1 LL 2. Jahrgang NEW YORK, DEN 1. NOVEMBER 1936 119 No. 12 UntermfZwang der geschichtlichen Stunde. ■I!'f ' ""1: i'ö Die Schicksalsfrage der amerikanischen Juden. Von Dr. HANS MARTIN MEYER. Wenn wir das in der letzten Nummer des "Aufbau" gegebene Versprechen, nun- mehr das Tätigkeitsfeld der von uns ge- planten Organisation genauer abzustecken, heute noch nicht einlösen, so bestimmen uns zu dieser Veränderung unserer Dispo- sitionen die Menge und der Inhalt der Zu- schriften, die durch unsere ersten zwei Aufsätze veranlasst worden sind. Zu dem Wesentlichen dieser Meinungsäusserungen Stellung zu nehmen erscheint uns als zwin- gende Notwendigkeit. Vor allem fordert der in der gleichen Ausgabe wie unsere zweite Betrachtung erschienene Artikel "Zur Völkeribundsaktion des American Jewish Committee" von Ar- tur Schwertfeger eine Entgegnung. Bei voller Anerkennung des Willens zu solida- rischer Abwehrarbeit, der aus dieser Er- widerung spricht, muss gesagt werden, dass die Gedankenführung des Herrn Ver- fassers an den Realitäten vorbeiläuft. Der vom American Jewish Committee und sei- nen Verbündeten in Genf unternommene Schritt hatte doch wohl den Zweck, den un- ter der Schreckensherrschaft des deutschen Nationalsozialismus lebenden (oder viel- mehr schmachtenden) Menschen jüdischer Abkunft Hilfe zu bringen. Nur allzuschnell hat sich bestätigt, dass es sich hier um einen Versuch mit untauglichem Mittel handelte. In Genf hat man sich beeilt, der Skepsis, mit der wir das ganze Unterneh- men von Anfang an begleiteten, recht zu geben. Nach den uns vorliegenden Meldun- gen und den diese ergänzenden vertrau- lichen Informationen wird der Antrag des A. J. C. noch nicht einmal der Ehre teil- haftig werden, auf die Tagesordnung einer Vollversammlung des Völkerbundes zu ge- langen. Ein ausgezeichnetes Stück völker- rechtlich-politischer Arbeit ist somit "für die Katz'" geleistet worden. Unser ver- ehrter Opponent selber wird wohl schwer- lich erwartet haben, dass eine Institution, die bis jetzt sogar in vielen weltpoliti- schen Fragen so zarte Rücksicht auf die Empfindungen der Hakenkreuzler an den Tag gelegt und die eben jetzt die Position Danzig so jämmerlich geräumt hat, um der deutschen "Nichtarier" willen mit den Hitler und Konsorten anbinden werde ? Die Idee des Völkerbundes bejahen auch wir ohne Vorbehalt, aber die Wahrhaftigkeit verpflichtet uns, die heutige Wirklichkeit der "Societe des Nations" erbärmlich zu nennen und jede Hoffnung, die sich auf diese Wirklichkeit gründen sollte, von vorn- herein als eine törichte Illusion zu kenn- zeichnen. Das Allergünstigste, was aus dem Unternehmen des A. J. C. unter den obwaltenden Verhältnissen hätte entspries- sen, können, wäre gewesen, dass das Memo- randum bei einigen Mitgliedstaaten die Einsicht in das wahre Wesen des Nazismus vertieft und gleichzeitig den Vorsatz ge- kräftigt hätte, im Punkte der Minderhei- tenbehandlung unter keinen Umständen auf das streicherländische Niveau hinun- terzusinken. Das wäre aber auch das Aeus- serste, was an Positivem zu erhoffen ge- wesen wäre. Im Uebrigen bedarf es wohl keiner Her- vorhebung, dass wir bei unserer Diagnose den Genfer Leidens nicht von dem Bestre- ben geleitet waren, den. Nazis einen Ge- fallen zu tun. So-weit wir uns überhaupt mit der Psychologie der neudeutschen Bar- baren befassen, ist unser Studium haarge- nau auf das Ziel gerichtet, das auch Herr Schwertfeger aufs Korn genommen zu ha- ben versichert, nämlich auf die Bekämp- fung des Hakenkreuzlertums. Auf die Sätze einzugehen, die Herr Schwertfeger der Nachschrift zu unserem ersten Artikel gewidmet hat, sehen wir keine Veranlas- sung, denn jene Bemerkung stammte ja garnicht von uns, sondern von der Schrift- leitung des "Aufbau" und schlug zudem eine Saite an, die wir unsererseits mit Ab- sicht unberührt gelassen hatten. Dafür er- lauben wir uns, nachdrücklichst gegen die — vorsichtshalber in verschleiernd-allge- rneiner Form vorgetragene — Beschuldi- gung zu protestieren, dass wir mit unserer ("ungerechtfertigten") Kritik die jüdische Immigration von Deutschland nach den Vereinigten Staaten beeinträchtigten. Die amerikanischen Organisationen, zu deren Anwalt Herr Schwertfeger sich aufwirft, müssten von einem höchst unjüdischen Geist erfüllt sein, wenn sie aus einer streng sachlichen Beleuchtung des Pro- blems der Abwehr des Antisemitismus die Folgerung zögen, dass die Tore der U. S. A. für einlassbegehrende Juden aus Deutsch- land zu verriegeln seien! Vielleicht werden sie Herrn Schwertfeger von sich aus klar- machen, dass sie seine Andeutung als un- angebracht empfinden. Auf einen völlig andern Ton als der Schwertfegersche Aufsatz ist eine Zu- s.chrift gestimmt, die ein durch langjähri- ges erfolgreiches Wirken in der deutsch- jüdischen Arbeit legitimierter Mann an uns gerichtet hat. Hier wird erklärt, un- sere Betrachtungen stellten einen der besten Beiträge zum Thema der neudeut- schen Judenhetze dar, die seit der Macht- ergreifung Hitlers erschienen seien. Auch viele andere Aeusserungen von Lesern zol- len uns mehr oder minder stark betonte Anerkennung. Da es uns aber nicht um publizistischen Lorbeer, sondern um die Schaffung eines wirklich zuverlässigen Instruments zur Be- kämpfung der braunen Pest zu tun ist, fühlen wir uns verpflichtet, uns des nähe- ren mit einigen Erwägungen und Anregun- gen zu beschäftigen, die uns von Wohl- meinenden unterbreitet worden sind. Angesichts dessen, was wir in unsern ersten zwei Artikeln dargelegt haben, brauchen wir nicht lange bei dem freund- schaftlichen Rate zu verweilen, wir sollten uns doch an einen der "bereits bestehenden amerikanischen Verbände" anlehnen, statt das "Experiment einer Neugründung" zu wagen. Eine solche Verbindung bleibt für uns ganz ausser Betracht, denn, wie wir immer wieder hervorgehoben haben, winkt ein Kampferfolg nur auf einer Ebene, die von der ideellen und taktischen Basis jener ff» ■ Deutsche Bibliothek Frankfurt am Maln AUFBAU p * u> %<=r amerikanischen Vereinigungen getrennt ist. Aus der Rede, die der sattsam, be- kannte Herr Avery Brundage kürzlich auf' dem nazideutschen Tage im Madison Square Garden gehalten hat, machen wir uns den begeisterten Hinweis auf das Dritte Reich soweit zu eigen, dass wir den rücksichtslosen Willen der Nazis zur Selbstbehauptung unsern in den Vereinig- ten Staaten ansässigen Glaubensgenossen als vorbildlich empfehlen. Schon damit distanzieren wir uns unzweideutig gegen bestimmte Elemente der organisierten amerikanischen Judenschaft. Und wenn bei der hier bezeichneten Gruppe die kämpfe- rische Entschlossenheit fehlt, die gegen- über einem Feinde wie dem Nazismus un- bedingt nottut, so vermissen wir bei so ziemlich sämtlichen Spielarten und Ver- bänden das klare Wissen um das Wesen, die Nährkräfte, die Zielsetzungen und die Expansionsverfahren Streicherlands. Der Mangel an echter Kenntnis vom Hitlertum und seiner Giftigkeit hat es verschuldet, dass sich offizielle Sprecher des organisier- ten amerikanischen Judentums in den ver- flossenen dreieinhalb Jahren häufig Blossen gaben, die den Feind zu prompten Gegen- stössen geradezu einluden und denn auch allemal der gemeinsamen jüdischen Sache schweren Abtrag taten. Auf der andern Seite war nahezu bei jedem Treffer, den die amerikanisch-jüdische Seite erzielen konnte, mit Leichtigkeit nachzuweisen, dass die benutzte Waffe aus den geistigen Beständen der reichsdeutschen Abwehr- verbände stammte — jener Verbände, die nachträglich zu verspotten ein Lieblimgs- sport gewisser Leuchten des amerikani- schen Judentums geworden ist! (Was sol- len eigentlich die oft gehörten ironischen Bemerkungen über das — angebliche — Versagen dieser Organisationen ? Die poli- tischen und die gewerkschaftlichen b