2. Jahrgang NEW YORK, DEN 1. JULI 1936 Iis No. 8 Der Antisemitismus in Hitler-Deutschland ein internationales Problem Von S. GRUMBACH, Mitglied der Chambre des Dcputes. Dieser äusserst bemerkenswerte Aufsatz des angesehenen französischen, Parlamen- tariers S. Grumbach wurde uns vom American Jewish Congress in dankens- werter Weise zum Erstabdruck überlassen. Als sich im September 1933 die Vollver- sammlung des Völkerbundes zum ersten Mal mit dem "jüdischen Problem" zu be- fassen hatte, so wie es sich im Dritten Reich infolge des offiziellen Antisemitis- mus der Hitler-Regierung ergab, konnte die Welt noch glauben, dass es sich trotz allem nur um eine "inner-deutsche Frage" handle. Die aussergewöhnliche Debatte, die da- mals in Genf stattfand, und in deren Ver- lauf die Vertreter aller Staaten feierlich gegen diesen Rückfall in mittelalterliche Barbarei, den die Judenverfolgungen dar- stellen, protestierten, war vor allem auch eine moralische Verurteilung des Verbre- chens, das das neue deutsche Regime ".ge- genüber einer Minderheit" beging. In einer von der Vollversammlung ange- nommenen Resolution wurde an den Wunsch erinnert, den der Völkerbund be- reits 1922 ausgesprochen hatte: "Diejeni- gen Staaten, die gegenüber dem Völker- bund durch keine Vertragsverpflichtung hinsichtlich ihrer Minderheiten gebunden sind, müssen trotzdem in der Behandlung ihrer rassischen, religiösen und sprach- lichen Minderheiten denselben Grad von Gerechtigkeit und Toleranz walten lassen, der durch die Verträge und die ständige Tätigkeit des Völkerbundes bedingt ist." Dies entsprach der Stellung des Völker- bundes als Beschützers >' Minoritäten und Schwachen. Der wichtigste Punkt des Problems scheint aber den Staatsmännern, die im September 1933 an den Debatten über den Antisemitismus in Hitler-Deutsch- land teilnahmen, entgangen zu sein. In den verschiedenen Reden findet man nämlich kaum einen Hinweis auf die inter- nationalen Auswirkungen einer Auswande- rung, die selbstverständlich durch die systematischen Verfolgungen der deutschen Staatsbürger jüdischer Abstammung her- vorgerufen werden musste. Seit dem Sieg der "nordischen" Rassen- lehre hätte man daher voraussehen müs- sen, dass jede Emigration in einer Zeit all- gemeiner Ruhe unausbleiblich für die Staa- ten, welche dem Ansturm der Auswande- rer zunächst ausgesetzt sind, ungeheuer schwierige Probleme mit sich bringen würde, und dass vor allem die dem Dritten Reich benachbarten Staaten sich alsbald folgendem Dilemma gegenübersehen wür- den: entweder den Vorwurf der Unmensch- lichkeit auf sich zu nehmen, indem sie den jüdischen Flüchtlingen (aus denen der grösste Teil der Gesamtemigration be- steht) die Aufnahme verweigern, oder sie hereinzulassen und dadurch die wirtschaft- lichen Schwierigkeiten, unter denen jeder Staat heute leidet, noch zu vermehren. Im Jahre 1933 konnte sich die Mehrzahl der Staatsmänner noch der Hoffnung hin- geben, dass der Antisemitismus in Deutsch- land nur eine vorübergehende Erscheinung sei, ein Versuch Hitlers, nur eine Zeitlang die wilden Leidenschaften, die er durch seine Propaganda in den Massen entfesselt hatte, zu befriedigen. Man konnte anneh- men, dass auf die Dauer unter dem Druck der öffentlichen Weltmeinung die Haken- kreuzregierung im Interesse ihrer eigenen Stabilität auf den Vernichtungsfeldzug ge- gen die Juden verzichten würde. Die Ereignisse haben indessen bewiesen, wie falsch solche Hoffnungen waren. Die Nürnberger Juden-Gesetze, die im Septem- ber 1935 von dem Führer und Reichskanz- ler in eigener Person verkündet wurden, haben die Welt vor das gesamte "jüdische Problem" gestellt, wie es durch den Anti- semitismus Hitler-Deutschlands aufgewor- fen worden ist. Heute wissen die einzelnen Staaten, dass die Auswanderung der deutschen Juden weit davon entfernt ist, zu einem Stillstand zu kommen, wie man das vor zwei Jahren noch hoffen konnte. Im Gegenteil, sie wird selbstverständlich noch zunehmen, nach jenem Naturgesetz, das selbst die Tiere dazu treibt, weiterzuwandern, wenn sie auf ihren Weideplätzen oder in ihren Wäldern keine Nahrung mehr finden, dorthin zu wandern, wo sie das, was sie zum Leben brauchen, finden. Ja, der Hunger, der langsame Tod durch Verweigerung des Rechtes auf Arbeit be- droht heute hunderttausende von deutschen Juden und von "Christen nichtarischer Ab- stammung". Die Auswanderung ist das einzige Mittel, das denen übrig bleibt, die nicht wie ein gehetztes Tier ohne den ge- ringsten Versuch der Selbstverteidigung sterben wollen. Die Welt weiss jetzt, dass es sich um zwei- bis dreihunderttausend Menschen handelt, Frauen und Männer, Greise und Kinder, die gezwungen sind, das Land zu verlassen, das sie für ihr Vaterland hielten, dem sie gedient haben und auf dessen Friedhöfen ihre Angehörigen ruhen, um anderswo ihren Lebensunterhalt zu suchen, das Recht zu leben, das ihnen das Deutsch- land Adolf Hitlers verweigert. In dem erschütternden Brief vom 27. De- zember 1935, in dem James G. MacDonald, der am 28. Oktober 1933 durch den Präsi- denten des Völkerbundsrates zum "Hohen Kommissar für die Flüchtlinge (jüdische und nichtjüdische) aus Deutschland" er- nannt 'worden war, dem Generalsekretär des Völkerbundes seine Demission bekannt gab — einem Briefe übrigens, der in allen Sprachen über alle Weitteile verbreitet werden müsste, damit alle Völker und alle Menschen der Erde diese tragische Wirk- lichkeit kennen lernen — in diesem Brief stehen folgende Sätze, die sich auf die durch die Nürnberger Juden-Gesetze ge- schaffene Lage beziehen: "Mehr als eine Imlbv Million nvvnsvhiivlwr Wesen sind der Vernichtung preisgegeben, ;iu.s dem einzi- gen («runde, weil .sie nicht "nordischer" Rasse sind, wie das die Nationalsozialisten bezeichnen. Sic können sie!» diesem Schick- sal in keiner Weise entziehen, denn die Tatsache, ein "N ich tarier" zu sein, kann durch nichts geändert oder aufgehoben werden." Die Hälfte dieser Menschen wird wahr- scheinlich nie wieder im Leben Rechts- gleichheit gemessen. Zu alt, zu verbraucht oder aller Mittel entblösst, die zu dem grossen Entschluss der Auswanderung nötig sind, werden sie früher oder später in Deutschland sterben, ohne der legalen Hölle, in die sie mitten im zwanzigsten Jahrhundert das Dritte Reich gestossen hat, entfliehen zu können. Aber die andern, die noch genug Energie haben, sich gegen das Schicksal aufzuleh- nen, die in Freiheit leben wollen, die arbei- ten und die fundamentalen Rechte wieder- gewinnen möchten, deren kein mensch- liches Wesen jemals beraubt werden dürfte — sie werden auswandern! Mit oder ohne Geld! Mit oder ohne ihre Möbel! Mit oder ohne ihre Bücher! Und die andern Länder können ihnen ihre Grenzen nicht verschliessen, wenn sie nicht auf dasselbe Niveau von Gemeinheit herabsinken wollen, auf dem sich das ras- senwahnsinnige Deutschland befindet. Im übrigen gibt es keine administrativen oder polizeilichen Massnahmen, welche die verschiedenen Länder zu ihrem "Schutz" ergreifen, durch die jede Einwanderung unterbunden werden könnte. Aus dem ein- fachen Grunde, weil die unwiderstehliche Kraft des Selbsterhaltungstriebes die von den Nürnberger Gesetzen betroffenen Ju- den auf den Verzweiflungsweg der Emi- gration treibt. Aus diesen Gründen und infolge der Tatsache, dass nur ein völliger Umsturz in Deutschland diesem Zustand ein Ende set- zen könnte — was wahrscheinlich einmal der Fall sein wird, womit aber heute kein verantwortungsvoller Mensch rechnen kann — ergibt sich die Verpflichtung der übrigen Staaten, schon in ihrem eigenen Interesse, sich mit dem 'jüdischen Problem' nochmals zu beschäftigen, vor allem im Hinblick auf die durch das Hitlerregime veranlasste neue jüdische Auswanderung. "Seit der Schaffung des Hohen Kommis- sariats vor zwei Jahren," schrieb James G. MacDonald in seinem Brief an den Gene- ralsekretär des Völkerbundes, "hat die Lage in Deutschland, deren Folge der Flüchtlingsstrom ist, einen so ernsten Cha- rakter angenommen, dass eine neue Prü- fung des gesamten Problems durch den Völkerbund nötig erscheint." "Ich erlaube mir noch hinzuzufügen, dass der Völkerbund die Vereinigten Staa- ten von Nordamerika — und vielleicht noJfi Westchrster Square. Von dort mit K« Illx i» Omnllms Iii* Itronx lli'iH'li I'<»»>. (Du* Sommcrhrlm Int von jedem Punkte der Stallt für Hl Out» erreichbar.) SHERMAN CAFETERIA 2376 BROADWAY AT87thSTREET NEW YORK CITY Tel. SUsquehanna 7-8759 • Members of the Club patronize our störe after the meetings. Moses,Bermeo&Haas / Anwälte für aus- ländisches Recht .G Beratung u. Korrespondenz in allen deutschen Rechts- angelegenheiten, Prozess- und Erbschaftssachen. Vertragsentwürfe Firmengründungen Geldtransferierungen Einwanderungen « FRITZ MOSES vorm. 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