■ V: x WWW^ l\AO-IRICHTCI\BLATT D£ $ GERMfln-JEWISH CLUB IIMsBU WRK, fX.Y. 2. Jahrgang NEW YORK, DEN 1. FEBRUAR 1936 No. 3 Des unheiligen Dritten Reiches jüdischer Prophet. Zur Heinefeier am 16. Februar 1936 Wenn ich vor zwei Jahren Heinrich Heine einen Propheten nannte, der Dinge voraus- sagte und ahnte, die heute die Welt bewe- gen, die uns über uns und unsere Stellung und Beziehungen zur Umlwelt nachsinnen lassen, so hatte das auf manchen Wider- spruch gestossen. Es wurde angenommen, dass meine Worte Heinesche Voraussagun- gen in einer Weise auslegten, die ihre an- scheinend vage Natur weit über das Aus- mass ihrer eigentlichen Meinung hinaus in- terpretierten, dass seine Ahnungen zu ver- schwommen waren, als dass man sie auf jede Gelegenheit anwenden und beliebig umdeuten könne. Dieser Widerspruch mochte damals ge- rechtfertigt gewesen sein. Zwei Jahre sind seitdem verflossen. Jahre, in denen gei- stige, politische und soziale Umwälzungen stattfanden, die uns menschlich in der Tiefe aufrüttelten. Die in uns zwei Menschen aufwachen liessen, zwei Wesenseinstellun- gen, von denen wir vielleicht ahnten, deren aber nur wenige von uns bewusst waren: den jüdischen Menschen in uns und den Menschen, der mit deutscher Kultur und deutschem Geistesleben durch seine Erzie- hung und jahrhundertlange Umgebung zwangsläufig gebunden ist. Mögen die, die mir damals widersprochen haben, den jüdi- schen Menschen verleugnen, den zwangs- läufig gebundenen ablehnen, sie können heute nicht mehr verneinen, dass ihr Schicksal und Heines unleugbare Parallelen haben. Und stärker noch treten die Paral- lelen der politischen Himmelseinteilung her- vor, des heutigen und des vor hundert Jah- ren. Es bedarf keines Planetariums, um sich das damalige kulturell-politische Ge- stirn zu verwirklichen, klares Einsehens nur, wenn wir diese Schicksale vergleichen. Und das eingesehen, kann man Heines Worte nicht umdeuten, wenn sie aus tief- innerstem Gefühl hervorströmen, wenn sie aus der Wunde der Zerrissenheit und inne- ren Zwiespaltes herauskommen; aus dem Gefühl der Liebe und seelischer Gebunden- heit. Dann erst können wir ihn ganz ver- Von ERICH de JONGE stehen und erst dann erkennen wir den Mann, der als Jude deutsch fühlte und dachte, der mit seinem Vaterlande lebte und litt, wie wir mit ihm lebten und litten und es noch heute tun, mögen wir es auch von uns weisen jetzt und vielleicht hassen mit einem Hasse, der aus tiefster Liebe geboren ist und der uns heute ebenso in die Zukunft blicken lässt, wie ihn, dessen Worte politischer Voraussagungen uns erst heute verständlich werden. So, wie uns heute erst die Worte des zeitgenössischen Schriftstellers Kurt Tucholsky klar gewor- den sind, der, ein Prophet im eigenen Lande, uns schon Jahre vorher das einzuhämmern versuchte, was sei dem 30. Jan. 1933 mit so ungeheurer Wucht auf uns herabstürzte. So, wie wir erst heute einsehen können, wie tiefinnerlich, geistig und seelisch diese beiden Propheten eines Judentums eigener Art, einander verwandt waren. Im Leben beider enthüllt sich der tragi- sche innere Zwiespalt: kultur-deutsch ge- bunden sein, tradition-jüdisch geboren sein. Beide, leidend durch ihr Wissen und ihr Nichtwisseniwollen, angespornt zu ihren Leistungen durch Erkenntnis der Natur ihrer Zeitperiode, mussten, sich über den menschlichen Durchschnitt hinaus ent- wickelnd, ihrer Sehergabe gerecht werden. Und es ist besonders Heine, dessen Leben und Werke tief bewegend und prophetisch das ganze Elend des heutigen Deutschlands voraussagten. Voraussagungen, deren un- heimliche Richtigkeit und Begründung uns innerlich vor ihm erschrecken lässt, jetzt, wo wir alles das an uns erleben müssen, was er vor hundert Jahren schon als Nor- maleinstellung der in Deutschland herr- schenden Klassen bezeichnete. Verblüffend ähnliche Zustände, wie die heutigen musste Heine in seiner Jugend erleben. Ein verlorener Krieg, Besetzung des Rheinlandes, fremde Kommissionen in Deutschland brachten dem deutschen Volke das Gefühl der Niederlage immer näher. Und so wie nach dem Rückzug Napoleons der Uebernationalismus in der Person des Turnvaters Jahn seine Verkörperung fand, so sprang heute Hitler in die Lücke, die in die Mauer eines überreifen Nationalstol- zes gerissen worden war. Jahns Worte: . . Eine neue Art des Heldentums wurde geboren . . Das Leben der Einzelnen ■muss im Schicksal des gemeinsamen Gan- zen aufgehen. Das Individuum ist nichts, die Nation ist alles . . ." sind eine Be- schreibung des Deutschlands, das Heine kannte. Man fasst sich an den Kopf und sinnt nach, wo man diese oder ähnliche Worte erst jüngst gelesen oder gehört hat. Und findet sie endlich im drittreichlichen Neuen Testament: "Mein Kampf". Und fin- det sie dort auf der ersten Seite und liest sie auf jeder folgenden Seite bis zur letz- ten. Und kennt nun den eigentlichen Autor, dessen Worte ein Plagiator zu einem Buche benutzt, dessen Unwert es in die Reihen der Klassiker eingehen lässt. Wenn damals Schlagworte auf eine nie- dergedrückte Bevölkerung herabprasselten, Worte, die bis zum heutigen Tage dem iSinne und Gebilde nach gleich geblieben sind: Wehrlos, ehrlos . . . Nie davon spre- chen, immer daran denken usw., wenn Jahn damals eine neue Art von Körpererziehung, heute Wehrsport, einführte, dem sich ein stetiges Anwachsen des Antisemitismus zu- gesellte, so konnten die Folgen einem Heine nicht verborgen bleiben. Heine, dem Frei- heit und Unabhängigkeit, trotz seiner mo- narchisch und deutschen Einstellung über alles ging. Es entstand der Heine, den wir heute als politischen Troubadour, als Dich- ter der Freiheit kennen. "Fatal ist mir das Lumpenpack, Das, um die Herzen zu rühren, Den Patriotismus trägt zur Schau Mit allen seinen Geschwüren." Es entstand eine Jugendbewegung, ähn- lich der heutigen, und so war ein weiteres Anschwellen des Uebernationalismus ge- währleistet unter der Leitung Jahns. Treitschke, der deutscheste aller Ge- schichtsschreiber, ein Nationalist von rein- stem Wasser, wandte sich, als diese Bewe- tf-T, •> 1 DeUTSene DlDlivmon I l_S | Frankfurt amJMaln_J AUFBAU gung immer rabiatere Formen annahm, ent- schieden gegen sie und ging soweit, dass er, den ungesunden Verhältnissen die Schuld gebend, schrieb: . . dass die Söhne eines kultivierten Volkes einen Barbaren als ihren Führer verehren . . Sic!) Man hatte seine Pogrome,' verbrannte Bücher; doch hier muss ich Heine sprechen lassen, der in seinem vierten Buch "Ludwig Boerne" folgendes schreibt: "Dort, auf dem Hambach, jubelte die mo- derne Zeit ihre Sonnenaufgangslieder und mit der ganzen Menschheit ward Brüder- schaft getrunken; hier aber, auf der Wart- burg, krächzte die Vergangenheit ihren ob- skuren Ralbengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig wa- ren . . . Auf der Wartburg . . . herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war, als Hass des Fremden, und dessen Glaube nur in der Un- vernunft bestand, und der in seiner Un- wissenheit, nichts Besseres zu erfinden wusste als Bücher zu verbrennen. Ich sage Unwissenheit, denn in dieser Beziehung war jene frühere Opposition, die wir unter dem Namen "Die Altdeutschen" kennen, noch grossartiger als die neuere Opposition, ob- gleich diese nicht gar besonders durch Ge- lehrsamkeit glänzt. Ebenderjenige, welcher das Bücherverbrennen auf der Wartburg in Vorschlag brachte, war auch zugleich das unwissendste Geschöpf, das je auf Er- den turnte und altdeutsche Lesarten her- ausgab." "Wo fängt der Germane an? Wo hört er auf ?" . . Im Bierkeller zu Göttingen musste ich einet bewundern, mit welcher Gründlich- keit meine altdeutschen Freunde die Pro- skriptionslisten anfertigten für den Tag, wo sie zur Herrschaft gelangen würden. Wer nur im siebenten Glied von einem Franzosen, Juden oder Slaiwen abstammte, ward zum Exil verurteilt. Wer nur im mindesten etwas "egen Jahn oder über- haupt gegen altdeutsche Lächerlichkeiten geschrieben hatte, konnte sich auf den Tod gefasst machen, und zwar auf den Tod durch das Beil ..." Wir glauben heute, im Dritten Reiche etwas Neues, eine noch nie dagewesene Er- scheinung zu erleben. Es blieb Heine über- lassen, uns Mitteilung zu machen von d