das unbewusste Leiden aller au- tomatisierten kleinen und mittleren und grossartigen üix:stenzen genau in Betracht ziehen, übersehen w;r die Ge- fahr, die unserer Kultur von ihrem Unterbau her droht. Diese Gefahr aber oesteht in der Bereitwilligkeit, jede Ideologie uT-d Je- den Führer anzuerkennen, sofern sie nur antreibende Erregung verheissen und eine politische Neuordnung und Symbolik aufbringen, die angeblich einem individuellen Sein Sinn, Bedeu- tung, Inhalt und Ordnung verleiht. Die Verzweiflung im Automaten- Mensch bildet den trefflichsten Nähr, boden für alle faschistischen Zwecke. (Aus "Die Furcht vor die Freiheit**. Steinberg-Verlag, Zürich.) USA des Verwegenen, und forderten ihn drohend auf. zu ihnen herauszukom- men. Wenige Minuten später kehlt» der Schwarze wankend in sein Heim zurück, wo er zusammenbricht. Daa Blut rinnt aus seinem Unterleib, der von Kugeln ■ zerfetzt ist. Eine Stunde später ist der einzige schwarze Wäh- ler von Rupert tot- Die Polizei, welche in der Folge ei- ne Untersuchung durchführt, kann nur feststellen, dass der Schwarze von «ei- nen weissen Besuchern umgebracht worden ist, angeblich "aus Notwehr". Nun die »weite Geschichte, Ibsa- 8 DAS ANDERE DEUTSCHLAND falls im Staate Georgia ist ein schwar- zer Landarbeiter verha-ftes worden, dem man vorwirft, einen Weissen mit einem Dolch verletzt zu haben Er bleibt zehn Tage im Gefängnis, danr. wird er von seiner Frau, von seiner Schwägerin, von seinem Schwager ab- geholt, die zusammen mit dem wei- ssen Arbeitgeber vorfahren, der oe- haupte, "er brauche seinen Neger" dringend für die Erntearbeiten und darum eine Kaution von 600 Dollar hinterlegt. Zehn Kilometer vom Gefängnis ent- fernt muss das Auto anhalten, weil ein quer über die Strasse gestellter Wagen das Weiterfahren unmöglich macht. Zwanzig weisse, mit Geweh- ren bewaffnete Männer warten. Sie zwingen den Neger auszusteigen, und wie sie neben ihm seinen Schwager sehen, ruft der Bandenchef: "Charly, komm auch heraus." "Aber ich bin ja gar nicht Charly", antwortet der erschrockene Schwarze, "ich heisse George." "Steig aus", antwortet eine Stimme aus dem Dunkel. Wie nun die beiden Frauen vor Angst zu heulen beginnen, bestimmt BERICHTE Die neuen Originalberichte aus Deutschland, die bis Ende Oktober reichen, sind diesmal besonders aus- führlfch und interessant. Die Fülle des verarbeiteten Materila vermittelt Im ganzen ein sehr trübes Bild, das In Einklang steht mit deiD letzten Alarmmeldungen über Hunger und Verleumdung, wie sie die Presse ge- meldet hat. Im ganzen gesehen, schneidet die russische Zone erheblich besser ab als die westlichen, nicht etwa nur weil die Ernährung dort leichter Ist als in den westlichen Ge- bieten, deren Bevölkerung wie wir gemeldet, um 23 o|o angewachsen ist, sondern infolge einer — wenn es für den Wiederaufbau Russlands nötig Ist — zwar rücksichtslosen, im übri- gen aber klügeren und bewussteren Politik, die aufbaut und nicht immer weiter absinken lässt. Wir fassen im folgenden die wich- tigsten Meldungen zusammen: Wirtschaft Den alliierten Besatzungsbehörden im Westen wird ohne Unterschied der Zonen vorgeworfen, dass sie die deut- sche Industrie z. T. zerstört haben önd weiterhin drosseln, um die deut- sehe Konkurrenz auszuschalten. Im französischen Gebiet werden z. B. die chemische Industrie, die sich in gu- ter Entwicklung befand, ikaniert und gehemmt im Interessen der französischen Industrie; die Herstel- lung des dringendst benötigten Peni- zillin stossen auf Schwierigkeiten, da USA sich das Monopol sichern wol- le; im britischen Gebiet habe man nicht auf die Gewerkschaften gehört und infolgedessen mangelnde Voraus- sicht gezeigt und falsch disponiert; die Maschinen seien vielfach völlig abgenutzt, und es fehlten häufig die Ersatzteile, so dass mit dem Erliegen die Stimme aus dem Dunkel: "Lass die Weiber auch aussteigen." Der Weisse am Steuer beginnt zu zit- tern. "Du erkennst bestimmt niemanden von uns", droht die unbekannte Stim- me. "Wein. ich Kenne niemand." "Dann schweig und gib acht, dass dir nichts passiert." Darauf führen die bewaffneten Männer die beiden Neger und ihre Frauen ab. binden sie an einen Baum und fangen an, auf sie zu schiessen. Nach wenigen Augenblicken bewegen sich die Opler nicht mehr — sie stir.d tot. Der weisse Arbeitgeber wagt spä- ter aus Angst nichts auszusagen. Er schwört, er erinnere sich an keine Ein- zelheiten mehr. Es nützt nichts, dass der Gouverneur des Staates eine Un- tersuchung anordnet; es nützt ebenso wenig etwas, dass Präsident Truman in Washington zahllose Protestschrei- ben erhält. Die Mörder werden nicht gefunden, trotzdem jedermann weiss, cfass es sich um eine Untat des Ku- Klux-Klans handelt, der damit sein vieler Fabriken gerechnet werden müsse. Ein übermässig grosser Teil der Ruhrkohle werde ins Ausland ge- bracht; ohne sie sei aber eine Bele- bung der deutschen Industrie unmög- lich. In Holland und Belgien herrsche Unzufriedenheit, da die egoistische Politik der angelsächsischen Mächte ein Wiederaufleben des Handels mit Deutschland unmöglich mache. Im September sei im britischen Gebiet die Zahl der Arbeitslosen um 124.000 festlegen. In der russischen Zone dauern die Abmontierungen von Maschinen wei- ter an. Dagegen werden die ausge- räumten Fabriken mit möglichster Beschleunigung wieder in Gang ge- setzt sinnlose Zerstörung von Fabri- ken — sinnlos, soweit sie nicht die deutsche Konkurrenz für die Zu- kunft vernichten sollen! — wie sie im Westen erfolgt ist, gibt ps in der russischen Zone überhaupt nicht. Ob- wohl sich teils wegen des Arbeiter- transports nach Russland und dem Balkan ein Mangel an Facharbeitern bemerkbar mache, vollziehe sich der Wiederaufbau der Industrie rasch und werde durch den Optimismus der Arbeiter gefördert. Die Arbeiter ge- gen zumeist freiwillig nach Russland oder dem Balkan; die Kontrakte seien gut; viele sollten in Russland nur Arbeiter anlernen und dann zu- rückkehren. Das gilt auch für Leiter von Sozialanstalten und Baugenos- senschaften. Die Freie Deutsche Ju- gend übernehme die Schulung von Lehrlingen, die dann nach Russland gingen. Das geschehe ohne Druck, wie auch die früheren Gerüchte über gewaltsame Verschleppung Jugendli- cher unzutreffend seien. Die Russen arbeiteten bei allen wirtschaftlichen Massnahmen im Ge- gensatz zu den Westmächten, vor &1- Ziel erreicht hat, nämlich die Schwar- zen in den Südstaaten noch mehr als bisher einzuschüchtern. Eine Woche später wird ein schwar- zer Landarbeiter, dem man vorwirft, einem weissen Pflanzer einen Sattel gestohlen zu haben, ins Gefängnis ge- steckt. Einige Tage später erscheint der weisse Pflanzer vor dem Gefäng- nis. Er erklärt, er brauche öen Neger für die Maisernte, zahlt lä Dollar und darf darauf den Schwarzen mit sich nehmen. Er führt ihn auf eine Wiese wo weisse Männer warten, die mit Stricken und Peitschen ausgerüstet sind Der Neger wird verprügelt, bis er am ganzen Körper blutet. Einige Tage später fundet man seine Leiche in einem Teiche, 100 Kilometer von der Exekutionss-telie entfernt. Die Schuldigen werden festgenommen. Es linden dreistündige Gerichtsverhand- lungen statt, bei denen festgestellt wird, dass der Neger den Sattel gar nicht gestohlen haben kann. Dar.ach werden die Weissen nach Hinterle- gung von einer Kaution von 2000 Dol- lar freigelassen und die Verhandlun- gen auf nächsten Herbst verschoben, hpl lern zu den Amerikanern und Fran- zosen, eng mit den Gewerkschaften zusammen, die in jeder Weise geför- dert und auch durch Sonderspenden bevorzugt würden. Diejenigen Unternehmer der West- zone, die mit den Russen Geschäfte schliesset!, sind sehr zufrieden mit der schnellen und korrekten Erledi- gung, die im Gegensatz stehe zu den bürokratischen Schikanen und Ver- zögerungen in den westlichen Zonen. Ernährung und Gesundheit Die Ernährungslage hat sich im Westen nicht gebessert. Die Rationen betragen teils nur die Hälfte des Exi- stenzminimums. Die Entkräftung uhd der Verfall nehmen zu. Arbeiter an der Maschine, Lehrer in der Schule werden häufig ohnmächtigt. — Die Krankheiten verbreiten sich weiter. Der völlige Mangel an Seife führt zu Hautkrankheiten, von denen die Krätze besonders unter der Schulju- gend um sich greift. Im französi- schen Sektor fehlen Milch und But- ter, weil sie für die Besatzung be- schlagnahmt werden. Die vor der j .12 stehende Schu z. T. nicht arbeitsfähig. Die jungen Mädchen leiden unter schweren Un- regelmässigkeiten der Menstruation. Die Ernährungslage verschlechter sich auch dadurch, dass keine Mittel zur Bekämpfung der Obstschädlinge vor- handen sind. Es fehlt an den not- wendigsten Medikamenten. Man rechnet mit schnellem Ansteigen der Sterbeziffer durch Entkräftung und durch Krankheiten. Aus der russischen Zone klingen die Nachrichten im allgemeinen besser. Im besonderen wird gemeldet, dass die Russen für Prothesen und für Um- schulung der Kriegsverletaten sorgen. AUS DEUTSCHLAND DAS ANDERE DEUTSCHLAND 9 denen gesagt wird, dass nur völlig Ar- beitsunfähige Rente erhalten. Aus einem Gebiet wird gemeldet, den Bauern würden Pferde wagge- nommen und für die russischen Sol- daten geschlachtet, so dass manche Bauern es vorzögen, 3—4 Stunden lang einen Handwagen zum Markt zu ziehen. Politik und Stimmung der Bevölkerung Die Versuche der Franzosen, die Bevölkerung für sich und für ihrt Angliederungspläna zu gewinnen kön- nen als gescheitert gelten. Da sie ihre Ziele bei den anderen Mächten nicht durchsetzen könnten, kehrten sie mehr die Sieger hervor. Sie beschlag- nahmten so viel und schickten so vie.e Pakete nach Frankreich, speziell aus Berlin, dass man sage: wie die SS ui Frankreich. Sie bevorzugten die Be- sitzenden, die Reaktionäre, die Ka- tholischen Organisationen. Die oppor tunistischen Kollaborationisten, aucn die Künstler und Musiker, stiessen auf wachsende Ablehnung der brei- ten Volksmassen. Wörtlich heisst es Den hungernden Volksmassen, den Menschen, die oftmals durch die Be- setzung ihre Wohnung verloren ha- ben, den Frauen, die sehen, wie gut es denen geht, die sich den Franzosen als Maitressen anbiedern, kann man nun einmal nicht Liebe zu Frank- reich beibringen, wenn man so oft im Alltag den Herrenstundpunkt und die Hochmütigkeit der Sieger zeigt. Die letzten Reden des franz. Mini- sters Schneiter haben einen sehr un- günstigen ttinor«. rechnet ihn zu den Menschen, die niemals eine Verständigung mit Deutschland wollen, und gleich gar- nicht ein Aufgehen in die Vereinig- ten Staaten von Europa. Oesters geben einen französische Offiziere zu verstehen, dass sich ja das deutsche Volk so eifrig um die Musikveranstaltungen, Vorträge und Ausstellungen französischer Kunst bemühe und bisher alle diese Dar- bietungen einen sehr guten bis zu ei- nem überfüllten Besuch hatten. Da- mit sollten sich aber die Franzosen nicht zufrieden geben. Der Eindruck täuscht. Den Deutschen, die garnicht? haben, ist es eine Abwechslung. Wenn in der französischen Zone von wachsender Erbitterung die Re- de ist, so herrscht in der britischen nach unseren Berichten teils geradezu Aufruhrstimmung. Mau meint dort vielfach, ebenso wie in der amerika- nischen Zone, dass die Siegermächte aus Konkurrenzgründen die deutsche Industrie vernichten wollten. Fragen, wie man über die wahnsinnige Kriegs- verlängerung durch die Hitlerdiktatur denke, werden beantwortet, darauf käme es auch nicht an, da die West- mächte es so oder so doch auf die Vernichtung der deutschen Industrie abgesehen hätten. Andererseits er- fährt man, dass der Nürnberger Pro- zess sehr wenig .Interesse erregt ha- be; die siegreichen Mächten hätten ja selbst freundschaftlich mit den Nazis und der Hitlerdiktatur verkehrt. In der russischen Zone wird eiiie nationale Propaganda von den Be- satzungsbehörden gefördert, die fast an ' die gemeinsame nationalistische Aktion von Goebbels und Radek (Schlageter — "Der Wanderer ins Nichts") erinnert. Frühere Offiziere und SED-Mitglieder halten Vorträge, in denen gesagt wird, der vaterländi- sche Idealismus der deutschen Ju- gend» wie er sich bei Langemark ge- zeigt habe, sei von den Nazis irrege- leitet worden. Die Sowjetunion gebe das Beispiel, wie diese notwendig? Vaterlandsliebe positiv zur Verteidi- gung des Vaterlandes verwendet wer- den müsse. Ebert Sohn — national wie sein Vater — verwendet jetzt seinen Nationalismus umgekehrt wie jener für diese Propaganda zugunsten der Russen. Es wird gemeldet, dass diese russische Unterstützung des Na- tionalismus begrüsst werde mit den Worten: "die Russen respektieren Deutschland". Augenscheinlich reel ?n die Rus- sen mit einem baldigen neuen Krieg als Möglichkeit. Dem dient die na- tionale Propaganda, durch die sie die Deutschen auf ihre Seite ziehen wollen. Zur Vorbereitung auf einen eventuellen Krieg gehört es auch, dass das Gebiet östlich der Oder und süd- lich Frankfurt in 30 km Breite nicht mehr besiedelt und bebaut werden soll, und eine uns aus der Schweiz zugegangene Mitteilung, nach der die Inseln Usedom und Wollin — Zugang zur Oder! — von Deutschen eva- kuiert werden. Und die "Frankfurter Rundschau" bringt amerikanische Meldungen über Herstellung von Kriegsmaterial in der russischen Zo- RUSSISCHEN ZONS Die SED- Bildung hat den Russen die Niederlage gebracht. Besser gesagt wie sie gebildet wurde. Dieses Eiltem- po war verdächtig. Zudem darf/ auch wenig gesagt werden, dass die dabei mitwirkenden ehemaligen SPD-Spit- zen alles andere als populär waren. Der Berliner Wähler trat niemals in eine enge persönliche Beziehung zu den Kandidaten. Die SPD konnte auch abgesehen von den Namen Paul Löbe. Luise Schröder, Wissel keine bekannten Figuren herausstellen. Der prachtvolle Aktivist Franz Naumann war gewiss eine Zugkraft, aber mehr durch die Verfolgung die ihm die Russen die Ehre machten. Man muss auch sagen, dass die Berliner Wähler in allerrester Lnie den t.blen Opportunisten der SED einen Streich spielen wollten. Diese Typen waren schon die ganze Zeit verhasst. Es ist nun, vielfach gefragt worden, ob nicht auch die anderen Zonenge- bieten schwerste Niederlage der Kommunisten gebracht hätten, wenn noch eine SPD zugelassen worden wäre. Es ist nicht leicht die Frage mit eihem vollen Ja zu beantworten. Dazu hätte weit mehr Zivilcourage gehört, als in Gross-Berlin notwen- dig war. Wäre Berlin nicht in 4 Zone« ein- geteilt, so wäre keinesfalls dieses ne und über die Bildung von zwei deutschen Armeen aus deutschen Kriegsgefangenen, dis unter Füh- rung deutscher Offiziere feldmarsch- mässig ausgerüstet im Inneren Russ- lands Manöver durchführten. Darf man bei der letzten Nach- richt wohl ein paar Flagezeichen machen, so besteht über die ungün- stige Entwicklung der Stimmung in Deutschland wohl leider kein Zwei- fel. Hunger und Not und Aussichts- losigkeit, der Widerspruch zwischen den schönen Worten der letzten Zeit und den unerbittlichen Tatsachen, unter denen man leidet oder an de- nen man zugrundegeht, schaffen in den Westzonen Hass, neuen Natio- nalismus und Apathie oder Revan- chegedanken. Andererseits wird gemeldet, dass sich Hoffnungen und Sympathien vielfach der Sowetunion zuwenden. Der Wahlausfall ■ dürfe nicht über- schätzt werden. Die SPD leide dar- unter. dass man ihr Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten vorwerfe und sie verantwortlich mache (Schu- macher hat gerade erklärt, die SP könne die Verantwortung nicht län- ger tragen; man könne die Sozialde- mokraten nicht zueinander zwingen). Dis KP gewänne neue Mitglieder un- ter den Arbeitern, da sie ihre Haupt- tätigkeit in die Gewerkschaften ver- lege, die früher oder später eine wich- tige Rolle spielten müssten aber auch unter den Bauern, die von der Bo- denreform im Osten beeindruckt würden. nesultat zustandegekommen. Aus dem Westen, brit. Zone vorliegenden Berichten ist oftmals bemerkt wor- den, dass dort die SPD verhältnis- mässig schlecht abgeschnitten hat, weil sie zu sehr mit dem Regime der Engländer identifiziert wurde. Der Wahlsieg in Berlin hätte nor- malerweise einen Freudentaumel aus- gelöst in der Siegerpartei. Dem war aber nicht so. Die gewählten Vertre- ter waren sehr nüchtern geblieben. Sie sind sich der schweren Bürde voll bewusst und wissen, was es heisst hier ein Mandat auszuüben mit vol- lem Bekennermut. Es war sehr leicht in der geheimen-korrekten Wahl die Stimme der SPD zu geben. Man solle mehr an die Vertreter denken. Zudem ist ja nicht besonders' gut abgeklärt, welche Polizeirechte in Berlin Geltung haben. Dies hat ge- rade die Familien-"Verladung" hei den nach Russland angeworbenen Ber- linern dieser Tage erst wieder ge- zeigt. Es ist nicht anzunehmen, dass die Russen nun Berlin schikanieren und demütigen. Sie werden allerdings in der SED-Füh rergarnitur eine, vielleicht auch einige "Reinigungen" anregen, besser gesagt aufzwingen. Berlin wird zeigen, dass die Rus- sen durchaus nicht immer nur mit den Kommunisten arbeiten. Sie wün- ZU DEN WAHLEN IN BERLIN UND IN DER 10 DAS ANDiüE DEUTSCHLAND scheja Kontakt mit der stärksten Par- tei, damit sie wenig Arbeit haben. Das sprechen die russischen Vertre- ter ganz offen aus. Man darf auch sagen, dass der Wählsieg der SPD den Frauen zu verdanken ist, Und hier wieder war einmal das massgebend, was aie Frauen erlebt hatten, als die Russen einzogen, und noch mehr das, was die Russen und ihre SED-Bürgermeisterei den Berliner Frauen zugemutet hat- ten an Lasten und Demütigungen. Da rächten sie sich für die zuge- mutete Schwerarbeit und die grosse Benachteiligung bei der Ernährung, die eine Hausfrau hatte, die nicht die Schwerarbeit leisten konnte. Und gerade bei der Befreiung von der Schwerarbeit war den Frauen In Berlin manche "parteiische" Ent- scheidung zuteil geworden, wo man immer mehr erreicht, wenn man zur SED hielt. Es wurde von unseren Mitarbeitern, die sich auf alle 20 Verwaltungsbe- zirke verteilen auch versucht nach der Wahl Unterlagen darüber zu erlangen, wie nun die spontane Mit- gliederwerbung bei der unabhäng. Sozialdemokratie sein würde. Da hat sich ab6r ergeben,' dass die Anmeldungen keinesfalls besonders zahlreich sind. Zur Anmeldung in die Partei gehört eben bereits wieder Mut. Wenn aber die Soz. Partei nicht In die Lage kommt ihre Mitglieder- zahlen enorm zu erhöhen, kommt sis in grosse Verlegenheit künftig ihre Politik wirken und werben zu lassen. Dass die Russen Dr. Schumacher «in Redeverbot auferlegten, hat der Soz. Partei nur Nutzen gebracht. Der Stammberliner wehrt sich besonders heftig gegen einen Maulkorb. Die inzwischen von SED-Seite zu- gegangenen Angebote auf Zusammen- arbeit geben der Soz. Partei schwere Aufgaben auf. Bekanntlich wollen auch die meisten Sozialdemokraten die Aktionseinheit der Arbeiterklasse. Dafür traten besonders immer die Berliner SPD-Qewerkschaften ent- schieden ein und hatteff selbst in kommunistischen Betrieben damit ei- nen festen Boden unter den Füssen. Die Einheit der Aktion nunmehr ab- zulehnen, ist keine leichte Sache, nun Wir glauben nicht, dass die So- zialisten nunmehr bei Verteilung der einzelnen Posten eine Art Kartell mit den bürgerlichen Gruppen bilden. Dieser Weg würde bestimmt man- chen Arbeiter abstossen, der sich wie ein Held im Betrieb den Kommuni- sten widersetzte. Unsere Mitarbeiter haben genug Einblick in die beiden bürgerlichen Gruppen, dass sie genau wissen, wie dort der linke Flügel schwersten Kampf zu bestehen hat. Efc wird gewiss so kommen, dass mancher Be- schluss in der Sozialpolitik die Frak- tionsfesseln sprengen wirH. In den anderen Zonen haben die bürgerlichen Gruppen solche Wäh- lermaasen mobilisieren können, dass «an gut 30—40 o!o der Wähler aus dar Arbeiterkitsse dabei findet. Ber- ne he* Idar eine «ödere Welle ge- Es Ist nicht schwer gewesen die Ursachen festzustellen. Berlin kennt keine Beeinflussung durch Ortsverei- ne und Kirchenmacht, die sonst eben doch die grösste Rolle spielt. Es ist ja bekannt, wie wenig laute Propa- ganda auch in der russischen Zone die CDU und LDP machen konnte, es fehlte Papier und alles sonstige Demokratie und Diskussion Es gibt kein treffendes deutsche:; Wort für "diskutieren", wie denn un- serer Sprache die eigenen Ausdrücke für politische Begriffe fast ganz feh- len. Das rührt daher, dass die Deut- schen dem Wesen nach unpolitische Menschen sind, die im Grunde ihrer Seele nichts so sehr wünschen, als von Politik unbehelligt zu bleiben und einer väterlichen Herrschaft zu ver- trauen, die ihnen die Sorge darum ab- nimmt. Das ist ein Mangel, der mit grossen Nachteilen verknüpft ist, weil Fremdworte, die dem natürlichen Ver- stand nichts sagen, immer zu Miss- deutungen verleiten. Aber wir können ee nicht ändern. Diskutieren ist eine Kunst. Wer sie beherrschen will, muss eine Reihe von Eigenschaften besitzen. Vor allem muss er den Gegenstand, über den diskutiert werden soll, so genau wie möglich kennen; er muss eine klare Meinung darüber haben und imstan- de sein, sie zu vertreten; dazu muss er die Sprache innehaben, damit sie ihm gehorcht und immer die richti- gen Ausdrücke zur Verfügung stellt; überhaupt muss er fliessend und oh- n. Stocken reden können (jeder weiss, wie selten solche Fähigkeiten bei uns sind). Ferner muss er geistig be- weglich sein, um sich den Ausfüh- rungen der Gegner rasch anpassen, das Wesentliche daran erfassen und schlagfertig darauf erwidern zu kön- nen. Die Kunst der Diskussion ist in Deutschland noch weithin unbekannt. Wenn Gegner zusammenkommen, dann erschlagen sie sich gegenseitig mit massiven Phrasen; es kommt ihnen nicht darauf an, zu lernen, ein Pro- blem zu klären. Jeder hält steif und stur nur an dem fest, was er sich (oft mühsam) an Erkenntnis errungen hat; er spricht vor allem für seine Parteigänger, von denen er gelobt sein will, nicht um die andern zu über- zeugen. Es fehlt bei uns ganz das Wichtigste: die Bereitwilligkeit des Verstehenwollens, des Einander-gel- ten-lassens, der Wunsch nach Er- kenntnis. Ohne diese Eigenschaften aber bleibt jede Diskussion unfrucht- bar, und sie wird leicht scharf und verletzend. Diskutieren aber ist die Grundlage der Demokratie. Denn nur durch Dis- kussion kann sich eine echte öffent- liche Meinung bilden, eine andere Quelle dafür gibt es nicht. Und ohne echte öffentliche Meinung gibt es kei- ne Demokratie. Eine öffentliche Mei- nung aber, die, wie es bei uns der Fall war, von der Presse oder der Regierung, von Parteisekretären und Radio dem braven Volke suggeriert wird, ist keine echte Meinung des Vol- kes. (Heilbrunner Stimme, ISAM). Material zur Werbung; Aber es wur- de gute Kleinarbeit geleistet, auch ein wenig gehetzt mit Flüsterworten. „Zigaretten-Oekonomie" nennt Reinhold Niebuhr in "The Nation'' vom 5. 10. 1946 die wirt- schaftliche Lage im westlichen Deutschland. "Demokratie", so schreibt er, kann nur da gedeihen, wo es zum mindesten eine gewisse wirt- schaftliche Gesundheit gibt; aber wir lassen zu, dass das westliche Deutsch- land in einer phantastischen "Ziga- retten-Oekonomie" dahin siecht, einer Mangel-Oekonomie, in der keine Konsumgüter zur Verfügung stehen, und in der alle ausser den Bauern hungern. ... Die industrielle Produktion in Deutschland ist so gering, dass der etwas über dreissig Millionen Dollar- Wert der Exportwaren, die das Land in einem Jahr angesammelt hat, nicht sein Ernährungsmittel des izit für drei Monate decken würde, sogar nicht einmal bei dem gegenwärtigen Hun- gerkonsum. Die Besatzungskosten verschlingen alles, was etwas an Ueberschuss zusammengebracht wer- den könnte. Die Russen haben die Oekonomie Osteuropas an ihre eige- ne angeschlossen. Ihre grosse Armut an Konsumgütern verhindert sie aber, den Lebensstandard in ihrer Zone zu erhöhen. Anderenfalls könn- ten sie unsere Position völlig unhalt- bar machen. Die britische und ame- rikanische Zone haben einen besse- ren Lebensmittelstandard, weil ihre Truppen nicht von dem Land leben. Den kleinen Vorteil, dessen sich un- sere Zone erfreut, verdanken wir der grösseren Lebensmittelknappheit in der britischen Zone und dem Mangel in England selbst. Die allgemeine wirtschaftliche Paralyse ist in der britischen Zone schlimmer als in un- serer, aber das Volk hungert überall, und die Erkrankungen durch Unter- ernährung nehmen »ju. Zu dem Hungereiend kommt das Elend der Uebervölkerung. Zwei und ein Viertel Person pro Zimmer ist der Durchschnitt in Deutschland. Und die Uebervölkerung ist in ständiger Zu- nahme begriffen durch unsere Po- litik, die die Bewohner zwingt, un- gefähr 100.000 Deutsche aus der Tschechoslowakei, Schlesien und Un- garn monatlich aufzunehmen. Wenn dieser Prozess durchgeführt ist, wirH die Einwohnerzahl von siebzehn Mil- lionen Deutscher in unserer Zone sich noch um zwei und eine Viertel- million vertriebener Deutscher ver- mehren. Und als ob wir diese Schwierigkei- ten noch vermehren wollten, ver- treiben wir immer mehr Deutsche aus ihren Heimstätten, um für die Familien der englischen und ameri- kanischen Truppen Platz zu schaffen. Eben haben die Engländer allein m Hamburg 16.000 Deutsche vertrieben. Gewöhnlich müssen vier oder fünf deutsche Familien vertrieben werden, um für eine amerikanische oder eng- lische Qffüüersfamilie Platz au schaf- fen, die scheinbar einen so luxuriösen DAS ANDERE DEUTSCHLAND H Lebensstandard oeanspruchen, wie sie sich ihn nie zuvor erlauben oder ertr; "'nen konnten. Die Gegensätze sind phantastisch und haben einen schlechten Einfluss auf die deutsche Moral. Ausserdem sind der Reich- tum und die Macht auf der einen Sei- te und die Armut und Schwäche aui der anderen in hohem Masse verant- wortlich für die sexuelle Unmoral ei- nes Besatzungsheeres. Was kann man erwarten, wenn ein Paket Zigaretten das den Geber sieben Cent kostet, für den Empfänger ein Monatsgehalt be- deutet? Andere Nachrichten aus Deutschland Zonenschwierigkeiten. Der D-Zug Hamburg-Köln-München fährt durcn die französische Zone mit plombier- ten Wagen. In der britischen Zone beginnt das LEBENSMITTELKARTEN SCHEN ZONE Die nachfolgenden Ausführungen, die ein grelles Licht auf die Not der deutschen Bevölkerung in der franzö- sischen Zone werten, entnehmen wir einem Briefe des Vertreters des Uni- tarian Service Committee, Herman Ebeling, der sich im August mit der jCralog-Delegation in die französisch- .beseitete Zone Deutnchlands begeben hat: „Wer in der französischen Zone auf die offiziellen Lebensmittelrationen angewiesen ist, ist zum Tode verur- teilt. Das ist nicht nur das Urteil der Deutschen, mit denen ich binher ge- sprochen habe. Hohe französische Of- fiziere des Oeffentlichen Gesundheits- wesens sind der gleichen Meinung. Es bedrückt und beunruhigt sie. Sie wis- sen, dass die meisten Menschen, um sich lebens- und arbeitsfähig zu er- halten, zusätzliche Lebensmittel auf dem schwarzen Markt kaufen müssen. Wie lange das weite Schichten des Volkes noch tun können, ist eine ern- ste Frage. Der Preisstop hält zwar noch an. Die Löhne sind so niedrig wie früher — oder niedriger. Die Steuern aber sind gestiegen und fres- sen einen grossen Teil den Einkom- mens auf. Der schwarze Markt ist ein unerbittlicher Moloch, eine mitleidslo- se Verarmungsmaschine. Er saugt das während des Krieges ersparte Geld in schnellem Tempo auf. Profitieren können auf die Dauer nur ein paar Schieber. Die Massen des Volken wer- den sehr bald auch noch die Stütze des Papieres, das sie als Geld zu schätzen verlernt haben, verlieren. Während noch vor einem Jahre je- dermann im Gelde zu schwimmen schien, machen sich heute* bereits die ersten Anzeichen eiser beginnen- den Geldknappheit bemerkbar. Der schwarze Markt wird zwangsläufig Kunden verlieren, und der Hunger wird noch grössere Verheerungen an- richten. Doch das ist "Zukunftsmusik" wenn auch niederdrückende Trauer- musik. Sehen wir die Dinge no, wie sie jettet sind. General D. von der S.antg Publique wies mich bei unserer ersten Unterredung darauf sorgenvoll Schuljahr wie früher überall in Deutschland Ostern, in der amerika- nischen am 1. September. Die Zollrevision an der Schweizer Grenze wird von deutschen Beamten sehr rigoros und genau durchgeführt, — Man darf bis 300 Zigaretten mit- nehmen und muss pro Stück 20 Pf. Zoll zahlen. In 3 Tagen 1753 Urteile wurden we- gen Vergehen gegen die Verkehrsord- nung gegen Angehörige der engli- schen und amerikanischen Armeen ausgesprochen. Die Zahl der Ver- kehrsunfälle im besetzten Deutsch- land ist zwölf mal so gross als in USA. Drei Richter in Zwickau wurden we- gen zu milder Urteile gegen Nazis ihres Amtes entsetzt und zu lebens- länglicher Arbeit im Bergbau verur- teilt. IN DER FRANZOESI- hin. Waisenheime, Hospitäler, Heilan- stalten, Kinder- und Altersheime ha- ben nicht das Budget, um auf dem schwarzen Markt für horrendes Geld unerlässliche, lebenerhaltende Kalo- rien zu kaufen. Hier müssen Men- schen von den offiziellen Rationen leben. Hier ist die Not unermesslich. Hier muss unsere Hilfe zuerst einset- zen und zwar schnell und reichlich. Ein französischer Offizier sagte mir: Wenn heute ein gesunder Mensch ins Gefängnis eingeliefert wird, dann er- hält er nur die offiziellen Rationen; und das bedeutet, dass in wenigen Wochen eine kranke, schwache, apa- thische, heruntergekommene Kreatur aus ihm geworden ist. Die Not ist gross. Jeder, der nier lebt, kann das sehen. Dazu sind kei- ne wissenschaftliche Studien und Ue- bersichten nötig, kein Herumbalgen mit langen Statistiken und toten Zah- len. Von 650 täglichen Kalorien leben zum Teil die Menschen, wurde mir gesagt. Sterben sie, wäre ein treffen- derer Ausdruck. Das sind 250 Gramm Brot, 12 1|2 Gramm Fleisch und Zwi- schen 2 und 4 Gramm Fett täglich. Kein Zucker, keine Nährmittel wie Nudeln oder Reis, keine Marmelade oder sonstiger Brotaufstrich. Zucker — davon träumen die Menschen nur noch. Man sträubt sich, es zu glauben. Ich habe mir die Lebensmittelkarten des Monats August angesehen und von ei- ner deutschen Hausfrau erklären las- sen. Es sind solide, ordentlich ausse- hende Karten auf grünem Kriegspa- pier. Auf der linken Seite stehen die Dinge, die „offiziell" erhältlich sind: Brot, Zucker, Fett, Fleisch, Nährmit- tel, Sonderzuteilungen A, B und C. Rechts schliessen sich sechs oder sie- ben Coupons an. Dias sieht gar nicht so schlecht aus. Aber nur Brot und Fleisch und Fett waren zur Gänze ver- teilt worden. Von den etwa zwanzig Coupons der Sonderzuteilungen fehl- te einer. Kartoffeln hatte es dafür ge- geben. Die Zuckercoupons waren gut erhalten. Jetzt ist September. Was neben den knurrenden Magen von den Augustkarten übrig geblieben ist, ist wertloses bedrucktes Kriegspapier. Mitteilung des Deutschland-Hilfswerks Freipakete. Das Deutschland-Hilfs- werk schickt Lebensmittel sin deutsche Antifaschisten und ihre Familien. Es hilft denen, die aus den Konzentrati- onslagern befreit wurde«, und tien An. gehörigen der Genossen, die unter dem Hitiererror ermordet wurden. Es un- terstützt die freiheitlichen Deutschen, die heute wieder ihre ganze Kraft beim Aufbau eines neuen Deutschlands einsetzen. Aus Hamburg: "Liebe Genossen! Eu- er herrliches Fettpaket wurde voq meiner Familie mit grosser Freude in Empfang genommen. Wenn Ihr die leuchtenden Augen meiner Buben ge- sehen hättet, die 8-und 10-jährig und immer huicgrig sind, dann hättet Ihr Euch sicher amch gefreut. Wir dan- ken Euch sehr herzlich für dieses Zei- chen echter Solidarität und verspre- chen Euch, dass wir alle Kraft anwen- den werden, um durch Verständigung über die Grenzen den Volksfrieden zu sichern. Mit sozialistischen Grüsisen Heinrich Rase, Gerda Rase, Hamburg." Grete Henry ist im Mai aus England nach Deutschland zurückgekehrt. Sie arbeitet in Bremen ijc der Lehreraus- bildung: "Für das wunderbare Lebens, mittelpaket, das ich von Ihnen bekom- men habe, vielen herzlichen Dank! Die Hilfe, die eine solche Senkung bedeu- tet, macht sich unmittelbar wohltu- end bemerkbar. Wenn wir unsere ra- tionsgemäss recht magere Koeb mit, den gehaltvollen Gaben Ihres Pakets aufbessern, fühlen wir fast unmittel- bar den Zuwachs an Widerstandskraft und Energie, den wir damit erhal- ten. Und zu der Freude über diese Hilfe tritt das inicht minder beglük- kende Bewusstsein, dass es die inter- nationale Solidarität von Gesinnungs- genossen ist, die uns hier entgegen- kommt." , Frida Paul ist in Bremen in der Par- tei und in der Arbeiterwohlfahrt tä. tig. Sie schreibt: "5{ür das über Oolis Luisse gespendete Lebensmittelpaket sage ich Euch hiermit meinen herz- lichsten Dank! Es lässt sich eigentlich schwer erzählen, was uns ein solches Paket bedeutet. Da ist erstmal die Freude über die Solidarität, und dass es wieder möglich ist, sie zu spüren. Und dann der tatsächliche Zusatz für unsere Ernährung. Man kanju sagen, es macht sich beinahe unmittelbar be- merkbar. Man spürt seine Kräfte wie- der. Und wir haben es auch so bit- ter nötig unsere Kraft; denn die Ar- beit, die vor uns liegt, ist riesengross-' Die Pakete werden vom Internatio- nal und Relief Committee, Stockholm, von der Schwezerischen Arbeiterhilfe, Zürich, nach Deutschland geschickt. Regeiyäsige Mcnatszahlungen sind die Grundlage ühserer Arbeit. Nur wenn wir im Voraus disponieren kön- nen, ist es möglich, wirksame und 11 DAS ANDIKE DEUTSCHLAND DAS GESICHT DER ZEIT Liuki über Militarismus in USA: Nicht zuletzt besteht eine wirkliche Gefahr in der in letzter Zeit sich voll- ziehenden Machterhebung der Mili- tärs. Das Recht des „Combined Stalf", über die Köpfe von zwei Sekretären hinwegzugehen und unter der direkten Autorität des Präsidenten zu handeln, schafft die ernste Gefahr, dass die Kontinuität der Zivilkontrolle über die Kaste des Militärs die für jede demo- kratische Gesellschaft fundamental ist, unterbrochen wird. Und diese Mili- tärherrscha-ft ist umso gefährlicher, als die Natur der modernen Kriegs- fübrung die Armee- und Flottenchefs in Beziehungen zu der Grossindustrie bringt. Das Resultat einer solchen Entwicklung — die Abwesenheit einer starken Zivilkontrolle — zeigte sich in seiner nackten Simplizität in Deutschland. Smuts, der südafrikanische Ministerpräsi- dent, zeichnet sich durch besonders schöne Reden über Frieden, Gerech- tigkeit und Menschlichkeit aus. Sche- de, dass er nicht im eigenen Lande danach handelt! In den Rand-Goldminen haben 50 000 schwarze Arbeiter gestreikt. Der Streik drohte auf weitere 150-0C0 Ar- beiter überzugreifen. Smuts erklärte den Streik als illegal, und seine Poli- zei feuerte auf die Streikenden, wo- bei sechs Arbeiter getötet und etwa 450 verwundet wurden. Das war die Antwort auf die unerhörte Forderung der Streikenden: 2 Dollars pro Tag, statt bisher 0 45 nebst Beköstigung. Schostakovitschs Neunte Symphonie auf dem index? Die berühmte Neunte Symphonie von Schostakowitsch ist eines der Kunstwerke, das bei der neuerdings vorgenommenen bolschewistischen Rei- nigungsaktion unter die Lupe genom- men wurde. Die von dem Zentralko- mitee der Partei herausgegebene Zeit- schrift „Kultur und Leben" verurteilt dies in der ganzen Welt so gefeierte Kunstwerk jetzt als „scharf und krei- schend" und wirft ihm einen Mangel an „warmer ideologischer Ueberzeu- gung" vor. Dieser Mangel sei wohl auf den Einfluss Stravinskys. „eines Künst lers ohne Vaterland oder tiefe ethisch- Prinzipien" zurückzuführen. Zur Frage der deutschen Staatsbürgerschaft Durch unseren Vertreter in der Schweiz haben wir zu dieser in Nr. 124 unserer Zeitschrift von Rechtsanwalt W. Richter juristisch erörterten Frage die Meinung der „deutschen Interes- senvertretungen" in der Schweiz" und die von Dr. Adolf Schnitzler-Genf ein- holen lassen. Die „Deutschen Interessenvertretun- gen eine dem Schweizer Aussenamt angegliederte treuhänderische Stelle, erklärt, dass ihres Wissens eine Ver- ordnung ergangen sei, nach der die Ausgebürgerten, so weit sie den Wunsch kund täten, ohne weiteres wie- der eingebürgert würden. Wer einen entsprechenden Antrag nicht stelle, von d*m werde angenommen, dass er auf die deutsche Staatsaugehörigeit verachte. Dr. Schnitzer schliesst sein Gutach- ten : .... *'^r skia der Ansicht, dass formal , juristisch individuell ausgebürgerte Personen erst wieder eingebürgert wer- schnelle Hilfe zu leisten. Darum wer det und werbet Mitglieder: Auskünfte und Anmeldungen,: Deutechland-Hilfswerk, Austria 2064, Buenos Aires (U.T. 72-6058). iTtvmtpakete. Das Deutschland-Hilfswerk nimmt auch Lestellungen an. Preise und In- halt der Pakete wurden im "Andern Deutschland" vom 1. November be- kanntgegeben. Bei schriftlichen Bestel- lungen bitten wir, die Adresse des Ab- senders und des Empfängers dentlich anzugeben und Bono Postal oder Bankscheck auf den Namen "August Siemser." beizulegen. DeutscF^aod-Hilfawerk Auetri» 2064, Buenos Aires. den müssen, ebenso aber auch die en bloc Ausgebürgerten, und wir sind fer- ner der Ansicht, dass diese Wiederein- bürgerung nicht wider Willen, sondern nur auf Antrag zu erfolgen haben wird. Die ganze Rechtslage dürfte in ei- nem zukünftigen Friedensvertrage mit Deutschland dahin zu klären sein, das.- ein jeder dieser Ausgebürgerten ohne grosses Verfahren durch eine einfache Erklärung an eine zu bestimmende Be- hörde die Staatsbürgerschaft wiede: annehmen kann, dass umgekehrt der- jenige, der nicht deutscher Staatsbür- ger sein will, staatenlos bleiben kann". Oesterreichische Leser Unsere öster reichischen Freunde werden jetzt da^> bestätigt finden, was Emst Lakenba- cher schon vor Jahren in unserer Zeitschrift vertreten hatte. Diejeni- gen, die damals der Gruppe Oestarrei- chischer Sozialisten in Buenos Aires Vorwürfe wegen ihrer Weigerung machten, mit ehemaligen Dollfus Faschisten, Heimwehrleuten und änn- lichen Konjunktur-Antinazis zusam menzugehen, haben also reichlich lange gebraucht, bis sie die Richtig keit von Lakenbachers Haltung er- kannten. Das Aufgeben sozialistisch..-! Grundsätze um augenblicklicher Vor- teile willen rächt sich meist über kurz oder lang. Vielleicht lernt der linke Flügel der "Austria Libre" aucn noch, dass ebenso wenig ihr österrei- chischer Uebernationaismus ein wün- schenswertes Ergebnis haben kann. In solcher Dingen müssen ihnen die Faschisten und Nazis stets überle- gen sein. Es wäre wünschenswert, dass auch die deutsche "Fraktion" aus den Erfahrungen ihrer österrei- chischen Genossen lernte, und bereits jetzt auf ihre Versuche verzichtete, wendige Nazis anzulocken. EIN NORDAMERIKANER BEFRAGT FUENF DEUTSCHE Ein nordamerikanischer Journalist hat fünf Deutsche aufgefordert, ihre Eindrücke über das Leben in Deutsch- land und über die Besetzung nieder- zuschreiben. Man kann nicht gerade behaupten, dass die Schilderungen einen Querschnitt durch alle Schich- ten bieten. Es fehlt vielmehr das Interessanteste: das Urteil eines poli- tisch geschulten oder wenigstens in- teressierten Arbeiters. Dennoch sind die Niederschriften, die wir dem „Christian Science Monitor" entneh- men, recht aufschlussreich. EIN KLEMPNER ERZAEHLT Er ist verheiratet, hat eine Toch- ter von sieben und einen Sohn von fünf Jahren. Vor dem Kriege war er selbständig gewesen: „Ich interes- sierte mich nicht für Politik und tue es auch jetzt noch nicht. Ich weis* nicht, ob die Demokratie für Deutsch- land gut oder schlecht wäre." Er ar- beitet jetzt für die Nordamerikaner und verdient RM. 70.— pro Woche, von denen RM. 20.— Steuern abge- hen. Damit kommt die Familie nicht aus. Deshalb arbeitet seine Frau ebenfalls. Sie bringt wöchentlich RM 17.— bei einem Bruttoverdienst von RM 20.— nach Haus. ,,Wir haben es schwer. Aber es geht uns doch noch wesentlich bes- ser als denjenigen, die nicht für die Amerikaner arbeiten. Wir leben in einem kleinen Holzhaus, das weder Licht, noch Wasser, noch Gas hat. Um Holz zum Kochen zu haben, gehen meine Frau, ich und die Kinder je- den Abend und Sonntag in den Wald. Die Kinder tragen Holzschuhe. Wir haben keinerlei Ersparnisse. Für Deutschland erhoffe ich nur, dass wir eine einheitliche Regierung bekom- men, und dass uns Ostdeutschland, das Polen zugeteilt wurde, zurückge- geben wird. Aber ich glaube es nicht. Meine einzige Hoffnung richtet sich auf meine Kinder. Ich möchte so viel verdienen, dass ich sie zur Schule schicken kann. Sie verdienen ein besseres Leben, als ich es hatte." DIE ANSICHT EINES JUEDISCHEN MAEDCHENS Wie sie meint, ist sie eine der wv» nigen Deutschen, die noch das Ge- fühl haben, befreit zu sein. Viele be- haupteten, die Alliierten seien nur Nazis in anderer Aufmachung. ..Dar- auf anworte ich, dass sie erst ein Recht hätten, die Alliierten Nazis zu nennen, wenn alle Deutschen diiie Bezeichnung „Deutscher" auf . dem Rücken tragen müssten, wie- es ähn- lich die Nazis mit den Juden taten. Die Alliierten erschweren jede inne- re Wandlung. Nur Russland zeigt eine klare politische Linie. Die Engländer und besonders die Amerikaner kön- nen den Deutschen nichts beibringen, Hier und da zeigen sie ein bisscher Demokratie. Das ist alles." EIN MAEDCHEN AUS DEM MITTELSTAND URTEILT Sie ist 23 Jahre alt. Offensicht- lich interessieren sie in erster Linie ihre persönlichen Probleme: Soll sie einen amerikanischen Freund haben? Wie kann man zu Strümpfen kom- men? — Um neue Schuhe zu erhal- DAS ANDERE DEUTSCHLAND 11 MOABITER SONETTE Von Albrecht Haushof er Albrecht Baushofer ist der Sohn des berüchtigten GeoPolitikers Karl Haushofer. Als üniversitätsdozent in Berlin trat er in Verbindung mit der Opposition, die des Attentat vom 20. Juli 1944 plante. Der eigene Vater denunzierte den Sohn. Kurz vor den der Roten Armee wurde er im Moabiter Gefängnis von der Gestapo ermordet. Sein mdttfe- fangener Bruder hat die 80 Sonette gerettet, die Albrecht Huashofer im Gefingnls YWfMBt tut. Im fo'genden veröffentlichen wir zwei dieser So-nette, IN FESSELN Für den, der nächtlich in ihr schlafen soll, So kahl die Zelle schien, so reich an Leben Sind ihre Wände. Schuld und Schicksal weben Mit grauen Schleiern ihr Gewölbe voll. Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt, Ist unter Mauerwerk und Eisengittern Ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern, Das andrer Seelen tiefe Not enthüllt. Ich bin der erste nicht in diesem Raum. In dessen Handgelenk die Fessel schneidet, An dessen Gram sich fremder Wille weidet. Der Schlaf wird Wachen, wie das Wachen Traum, Indem ich lausche, spür ich durch die Wände Das Beben vieler brüderlicher Hünde. UNTERGANG Wie hört man leicht von fremden Untergingen, Wie'trägt man schwer des eignen Volkes Falll Vom Fremden ist's ein ferner Widerhall, Im Eignen ist's ein lautes Todesdränqen. Ein Todesdrängen, aus dem Hass geboren* In Rache, Trotz und Uebermut gezeugt — Nun wird getilgt, gebrochen und gebeugt, Und auch das Beste geht im Sturz verloren. Dass dieses Volk die Siege nicht vertrug — Die Mühlen Gottes haben schnell gemahlen. Wie furchtbar muss es nun den Rausch bezahlen. Es war so hart, als es die andern schlug, So taub für seiner Opfer Todesklagen Wie mag es nun das Opfer-Sein ertragen... Neue Bücher ten, hat sie ihre Reiseschreibmaschi- ne gegen eine Schachtel Zigaretten eingetauscht und diese wiederum ver- kauft. Darauf bezahlte sie RM 1.600.— für ein Paar Schuhe. Wenn man ein- kaufen ginge, hätte man Eipulver statt Fleisch zu nehmen. Statt Seif? gebe es irgendein undefinierbares graues Zeug, sodass man lieber dar- auf verzichte und voller Verzweif lung schliesslich amerikanisches Sei- fenpulver zu horrenden Preisen auf dem Schwarzen Markt kaufe. Im Fa. milrenkreis gingen die Unterhaltun- gen darum, ob man den Teppich oder das Porzellan gegen Nahrungsmittel tauschen solle. „Im Grunde bin ich wie jedes andere Mädchen. Ich wür- de gern ausgehen und all das tun, was man jetzt nicht tun kann — wenn man eine Deutsche ißt. Ich habe gern ein Stelldichein, bin gern mit netten Leuten zusammen, mir mach- te es ßpass etwas zu flirten. Ich hätte Freude an einer Opernvorstel- lung, an einem Klavierkonzert---- Aber wenige von uns können sich das leisten, wenn wir keinen Freund bei den Besatzungstruppen haben/' Aber sie spricht auch von Politik: ,,War- um halten sie uns noch im Kriegs- zustand, ein Jahr nach dem Sieg der Alliierten? Wozu spricht man so- viel von Demokratie und Wiederauf- bau. wenn die Voraussetzung dafür nicht vorhanden ist: dfir Friede?" DIE ERKLAERUNG EINES JOURNALISTEN Bs handelt sich offenbar um keinen ehemaligen Nazi, denn er arbeitet an einer von den Alliierten genehmigten Zeitung. Seine spezielle Schwierig- keit sieht er darin, dass er die Poli- tik der ausländischen Mächte dem Verständnis der Deutschen nahebrin- gen muss. Diese Aufgabe ist umso komplizierter, als „die verschiede- nen Formen von Demokratie, die die vier grossen Mächte darstellen, keine Basis für die Wiedereraiehung da- hingehend bieten, dass unser Volk wirklich demokratisch wird. Die Rus- sen haben mehr Fortschritte in ihrer Propaganda gemacht als die andern Alliierten. Zum Beispiel Fragen wie die Ernährungslage und die Erhal- tung Deutschlands mit Lebensmittel- einfuhren — worin die USA unzwei- felhaft führend sind — sind den Deutschen, noch immer nicht klar. Propagandamöglichkeiten, die auf der Hand lagen, sind unglücklicherweise ungenutzt geblieben. Für diese Auf- gaben sind nicht genügend Deutsche herangezogen worden." GEDANKEN EINES BANKIERS Als Finanzfachmann beschäftigt ihn natürlich das Problem der Ver- schuldung Deutschlands. Sie betrage 400 Milliarden Reichsmark cL h., deus Doppelte des gesamten Volksvermö- gens. Da hei seien weder Reparatio- nen noch Kriegsschäden berücksich- tigt. .,Wie können wir diese gewal- tige Schuld verringern? Einige Bankleute — unter ihnen auch ich — meinen, dass dies nur durch eine Vermögenssteuer erreicht werden kann. Jeder Deutsche muss vier Fünftel seines Vermögens abgeben — Bei es in Form von Geld, Aktien, ßtaatspapieren, Gebäuden, landwirt- schaftlichen Anlagen oder Wohnhäu- sern, Eine solche Steuer würde mir 80 Prozent dessen wegnehmen, was mir von meinem Vermögen übrigge- blieben ist. Aber ich bin trotzdem dafür, weil es meiner Meinung, nach die einzige Möglichkeit wäre, Deutsch- lands Wirtschaft aufrechtzuerhalten." Benedikt Kautzky: Teufel und Ver- dammte. Büchergilde Gutenberg, Zü- rich In diesem Buche gibt es keine Schwarz-Weiss-Malerei. Hier erleben wir die Menschen — Teufel und Ver- dammte — so wie sie unter diesen Bedingungen sich entwickeln mussten: Egoismus, Grausamkeit, bis zum Sa- dismus gesteigert, war nicht das Mo- nopol der SS. Beispiel an Beispiel reiht sich in diesem "document hu- main". Welcher Disziplin des Denkens bedarf es nach Kautskys Erlebnissen im K- Z.« um zu dem Urteil zu gelan- gen: "Nicht, dass Menschen m solchen Zeiten und unter solchen Umständen schwach und klein werden, ist das Wunder, sondern es ist ein Wunder, dass sie es nicht alle werden. Die menschliche Natur wird man nicht ändern, der Mensch trägt in sich die Ansätze zum Bösen wie zum Guten — es gilt, die Umstände zu schaffen, unter denen Achtung vor der fremden Persönlichkeit, Selbstverantwortung und Rücksicht auf die Rechte der an- dern zu? Selbstverständlichkeit wer- den." Würde das Buch nur diese Dinge beleuchten, so erfüllte es schon eine Aufgabe. Es ist aber mehr! Inmitten dieses Inferno klingt das Hohelied der Solidarität. Inmitten des Verrate« und der Feigheit wachsen die Zeugen der Kraft einer Idee. "Man fand solche Menschen in allen Gruppen und Schichten, unter Juden ebenso wie unter Nichtjuden» unter Deutschen wie unter andern Nationen. Menschlichkeit ist an keine Rasse, kei- ne Nation, aber auch an keine Klasse und an keinäh Stand gebunden" Welch ein Erlebnis für den Sozialisten Kautsky, wenn er aus dem Todesbun- ker die Stimme des protestantischen Pfarrers Schneider hörte, der die Un- rechtmässigkeit der Gewalt anklagt und zum .innern Widerstand aufrief, bis ihn die Schläge seiner Kerkermei- ster verstummen lassen! Mit welcher Kühnheit und politi- schem Verantwortungsbewusstseto schufen die Kommunisten eine illegale Lagerleitung! Welch Zeugnis eines un- beugsamen Geistes ist das Manifest, das die sozialistischen Häftlinge für die Zeit nach dem Sturze Hitlers aus- arbeiteten! Welch hussitische Kraft mag in den Tausenden von Tschechen gelegen ha- ben, die sich freiwillig zum Todes- marsch meldeten, den die S6 beim Herannahen der Alliierten erzwang. Sie retteten damit das Leben anderer Tausender Mitgefangener — Juden. Deutscher und vieler anderer. 14 DAS ANDERE DEUTSCHLAND In den Konzentrationslagern schlös- sen sich die besten Kräfte alller Na- tionen und religiöser und politischer Bekenntnisse zusammen. Sie sahen, wie die deutschen Häftlinge genau so gefoltert wurden wie Juden oder An- gehörige anderer Nationen. Sie sahen, dass der wahre Feind der Menschlich- lichkeit nicht in einer Nation zu su- chen ist. Sie machten sich nicht un- gewollt zu Propagandisten einer neuen Rassentheorie. Und Kautsky urteilt: "Man versetze irgendein Volk der Welt unter die gleichen Bedingungen wie das deutsche. Man entwurzele Millionen durch eine phantastische Inflation... man nehme der Jugend jede Aufstiegshoffnung..., man setze diesem Volk bei jeder Gelegenheit fremde Uniformen vor die Nase, man lasse innerhalb dieses Volkes eine mächtige, aber gespaltene Arbeiterbe- wegung aufwac&sen... ich möchte das Volk kennen, das unter solchen Um- ständen nicht einem faschistischen Abenteurer in die Hände fiele...'' Die von den Alliierten befreiten KZ- Häftlinge aller Nationen haben in ei- ner grossen Kundgebung das Vertrauen ihren deutschen Kameraden und Lei- densgenossen ausgesprochen. Im Ge- dächtnis an die 51-COO ermordeten Ge- fangenen traten die Ueberlebenden des Lagers Buchenwald am Tag ihrer Befreiung zu einem Appell zusammen und richteten an die Welt den Aufruf, dafür zu kämpfen, dass solche Greuel sich nie mehr wiederholen dürften, sondern dass die Menschheit in Friede und Freiheit an den Aufbau gehen müsse. . Die KZ-Gefangenen sind nun in ihre Länder zurückgekehrt. Ihre Erinne- rungen werden nicht verblassen. Ihre Folterknechte und Henker sind zum Teil verkommen und verdorben, zum Teil sehen sie ihrer Aburteilung ent- gegen, teils halten sie sich noch ver- steckt. Werden sie jemals wieder auf- erstehen, einerlei unter welcher Ge- stalt und in welchem Land? Wer das Buch von Benedikt Kautsky liest, wird sich der drohenden Ge- fahren bewusst werden. Gerade des- halb muss es zu Menschen gelangen, die rasch vergessen; es muss von den- jenigen gelesen werden, die den Fa- schismus für tot und begraben halten. Albert Maitz „The Gross and the Ar- row", Utile Brown and Company, Boston, Ellen Marsh ,,Drink to the Hunted", E. P. Button and Co., NYC. Albert Maitz schreibt die Geschich- te eines durchschnittlichen „unpoliti- schen" deutschen Arbeiters, der sein Leben lang alles gute und schlechte rUhig an sich herankommen liess, der, geftthlsmässig „links" eingestellt, sich doch nur ,,eins pfeift", wenn ihn die Umwelt zu beunruhigen anfängt; der, als Hitler zur Macht kommt, sich zwar eine bessere Lösung vorstellen kann, aber nicht den Finger rührt, — der erlebt, dass nach Kriegsausbruch sein Sohn bei der Waffen-SS in Narvik fällt, erlebt, dass er, von schwerer Kriegsarbeit helmgekommen, die Lei- che seiner Frau unter den Trümmern dessen findet, was einst sein Haus war, — dem aber nie der Gedanke an bewusste Gegenwehr kommt! Und plötzlich, eines Nachts, zündet er ei- nen leuchtenden Pfeil aus Heu an, um britischen Fliegern den Weg zu einer unterirdischen Tankfabrik zu zeigen. Tödlich von einer SS-Kugel getroffen, versucht er sich auf dem Totenbett Rechenschaft abzulegen: Warum? In den Zeitraum der 24 Stunden zusam- mengedrängt. die zwischen dem ersten Erkundungsflug englischer Flieger lie- gen, die das Zeichen gesehen haben und der Wiederkehr der Bomber, die dem Betrieb ein Ende machen, zerbre- chen sich ein Gestapo-Kommissar, sei- ne zweite Frau, ein „alter Kämpfer" der NSDAP, der ihm am Vortag das Verdienstkreuz für unermüdliche Pflichterfüllung verlieh. — zerbrechen sich zwei schweigsame Illegale, ein ehemaliger Bekenntnispfarrer, der nach zweijährigem KZ im gleichen Werk als Arbeiter gelandet ist, und ein an den Rand des Wahnsinns ge- brachter Arzt, dessen Tochter Selbst- mord beging, als die Gestapo ihr Kind nehmen wollte, den Kopf: warum, warum? Der ,.alte Kämpfer" begreift am be- sten: er spürt, wenn hier nicht eis marxistischer Doktrinär, nicht ein Berufsrevolutionär, nicht eine asoziale Gestalt Sabotage verübt, dann ist das System ernsthaft gefährdet: dann be- ginnt der MENSCH, der unbekannte, mit keiner Propaganda zu widerlegen- de, den Anspruch auf Loyalität in Fra- ge zu stellen, den bisher das Kollektiv an ihn stellte, ohne bisher Wider- spruch zu finden. Und dem Todge- weihten selbst wird klar; er hat end- lich „nein" sagen müssen, weil er sonst nicht mehr atmen konnte. Viele kleine Einzelerlebnisse, — dass man einen Polen für 17 Mark auf dem Marktplatz kaufen, dass ein 19jähri- ser SS-Mann lachend seiner Mutter Kleidungsstücke einer in Frankreich vergewaltigten Frau mitbringen konn- te, und dass er trotzdem mit Recht das Verdienstkreuz für Pflichterfüllung erhielt, kommen zusammen: da ver- bricht etwas und da wird etwas neu- es geboren. Und die hasserfüllten Au- gen des Polen, die ihn nicht ausneh- men von dem Paria-Begriff „Deut- scher", treiben ihn. wie es vorher den ehemaligen Pastor zu Anti-Nazi Wandzetteln trieb: zu beweisen: Deut- sche machen nicht mehr mit; Deut- sche, Menschen in Deutschland, sagen Nein! Maitz soll nie Brooklyn-New York verlassen haben. Kein deutscher Emi- grant aber hat die Psychologie des nur an der Oberfläche mitmachenden un- politischen Durchschnittsarbeiters, hat die Psychologie eines an den alten Zielen irrewerdenden, aber die Zähne zusammenbeissenden ehemaligen NS- Idealisten, hat die Verwandlung eines quletistischen Christen zum Kämpfer so klar und verständlich dargestellt, wie dieser amerikanische Schriftsteller. Es gibt in diesem Buch keine Schwarz-Weiss-Malerei. Die Nazis, die Feigen und Bequemen und die, die — nicht leichten Herzens — den Kampf aufnehmen, sie sind gleichermassen lebendige Menschen. Und was das wichtigste ist, zwischen den Zeilen wird die Atmosphäre deutlich, die Feiglinge schafft, die Bequemlichkeit ermöglicht, die Ideale in ihr Gegen- teil verkehrt, — die aber auch Ent- scheidungen erzwingt. — Verschafft Albert Maitz so einen Einblick in die Psychologie derer, die von verschiedenartigstem Herkommen geformt, in einer deutschen Fabrik — auch heute noch — sich finden: mit ihrer Uninformiertheit, mit ihrer menschlichen Unzulänglichkeit, aber ich mit ihrer latenten Kraft und Entwicklungsfähigkeit, so führt Ellen Marsh in die Sphäre eines deutschen Bürgerhauses am Rhein. "Drink to the Hunted" ist im Grunde eine Art Autobiographie. Die 23jährige Verfasserin hat in dem Weg der Tochter eines amerikanischen Besatzungsoffiziers aus dem ersten Weltkrieg- und einer rheinischen B'ür- gert?ieisterstochter ein Stück eignen Lebens dargestellt. Viel weniger rou- tiniert als des Buch von Maitz, hat dieses Erstlingswerk die ganze Frische kompromissloser Selbstoffenbarung. Deutsch erzogen, sehr bald seelisch in Gegensatz geratend zu dem bürgerli- chen Lebensstil der rheinischen Gross- eltern, aber auch nie ganz befriedigt von dem bohämehaften Rebellionstrieb der Mutter, sucht ein jungerMensch, der den Amerikanern als Deutsche, den Deutschen als Amerikanerin er- scheint, seinen eigenen Weg. Es ist erstaunlich, wie sie in knap- pen Sätzen Besuche in den USA, in der Schweiz, in Frankreich schildert. Stets trifft die Beschreibung das we- sentliche. Das Urteil dieses jungen Mädchens ist unbestechlich. Es ist nicht , pro" und nicht „contra": es trifft einfach den entscheidenden Punkt. Das gleiche gilt in verstärktem Masse für das Erlebnis Deutschland. Liebe, Hass, Hass-Liebe verwirren zeitweise das Bild der Angehörigen, aber nur, um bald darauf in ein paar einfachen Worten die scheinbaren Widersprüche aufzulösen in psycholo- gisch völlig einwandfreien Zusammen- fassungen. In ..Drink to the Hunted" geschieht im Grunde sehr wenig, sehr viel we- niger als in dem dramatisch gestraff- , ten Buch von Maitz. Aber in den un- . endlich vielen meisterhaften Klein» Zeichnungen, die Ellen Marsh von der langsamen' Entwicklung ihrer Haupt- person und deren nächsten Menschen gibt, wird eine lebensnahe und plasti- sche Soziologie des deutschen Bürger- tums gegeben, die nicht weniger fes- selnd ist als die Zusammendrängung eines Lebens in den 24 Stunden der Underground-Fabrik. Unterbrochen von Reisen ins Aus- land, die die Unrast der Mutter dem heranwachsenden Mädchen ermög- licht. wächst dort ein junger, mit fra- genden Augen in die Welt schauender Mensch in der rheinischen Landschaft auf, dem das Erbe eines in der Fer- ne wartenden amerikanischen Vaters den Blick schärft für die ,,relative" Seite der deutsch-konservativen Um- gebung im grosselterlichen Haus. Vor- krieg, Vorhitlerzeit, Hitlers Machtüber- nahme, Kriegsausbruch, erste Kriegs- zeit: zwischen dem starrköpfigen Pa- triotismus des alten Garde-Du-Corps Veteranen, der in preussischer Starr- heit und katholischer Rechtgläubig keit sich bewegenden Atmosphäre ei- ner typischen süddeutschen Bürgerin ei- sterei — nur am Rande gefährdet durch die protestantisch — „landfrem- de" Herkunft der Grossmutter — und dem früh entwickelten Selbständig- keitsdrang der Tochter einer in die Weite strebenden ,.Rebellin" entspinnt sich ein lautloser, zäher Kampf um die „Wahrheit in Deutschland". Auch in diesem Buch gibt es keine schemati- schen Scheidungen in gut und böse. Das Mädchen, das eufs tiefste aufge- rührt durch die Ermordung des loka- len „Staatsfeindes" durch die SA. al- les, was mit dem Hakenkreuz zu tun hat verabscheut, erlebt beim Tanz ei- nen jungen SS-Mann, der den Proto- typ eines unschuldigen Jünglings dar- stellt, erlebt Front-Urlauber, die — DAS ANDERE DEUTSCHLAND 15 ohne Nazis zu sein — mit Inbrunst für Deutschland kämpfen, lernt Antifa- schisten kennen, die nicht nur Hitler, sondern Deutschland hassen, — und ihr wird klar: Man muss differenzie- ren! Und so entsteht aus dem Mosaik jugendlichen Erlebens die Gewissheit: Eis gibt Deutsche, die sind so sehr zer- fressen vom Ungeist des Nazismus, dass eine Welt sie von ihr trennt, aber es gibt auch Deutsche, die einfach COMISIONISTA Für Aufträge und Besorgungen jeglicher Art von Waren, Ersatztei- len, Arzneien und sonstiger tau- senderlei von Artikeln des tägli- chen Lebens nach allen Teilen Argentiniens! 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