Das Andere Deutschland (LA OTRA ALEMANIA) Periödico ajeman independiente PREIS: 20 CTVS. — JAHRESABONNEMENT: 8 PESOS BUENOS AIRES TUCUMAN 309 15. NOVEMBER 1939 - JAHRGANG II - NUMMER 19 . SONDERNUMMER England und wir deutschen Hitlergegner Hitlers sichere Niederlage Russisches „Affentheater" oder russische Realpolitik? Regierung Rauschning-Breitscheid-Wirth? Ist Hitler antikapitalistisch? Stimmen der Emigration zum Krieg England und wir! Als sich im vorigen Weltkrieg zeigte, dass die Hoffnung, England durch den unbeschränkten U-Boot-Krieg niederzuringen, nicht in Erfüllung ging, konzentrierten sich Enttäuschung und Wut in dem Wort "Gott strafe England". Im jetzigen Krieg v/endet sich die hitleristische Kriegspropa- ganda mit ihren Angriffen von vornherein fast ausschliesslich gegen Eng- land. Sie wirft England in der Hauptsache folgendes vor: 1. England besitzt das gewaltigste Kolonialreich der Welt. Es ist durch die Ausbeutung der Kolonien zum reichsten Lande der Welt geworden. 2. Die englische Politik lässt sich ausschliesslich vom Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung der englischen Weltmachtstellung und der Profitinter- essen der englischen Kapitaliätenklasse leiten Zu diesem Zwecke bean- sprucht England die Seeherrschaft und die Sicherung der Verbindungs- wge, vor allem des Weges nach Indien, der gewinnbringendsten aller englischen Kolonien. 3. England hat durch die Politik des europäischen Gleichgewichts die Zerrissenheit und den Unfrieden in Europa verewigt. Es hat die Kriege in Europa in der Haupsache durch seine Verbündeten austragen lassen und mit Hilfe dieser Kriege aus rein egoistischem Interesse immer dafür ge- sorgt, dass kein Staat in Europa zu mächtig wurde. 4. England hat mit geringen eigenen Opfern als Schiedsrichter nach zahl- reichen Kriegen grosse Vorteile für sich selbst gewonnen. 5. Es liegt im Interesse aller Staaten, die englische Weltherrschaft zu be- seitigen. Deutschland ist heute der Vorkämpfer der Freiheit und Selbst- bestimmung der Völker gegen die englische Weltmacht. Diese Propaganda wird in der ganzen Welt geführt, und es gibt fast über- all in der Welt Ansatzpunkte, von denen aus man die Stimmung gegen Eng- land beeinflussen kann. Hier in Argentinien z. B. bedient man sich der Frage des Besitzrechtes an den Malvinen, um die argentinische Volksseele zum Kochen zu' bringen. Wir können feststellen, dass die antienglische Propaganda sogar in den antihitlerischen deutschen Kreisen eine gewisse Wirkung hat. Es erscheint deshalb notwendig, einiges Grundsätzliches über das Verhältnis der deutschen Antifaschisten zu England in der ge- genwärtigen Kriegssituation zu sagen. Da ist zunächst zuzugeben, dass, wenn wir von dem üblichen Schimpf- und Gassenjargon der Nazis absehen, die Behauptungen der Nazipropa- ganda im Wesentlichen zutreffend sind. Die beherrschende Stellung Eng- lands als See- und Kolonialmacht ist nicht zu bezweifeln. Die englischen Methoden zur Erreichung und Aufrechterhaltung dieser Herrschaft bieten nur allzu viel Angriffsmöglichkeiten. Andererseits darf man allerdings nicht verkennen, dass die englischen Kolonisationsmethoden seit geraumer Zeit im allgemeinen weit einwandfreier und menschlicher sind, als es die deutschen je waren, und dass England Grosses zur ökonomischen und kulturellen Entwicklung seines Weltreichs geleistet hat. Der schwerste Vorwurf, den man England machen muss, ist der, dass die englische Poli- tik systematisch den Zusammenschluss Europas verhindert hat. Seit lan- gem schon fühlt sich England nicht mehr als europäische Macht, sondern als Weltmacht, deren wichtigste Interessen ausserhalb Europas liegen. Es 2 fürchtete ein einiges, mächtiges Europa und hat sich deshalb gegen alle Versuche zur Einigung Europas gewendet. Sobald ein Staat in Europa zu mächtig wurde, hat sich England ihm entgegengestellt und •— bisher lei- der immer erfolgreich — versucht, ein Bündnis europäischer Staaten ge- gen den gefährlich werdenden Konkurrenten zustande zu bringen. Das jüngste Beispiel dieser Politik hat zum Weltkrieg geführt. Schon bald nach dem Versailles Frieden hat England begonnen, den bisherigen Gegner Deutschland gegen das zu mächtig gewordene Frankreich zu stüt- zen. In diesem Bestreben hat es Hitler und das Dritte Reich gefördert. Es hat das spanische Volk den Faschisten ausgeliefert, es hat die Tschecho- slowakei preisgegeben, es hat das Münchener Schandabkommen herbei- geführt. Das alles sind Tatsachen, die wir nicht vergessen wollen und dürfen. Aus ihnen ergibt sich die politische Forderung, dass Englands verhäng- nisvolle Schiedsrichterstellung in Europa beseitigt werden muss. Das ist die Voraussetzung für den europäischen Zusammenschluss, ohne den es keinen Frieden und keine Zukunft für Europa gibt. "Wesentlich anders steht es mit der Frage des englischen Weltreichs. Doch darauf soll in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden. Aber wenn man auch grundsätzlich der Auffassung ist, dass mit der eng- lischen Gleichgewichtspolitik in Europa Schluss gemacht werden muss, so bedeutet das keineswegs, dass man den Hetzfeldzug Hitlerdeutschlands gegen England bejahen oder gar unterstützen darf. Zunächt ist einmal festzustellen, dass Hitler der Letzte ist, der ein Recht zu seinen Angriffen gegen England hat. Gerade er bewundert in seinem Buch "Mein Kampf" die englische Weltmachtpolitik, gerade er hat sich zu- nächst dazu hergegeben, als englischer Degen gegen Frankreich und Russland die Zerrissenheit Europas zu steigern. Gerade er hat dann eine skrupellose Zersetzungs- und eine brutale Eroberungspolitik getrieben, denen gegenüber alles verblasst, was England je getan hat. Gerade seine masslosen Herrschafspläne haben die Welt in chaotische Zustände und Europa in den heutigen Krieg geführt. Nicht England, sondern Hitler ist der Weltfeind Nummer Eins, während man England allerdings vorwerfen muss, dass es ihm allzu lange behilf- lich gewesen ist, seine verbrecherische Rolle zu spielen. Für uns Deutsche aber kommt noch ein Zweites hinzu. Hitler und der Na- tionalsozialismus haben Deutschland auf die tiefste Stufe der Erniedrigung geführt. Sie haben Deutschland in ein Zuchthaus und eine Folterkammer, sie haben die Deutschen in Sklaven und Sklavenhalter verwandelt. Sie haben Deutschland wirtschaftlich ausgeplündert und ruiniert, sie haben die deutsche Kultur vernichtet, sie haben den deutschen Namen mit Fluch und Schande beladen. Sie sind die Verderber Deutschlands, sie sind die Todfeinde jedes anständigen Deutschen. Ihre Vernichtung ist die Voraus- setzung für den Neufaufbau Deutschlands. Daraus ergibt sich mit absoluter Eindeutigkeit die kompromisslose Folge- rung, dass wir in diesem Kriege uns mit jedem Gegner des Hitlerregimes verbündet fühlen. Wir wiederholen unsere Formulierung aus der vorigen Nummer dieser Zeitschrift: "Da unser erstes und vornehmstes Ziel die Vernichtung der Hitlerdiktatur und des Nationalsozialismus ist, so ist für uns die Frage entscheidend, ob die Politik einer Macht zu diesem Ziele 3 beiträgt, oder im Gegenteil., auf eine Unterstützung der Hitlerdiktatur hinausläuft.... Soweit England heute für den Sturz Hitlers und des Na- tionaIsozialismus"2ämpft; stehen wir auf seiner Seite. (Wir halten einen Frieden, den England diktieren würde, für ein Unglück. Aber ein Friede, den Hitler diktieren würde, wäre ein unendlich viel grö- sseres Unglück, nicht nur für Europa und für die Welt, sondern auch für _ Deutschland. Man darf vielleicht hoffen, dass England — durch Schaden klug gewor- den — einen Wechsel in seiner Politik vornimmt, indem es zwar das eng- lische Imperium zu bewahren sucht, aber nicht mehr auf Kosten Europas, dass es vielmehr auf Grund seiner jüngsten bitteren Erfahrungen ein friedliches Zusammenleben mit einem geeinten Europa erstrebt. Aber wir können nicht darauf vertrauen, dass England durch Einsicht zur Um- kehr gelangt. Wir werden deshalb, soweit dadurch nicht Hitler gefördert wird, alle Tendenzen unterstützen müssen, die geeignet sind, ein engli- sches Friedensdiktat zu verhindern. Aber wir können das nicht tun, in- »dem wir auf die hitleristische Hetze gegen England hereinfallen. Es bleibt fdabei: Das Hitlerregime ist der Hauptfeind, seine Niederlage und Ver- fnichtung sind das Hauptkriegsziel. Neue Niederlagen Hitlers Politische Monatsübersicht Aus USA wurde kürzlich gemeldet, das allgemeine Interesse an den Kriegsereignissen sei in schnellem Abnehmen begriffen. Soweit sich das auf die direkten Kriegsereignisse bezieht, wäre das durchaus begreiflich, verläuft doch bisher dieser Krieg so ganz anders, als man es sich vorge- stellt hatte. Nur die Niederwalzung des unzulänglich bewaffneten polni- schen Heeres durch die motorisierten deutschen Divisionen entsprach, den Erwartungen der halbwegs Orientierten. Aber wenn wir alle ge- glaubt- hatten, der Krieg Hitlerdeutschland gegen England und Frankreich werde mit riesigen Luftangriffen auf die Hauptstädte und Industriezen- tren seinen Anfang nehmen, so ist bisher nichts davon geschehen. Und erst recht hat es bisher keine grossen Material- und Durchbruchschlachten gegeben. Statt dessen stehen sich die Millionenheere in der Siegfried- und in der Maginotlinie nun schon weitere vier Wochen so gut wie untätig gegenüber, und die Kriegsberichterstatter müssen Belanglosigkeiten auf- bauschen, um ihren Zeitungen etwas berichten zu können. Die beschei- denen Erfolge des Luftvorstosses nach Scapa Flow sind völlig vereinzelt geblieben. Die Erfolge des U-Bootkrieges stehen so weit hinter denen des Weltkrieges zurück, dass die Zahlen der versenkten Tonnage höchstens auf die naiven Gemüter der Leser der Göbbelspresse Eindruck machen können. In Wahrheit bedeuten sie eine schwere Enttäuschung für die na- zistische Kriegführung. Die fürchterlichen Drohungen mit dem Blitzkrieg haben sich schnell als Bluff und Schwindel herausgestellt. Damit soll keineswegs gesagt werden, dass es nicht in weiterem Verlauf des Krieges noch zu grossen Luftangriffen und furchtbaren Frontkämpfen kommen wird. Aber Hitler 4 hat das Moment der Ueberraschung und des Aufrüstungs- und Mobili- sationsvorsprungs eingebüsst. Nichts verrät deutlicher seine Schwäcne als sein bisheriges Zurückschrecken vor jedem grossen Angriff. Es ist die ununterbrochene Serie der politischen Miederlagen, die der Naziführung und dem hitlerdeutschen Generalstab das Konzept verdorben und den Mut genommen hat. Ueber die Fortdauer der Hitler immer mehr einschnürenden Tendenz der russischen Aussenpolitik und die eindeutige Ablehnung der erhofften mi- litärischen Unterstützung durch Molotow wird an anderer Stelle das Not- wendige gesagt. Wie katastrophal die Auswirkung dieser Politik für Deutschland ist, beweisen die brutalen Massenverpflanzungen der Balti- kum-Deutschen nach Deutschpolen, d. h. die völlige Preisgabe der bis- her von den Nazis so ungeheuer hoch bewerteten östlichen Bastionen des Deutschtums. Eine andere schwere Niederlage Hitlers ist der Abschluss der türkisch- englisch-französischen Allianz am 19. Oktober. Die vorhergehenden türkisch-russischen Verhandlungen liegen in ziem- lichem Dunkel. Scheinbar hat Russland lediglich auf deutsches Drängen von der Türkei die Aufgabe der freundschaftlichen Beziehungen zu Eng- land und Frankreich und die Sperrung der Dardanellen für die Kriegs- schiffe dieser beiden Mächte gefordert. Jedenfalls wurde der türkische Aussenminister trotz der Ablehnung dieser Forderungen fast betont herz- lich in Moskau verabschiedet, und von beiden Seiten wurde erklärt, dass die traditionelle russisch-türkische Freundschaft bestehen bleibe. Das ent- spricht der bisherigen russischen Politik, die keineswegs eine Stärkung der deutschen Stellung auf dem Balkan, ebensowenig allerdings die Abhän- gigkeit der Türkei von England wünscht. Der letzteren Gefahr ist durch die Erklärung der Türkei vorgebeugt, dass ihr Bündnis mit England und Frankreich gegenüber Russland keine Gültigkeit habe. Wie die Dinge liegen heisst das, dass es sich vorwiegend gegen Deutschland richtet. Der Türkenpakt ist zum Ausgangspunkt der Bemühungen um ein alle Balkanstaaten —■ auch das revisionistische Bulgarien — umfassendes Neu- tralitätsbündnis geworden, das sich in erster Linie gegen die Bedrohung durch Hitlerdeutschland richten würde. Wie vor und im ersten Weltkrieg ist der Balkan wiederum zu dem Punkt Europas geworden, wo alle impe- rialistischen Interessen und Gegensätze aufeinanderstossen. Was dort ge- schieht, wird von grosser Bedeutung für den Verlauf des Weltkriegs sein. Während England und Frankreich die Bemühungen um den Abschluss eines Neutralitätsbündnisses der Balkanstaaten unterstützen und zugleich die Ausfuhr der Balkanstaaten unter erheblichen finanziellen Opfern von Deutschland weg zu sich hinzulenken suchen, bemüht sich Hitler aus allen Kräften, beides zu verhindern. Seine Chancen stehen in diesem Kampf sehr schlecht, da alle Balkanstaaten Angst vor der deutschen Expansion haben, und da er nicht wie England und Frankreich bar zahlen kann. In letzter Zeit ist Italien auf dem Balkan sehr aktiv geworden. Es sucht die Kriegssituation ausznutzen zum Wiederaufbau seiner durch Hitlers Uebergewicht in die Brüche gegangenen Balkanposition, indem es sich den Balkanstaaten als Schützer ihrer Neutralität anbietet. Es ist anzunehmen, 5 dass diese dem allzu sehr diskreditierten Mussolini das nötige Misstrauen entgegenbringen werden. Von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Din- ge wird die Haltung Russlands sein. Als sicher darf man annehmen, dass Rumänien das zur Zeit der Schwäche Russlands geraubte Bessarabien zurückgeben muss, falls Moskau das verlangt. Als sehr wenig wahr- scheinlich darf gelten, dass Russland die deutschen Absichten unterstüt- zen wird. Möglich trotz des schweren Risikos bleibt, dass Deutschland trotzdem aus Not den Angriff über Ungarn gegen Rumänien wagen wird, um in den Besitz des absolut unentbehrlichen rumänischen Petroleums ?u gelangen. Es liefe damit Gefahr, dass Russland ihm in den Arm fällt. Aber selbst wenn Russland Gewehr bei Fuss stehen bliebe, würde das englisch-französische Bündnis mit der Türkei einen erfolgreichen Wider- stand Rumäniens ermöglichen. Jedenfalls ist der Vorstoss nach dem Bal- kan für Hitler sehr viel schwieriger geworden, als er sich das vorgestellt hatte. Erheblich leichter würde ein solcher Vorstoss mit Unterstützung Italiens sein, und so war ja auch die ursprüngliche Rechnung. Aber einmal würde Russland ein gemeinsames Vordringen Deutschlands und Italiens wohl sicher nicht ruhig mitansehen. Und zum andern wäre Italien dann dem gemeinsamen englisch-französisch-türkischen Angriff ausgesetzt. Endlich aber ist die Stimmung des italienischen Volkes so deutschfeindlich und frankreichfreundlich, das Mussolini, falls er das Vabanquespiel Hitlers mitspielen wollte, woran er wahrscheinlich nicht denkt, auf die grössten Schwierigkeiten im eigenen Lande stossen würde. Die Achsenfreund- schaft, für die Ewigkeit geschlossen, wird sich kaum mehr zu Taten gal- vanisieren lassen. Endlich bedeutet die Aufhebung des Waffenausfuhrverbots in USA für Hitler einen weiteren schweren Schlag. England und Frankreich haben, genügend Devisen, um die riesige Produktionskapazität der Vereinigten Staaten in grossem Ausmass für sich nutzbar zu machen. In absehbarer Zeit wird die englisch-französische Luftflotte der deutschen überlegen sein, und diese Ueberlegenheit wird schnell zunehmen. Das wiegt um so schwe- rer, als der erstaunliche Luftsieg der französischen Flieger mit neun ame- rikanischen Apparaten gegen 27 deutsche die Ueberlegenheit der ameri- kanischen Flugzeuge erwiesen hat. Der Jubel über den Siegeszug in Polen ist verstummt. Immer düsterer bal- len sich die Wolken über Hitlerdeutschland zusammen. Die nächste Zu- kunft wird vielleicht schon zeigen, ob sich Naziführung und Generalstab zu Verzweiflungsschritten hinreissen lassen, um aus der immer drohende- ren Umklammerung herauszukommen, oder ob ihnen dazu die Entschluss- kraft fehlt und sie sich darauf beschränken, auf irgendwelche wunderbare Errettung aus dem drohenden Untergang zu hoffen. Spenden für den Hilfsfond unserer Zeitschrift erbitten wir an "La Otra Alemania", revista mensual, Tucumän 309, Buenos Aires. Jede Spende wird quittiert. 6 Russisches Affentheater oder russiche Realpolitik Der Artikel über den Russenpakt, den wir in der vorigen Nummer veröf- fentlicht haben, ist sehr viel beachtet und diskutiert worden. Er hat ganz überwiegend Zustimmung, hie und da aber auch eine Kritik gefunden, die, soweit-sie uns zu Ohren gekommen'ist, weniger auf einer aufmerksamen Lektüre unseres Artikels, als auf schnellem gefühlsmässigen Urteil beruh- te, indem sie dem Aufsatz, der sich auf sachliche Untersuchungen be- schränkte, fälschlich eine nirgendwo geäusserte besondere Voreingenom- menheit für Sowjetrussland zum Vorwurf machte. Inzwischen sind am -5. und 6. November im "Argentinischen Tageblatt" uwei Artikel erschienen, von denen der erste neben einer Menge falscher oder schiefer Behauptungen wilde Angriffe auf das "Affentheater' der sowjet- russischen Politik enthielt, während der zweite mit nüchtern sachlicher und kenntnisreicher Objektivität Wesentliches über Grundlagen und Vor- aussetzungen der spezifisch scwjetrussischen "Realpolitik" zu sagen wuss- te. Diese Diskussionen sowohl wie die neuerlichen Ereignisse veranlassen uns, erneut zu der russischen Politik Stellung zu nehmen. Wir haben in unserm Artikel zum Russenpakt gesagt, dass die bisherige rusische Politik Hitler weit mehr geschadet als genützt habe, dass sie des- halb vom antihitleristischen Standpunkt aus bisher keinen hinreichenden Grund für die vielfach masslosen Angriffe gebe, und dass man abwarten müsse, ob das in Zukunft der Fall sein werde. Wir haben heute keine Ver- anlassung, einen anderen Standpunkt einzunehmen. Wenn man nicht zu Fehlschlüssen gelangen will, muss man Worte und Taten scharf unterscheiden. Ein paar Artikel der "Prawda" und die Rede Molotows vor dem obersten Sowjet atmen einen Zynismus, der sich in nichts von dem der so heftig bekämpften imperialistischen Diplomatie un- terscheidet. Es gehört allerlei dazu, die Schuld am Kriege England und Frankreich zuzuschreiben und die zu Tage liegende Hauptschuld Nazi- deutschlands schamhaft zu verschweigen. Es ist ein noch stärkeres Stück, England und Frankreich vorzuwerfen, dass sie nicht auf Hitlers Friedens- angebot nach der brutalen Vergewaltigung Polens eingegangen seien. Da- gegen kann man weit weniger Einspruch erheben gegen den Vorwurf, England und Frankreich führten den Krieg aus imperialistischen Macht- gründen. Nachdem die Regierungen Chamberlain und Daladier, die noch immer am Ruder sind, für Oesterreich und die tschechoslowakische Repu- blik keinen Finger gerührt, nachdem sie die Judenverfolgungen geduldet und Spanien den Faschisten ausgeliefert haben, hat man ein etwas pein- liches Gefühl, wenn sie heute erklären, dass sie für Freiheit und Mensch- lichkeit kämpften. Und dennoch tun sie das bis zu einem gewissen Grade, auch wenn sie zunächst nur zur Verteidigung ihrer Machtpositionen ins Feld gezogen sind, weil das Hitlerregime die äusserste Steigerung des Im- perialismus zu hemmungsloser Aggression und brutalstem Gewaltglau- ben nicht nur, sondern geradezu die Verkörperung skrupellosen Verbre- chertums ist. Dass die Sowjetregierung das nicht sieht, liegt an ihrer fälschlich vereinfachenden Auffassung, nach der Kapitalismus und Kapi- talismus, Imperialismus und Imperialismus dasselbe sind, einerlei ob es sich um demokratische oder faschistische Staaten, um Verteidigung, oder Angriff handelt. 7 Unsympathisch ist es zweifellos auch, wenn man Finnland Angriffsabsich- ten vorwirft, während das kleine Finnland sicher heilfroh ist, wenn man es ungeschoren lässt. Andererseits konnte allerdings Finnland ebenso sehr wie die baltischen Staaten bisher zu einer schweren Bedrohung Scwjet- russlands werden, Sobald es von Deutschland als Angriffsbasis benutzt wurde, etwas, was nicht nur im Bereich der Möglichkeit lag, sondern in antibolschewistischen strategischen Plänen längst einkalkuliert war. Soviel zum russischen Wortkrieg! Die Tatsachen reden eine andere Sprache. Hier operiert Russland keineswegs "planlos und überstürzt, teils frech, teils unsicher", wie es der oben erwähnte gehässige Artikel kürzlich glau- ben machen wollte, sondern ganz im Gegenteil äusserst planvoll, um- sichtig und geschickt. Es nutzt den Krieg aus, um systematisch seine Stel- lungen für kommende Zeiten auszubauen. Es hat zunächst, dem deut- schen Vormarsch einen Riegel vorschiebend, diejenigen Teile Polens be- setzt, auf die es einen Anspruch hatte, und von massgebender englischer Seite ist erklärt worden,' dass man diese Gebiete nicht für Polen zurück- fordern werde. Die unlösbare Aufgabe, ausser mit der Tschechoslowakei auch noch mit den eigentlichen polnischen Gebieten fertig zu werden, hat es Hitler überlassen. Es ist weiterhin dabei, sich im Gegensatz zu den brutalen Vergewaltigungen Hitlers mit immerhin zivilisierteren und auf die Dauer wirksameren, Methoden die entscheidenden strategischen und ökonomischen Positionen in der Ostsee zu sichern. Zähneknirschend muss man in Berlin gute Miene zu dem bösen Spiel machen, das Hitlers Vor- machtstellung in der Ostsee und seinen kühnen Träumen vom "Ritt nach Osten" ein unerwartet plötzliches Ende macht. Greifbare Vorteile kann Hitler die Belieferung mit russischen Rohproduk- ten bringen. Für sie ist wiederum die Stellung Sowjetrussland zur Ge- samtheit der kapitalistischen Staatenwelt massgebend. Aus Sorge vor einem Angriff nimmt es immer Stellung gegen die jeweils stärksten Staa- ten oder Staatengruppen für die jeweils schwächsten. Früher für Deutsch- land gegen Frankreich, dann gegen Hitlerdeutschland für kollektive Si- cherheit, solange es in Hitlerdeutschland den gefährlichen Gegner sah; heute, wo Hitlerdeutschland geschwächt und tödlich bedroht ist, hat es seine Stellung aufs neue gewechselt und sucht lavierend den Krieg vor allem zum Ausbau seiner eigenen Machtstellung auszunutzen. Wie weit die ökonomische Unterstützung Hitlerdeutschland geht, lässt sich heute noch nicht sagen, sicher nicht so wßit, dass Hitler dadurch ent- scheidend gestärkt würde. Eine wirkliche Stärkung Hitlerdeutschlands :st das letzte, was Sowjetrussland wünschen kann. Ebensowenig weiss man, wieweit Russland bereit ist, England zu beliefern. Interessant ist, dass ge- wichtige Stimmen in England — nicht nur Lloyd George — fordern, dass wegen dieser Frage nun endlich einmal ein leibhaftiger englischer Mini- ster sich auf den Weg nach Moskau begeben möge, nachdem bisher zwar Chamberlain persönlich sich zweimal zu Hitler bemüht habe, man aber nach Moskau nur Leute zweiter Garnitur und ohne Vollmachten gesandt habe. Unter den Worten, die von Moskaus Seite gesprochen worden sind, ist ei- nes^ wichtiger als alle anderen, nämlich die Erklärung Molotows, dass Russ- land sich nicht in den Krieg ziehen lassen wolle, sondern unbedingt an seiner Neutralität festhalte. Das war eine denkbare deutliche Absage an. 8 das Drängen Berlins nach Abschluss eines Militärbündnisses und eine schwere Enttäuschung der Hoffnungen Berlins auf die militärische russi- sche Hilfe. Endgültige Antwort in dem Streit über Russlands Rolle im gegenwärtigen Kriege wird die Entwicklung auf dem Balkan geben. Sollte Russland Hit- ler den Weg zum Schwarzen Meer und zum russischen Petroleum freige- ben, so würde es damit Hitler wirklich höchst ernsthafte Helferdienste lei- sten, und wir würden dann eine solche Politik aufs entschiedenste be- kämpfen. Verlegt es aber, wie bisher, auch weiterhin Hitler den Weg zum rumänischen Petroleum — und nur Russland ist dazu in der Lage —, so versetzt es damit Hitler einen mindestens ebenso entscheidenden Schlag, wie die Aufhebung des Waffenausfuhrverbots aus USA darstellt. Rauschning - Breitscheid - Wirth? Innerhalb der politisch aktiven deutschen Emigration — und nur auf die- se kommt es an — ist des öfteren über die Bildung einer deutschen Ge- genregierung nach Ausbruch des Krieges gesprochen worden, den man für immer unvermeidlicher halten musste, je mehr die englische Politik jede rechtzeitige Aktion gegen die wachsenden Provokationen des Hitler- regimes verhinderte. Man könnte zur Befürwortung einer solchen Gegenregierung auf die jetzi- ge polnische und die in der Bildung begriffene tschechoslowakische Re- gierung hinweisen. Aber der Unterschied liegt auf der Hand. Bei Polen handelt es sich um einen mit England und Frankreich verbündeten Staat, dessen Vernichtung durch Deutschland nicht anerkannt worden ist, und ebenso wenig ist die Angliederung der restlichen tschechoslowakischen Republik an Deutschland anerkannt worden. Für die ausserhalb ihres vom Feinde besetzten Landes tätigen polnischen und tschechischen Regierun- gen handelt es sich um die Wiederherstellung der Unabhängigkeit ihrer Länder, ein Ziel, demgegenüber alle sonstigen Meinungsverschiedenheiten natürlich zurücktreten. Nun kann man gewiss sagen, dass auch vom Standpunkt der deutschen Emigration aus Deutschland vom Feinde besetzt ist. Aber es handelt sich beim nationalsozialistischen Regime nicht um einen fremden Eroberer, son- dern um eine Diktatur, die trotz all ihrer Verbrechen aus dem eigenen Volk stammt, und hinter der grosse Teile des deutschen Volkes stehen. Für die deutsche Emigration, die nicht durch die Vertreibung fremder Eroberer und Unterdrücker ihr Land befreien will, die vielmehr am Sturz einer nach ihrer Ueberzeugung für Deutschland verhängnisvollen Dikta- tur aktiv mitwirken will, ist die Frage entscheidend, was nach dem Sturz der Hitlerdiktatur kommen soll. Und da werden die Ziele der politischen deutschen Emigration, auch wenn sie, wie das notwendig ist, jeden Na- tionalismus und Imperialismus ablehnt, voraussichtlich erheblich abwei- chen von den Kriegszielen der englischen und französischen Regierung. Das braucht ein enges Zusammenarbeiten zum Sturz Hitlers keineswegs zu hindern. Ein solches ist vielmehr unbedingt notwendig. Und wenn die Emigration eine Macht darstellen würde, mit der sich Bündnisse abschlie- ssen liessen, würde ein solches Bündnis selbstverständlich sein. Etwas an- 9 deres aber ist es, wenn eine deutsche Gegenregierung lediglich nach den Wünschen und Bedürfnissen etwa der Londoner City und der Regierung Chamberlain gebildet würde. Sie wäre nichts als ein Werkzeug der eng- lischen Politik und besässe keine Möglichkeit selbständiger Aeusserungen und Entscheidungen. Nun ging vor ein paar Wochen eine Nachricht durch die Presse, nach der schon die Männer für eine solche deutsche Gegenregierung in Aus- sicht genommen seien. Die Namen, die genannt wurden, würden die schlimmsten Befürchtungen rechtfertigen. Der angebliche präsumptive Ministerpräsident, Herr Rauschning, war noch Jahre nach Ausbruch des Dritten Reichs nationalsozialistischer Senatspräsident in Danzig. Er wusste als prominentes Mitglied der NSDAP, genau Bescheid über die Greuel der Konzentrationslager, über die Judenverfolgungen, über den ganzen brutalen Terror, mit dem die deutsche Freiheit und die deutsche Kultur vernichtet wurden. Er ist erst recht spät zur Einsicht gelangt, er hat erst recht spät in einem in dieser Hinsicht lobenswerten Buch ausge- sprochen, was er lange mit zu verantworten hatte. Nun soll sicher Freude sein über einen Sünder, der Busse tut, aber einen solchen langjährigen nationalsozialistischen Sünder gleich zum Ministerpräsidenten einer anti- nazistischen Gegenregierung auszuwählen, das mag möglicherweise den bisher so faschistenfreundlichen Neigungen massgebender englischer Kreise entsprechen, es ist aber für die deutsche Opposition im Inland und im Ausland vollständig indiskutabel. Und es verrät nicht gerade sehr viel Takt, wenn eine deutsche antifaschistische Buchhandlung in Buenos Ai- res das Buch von Rauschning in sensationeller Weise als das Buch des künftigen deutschen Ministerpräsidenten angekündigt hat. Was Breitscheid und Wirth angeht, so tragen sie als prominente Vertre- ter der offiziellen Politik der Sozialdemokratie und des Zentrum ihr voil- gerütteltes Mass Schuld an der Politik Brünings, die systematisch die De- mokratie ausgehöhlt und so der Diktatur Hitlers den Weg bereitet hat. Breitscheid war so einsichtsvoll, dass er bald nach dem Ausbruch des Dritten Reichs den völligen Zusammenbruch dieser "Stillhaltepolitik" ein- gestanden und der Meinung Ausdruck gegeben hat, dass die dafür ver- antwortlichen Politiker abzutreten hätten. Auch diese beiden Politiker der Weimarer Republik besitzen zweifellos innerhalb und ausserhalb Deutschlands nicht das Mindestmass von Vertrauen, das sie unbedingt nö- tig haben würden. Eine deutsche Gegenregierung hätte nur dann Sinn, wenn sie von der politischen Emigration gebildet würde, da die an sich massgebende in- nerdeutsche Opposition ihren Willen nicht geltend machen kann. Aber bei der derzeitigen Zersplitterung der politischen deutschen Emigration würde die Bildung einer solchen Regierung wahrscheinlich auf sehr gro- sse Schwierigkeiten stossen. Und selbst wenn sie möglich wäre, ist es sehr fraglich, ob die englische und französische Regierung ihr die unent- behrliche Aktionsfreiheit zugestehen würden. Es ist möglich, dass im wei- teren Verlauf des Krieges die Situation für die Bildung einer deutschen Gegenregierung reif wird. Heute ist das noch nicht der Fall. Die Gerüchte über die Bildung einer solchen Regierung sind wohl nicht allzu ernst zu nehmen. Sollte aber wirklich eine Regierung Rauschning-Breitscheid- Wirth geplant sein, so würde ihr jede Autorität bei der überwiegenden 10 Mehrheit der politischen Emigration und der Opposition in Deutschland und damit jede Wikungsmöglichkeit fehlen. Eine andere Frage ist die Bildung eines vorläufigen verantwortlichen Ge- samtausschusses der politischen deutschen Emigration, die ohne Autori- sierung der englischen und französischen Regierung erfolgen könnte. In ihm könnten sich alle zur Zusammenarbeit bereiten Gruppen zusammen- finden, und er hätte zweifellos höchst wichtige Aufgaben zu erfüllen. Aus seiner Mitte würde dann auch eine künftige deutsche Gegenregierung gebildet werden können. Wir und das "antikapitalistische" Deutschland Als Herr von Thermann bei seiner Rückkehr nach Buenos Aires den Ju- den Karl Marx und dessen Mitstreiter Friedrich Engels plötzlich zu gro- ssen Deutschen erklärte, horchte so mancher auf. Handelte es sich nur um einen falschen Zungenschlag des "März-Gefallenen" von Therm ann? Vielleicht aber hatte die politische Annäherung an Sowjet-Russland tat- sächlich schon zu einer ideologischen Beeinflussung in sozialistischem Sinne geführt? Oder wandte der Sendling des Dritten Reichs nur einen plumpen Propaganda-Trick entsprechend den Richtlinien des Herrn Goebbels an? Man mag das Verhalten Russlands begrüssen oder auch nicht. An einer Tatsache können Freunde der Molotoffschen Politik ebensowenig wie seine Kritiker achtlos vorübergehen: Sie hat wenigstens zunächst einmal Verwirrung in die Reihen der Arbeiter getragen. _ Auf der einen Seite wendet sich der ' 'Arbeitsausschuß deutscher und österreichischer Sozialisten", zu dem sich die Mehrheit der sozialistischen Organisationen in der Emigration zusammengeschlossen haben, mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, in der es heisst: v'Die deutschen und österreichischen Sozialisten verurteilen daher den deutsch-russischen, Nichtangriffspakt auf das entschiedenste." Und eine ähnliche Stellung nehmen selbst Emigranten-Zeitschriften ein, die bisher wie die "Neue Weltbühne" weitgehende Sympathien für Sowjet-Russland bewiesen. Ganz abgesehen davon, dass selbst die internationale Zentrale der Trans- port-Arbeiter, die stets auf dem linkel Flügel der Gewerkschafts-Bewe- gung stand, in ihrer Presse-Korrespondenz schreibt: "Arbeiter fühlen sich verraten, verraten von Hitler und Stalin." Auf der anderen Seite teilt aber auch eine nicht geringe Zahl derjenigen, die mit dem Kommunismus sympathisieren, die Ansicht, dass ein Staat wie Russland nicht den Sozialismus verraten kann, und dass deshalb auch die deutsch-russischen Abkommen gerechtfertig sein müssen. Viele Arbeiter endlich stehen mit ihrer Ansicht zwischen denen, welche die neue Wendung der russischen Politik unbedingt verurteilen, und de- nen, welche sie unbedingt verherrlichen. Diese Situation suchte Herr Goebbels auszunutzen, indem er die abge- nutzte Parole des Antikapitalismus als angeblicher Basis für die Zusam- menarbeit Deutschlands und Russlands wieder einmal hervorholte. Inso- fern hielt sich darum auch Herrn von Thermcmns Verbeugung vor Marx und Engels in der offiziell'vorgezeichneten Linie. 11 Enthält, aber die Behauptung vom Antikapitalismus des Dritten Reichs nicht doch ein Körnchen Wahrheit. Wir könnten es uns bequem machen und als Gegenbeweis auf die vielen arbeiterfeindlichen Massnahmen hinweisen, über die wir allein schon unter der Rubrik "Deutsches Mo- saik" in früheren Nummern unserer Zeitschrift fortlaufend berichteten. Hier scheint uns jedoch eine grundsätzliche Betrachtung am Platze. Unter Sozialismus bezeichnet man einen Gesellschaftszustand, in dem verhindert ist, dass eine Klasse eine andere ausbeute. Als Voraussetzung für diesen Zustand wird gewöhnlich die Ueberführung der Produktions- Mittel in gesellschaftliche Eigentum angesehen. Der Umstand nun, dass f das Dritte Reich jede Gelegenheit ausnutzt, um industrielle Werke an sich zu reissen, dass es aus kriegswirtschaftlichen Notwendigkeiten immer stärker in die Wirtschaft eingreift, veranlasste gerade hochkapitalistische Kreise, dem Nationalsozialismus bolschewistische Tendenzen vorzuwer- fen. Si$ haben damit nur Wasser auf die nationalsozialistischen Propa- ganda-Mühlen geleitet, die das Lied vom Antikapitalismus klappern soll- j ten. Um aber zu beweisen, dass Eingriffe in die Wirtschaft, ja selbst die wei- testgehende Verstaatlichung von Betrieben an sich so wenig mit Sozialis- mus zu tun haben brauchen, wie manche Wahlen mit Demokratie, dazu bedurfte es nicht Adolf Hitlers. Die wichtigste Voraussetzung für eine so- zialistische Gesellschaft bleibt im Dritten Reich unerfüllt: die Beseitigung der Ausbeutung einer Klasse durch eine andere. Ja, man kann sogar mit gutem Recht behaupten, dass alle Massnahmen des Nationalsozialismus darauf hinauslaufen, den herrschenden Wirtschafts-Zustand im Prinzip zu erhalten. ' Wenn die Freizügigkeit der Arbeiter, das Recht sich selbst den Arbeits- platz auszusuchen, aufgehoben wurde; wenn jede direkte oder indirekte Lohnaufbesserung verboten wurde; wenn man die Gewerkschaften zer- ' schlug und die darin angesammelten Arbeitergroschen stahl, so diente ■ alles dem gleichen Zweck. Gefolgschafts-Abende und "Kraft durch Freu- de"-Reisen sollten darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde nichts ge- ; ändert ist: Auf der einen Seite stehen die Arbeiter, deren Lebensbedin- gungen teilweise noch unter dem Existenz-Minimum gehalten werden. | Auf der anderen Seite erfreuen sich die Unternehmer ungeahnter Ge- j winne. , Anti-Kapitalismus oder gar Sozialismus? Alles Andere als das herrscht im Dritten Reich. "Volk ohne Raum", dieses Schlagwort kennzeichnet die wahren Absichten der herrschenden Schicht. Der Kampf um neuen "Le- bensraum", was ist das sonst als Imperialismus in Rein-Kultur? Will man diesen Kampf gewinnen, dann muss man zu vorübergeheden Opfern be- reit, dann muss auch der Unternehmer mit gewissen Einschränkungen seiner Wirtschafts-Freiheit einverstanden sein. Ihm winkt ja umso grö- sserer Lohn in den eroberten Gebieten. Dort werden die Arbeiter nicht nur wehrlos sein, weil sie Arbeiter, sondern auch weil sie "rassisch" min- derwertig, sind. Wer da noch von Anti-Kapitalismus sprechen wollte, den sollte man ge- radenwegs ins Dritte Reich verfrachten. Er wird dort bald eines Besseren belehrt werden. Nannte Lenin vor etwa 20 Jahren den Imperialismus die jüngste Etappe des Kapitalismus, so muss man heute den Nationalsozia- 12 lismus als die jüngste und brutalste Etappe des Imperialismus bezeich- nen. Mögen darum England und Frankreich auch hoch-imperialitische Staaten sein. Mögen sie ihr gerüttelt Mass Schuld am Nationalsozialis- mus tragen. Wenn sie heute jener brutalsten Form des Imperialismus den Garaus machen, so verdienen sie dabei gerade von Sozialisten weitge- hende Unterstützung. Es lebe die Freiheit! In der Tat, wenn es einen gibt, welcher die deutsche Freiheit so vernichtet wünscht, dass wir gegen kein Unrecht, keine Schmach mehr Einrede tun dürfen, der möge zusehen, dass nicht jene so geknebelte und fast erwürgte Freiheit einmal, zu der Unterdrücker grösstem Schaden, plötzlich ausbre- che und sich wiederherstelle. Einfangen und leicht binden lässt sich die Freiheit wohl, zumal wenn es einer geschickt und schlau anzugreifen weiss, umbringen und abschlachten lässt sie sich nicht und sie ganz zu ver- nichten, ist unmöglich. Doch soviel ich sehe, wird ihre Tyrannei die läng- ste Zeit gedauert haben, und wenn mich nicht alles trügt, bald vernich- tet werden. Denn gelegt ist bereits an der Bäume Wurzel die Axt, und ausgerottet wird jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt. — Das sollt ihr nicht mehr hoffen, sondern nächstens mit Augen sehen. Inzwischen seid guten Mutes, ihr deutschen Männer, und muntert euch wechselseitig ,auf. Nicht unerfahren, nicht schwach sind eure Führer zur Wiedergewin- nung der Freiheit. Beweiset nur ihr euch unerschrocken und erliegt nicht mitten im Kampf. Denn durchgebrochen muss endlich werden, durchge- brochen, besonders mit solchen Kräften, mit einem solch guten Gewissen, für eine so gerechte Sache und da das Wüten dieser Tyrannei aufs höch- ste gestiegen ist. Das tut und gehabt euch wohl! Es lebe die Freiheit! (Ulrich von Hutten, 1520) Drei Monate kostenlos zur Probe versenden wir "Das Andere Deutschland" an Adressen, die uns von unseren Abonnenten aufgegeben werden. Benutzen Sie den untenste- henden Schein: Ich bitte, "DAS ANDERE DEUTSCHLAND" auf drei Monate kostenlos zur Probe zu senden an folgende Adressen: 1........................................... 2........................................... 2..................■........................ 4........................................... Name und Adresse des Abonnenten: Stimmen der deutschen Emigration zum Krieg Aufruf der Deutschen Freiheitspartei (Bürgerliche Opposition) Krieg! Es ist Hitlers Krieg. Sein Aufstieg war Qual des deutschen Volkes — sein Niedergang soll Qual der ganzen Menschheit sein. Für diesen blu- tigen Abstieg, für seinen Krieg hat er sechs Jahre lang das deutsche Volk zu versklaven und sich gefügig zu machen versucht. Für diesen Krieg hat er das deutsche Volks vermögen vergeudet, rühmt er sich jetzt schon 90 Milliarden verausgabt zu haben, noch bevor er begonnen hat. Neunzig Milliarden! Das war die Schuldenlast, die uns im Laufe von vier furchtba- ren Kriegsjahren aufgebürdet worden ist, und die dann Inflation und Ruin zur Folge gehabt hat. Hitler hat die gleiche untragbare Last in vier Frie- densjahren uns aufgeladen — sie musste dieselben ruinösen Folgen ha- ben wie jene nie getilgte Kriegsschuld. Das hat Hitler gewusst. Das haben sie alle gewusst, die sich diesem zugelaufenen Fremden, der nie dem deut- schen Volke wirklich zugehörig war, als willige und gewissenlose Helfer zur Verfügung gestellt haben'. Für sie alle ist die Flucht in den Krieg die Flucht vor der Verantwortung. Aber sie werden ihr nicht entgehen. Krieg! Mit schreckgeweiteten Augen starrt die Menschheit auf das Untier., das auf sie los gelassen ist. Sie hört das grausige Schnauben der Pferde der apokalyptischen Reiter. Und niemand weiss, was in Wochen, Monaten oder Jahren unser Los sein wird. Nie ist ein Krieg gewissenloser entfesselt worden; nie ist einem Krieg eine verlogenere, zynischere Begründung ge- geben worden. Die Reichstagsbrandstifter haben jetzt die Welt in Brand gesteckt. Diesmal gbt es keine Kriegsschuldfrage — es gibt, für alle Welt erkennbar, nur einen Schuldigen — der heisst Hitler! Hitler, des Lügner und Lump, ist der Verbrecher, der unser Land und die ganze Welt in sei- nen Untergang mitreissen will. Als Lügner und Lump wird er in die Ge- schichte eingehen und im Buch der deutschen Geschichte wird die Ge- waltherrschaft des Nationalsozialismus das beschämendste und tieftrau- rigste Kapitel sein. Wir Deutschen, die wir den Hitlerismus hassen, sind in einer verzweifelten seelischen Verfassung. Wir lieben unser Vaterland und wir lieben auch unser verführtes und vielfach immer noch ahnungsloses Volk. Wir verken- nen und verkleinern nicht die Schuld, die wir an der Entwicklung zum Kriege tragen. Diese Schuld sehen wir in unserer Schwäche, in dem Un- vermögen, dem Nationalsozialismus beizeiten den Garaus gemacht zu ha- ben. Wir tragen seit langem die Strafe für diese Schwäche und tragen sie jetzt noch schwerer, da wir erleben müssen, dass die nationalsozialistische Geissei alle anständigen Menschen und Völker bedroht. Aber wir danken Gott, dass er die Menschheit gegen den Feind und Verächter der Mensch- heit aufstehen lässt. Wir flehen zu Gott, dass er mit seiner Kraft diesen Feind seines heiligen Gesetzes zerschmettere — dass er die Völker wie- der zusammenführe und sie eins werden lasse in der Verteidigung ihrer höchsten Güter: in der Achtung vor Gesetz und Recht, in der Achtung vor einander und jedes Menschen Würde, in der Achtung vor dem gegebenen Wort, in Treue und Freundschaft zueinander. Chamberlain hat das verpflichtende Wort gesprochen: Wir wollen dem 14 deutschen Volk nichts übles antun, aber wir können nicht mehr mit dem Nationalsozalismus leben. Wenn dies Wort England verpflichtet, dann verpflichtet es auch uns. Wir können nicht für den Hitlerismus, sondern nur gegen ihn kämpfen. Wir können und dürfen nicht unser Leben einset- zen für den Nationalsozialismus, dessen Schlechtigkeit und Verwerflichkeit wir seit Jahren schaudernd erleben. Hitler aber hat uns aufgefordert, für das nationalsozialistische Deutschland zu kämpfen. Das wrden wir nie tun, im Gewissen nie tun dürfen. Wir wollen kämpfen für ein freies und an- ständiges, von nationalsozialistischen Ausbeutern gereinigtes Deutschland, für das Deutschland unserer Väter, für das wahre, das ewige Deutsch- land. Die Stunde Hitlers und seiner Kohorten hat geschlagen. Wir haben zu wählen zwischen Hitler und Deutschland. Wir haben uns entschieden für die Freiheit, für Recht und Sitte, für Deutschland gegen Hitler! Gott schütze unser armes Deutschland! Gott schütze alle Völker und verderbe den Feind der Menschheit! DEUTSCHE FREIHEITSPARTEI. Aus der Stellungnahme den Freien Gewerkschaften . . . . Deutschland hat den Krieg in der ökonomisch schwierigsten Situation begonnen Vielleicht hat gerade deshalb das Naziregime diesen schauer- lichen Absprung unternommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach sahen die Bankerotteure keinen anderen Ausweg mehr. "Wir haben nichts zu verlie- ren, aber alles zu gewinnen", lasen wir dieser Tage am Schlüsse eines Aufrufes der NSDAP. In der Reichstagsrede vom 1. September erklärte Hitler: "Ueber sechs Jahre habe ich nun am Aufbau der deutschen Wehr- macht gearbeitet. In dieser Zeit sind über 90 Milliarden für den Aufbau unserer Wehrmacht, aufgewendet worden." Ein furchbares Eingeständnis! Dafür hat das deutsche Volk gearbeitet und gehungert. Göring hat kein Hehl daraus gemacht, als er brutal erklärte: "Kanonen sind wichtiger als Butter!" Nachdem sie den Volkswohlstand und die letzten ökonomischen Reserven des deutschen Volkes verprasst hat, fordert der Wahnwitz der nationalsozialistischen Parteihierarchie auch noch das Blut und das Leben des ganzen deutschen Volkes. Die sechsjährigen Entbehrungen, die sich das deutsche Volk unter der Naziherrschaft auferlegen musste, werden jetzt als letzter verzweifelter Einsatz auf die Schlachtfelder des Krieges gewor- fen. "Nach uns die Sintflut!" — das ist der Abgesang der nationalsozia- listischen Götterdämmerung. Eine vorsorgliche Regierung denkt in Kriegszeiten an alles und deshalb hat die Reichsregierung auch ein strenges Verbot des Abhörens der aus- ländischen Radionachrichten erlassen. Zuchthausstrafe und in besonde- ren Fällen sogar die Todesstrafe, stehen auf der Uebertragung dieses Verbotes! So geschlossen steht das Volk hinter Hitler, dass der Radioap- parat zum Ausgangspunkt des Umsturzes in Deutschland werden kann. Zugleich aber: So sehr fürchtet das Naziregime die Wahrheit und das freie Wort! Wahrhaftig, das Naziregime hat viel zu fürchten! Es hat jetzt die letzte Hülle fallen lassen und zeigt sich nun auch der Umwelt in seiner ganzen nackten und ablassenden Brutalität. Das deutsche Volk aber muss nun 15 in seiner Gesamtheit erkennen, dass es in der grauenvollsten Weise irre- geführt und missbraucht worden ist. Unter diesen Auspizien beginnt Hit- ler den zweiten europäischen Krieg. Der Ausgang kann nicht zweifelhaft sein. In der geschichtlichen Auseinandersetzung, die nun begonnen hat, stehen wir auf der Seite des Rechtes, der Freiheit und der Menschlichkeit. Auf diesen Grundsätzen muss sich eine neue europäische Ordnung er- heben; ihre erste Voraussetzung ist die Zertsörung der Diktatur. Dem deutschen Volke winkt die Befreiung — dem Naziregime der Sturz! (Neue Gewerkschafts-Leitung, Sept. 1939) Aus dem Aufruf der "Freunde der sozialistischen Einheit Deutschlands" .... Unsere Verantwortung, die Verantwortung der freiheitlich gesinnten Deutschen, besonders die Verantwortung der deutschen Arbeiter ist ins Ungeheuere gewachsen. Es besteht die unmittelbare, grosse Gefahr, auf die wir wiederholt und eindringlich hinwiesen, dass das Hitlersystem das deutsche Volk und Deutschland mit sich in den Abgrund reisst. Das muss verhindert werden. - Es genügt nicht, sich von dem verruchten System zu trennen, sondern die geschichtliche Aufgabe der breiten Volks- massen in Deutschland besteht darin, das Hitlersystem in Deutschland selbst zu stürzen, noch bevor es Gelegenheit hat, in den Ländern der Welt allzu grosse und nicht wieder gut zu machende Verbrechen anzurichten. / Diesmal dürfen keine vier Jahre verstreichen, bevor das deutsche Volk sich dazu aufrafft, sein Geschick selbst zu gestalten. Und das Hitlersystem kann in Deutschland getroffen, in Deutschland selbst vernichtend geschlagen werden. Es geht unter den schwierigsten Verhält- nissen in den Krieg. Seine ehemaligen Verbündeten haben es in Stich ge- lassen; in Deutschland selbst herrscht Mangel und Not, und der Wille der Massen richtet sich gegen den Krieg. In den freien Ländern drängen sich Hunderttausende von Freiwilligen zu den Fahnen. Die nationalsozialistische Kriegsbotschaft hingegen enthält nichts als Todesdrohungen gegen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Deutsche Genossen und Arbeiter! Die Stunde der Abrechnung naht. Zö- gern wir nicht, alles heute schon Mögliche zu tun, um den Sturz des dem Untergang geweihten Hitlerregimes zu beschleunigen. Aus dem Aufruf der österreichischen Sozialisten: . . . . Eine Geste Hitlers hätte genügt, um den Krieg zu verhindern. Aber dieser verbrecherische Hasardeur, der Deutschland in die wirtschaftliche Not und den wirtschaftlichen Wahnwitz gestossen hat, aus denen er kei- nen Ausweg mehr weiss, dieser blutige Demagoge fühlt sich als politi- scher Dompteur, dem sich alle Länder hündisch zu Füssen legen sollen. . . . .Kein Volk war in den letzten Jahren mehr entehrt als durch den Na- tionalsozialismus das deutsche Volk . Kein Volk war unfreier als das deut- sche. Kein Volk ist in so unwürdiger Art ins Unglück getaumelt wie das deutsche. 16 Die Losung Hitlers und seiner Partei war immer Gewalt, Krieg und Mord. Zuerst war es der Krieg gegen die Abeiterorganisationen. Dann war es der Krieg gegen die Juden, der nach der Besetzung Oesterreichs noch ver- schärft wurde. . . Der "Staatsmann" Hitler kann keine Frage lösen, er kann immer nur Menschen schinden und quälen und die eigene Rasse verrohen und verderben. Was können wir tun? Der Nazilügenpropaganda müssen wir die Wahrheit entgegensetzen. Die Arbeiter, Bauern und die Intelligenz der deutschen Nation müssen sich mit den unterdrückten Völkern und Klassen vereinen gegen Hitler und den Na- tionalsozialismus. Ihr dürft in diesem Kriege nicht durchhalten, ihr habt bei einem Siege Hit- lers nur zu verlieren. Wir österreichischen Sozialisten haben beim Einfall Hitlers unsere Genos- sen davor gewarnt, durch Leichtsinn und Unvorsicht ihre Organisationen zu zerstören und sich blossen Stimmungseffekten zuliebe sinnlos zu op- fern . Aber jetzt, Arbeiter, Genossen, jetzt hat das Opfer einen Sinn! Jetzt müsst ihr konspirieren und agitieren, müsst langsamer arbeiten und sa- botieren, gegen den Hunger kämpfen und desertieren, müsst möglichst bald streiken und demonstrieren, denn jetzt ist es wert, das Leben, das ohne- dem auf dem Spiele steht, einzusetzen für die eigene Sache! Denn jeder Tag, um den das Regime früher zusammenbricht, ist für euch ein Tag we- niger des nutzlosen Menschenschlachtens. Der Nationalsozialismus wird unterliegen! Jeder Hochverrat, dessen man euch bezichtigt, ist Ehre und Pflicht gegen- über dem deutschen Volk, das von seinen Führern ins furchtbarste Un- glück gestossen worden ist! Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist gegen den Nationalsozia- lismus und gegen diesen durch Hitlers Grössenwahn entfesselten Krieg. Was ist der Nationalsozialismus neben dieser nun in Waffen starrenden Masse? Fragt nicht, was nach dem Zusammenbruch Deutschlands in die- sem Kriege kommt! Die Verantwortung für das jetzige Unglück trägt Hitler und je früher ihr den Krieg durch die Niederwerfung des Nationalsozialis- mus beendigen könnt, desto weniger furchtbar wird die Niederlage sein. Das deutsche Volk hat den Krieg gewonnen, wenn der Nationalsozialismus besiegt und Hitler gerichtet ist. Sie werden im Verlauf des Krieges schwach werden, die Allgewaltigen von heute! Dann wird auch ihre Mordlust nichts mehr fruchten! Arbeiter, verständigt euch, damit diese Stunde rasch näher rückt! Sagt es allen: Je schneller ihr mit Hitler Schluss macht, desto schneller hat der Krieg ein Ende! Jede Niederlage ist besser als ein Nazisieg.! Der Feind steht in Berlin und Wien! Nieder mit dem "ewigen" Dritten Reich! Nieder mit dem blutbesudelten Nationalsozialismus! Nieder mit der reaktionären Kriegspolitik! Vorwärts zum Sozialismus! 17 STIMMUNGSBAROMETER Die letzte Nummer unserer Zeitschrift hat eine glänzende Aufnahme gefunden, sodass die ganze Auflage schon in den er- sten Tagen nach ihrem Erscheinen völlig vergriffen war. Die vorliegende Num- mer erscheint in erheblich vergrößerter Auflage. Wir hoffen, dass das neue, gefäl- ligere Format und der reichhaltigere Um- fang die in der letzten Zeit erheblich ge- stiegene Zahl unserer Leser weiter ver- grössem wird. Möge jeder sich zum Wer- ber für unsere gute Sache machen! —:o:— Die allen Gefühlsduseleien bare, nüchter- ne, nur auf die Tatsachen sich gründen- de Haltung des ANDEREN DEUTSCH- LAND* in der Frage des deutsch-russi- schen Paktes wurde überall stark beach- tet. Unsere Meinung wird seither von vie- len geteilt, die in der ersten Minute uns aller möglichen Schwenkungen bezichtig- ten und uns schärfstem ablehnten. Auch in Zukunft werden wir unseren geraden Weg weiter gehen und in der Beurteilung der Ereignisse uns nur von einer Maxi- me leiten lassen: Gut ist, was den Sturz Hitlers beschleunigt und dem Siege des Anderen Deutschland dient. Die Aktion unserer Einzeichnungslisten "Nieder mit Hitler!" hat uns eine uner- wartet grosse Zahl neuer Freunde zuge- führt, sodass unsere Administration zur Zeit mit Arbeit überlastet ist und wir bei eventuell eintretenden Verzögerungen um Entschuldigung bitten. Auch im Innern _ des Landes fand unsere Aktion ein leb- haftes Echo. —:o:— Darüber hinaus fassen wir auch in den Nachbarstaaten Fuss, sodass wir mit Fug und^Recht sagen können, dass "Das Andere Deutschland" im Begriffe ist, die zentrale Stelle der deutschen Hitlergeg- her in Lateinamerika zu werden. Die Ver- bindung zu unseren Freunden in Uruguay blieb weiterhin sehr rege, in Chile sind eifrige Freunde am Werke, in Paraguay gibt es keine von Deutschen bewohnte Siedlung, wo nicht unsere Leser vertreten wären und in Brasilien haben wir beson- ders in den Südstaaten einen lebhaften Aufschwung zu verzeichnen. In Verbin- dung stehen wir weiter mit den Gruppen der deutschen Antihitleristen in Colum- bien, Ecuador, Mexiko, U. S. A. und Ca- nada. Au dem Innern Paraguays erreicht uns die Nachricht, dass eine Zusammenkunft von etwa 20 Lesern unserer Zeitung von der Polizei aufgelöst wurde. Sie hatten sich getroffen, um zu den Ereignissen in der Heimat Stellung zu nehmen. Da sie versäumt hatten, den Stützpunktleiter einzuladen, war der zur Polizei gegangen und hatte sie als "Kommunisten" denun- ziert. Ein gewiss schönes Verhalten, das muss man schon sagen, ist das, Landsleu- te zu denunzieren und anzuschwärzen, bloss weil sie nicht absolut von der Got- tesgnadenschaft des Führers überzeugt sind. In der in Asunciön erscheinenden Abend- zeitung "El Liberal" veröffentlichte einer unserer Freunde eine Artikelserie über den Hitlerismus und "Das Andere Deutschland". Diejenigen Paraguayer, die der irrtümlichen Meinung gewesen waren, dass ein Deutscher unbedingt ein Nazi sein müsse, horchten auf, als sie von der Existenz des "Anderen Deutsch- land" erfuhren. —:o:— Nun gibt es in Asunciön einen deutschen Geschäftsträger. Das war einmal ein Herr Weiss, ein anständiger, aufrechter deut- scher Mann, der kurz nach dem Siege Hitlers seinen Dienst quittierte. Heute sitzt an seiner Stelle ein gewisser Pg. Siegmar Lurz — von übelriechenden Ge- dankenassoziationen — bitten wir in An- betracht des Dienstgrades des Betroffe- nen abzusehen. Besagter Lurz hatte kei- ne ruhige Nacht mehr, seitdem dar Arti- kel über "DAS ANDERE DEUTSCH- LAND" in "El Liberal" erschienen war. —:o:— Um die schlechte Wirkung zu neutralisie- ren, schrieb er eigenhändig eine Erwide- rung, die die paraguayische Zeitung in nächster Nähe der Chronik der Strauch- diebe, verhafteten Freudendamen und nächtlichen Ruhestörer veröffentlichte. Das muss ein Irrtum sein. Lurzens Arti- kel hätte in die Witzecke gehört. Zu- nächst einmal sucht nämlich besagter Lurz den Paraguayern nachzuweisen, dass er ein reiner Arier ist. Bedauerli- cherweise gelingt ihm jedoch nur der Nachweis, dass er Tscheche ist. 18 Dann aber wird, es ernst. Nun nämlich schreibt besagter Lurz wörtlich: "Aus den Kreisen des sogenannten "Anderen Deutschland" sind mehr als einmal Dro- hungen gegen mein Leben zu meiner Kenntnis gekommen, deretwegen ich nicht einmal den Schutz der zuständigen para- guayischen Behörden in Anspruch genom- men habe:. "Huhu, huhu, huhu! Freunde aus Bolivien berichten uns von einer regen Tätigkeit der Goebbelspropa- ganda, die seit Ausbruch des Krieges ein- gesetzt hat. Sie versuchen, ihr entgegen- zutreten, indem sie nach Massgabe ihrer Kräften die Wahrheit über Deutschland verbreiten und. sind erfreut, feststellen zu können, dass sie bei der grossen landes- sprachigen Presse auf viel Verständnis stossen. So wurde unsere grundsätzliche Stellungnahme zum Krieg von verschie- denen Blättern der Landeshauptstadt und der Provinzstädte abgedruckt. Einigermassen überrascht waren die Na- zis und Nazimitläufer von Sao Paulo, als sie an einem schönen Morgen samt und sonders unsere Erklärung zu diesem von Hitler vom Zaun gebrochenen Krieg in ihren Briefkästen fanden. Sie werden sich noch mehr wundern. Und einigen werden sogar die Augen übergehen. Denn wir schlafen nicht. Wir haben sogar aus den Fehlern gelernt, die in der Vergangen- heit begangen wurden, und sind sorgfäl- tig darauf bedacht, sie zu vermeiden, wenn des Dritten Reiches Herrlichkeit demnächst in die Brüche geht. —:o:— Freiwillige Mitarbeiter für das "Stim- mungsbarometer" sind willkommen. Be- sonders solche, die von Erfolgen aus ih- rem Bezirk berichten können. —:o:— nANDUTY Schmetterlinge, prachtvoll leuchtende Käfer und andere Insekten, sowie herrliche, hauchfeine Indianer-Stick- arbeiten (Nanduty) Blumen- oder Spinnwebenmuster, aus Seide oder Zwirn hergestellt, ferner Pfeile und Bogen, versendet überall hin. Vertre- terlkinen) gesucht. Santeria Paraguay ya, Coronel Bogado 400 (via Encama- ciön) Paraguay, Amärica del Sur. Porto: 15 Centavos. Spottbillig sind nur einmalig gelesene Zeitschriften und deutsche Bücher abzugeben. VOM INNEREN DEUTSCHEN KRIEGSSCHAUPLATZ Kriegsernährung Aul Grund der Anordnungen der Reichs^ ir.gierung können auf die zur Verteilung gelangte Ausweiskarte bezogen werden: Jhlecch oder Fleischwaren, auch in Kon- serven 700 Gramm jede Woche. ^ilhcr zcugxiisse, Oele oder Fette 60 ■J.rainrn ie Tag. Zusker 280 Gramm je Woche. : .a. melade 110 Gramm je Woche oder 55 Gramm Zucker. Graupen, Grütze, Gries, Sago oder son- stig z Nährmittel 150 Gramm je Woche. Kaffee oder Kaffee-Ersatzmittel (ein Achtel Pfund) 65 Gramm jz WccIid. Tcc 20 Gra um je Mc.iat. * Misch, 0,20 Liter je Tag. Schwerst- und Schwerarbeiter sollen au- sse. dam noch 50 Gramm Oele oder Fette je Tag und 490 Gramm Fleisch je Wo- che zusätzlich erhalten. Die monatliche Ration für Seife ist: 125 Gramm Kern- seife oder 200 Gramm Schmierseife oder 125 Gramm Haushaltsseife. Gesteigerte Ausbeutung Aus der ersten Kriegsverordnung: Par. 18: Zuschläge für Mehrarbeit, Sonn- tags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind nicht mehr zu zahlen. Par. 19 Vorschriften und Vereinbarungen über den Urlaub treten vorläufig ausser Kraft. Die näheren Bestimmungen über ö.as Wiederinkrafttreten erlässt der Reichsarbeitsminister. Massenmorde Die Deutsche Freiheitspartei meldet: "Die Faust des Henkers ist in irrsin- niger Raserei in die Reihen der Unsrigen gefahren, und viele unserer Besten sind der Kugel der Mörder der deutschen Freiheit zum Opfer gefallen: Freunde und Kameraden aus allen Schichten und besonders viele Offiziere, denen, wie uns allen, Deutschland alles und Hitler ein Lump ist." Verhaftungen Wahllos werden von den Himmlerscher- gen frühere sozialistische Funktionäre verhaftet, von denen man fürchtet, dass sie Kristallisationspunkte der Kriegsgeg- nerschaft und der wachsenden Opposition bilden könnten. 19 Der Kampf geht weiter Dass die Angst der braunen Verbrecher vor dem eigenen Volk, die sich in neuen Morden und Massenverhaftungen kund- tut, während das Goebbelsradio gleich- zeitig die Lügen von der deutschen Ei- nigkeit in die Welt hinausbrüllt, in voll- stem Mass berechtigt ist, ergibt sich aus Briefen, die uns trotz der Zensur errei- chen. Sie wissen von dem in der Stille wachsenden Widerstand und von dem trotz aller Spitzelei stärker werdenden Zusammenschluss der entschiedenen Op- position, vor allem unter den Are eitern, zu berichten. In einem der Briefe eines alten sozialistischen Kämpfers heisst es in der gebotenen vorsichtigen Ausdrucks- form: "Wir sind, obwohl nicht ohne Sor- gen, doch recht zuversichtlich. Der all- gemeine Zusammenhalt wächst unter dem Druck, und die Menschen kommen sich in gemeinsamer Not wieder näher. Das lässt sich täglich feststellen. Wir sind überzeugt, dass wir diese schwere Zeit gut überstehen werden. Jedenfalls werden wir uns nicht so leicht unterkrie- gen lassen." In anderen Briefen wird der Hoffnung auf ein Wiedersehen in nicht ferner Zeit, dass heisst der Rückkehr der deutschen politischen Emigranten nach dem bevor- stehenden Sturz des Hitlerregimes Aus- druck verliehen. Zum letzten Mal wird heute "DAS ÄNDERE DEUTSCHLAND" an eine gro- sse Anzahl von Lesern ver- sandt, die unsere Zeitschrift noch nicht abonniert haben. Wer daher am Weiterbezug interessiert ist und sich unse- rer Sache verbunden suhlt, schreibe an: "La Otra Alema- nia", revista mensual, Tucu- män 309, Buenos Aires. SCHILDER Jeder Art und Stils ENTWÜRFE, PLAKATE, CLICHES FENSTERBESCHRIFTUNG LEUCHTREKLAME M. MILLER ESTOMBA 1731 U. T. 73 - 2534 IAH0RA OFICIAL blumcl Erst^österreichi^be Reparatur-Werkstätte in Belgrano ALFRED KÜHNS,. Geprüfter Wiener Uhrenspezialist Reparaturen aller Arten Uhren bis zu den kompliziertesten, unter vollster Garantie. Spezialist in komplizierten Schlaguhren, elektrischen Uhren und Antiquitäten. Kaufe jede Quantität Gold zum Tagespreis. Pampa 2781 esq. Vidal — U. T. 73 - 7425 20