Das Andere Deutschland (LA OTRA ALEMANIA) Periodic© Alemän Independiente JAHRGANG III Nr. 23 EINZELNUMMER 20 CENTAVOS JAHRESABONNEMENT: 2 PESOS BUENOS AIRES, 15. FEBRUAR 1940 HALLO der deutsche Freiheitssender spricht Was denken und tun die deutschen Arbeiter? Welchen Weg geht Russland? Wie Europa glücklich werden kann? Briefe aus Deutschland - Rauschning und die Nazi- führer - Der österreichische Sozialismus - Der Krieg verändert das Wirtschaftssystem. Und viele andere Artikel und Berichte in dieser Nummer. SONDERNUMMER H a 11 o! Der deutsche Freiheitssender spricht! Die folgende Sendung des illegalen deutschen Freiheitssenders ent- spricht völlig der politischen Linie des "Anderen Deutschland": "Himmler rühmt sich, unsere Mitarbeiter in Breslau verhaftet zu haben. Himmler irrt sich. Wir wissen nicht, wen seine Schergen festgenommen und eingeliefert haben, aber wir wissen, dass er uns nicht festgenommen hat. Bevor er uns findet, kann er noch lange suchen. Himmler hat eine neue Verfügung gegen uns erlassen und seine Scher- gen angewiesen, noch strenger und schärfer gegen die Freunde vorzu- gehen, die unsere Sendungen abhören. Es wird ihm nichts helfen. Unsere Stimme, die Stimme der Wahrheit, die Stimme der deutschen Freiheit ist nicht zu unterdrücken, selbst wenn Himmler hunderttausend Schergen los- schickt und neben jedem Radio einen Posten aufstellt. Manche unserer Freunde fragen: "Wer seid ihr, die ihr immer und immer wieder alles daran setzt, uns die Wahrheit zu vermitteln, uns konkrete Nachrichten zu verschaffen. Wer seid ihr? Seid ihr Kommunisten? Seid ihr Sozialisten? Seid ihr Anhänger der "Schwarzen Front"? Seid ihr ein Teil der Einheitspartei? Wer seid ihr?" Den Freunden, die so fragen, antworten wir: Wir sind keine Kommunisten, wir sind keine Sozialisten, wir sind nicht die Deutsche Freiheitspartei, wir haben nichts mit Otto Strasser und seiner "Schwarzen Front" zu tun. Wir sind keine dieser vielen Gruppen und doch sind wir alles zusammen. Wir dienen keiner einzelnen Gruppe, keiner bestimmten Organisation und Parteirichtung. Uns interessiert nicht das Gruppeninteresse einer Organi- sation oder Partei. Uns interessiert der grosse einheitliche, gemeinsame Kampf gegen Hitler, uns interessiert der Sieg des Rechtes über das Un- recht, der Wahrheit über die Lüge, des Friedens über den Krieg." Keine Gruppe hat deshalb das [Recht, uns im Inland oder Ausland für sich zu reklamieren und uns als ihre Gruppenarbeit und Eigentum auszugeben!« Wir haben weder die Kommunisten, noch Otto Strasser, weder Max Sie- vers, noch eine uns unbekannte Deutsche Unabhängige Arbeiterpartei beauftragt, für uns zu sammeln, und wir haben niemals von einer dieser Gruppen eine Mark oder auch nur einen Groschen Unterstützung erhal- ten — und wir wollen keine. Wir sind ein Sender der deutschen Freiheit, der in Deutschland kämpft und von den Freunden unterstützt wird. Wenn in London oder in Amsterdam, in Zürich oder Stockholm uns Un- bekannte Geld sammeln, mit der falschen Vorspiegelung, es sei für die illegalen deutschen Sender, so schwindeln sie und betrügen gutgläubi- ge Menschen. Der Tag wirä kommen, wo Hitler gestürzt ist, und an dem wir offen reden können, wo wir in der Deutschlandhalle und im Sportpalast in Berlin oder München persönlich auftreten und die wahre Geschichte des Freiheits- 2 senders erzählen werden. Bis dahin, treue Freunde, geduldet euch, gebt euch zu frieden mit der Antwort, die wir heute unter den gegenwärtigen Verhältnissen allein geben können auf die Frage: Wer seid ihr? Wir sind ein Teil von euch, eine Spezialtruppe der Front aller Hitlergeg- ner, wir sind Fleisch von eurem Fleisch, Blut von eurem Blut, wir sind heute, wo ihr stumm bleiben müsst, eure Stimme, die Stimme der Wahr- heit, der deutschen Freiheit, die Stimme der kommenden, nahenden, sieg- reichen deutschen Volksrevolution." Was denken und tun die deutschen Arbeiter? Bericht aus einem westdeutschen Grossbetrieb Das ist nicht nur eine entscheidende Frage für die Gestaltung der deut- schen Zukunft, sondern auch für Verlaud und Ausgang des jetzigen Kriegs. Die Nachrichten über die Stellung der Arbeiterschaft Lind sehr widerspruchsvoll. Das liegt sowohl an der Zusammensetzung der deutschen Arbeiterschaft, wie an dem Beobachter und Bericht- erstatter. Deshalb ist jeder Bericht, der nicht wie die meisten ober- flächlich und zufällig ist, ausserordentlich wichtig. Das gilt auch für den folgenden, der den Eindruck ruhiger Sachlichkeit macht. Er stammt von dem Vertrauensmann eines grossen westdeutschen Be- triebes und ist in der "Thurgauer Arbeiterzeitung" erschienen. Er stimmt weitgehend überein mit dem Bericht, den wir vor längerer Zeit aus einem Berliner Grossbetrieb von einem in der illegalen an- tihitlerischen Bewegung tätigen Freund erhalten haben. Das gilt vor allem für die Beurteilung der älteren, gewerkschaftlich geschulten Arbeiter: GRUPPIERUNG DER BELEGSCHAFT Die Belegschaft des grossen Betriebes, der ich angehöre, ist keine homo- gene Masse. • Man unterscheidet deutlich drei Gruppen: 1. die älteren, die schon vor 1933 hier schafften und fast alle einer Ge- werkschaft (dem Deutschen Metallarbeiter-Verband) angehörten. Die "Nazi", meist auch ältere Leute, die erst mit Beginn der "Hitlerkon- junktur" in den Betrieb kamen; vorher" arbeitslos * waren und entweder der "Partei" oder einer sogenannten Gliederung Beiträge bezahlt hatten und 3. die Jungen. Die Gesinnung der ersten Kategorie ist klar. Sie hat sich nicht gewandelt. Auch wenn nicht täglich Hitler, Göring, Goebbels oder auch nur ein ge- meiner Nazi beim Frühstück verspeist wird. In dieser Gruppe halten sich zudem die wertvollsten Kräfte ganz zurück. Sie demonstrieren nicht. We- der durch Inschriften auf den Klosetts, noch in Veranstaltungen der DAF, noch an Wallfahrten und Prozessionen, wie das in katholischen Bezirken öfter geschah. Diese ehemaligen Funktionäre sind genügend geschult, um zu wissen, dass die Hitlerei zwar nur eine Episode im Ablauf der Ge- schichte ist, aber dennoch mehr als einige Wochen oder Monate dauern müsste. Sehr aufmerksam verfolgten sie die einzelnen Phasen der Na- 3 zipolitik. Und sie sind in jedem Augenblick sich bewusst gewesen, dass der brutalen Gewalt nur mit überlegener Strategie und Taktik beizukom- men ist. Sie liessen sich höchstens an der Peripherie abnützen. Der Kern blieb unberührt. Diese Methode war nicht immer leicht durchzuhalten. Es gab Perioden, in denen die Stürmer dieses tast hermetisch geschlossenen Kreises zur Aktion drängten. Bis sich dann ergab, dass "die Zeit noch nicht gekommen" war oder aber, — was wir heute ruhig eingestehen dür- fen — dass wir durch die Gestapo auf eine Nazileimrute gelockt werden sollten. Die zweite Kategorie, die sogenannten Nazi im Betrieb, sind in ihrer Mehrzahl aus dem gleichen Stoff gemacht, wie unsere ehemaligen "Elf- Monats-Kommunisten", d. h., jenes Element aus der Vorhitler-Zeit, das die - ersten elf Monate des Jahres die wilden Revolutionäre spielte, um dann im Weihnachtsmonat des "Christkindchens" wegen fromme Kirchenläu- fer zu werden. Aus der alten Belegschaft wollte kaum einer etwas mit diesen "Neuen" zu tun haben. Man misstraute ihnen, denn unter ihnen steckten ja auch wirklich die Zuträger an DAF und Gestapo. Im ganzen ist das ein gesin- nungsloser Haufe, der früher keine Meinung besass und auch unter Hitler keine erwarb. Darunter viel Gesindel, das bereit ist, jedem Herrn zu die- nen. Bleibt noch als dritter Sektor die Jugend. Sie ist die eigentliche national- sozialistische Hoffnung. Meist sind die Jungen durch die ganze Partei- "schule" gegangen. Durch Landjahr, Arbeitsdienst, Soldatenzeit. Es ist noch nicht der Nachwuchs, der von ganz klein auf durch den Drill der Hitlerjugend geformt wird. Diese Jahrgänge rücken erst jetzt langsam nach — wenn dazu noch Zeit ist. Allerdings, auch das, was wir bis heu- te an Erziehungs-Resultaten zu sehen bekommen, genügt völlig, um zu urteilen. Das Gros dieser Jugend ist total verdorben. Geistig und sittlich. Und dazu fehlen dieser Jugend alle Voraussetzungen, das Geschehen auch nur einigermassen verstandesmässig zu bewältigen. Dumm, roh, ohne Respekt vor Alter, Leistung, Kunst und Wissen. Wie ihre Musikin- strumente und ihre Lieder sind sie selber: ins zwanzigste Jahrhundert transponierte Landsknechte. Günstigenfalls mittelalterliche Vorstellungs- welt mit Autobetrieb. Eine abgeschlossene Welt, zu der es für die ältere Generation keinen Zugang gibt und die selber auch kaum mehr den Weg zu sich selbst und der wirklichen Welt zurückfindet. So ungefähr kann man das Schema zeichnen. Es gibt natürlich noch Zwi- schenstufen, aber wenn gruppiert werden soll, muss man so die Unter- scheidung machen. WIE DIE ARBEITER DENKEN Zum Teil ist das schon im vorhergehenden Kapitel angedeutet. Die erste Gruppe hat dem Nationalsozialismus geistig nicht die geringste Konzes- sion gemacht. Der oberflächliche Beobachter — z. B. der gelegentliche ausländische Besucher im Betrieb — wird nur die gleichgeschaltete Au- ssenseite sehen. Tatsächlich sind Nazitum und die Vorstellungswelt die- ser Arbeiter, die — nebenbeibemerkt — das Gros der qualifizierten Fach- arbeiter stellen, von einander geschieden wie Feuer und Wasser. Auch ctn gefühlsmässiger Abneigung, an Hass gegenüber dem Unterdrücker 'i. fehlt es nicht, wenn sie auch meist durch die verstandesmässige Ableh- nung gebändigt ist. Diese sachliche Opposition, die getragen ist von dem Wissen um die wirtschaftliche Charlatanerie der Nazi, hat diesen die Jahre hindurch viel mehr Sorgen gemacht, als alle Streuzettelaktionen. Wie oft haben sich leider die Arbeiter von der Gestapo zu Unbesonnen- heiten verleiten lassen. Aber die stille, verbissene, sachliche Opposition war nicht zu packen. Diese ehemaligen Gewerkschaftsfunktionäre, Be- tnebsratsvorsitzenden und so weiter haben den Bonzen der DAF mitunter Diskussionen geliefert, die wahre Kabinettstückchen an sachlicher Kritik gewesen sind, ohne dass die geringste Massnahme möglich war. Auch gegenüber der Betriebsleitung hatten diese Arbeiter eine starke Position. Unser Hauptdirektor hat Hitler einst laut begrüsst. Er war nie ein Nazi und ist inzwischen erst recht keiner geworden. Aber er ist Unternehmer und war deshalb dankbar, als ihm durch Hitler wieder uneingeschränkt das Recht als "Herr-im-Hause" eingeräumt wurde. Und er machte Ge- brauch davon. Allerdings nicht lange. Auch er scheiterte an der Sachlich- keit der älteren Arbeiter und war, als sich schliesslich die verheerenden Wirkungen der Nazi-Wirtschaft nicht mehr übersehen liessen, froh, in dem alten Stamm der Betriebsangehörigen, Verbündete zu finden. Stillschwei- gend hat er geschehen lassen, dass mit jeder Verlängerung der Arbeits- zeit das System der passiven Resistenz grösseren Umfang annahm und in- tensiver durchgeführt wurde. In dieser Handlung, die nicht nur in unserem Betrieb mit dem Resultat des Leistungsrückganges angewendet wurde, ist die Denkweise des ge- schulten Arbeiters deutlich ausgedrückt: Das Regime schädigen, sich sel- ber schonen. Mittlerweile hat der Denkprozess dieser bewussten Arbeiter-Kategorie eine weitere Entwicklungsphase erreicht, die sich ebenfalls in Handlun- gen manifestiert. Davon später. Was die beiden andern Gruppen denken und meinen, kann mit ein paar Sätzen abgetan werden. Streng genommen denken sie gar nicht. Die "Na- zi" suchen immer und in jeder Situation Anschluss. Sieht es so aus, als ob das Glück den "Führer" verlasse, dann haben sie es ja nie so ernst mit ihrem Bekenntnis zu Hitler gemeint. Wendet sich das Blatt, kommen sie am nächsten Morgen mit "Heil Hitler" in die Bude. Mit diesem Gesocks kann man nichts beginnen und deshalb ist es auch, fast gleichgültig, was in den kleinen Kopsen vorgeht. Es ist wie vor grauen Zeiten: Heute: Ho- siannah! morgen: Kreuziget ihn! Und die Jugend? Sie denkt wirklich an nichts, als an ihr — ach so be- scheidenes Vergnügen. Es gibt überall, auch in unserem Betrieb, einige erfreuliche Ausnahmen. Mit ihnen beschäftigen sich die älteren Arbeiter intensiv und setzen so in ganz bescheidenem Umfange die frühere Schu- lungsarbeit fort. So ist eine Verbindung zu dieser Hitlergeneration her- gestellt. Aber die Masse dieser Werksjugend hat vorerst von unserem Standpunkt aus keine Aufgabe. Das Gehirn dieser Jugend ist zugunsten des Bizeps total verkümmert. Wie soll es auch anders sein bei dem Drill bis zum Umfallen. Und demnach ist auch das Denkergebnis. Diese Jugend weiss nicht, was gewesen ist, nicht was sich heute abspielt und noch we- niger was morgen werden soll. Gedankenlos plärrt sie die Sprüche der Nazi und genau so gedankenlos. . . hockt sie jetzt in den Bunkern am "Westwall". (Fortsetzung folgt.) 5 Briefe, welche difl) Zensur passierten Aus dem Zuchthaus Hitlerdeutschlcmd kommen trotz der Zensur Briefe, •die keinen Anlass zur Beschlagnahme geben, und die doch "staatsge- fährlich" sind. Man muss sie nur richtig lesen können. Hier ein paar Bei- spiele: und so wie Ihr, Freunde des Führers, im Ausland alles dazu tut um ihm zum Siege zu verhelfen, so tun wir es auch. Noch nie haben wir so viel gearbeitet wie jetzt und wir nehmen jede Entbehrung gern auf uns. Wohl gibt es Leute, die über alles meckern und raunzen. Wir haben ja eines: den fanatischen Glauben, den unbeugsamen Willen an unsere grosse Sache. Nach jedem Krieg kommt einmal Frieden. Und glaubt uns» der Führer hat tausendmal recht, wenn er sagt: EIN NOVEMBER 1918 WIRD SICH NIE MEHR WIEDERHOLEN! Dies sprach er uns allen aus der Seele. Wir werden alles dazu tun, um dieses Wort wahr werden zu lassen...." " . .Wir wissen vor Arbeit nicht ein noch aus, arbeiten täglich bis 11, 12 Uhr nachts. Lebensmittel sind "genug", die Leute müssen sich halt erst gewöhnen. . . nur das Fleisch kommt uns wenig vor. .. Wenn ihr draus- sen nur keine Nahrungssorgen habt, das wäre das Wichtigste. Hauptsa- che, dass ihr es so macht wie wir: FEST ZUSAMMENHALTEN, dann geht alles leichter vorbei. Wir erleben in unserm Leben schon den zweiten Krieg und lassen uns auf keinen Fall unterkriegen, sondern bleiben, was wir waren: ehrliche Menschen, und wenn der Krieg vorbeit ist, hoffen wir, dass auch wir wieder froh und heiter werden. . . Hoffentlich kannst du al- les lesen, was ich dir schreiben will. . ." Politische Monatsübersicht Die letzten Wochen haben nichts Entscheidendes gebracht. Die Unsicher- heit über das, was weiter geschehen wird, dauert an. Die Westfront .blieb starr und untätig; der Seekrieg ging in der bisherigen Art weiter; der Luftkrieg kam über wenig bedeutende Einzelaktionen nicht hinaus. Auch die Frage, wann und wo der Krieg mit den Waffen ernsthaft anfangen werde, ob in .Belgien-Holland, im Norden oder auf dem Balkan, ist offen geblieben. Alle bedrohten Staaten suchen sich für jeden Fall durch Auf- rechterhaltung ihrer Verteidigungsmassnahmen und durch Steigerung ihrer Rüstungen zu sichern. DER BALKAN stand weiterhin im Brennpunkt des Interesses. Der Konferenz der Balkan- entente in Belgrad gingen Gerüchte voraus, nach denen Rumänien sei- nen Anschluss an Deutschland vollziehen werde, wenn nicht die Balkan- entente ihm ihre Unterstützung im Fall eines deutschen Angriffs zusi- chern, bezw. wen nicht Bulgarien und Ungarn ihre Revisionsforderungen 6 aufgeben würden. Der Beginn der Konferenz war von so betontem Pessi- mismus begleitet, das ihr Resultat, obwohl es an dem bestehenden Zu- stand kaum etwas geändert hat, zum mindestens als Scheitern der Zer- setzungsabsichten Hitlers positiv bewertet werden muss. Was das Gebot der Stunde ist, die Schaffung eines defensiven Balkanblocks, unter spä- terem Einschluss Bulgariens und wenn möglich Ungarns, ist nicht gelun- gen, ein Zerfall der Baikönentente in ihrer bisherigen Form dagegen ver- mieden worden. Die gegenwärtige Situation ist in groben Zügen die folgende: Deutsch- land braucht dringend die Rohstoffe des Balkans. Was es erhält, reicht zur Zeit vielleicht noch notdürftig für den gegenwärtigen Zustand, in dem noch kein Krieg geführt wird, in keiner Weise aber für einen wirklichen modernen Krieg. Es kann jedoch nicht wagen, sich des rumänischen Wei- zens und Petroleum durch Angriff und Besetzung zu bemächtigen ohne Einverständnis mit Russland. Wäre das zu erreichen — wir wissen es nicht —, so würde das Vorgehen Russlands Mussolini auf den Plan ru- fen und ihn an die Seite der Westmächte drängen. In diesem Dilemma begnügt sich Hitler — im Moment jedenfalls — damit, die Bildung eines wirklichen Balkanblocks zu hintertreiben und durch Drohungen und Ver- sprechungen möglichst viel Rohstoffe zu erhalten. Auch Mussolini will keinen Balkanbund, der in der Lage wäre, eine selb- ständige Politik zu betreiben, die Italiens Einfluss stark vermindern müss- te. Er möchte sich vielmehr zum Schiedsrichter und Protektor der Balkan- staaten machen. Jugoslawien hat angesichts der deutschen und russi- schen Bedrohung seine alte Feindschaft mit Italien begraben und sich stärker an Italien angelehnt ohne die Absicht, dabei zum italienischen Protektorat hinabzusinken. Zu den erstaunlichen Schwenkungen, die wir erleben, gehört auch die Annäherung der alten Todfeinde Jugoslawien und Ungarn über die gemeinsamen guten Beziehungen mit Italien' hin. Wenn man sich erinnert, dass die Mörder des Königs Alexander in Ungarn ausgerüstet worden sind, so zeigt das, wie unsicher die Fronten in Euro- pa noch immer sind, und dass man auf weitere Ueberraschungen gefasst sein muss. Auch die alte Gegnerschaft zwischen Italien und der Türkei hat infolge des deutsch-russischen Zusammengehens einer wachsenden Annäherung Platz gemacht. Andererseits hat sich das Bündnis zwischen der Türkei und den Westmächten weiter gefestigt, während die Entfremdung zu dem früheren Bundesgenossen Russland und der Gegensatz zu Hitlerdeutsch- land — äusseres Zeichen "die Entfernung der deutschen Techniker — entsprechend gewachsen sind. Durch ihre entschiedene Stellungnahme im europäischen Konflikt ist die Türkei bei ihrer strategisch ungeheuer ' wichtigen Lage zu einem entscheidenden Faktor geworden. Sie setzt nach der Belgrader Konferenz ihre Bemühungen für einen Balkanbund weiter fort. Das geschieht vor allem in der Richtung der Sicherung des am meisten bedrohten, am stärksten unter dem doppelten deutschen und russischen DER UNPOLITISCHE HILFT DEN NAZIS, ALSO DEN VERDERBERN DEUTSCHLANDS 7 Drucks stehenden Balkanstaats Rumänien. Die Türkei sucht ihre guten Beziehungen zu Bulgarien auszunutzen, um dieses zur vorläufigen Aufga- be seiner Revisionsansprüche gegenüber Rumänien und zum Anschluss an die Balkanentente zu bewegen. Solange das nicht gelingt, und solan- ge auch. Ungarn seine iRevisionsansprüche aufrecht erhält, erscheint Ru- mänien als der schwächste Punkt auf dem Balkan. Wie lange es in der Lage ist, gleichzeitig, durch Lavieren und durch Aufrechterhaltung seiner kostspieligen Mobilisierung sich in seiner bisherigen neutralen Position zu behaupten, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wächst die Befürchtung, dass im Frühjahr der Krieg auf den Balkan übergreifen könnte. In diesem Fal- le würde voraussichtlich auch der VORDERE ORIENT zum Kriegsschauplatz werden. Man hört von grossen Befestigungsarbei- ten an der russischen Kaukasusgrenze, von der militärischen Zusammen- arbeit Aegyptens, Palästinas, Syriens, d. h. Englands und Frankreichs mit der Türkei unter der Leitung des Generals Weygand. Der Iran (Per- sien) wird von den Diplomaten der verschiedenen Mächte umkämpft; der frühere Reichskanzler und spätere Botschafter in Washington, Hans Luther, ein vielgeschäftiger Intrigant a la Papen, soll in der Hauptstadt von Afghanistan gegen England wühlen. Man kann die vielen Nachrich- ten nicht kontrollieren. Die vorausgesagte englisch-französisch-türkische Offensive gegen die russische Petroleumbasis Baku-Batum würde aber sicher nur dann in Betracht kommen, wenn Sowjetrussland sich mit Hit- lerdeutschland noch enger Zusammenschliessen sollte, um etwa gemein- sam den Angriff auf den Balkan zu wagen'. DIE STAllNSCHE POLITIK Die russische Politik wird überhaupt von grösster Bedeutung für die wei- tere Entwicklung sein. Unsere Meinung, dass der Angriff auf Finnland auch dann vom kommunistischen wie vom russischen Standpunkt aus ein schwerer Fehler war, wenn man von allen moralischen Gesichtspunkten absieht, ist inzwischen nur noch gefestigt worden. Weitere vier Wochen haben den Russen grosse Verluste, aber keine Erfolge gebracht. Das Prestige des rusischen Heeres und seiner Führung ist also noch mehr ge- sunken und kann auch durch die schliesslich Erdrückung Finnlands mit einem zahlenmässig unendlich überlegenen Heer nicht wiederhergestellt werden. Umgekehrt ist die Sympathie der Welt für den verzweifelten Ver- teidigungskampf des kleinen finnischen Volkes überall gestiegen, nicht nur bei den faschistischen und antibolschewistischen Kreisen, sondern auch bei den Massen und den früheren Freunden der Sowjetunion. So hat das finnische Abenteuer Russland den Verlust seiner unvergleichlich guten, seit dem Bestehen der USRR niemals so starken Stellung in Euro- pa und in der Welt gekostet. Dafür sind unter anderm die Abstimmung im amerikanischen Repräsentantenhaus und die Rede Roosevelts vor der Jugend beredte Beispiele. Während bis zum Angriff auf Finnland Hitler in fast völliger Anhängig- keit von Stalin erschien, eine Tatsache, die uns die Politik Stalins bis da- hin im wesentlichen bejahen liess, i.st heute Stalins Stellung um ebenso viel geschwächt, wie die Hitlers gegenüber Russland gestärkt ist. Dar- 6 cus ergibt sich die Gefahr, dass Stalin zu einem engeren Zusammenge- hen mit Hitler gedrängt wird, als er es beabsichtigt hat. Das aber müsste von unabsehbaren Folgen sein. Sollten die bisherigen Parallelaktionen, der bisherigen Todfeinde Hitlerdeutschland und Sowjetrussland, der blu- tigsten und verbrecherischsten Macht mit dem bolschewistischen Staat sich zu einem wirklichen Bündnis entwickeln, so würde das für Hitler ei- ne momentane Erleichterung bringen, für Stalin aber, auf die Länge ge- sehen, die grössten Gefahren im Gefolge haben. Vorerst möchte man die Hoffnung noch festhalten, dass Sowjetrussland aus dem schweren Fehler des finnischen Abenteuers noch rechtzeitig die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und seine Politik neu, d. h. in der Richtung der Neutralität, zu orientieren vermöge. lied für alle, die verzagen wollen Sie haben Gesetzbücher und Verordnungen, sie haben Gefängnisse und Festungen. (Ihre Fürsorgeanstalten zählen wir nicht!) Sie haben Gefängniswärter und Richter, die viel Geld bekommen und zu allem bereit sind. Ja, wozu denn? Glauben sie denn, dass sie uns damit klein kriegen? Ehe sie verschwinden, und das wird bald sein, werden sie gemerkt haben, dass ihnen das alles nicht mehr nützt. Sie haben Tanks und Kanonen, Maschinengewehre und Handgranaten. (Die Gummiknüppel zählen wir nicht). Sie haben Polizisten und Soldaten, die wenig Geld bekommen und zu allem bereit sind. Ja wozu denn? Haben sie denn so mächtige Feinde? Sie glauben, da muss doch ein Halt sein, der sie, die Schwankenden, stützt. Eines Tages, und das wird bald sein, werden sie sehn, dass ihnen das alles nichts nützt. Und da können sie noch so sehr Halt schrein, weil sie weder Tank, noch Kanone schützt. , BERT BRECHT. 9 Rauschning und die Naziführer Hermann Rauschning hat sich durch sein Buch über den Nihilismus der Nazis, den er so lange selbst mitgemacht hat, schnell in die vorderste Rei- he der deutschen Emigration gespielt. Die Freude über den Sünder, der Busse tat, war so gross, dass Rauschning — man weiss nicht recht, von wem eigentlich — als Haupt einer eventuellen deutschen Gegenregie- rung bezeichnet werden konnte. Schon begann der Weltruf dieses Mannes etwas abzublassen, als er sich durch einen Artikel in "Paris-Soir" in sensationeller Weise wieder in Er- innerung gebracht hat. Am 9. Dezember hat er in dieser Zeitung über ein Gespräch berichtet, das wenige Tage nach dem Reichstagsbrand in der Reichskanzlei stattgefunden hat. Beteiligt waren Gering, Himmler, Frick, Forster. Unter allgemeiner Heiterkeit — auch des Pg. Rauschning? — erzählte Göring wie man die Brandstiftung gemanaget habe. Er be- dauerte, dass die Bude nicht ganz abgebrannt sei und sagte, Hitler selbst habe den ausdrücklichen Befehl zur Brandstiftung gegeben, doch habe er, Göring, die volle Verantwortung auf sich genommen, da Hitler zu ängst- lich sei. Göring habe pathetisch — und wohl gleichzeitig ironisch? — er- klärt: "Ich habe kein Gewissen, mein Gewissen heisst Adolf Hitler". Also habe sein "Gewissen" ihm die Brandstiftung nahe gelegt. Die Enthüllung RauSchnings ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Sie er- innert die Welt, diese stumpfe und vergessliche Welt, daran, wie die Na- zis zur Macht gekommen sind. Brandstiftung; Beschuldigung ihrer Geg- ner, der Kommunisten und Sozialisten, den Brand angelegt zu haben; Verbote, Verhaftungen, Morde. Der deutsche Spiesser und die Welt fielen auf den gigantischen Gangsterschwindel herein, bis der grosaufgezoge- ne Prozess die Lügner entlarvte. Mit welcher unvorstellbaren Schamlosig- keit gelogen worden war, dafür sei nur an Hitlers Wort erinnert: "Möge Gott uns davor bewahren, dass ein Deutscher an diesem Verbrechen be- teiligt ist!" 'Für uns politische Emigranten, die wir Hitler und die Nazis zehn Jahre lang in Deutschland und sechs Jahre lang in der Emigration bekämpft haben, sind Rauschnings Enthüllungen nichts Ueberraschendes. Wir wussten gründlichst Bescheid über das politische Verbrechertum, das in Deutschland an die Macht gekommen ist. Wir sind nicht müde geworden, aufzuklären und zu warnen. Man hörte uns nicht. In London und Paris hielt man es auch nicht einmal für nötig, wenigstens Hitlers "Mein Kampf" zu' lesen, um dort das bestätigt zu finden, was wir sagten. Und so konnte das Verbrecherregime sich ungehindert festsetzen, seine Provokationen immer mehr steigern, Deutschland ruinieren und Europa zerrütten. So konnte es geschehen, dass die europäischen Staats- männer mit den Brandstiftern Lügnern und Mördern verkehrten als mit Gleichen. So konnte Chamberlain. zu Hitler fliegen, ihm bei der Vernich- tung der,Tschechoslowakei assistieren und "den Frieden für unsere Zeit" bringen. Und noch heute wagt es der frühere englische Gesandte in Ber- lin, Herr Neville Henderson, Göring zu rühmen! 10 Die Enthüllungen Rauschnings erinnern uns an das "Braunbuch", in dem seiner Zeit die Kommunisten das Naziregime anprangerten und es mit einer Fülle von Material der Brandstiftung des Reichstags und der bestia- lischen Ermordung vieler Kommunisten überführten. Heute rühmt sich Hitler de«j guten Beziehungen mit Sowjetrussland. Mag diese "Freund- schaft" von beiden Seiten noch so wenig ernst gemeint sein, heute wirkt sie sich zu Gunsten der Brandstifter und der Todfeinde der Arbeiterschaft aus. Und das ist ein mindestens ebenso peinliches Schauspiel wie die früheren guten Beziehungen Chamberlains zu Hitler. Interessant ist endlich der Artikel von l,Rauschning, weil er ein bezeich- nendes Licht auf den Verfasser selbst wirft. Was ist das für ein Mann, der nach diesem Gespräch in der Reichskanzlei, wissend, dass Hitler und die führenden Nazis gemeine Verbrecher sind, schweigt, weiter an verant- wortlichster Stelle Hitler Gefolgschaft und Gehorsam leistet und sein Schweigen lange Zeit auch noch in der Emigration fortsetzt! Sollte er auch noch weiterhin die Rolle spielen können wie bisher, so würde das ein Zeichen mehr dafür sein, wie weit die Demoralisierung fortgeschrit- ten ist. Der Nachfolger des Fuhrers Feldmarschall Göring ist nicht nur von Adolf Hitler zum Nachfolger be- stimmt worden, merkwürdigerweise gibt es auch in England Leute, ctie ihn für diesen Posten geeignet finden. Nicht nur Herr Ward Price, der üfe- richterstatter der "Daily Mail" hat ihn nach Kriegsausbruch im Gegensatz, zu Hitler, für den er vor dem Kriege Propaganda gemacht hat, im Radio gepriesen, auch der frühere englische Gesandte Herr Neville Henderson,. dessen Sympathien für den Nationalsozialismus nicht viel geringer waren als die von Ward Price, hat ihn in seinem offiziellen Bericht sehr freund- lich behandelt. Im englischen Blaubuch allerdings steht ein Bericht Hen- dersons vom 28. Mai 1939 über einen Besuch in Karinshall, der besser dem wirklichen Bild des nicht nur rohen und brutalen, sondern auch un- gebildeten, raffgierigen und masslos protzigen Landsknechtes entspricht; "Wie ich mich schon zum Gehen erhoben hatte, nahm das Gespräch ei- ne freundlichere Wendung. Obwohl ich in Eile war, beharrte Göring dar- auf, mir mit grossem Stolz die baulichen Veränderungen zu zeigen, die er am Haus in Karinhall vornehmen lässt, und zu denen ein neuer Spei- sesaal für eine unglaubliche Anzahl von Gästen gehört, der ganz aus Marmor bestehen und mit Wandteppichen behängt werden soll. Beiläu- fig erwähnte er, dass der Umbau vor Ende November nicht vollendet sein würde. Er wies auch mit Stolz Entwürfe zu den Wandteppichen vor, die i.i der Mehrzahl nackte Damen darstellen, die mit den Namen verschiede- ner Tugenden, z. B. -der Güte, Barmherzigkeit, Reinheit usw. versehen wa- ren. Geben Sie unsere PAGINA CASTELLANA an Ihre argen- tinischen Freunde weiter, damit sie die Wahrheit über Deutschland erfahren! 11 Der; Krieg verändert das Wirtschaftssystem Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus erforderte noch nicht ganz 3000 Dollar Unkosten. Im Jahre 1938 aber gaben die USA für Verteidigungs- zwecke über 1,5 Millarden Dolar aus. Die Rüstungsausgaben der ganzen Welt beliefen sich im Jahre 1938 auf rund 18 Milliarden Dollar. Wenn man die internationale industrielle Produktion und die internationalen Rü- stungsausgaben für das Jahr 1913 mit 100 ansetzt, so war die Ziffer für In- dustrieproduktion im Jahre 1937 erst 111, die für Rüstungsausgaben im Jahre 1938 aber bereits 720. Im Jahre 1939 wurden für Rüstungen je Sekun- de 580 Dollar aufgewendet. Die Rüstungen zehrten im Jahre 1939 von den Volkseinkommen der Welt im Durchschnitt 11 Prozent auf, in England aber schon 16 Prozent, in Frankreich 33 Prozent, in Sowjetrussland 23 Pro- zent und in Japan 46 Prozent. Deutschland hat nach Hitlers Angabe für Rüstungen in der Zeit von 1933 bis 1939 rund 90 Milliarden Reichsmark ausgegeben. Durch die Rüstungswirtschaft wird die Struktur der Friedens- wirtschaft völlig verändert. Alle militärischen Vorbereitungen auf den Krieg müssen nämlich planmässig durchgeführt werden. "Planhaftigkeit ist Merkmal der Wehrwirtschaft", erklärt Karl Rothe in seinem Buche "Wirtschaftskrieg und Kriegswirtschaft", und Major Kurt Hesse führt im "Deutschen Volkswirt" vom 29. Juli 1938 aus: "Im Bereiche der Wehrwirt- schaft wird nur noch planmässig gedacht. . . . Andererseits bedeutet das auch Planung für das gesamte Geschäftsleben". Sogar von der Handels- kammer der USA wird anerkannt, dass die Wirtschaft im Rahmen der na- tionalen Verteidigung planmässig gestaltet werden müsse. Die Vorbereitung auf den totalen Krieg umfasst alle Bereiche des bürger- lichen Lebens und ruft deshalb auf allen Gebieten der Volkswirtschaft ein- schneidende Strukturveränderungen hervor. In der Krisenwirtschaft ist man vielfach wieder auf Einrichtungen der Kriegswirtschaft von 1917/18 zu- rückgekommen. Nicht einmal in den USA war die Kriegswirtschaft völlig abgebaut worden. Die Weimarer Republik ist die Nachwirkungen der to- talen Kriegsführung der letzten Jahre des Weltkrieges überhaupt nicht losgeworden. In Russland ist die Planwirtschaft unmittelbar aus der Kriegs- und Bürgerkriegswirtschaft hervorgegangen und hat ihrerseits wieder aufs stärkste die W ehr wirtschaften Deutschlands, Japans und der Türkei beeinflusst. Im Grunde war der weltwirtschaftliche Liberalismus in Europa seit dem Weltkriege" tot. Sehr bedeutsam für die gesamte Volkswirtschaft ist die seit 1860 stärker hervortretende Verbindung zwischen Wissenschaft und Kriegsführung ge- worden. Sie hat zu einer ungeheuren Vermehrung der Kriegsmittel ge- führt. In den modernen Schnellfeuergewehren, Unterseebooten, Minen, Kriegsflugzeugen, Tanks, Flugabwehrkanonen, Kriegsgasen usw. ist eine Fülle wissenschaftlicher Forschungen und Erkenntnisse verwertet. Die Zahl der für ein modernes Kriegsheer notwendigen Ausrüstungsgegen- wird gegenwärtig auf rund 70.000 geschätzt. Da ist es kein Wunder, dass die gesamte Volkswirtschaft eines Landes im Dienste der Aufrüstung und Kriegsführung stehen muss. In allen Ländern mit "Wehrwirtschaft" ist 12 die Erzeugung von "produktiven' Gütern gegenüber der von unproduk- tiven" Zerstörungsmitteln in den Hintergrund getreten. Eine bedeutsame Wirkung auf die Gestaltung des Wirtschaftsapparates übt die Eile aus, mit der in den letzten Jahren überall die Aufrüstung betrieben wurde. Sie führte zur stärksten Mechanisierung und Rationierung der Industrieanla- gen, zu technischem Fortschritt und Revolutionierung der gesamten Rü- stungsindustrie. Im Kriege selbst wird diese Entwicklung noch erheblich beschleunigt, da ein* ständiger eiliger Bedarf von Rüstungsmitteln aller Art befriedigt werden muss. Anderseits hat sich durch die Mechanisie- rung und Motorisierung der Kriegsmittel auch die Aufgabe des Soldaten verändert. Er hat vielfach gleich dem Arbeiter in der Fabrik äusserst kom- plizierte Maschinen zu bedienen. Die Rückwirkungen der Aufrüstung und modernen Kriegführung erstrecken sich über den Bereich der Volkswirt- schaft hinaus auf ■ unser gesamtes gesellschaftliches und kulturelles Le- ben. Eine neue "Staatsraison" ist entstanden, die ihren Einfluss bis in un- ser ureigenstes Privatleben hinein geltend macht. Nicht nur der Verbrauch von Nahrungsmitteln, sondern auch die geistige Nahrung wird vom all- mächtigen Staat nach den Erfordernissen der Kriegführung zugemessen. Die meisten Menschenrechte, besonders die Meinungsfreiheit, sind aufge- hoben oder doch stark eingeschränkt. Die Teilung der Staatsgewalt in Gesetzgebung, Vollzug und Rechtsprechung besteht nicht mehr. Die ge- samte Staatsverwaltung wird immer stärker zentralisiert. Allgemeine Wehrpflicht und Hilfsdienstpflicht, Luftschutzvorschriften und Militarisie- rung der Arbeit engen die private Rechtssphäre des Staatsbürgers immer mehr ein. Die sozialpolitischen Errungenschaften des letzten Jahrhun- derts schmelzen im heissen Atem der Kriegsfurie dahin und vielfach rei- ssen wieder Zustände ein, wie sie im Zeitalter des Frühkapitalismus be- standen. Auf internationalem Gebiet ist die zunehmende Rechts- und Schutzlosigkeit der Kleinstaaten bemerkenswert. Die Wehr- und Kriegswirtschaft weist folgende wesentliche Merkmale auf: Ueberwiegende Investition von fixem Kapital (Maschinen statt Men- schen); Abnahme der Verbrauchsgütererzeugung; Bildung riesiger wirt- schaftlicher Einheiten durch Betriebs- und Kapitalskonzentration; stärk- ste Rationalisierung und Standardisierung; behördliche Regelung von Angebot und Nachfrage auf den meisten Gebieten der Volkswirtschaft; Ausschaltung aller kleinen Unternehmungen, die sich nicht zur Massen- produktion eignen. Da fast das gesamte fixe Kapital für Rüstungen inve- stiert wird, bleibt für die Privatinitiative nur noch ein schmaler Raum. Der Welthandel zerfällt, da sich jeder Staat durch Eigenwirtschaft (Autarkie) für den Kriegsfall von fremder Zufuhr unabhängig machen will. Je mehr Wehrwirtschaft, um so weniger Marktwirtschaft! Innerhalb der einzelnen Volkswirtschaften werden alle Bedürfnisse der Staatsbürger nur mehr nach Massgabe einer Dringlichkeitsskala befriedigt. An erster Stelle ste- hen die Anforderungen der Aufrüstung, an letzter Wohnung, Kleidung und Nahrung der "Zivilisten". Von einem freien Wettbewerb in der Wirt- schaft ist keine Rede mehr. Diese lehrreiche Untersuchung über den Einfluss des modernen Krieges auf Wirtschaftsweise und gesellschaftliches Leben entstammt einem Auf- satz von Frederick Lenz in der Novembernummer 1939 der bekannten amerikanischen Zeitschrift "Plan age". 13 Die Zukunft Österreichs und der österreichische Sozialismus I. Die österreichische Sozialdemokratie war unter Vikfor Adlers Führung, solange das alte Oesterreich bestand, pro-österreichisch. Nach dem Zu- sammenbruch von 1918 aber proklamierte der provisorische Nationalrat Oesterreich als einen Teil des Deutschen Reiches. Das geschah bereits unter sozialistischer Führung, unter Otto Bauer als Aussenminister der Republik, Saint Germain hat eine andere Lösung erzwungen, aber die österreichi- sche Sozialdemokratie blieb programmatisch der grossdeutschen Idee treu; sie kam im Linzer Programm klar zum Ausdruck. Noch der Versuch Schober-Curtius, 1930 den Anschluss durch die Zollunion zu surrogieren, hat nicht ohne Zustimmung der sozialdemokratischen Partei des österrei- chischen Parlaments erfolgen können. Erst die Ueberrennung der Weimarer Republik durch den Nazifaschis- mus brachte den Versuch einer aussenpolitischen Neuorientierung. Er ging von den Angestelltengewerkschaften aus, war aber in jeder Phase mit Wissen des Partei Vorstandes unternommen und in allen Punkten durch seine Zustimmung gedeckt. Die freien Angesteltengewerkschaften der Tschechoslowakei, Ungarns und Oesterreichs gründeten im Sommer 1933 eine Mitteleuropäische Arbeitsgemeinschaft mit ausgesprochen aus- senpolitischer Zielsetzung. Im Februar 1934, auf einer Tagung in Wien wurde die ökonomische Föderierung der Donaustaaten als Grundlage der gemeinsamen Abwehr der vorauszusehenden Eroberungsabsichten Nazideutschlands gefordert. Auf dieser Tagung waren auch die Arbeiter- Gewerkschaften vertreten und damit die Ausweitung zu einer gesamt- proletarischen Arbeitsgemeinschaft eingeleitet. Wenige Wochen darauf haben die Dollfuss, Starhemberg, Schuschnigg, die österreichischen Agenten des italienischen Faschismus, auf Geheiss des Duce das öster- reichische Proletariat gewaltsam niedergeworfen. Die Neuentwicklung der Aussenpolitik der österreichischen Sozialdemokratie war damit zu Ende. Die Partei der Revolutionären Sozialisten Oesterreichs hat, solange sie in Oesterreich aktiv tätig sein konnte, bis zum März 1938, zur grossdeut- . sehen Frage nicht Stellung bezogen. Einmal erschien in dem illegalen Organ der Brünner Emigration, der Arbeiter-Zeitung, ein Artikel von Otto Bauer, der einem Bündnis der Arbeiter mit den "grossdeutschen Intel- lektuellen" gegen den Klerikal-Faschismus das Wort redete. Er fand bei den RS allgemeine Ablehnung, denn hier hatten die Illegalen diese grossdeutschen Intellektuellen als Nazi täglich in ihrem gefährlichen Treiben yor Augen, und führte dazu, dass der Parteivorstand der RS die Massnahmen gegen eine politische Stellungnahme der Auslandsvertre- tung ohne seine vorherige Zustimmung erheblich verschärfte. Nach der Eroberung Oesterreichs hatte das Proletariat in Oesterreich selbst „nicht mehr die Möglichkeit, seine Stimme zu erheben, zu eng zo- gen sich die Maschen der Gestapo. Die Auslandsvertretung hat aber, wo Schweigen der beste Teil der Klugheit gewesen wäre, erneut Stellung 14 Parteileben Als Gegner achte, wer es auch sei! Strauchdiebe aber sind keine Partei' Fällt einer ab von eurer Schar, so lasst ihn laufen und richtet nicht, doch dem, der zu euch stossen will von dort, dem schauet ins Gesicht! V/er über den Parteien sich wähnt mit stolzen Mienen, der steht zumeist vielmehr beträchtlich unter ihnen. GOTTFRIED KELLER. bezogen, jetzt nicht mehr der Gefahr der Desavouierung ausgesetzt. In dieser Stellungnahme, die noch unter dem überragenden Einfluss Otto Bauers erfolgte, wurde der Anschluss von Hitler mit Gewalt vollzogen, als eine historische Tatsache anerkannt. Und im "Kampf", dem Organ der Auslandsvertretung, wurde es als die Aufgabe der österreichischen Sozialisten entwickelt, die Auflösung des Anschlusses in einem künftigen Kriege zu verhindern. Der österreichische Sozialismus habe an der Seite der Nazi-Deutschland bekriegenden Staaten zum Sturze der Hitler-Dik- tatur zu kämpfen, bis die Sieger an die Verwirklichung ihres Kriegszieles, die Zerschlagung Grossdeutschlands, schreiten würden. In diesem Au- genblick habe er die Schwenkung zur Verteidigung Grossdeutschlands gegen die Sieger zu vollziehen. Die Erschliessung der Auslandsvertretung war ein taktischer Fehlgriff erster Ordnung. In einem Augenblick, wo Tausende verfolgter sozialisti- scher Kämpfer in Oesterreich und emigrierter Parteimitglieder ihre Hoff- nung auf die Hilfe und Gastfreundschaft Frankreichs und Englands setz- ten, sich ihnen als ideologische Verbündete des deutschen Imperialismus zu präsentieren, musste sie die Lage der österreichischen Emigration - we- sentlich erschweren. Auch von den sozialistischen Parteien der beiden Länder war kein Verständnis für die Anschluss-Entschliessung zu erwar- ten. Die Entschliessung der österreichischen Emigration entsprach keiner zwingenden Notwendigkeit. Angesichts einer geschichtlichen Entwicklung von tiefster Ungewissheit war für das österreichische Volk nichts anderes zu fordern als das Recht, in freier Selbstbestimmung seine künftige staat- liche Zugehörigkeit zu entscheiden, wobei hier noch zu beachten ist, dass das sogenannte Selbstbestimmungsrecht der Nationen dieselbe Grenze haben muss, die dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums gezogen, ist: Es darf kein fremdes Recht verletzen. Sowenig marxistische Soziali- sten dem Einzelmenschen das Recht des schrankenlosen Individualismus zubilligen, so wenig können sie es der Einzelnation einräumen. Es scheint übrigens, dass auch die RS von der ursprünglichen Entschlie- 15 ssung im Laufe der letzten Entwicklung abrücken. In einem programma- tischen Artikel über "Die Mission des österreichischen Sozialismus" (im "Kampf" vom 4. November 1939) schreibt Austriacus, in dem man wohl den offiziellen Federführer der Auslandsvertretung erblicken darf: "Unser nächstes Ziel ist der Sturz Hitlers, die Wiedererringung der freien Selbstbestimmung des österreichischen Volkes, das selbst und frei über sein künftiges staatliches Schicksal und seine Regierungsform entschei- den soll. Unsere Vorstellung von der Zukunft ist die einer von jeder He- aemonie befreiten Föderation in Mitteleuropa, womöglich als Bestandteil eines von jeder Zwangsherrschaft freien, föderativen Europa." Vielleicht hat die. Auslandsvertretung inzwischen erfahren, dass sie sich mit ihrer Anschlussresolution nicht nur zu den anderen Parteien der In- ternationale, sondern auch zu den in Oesterreich verbliebenen Massen der Parteigenossen in Widerspruch gesetzt hat, für die das Anschluss- problem, nicht mehr als theoretische Frage, sondern als das Erlebnis ih- res täglichen Leidens, ganz andere Aspekte gewonnen hat. II. Die jüngste Geschichte, allen noch in frischer Erinnerung, hat gezeigt, dass die friedliche Ordnung und die Sicherheit Mitteleuropas mit der Aufsaugung des luftleeren Raumes, den Oesterreich darstellte, vernicht- tet war. Die Achse Rom-Berlin, die Münchenisierung der Tschechoslowa- kei, der politische Druck auf den Balkan als Vorläufer seiner ökonomi- schen Eroberung und zuletzt der Blitzkrieg gegen Polen — sie alle hatten den Anschluss Oesterreichs an Deutschland zur Voraussetzung. Ist das erkannt und wird anerkannt, dass die friedliche Organisation Mitteleuropas und die Freiheit seiner kleineren Völker, der Tschechen und Slowaken, der Magyaren, Rumänen, Kroaten, Slowenen und Serben an den Bestand eines Oesterreichs ausserhalb des deutschen Reiches gebun- den ist. dann müssen der deutsche und der österreichische Sozialismus sich bereit finden, diesen Beitrag zum Frieden Europas zu leisten. Den Anspruch auf einen, geschlossenen Nationalstaat hat keine der gro- ssen Nationen des europäischen Kontinents erfüllt. Franzosen wohnen ausserhalb Frankreichs, in Belgien, in der Schweiz, in Teilen des italieni- schen Savoyen. Italiener in der Schweiz, in Südfrankreich, auf Korsika, auf Malta. Auch die deutsche Nation kann leben und Grosses vollbringen, wenn sie sich in mehreren Staaten konstituiert. Es wird hier bewusst da- rauf verzichtet, mit der unter dem Dollfuss-Schuschnigg Regime von will- fährigen Literaten und Historikern konstruierten österreichischen, von der deutschen unterschiedenen Nation zu argumentieren. Weil es sie nicht gibt. Der Homunkulus des "österreichischen Menschen" ist tot, ohne Aus- sicht wiederzuerstehen. Die "Lebensunfähigkeit" Oesterreichs von 1918 bis 1938, die den An- schluss zu einem zwingenden Wirtschaftspostulat erheben sollte, war nur ein Produkt der Fehlleitung seiner Wirtschaftskräfte unter christlich- sozialer Führung, die ein Land, dessen Zukunft die Ausbildung seiner Qualitätsproduktion und die Erhaltung seiner kommerziellen Mittlerrolle zwischen West- und Südosteuropa gewesen wäre, in einen Industriefried- hof verwandelte und die Verbindungswege des Handels unterband, um in dem kargen Alpenland hochagrarische Wirtschaftspolitik zu treiben als 16 Grundlage ihrer reaktionären Innenpolitik, die keine Vermehrung der städtisch-proletarischen Schichten wollte. Wenn die Staaten Mitteleuropas nicht länger von den Grossmächten als Schachfiguren ihres imperialistischen Machtkampfes künstlich gegen- einander gesetzt werden und wenn nicht auf den Spitzen französischer oder italienischer Bayonette die allen seinen Völkern verhasste Habsbur- ger-Dynastie in der Wiener Hofburg restauriert wird, dann werden sich diese Staaten, die alle aus der Vergangenheit gelernt haben, zur Wirt- schaftsgemeinschaft einer freien Donau-Föderation zusammenfinden. Aber alle diese Pläne sind zum Scheitern verurteilt, wenn die Föderation sich den Völkern des Donaubeckens als "Bollwerk" präsentiert, als Boll- werk gegen Deutschland, als Bollwerk des französischen Imperialismus, wie es die Kleine Entente war, die zerbrach, als ein näherer und stärke- rer Imperialismus die Bühne der Geschichte wieder betrat, als Bollwerk gegen den Bolschewismus und als Bollwerk gegen den aus dem eigenen Volk erwachsenden Sozialismus. Die Donauföderation wird nur werden, leben und bestehen können, wenn ihr Daseinsinhalt nicht ein negativer, ein blosses Gegen, sondern ein po- sitiver, ein Für, sein wird. Es ist eine Aufgabe des österreichischen So- zialismus, dieser Lösung der österreichischen Frage zu dienen. Er würde sich damit eine Aufgabe stellen, die er zu erfüllen vermag, die ihm schon jetzt, in diesem Stadium des Krieges eine reale Mission gäbe. III. Die Gedankengänge, die hier über die Zukunft Gestereichs entwickelt wurden, sollten nach der Meinung des Verfassers auch in dem Falle gel- ten, dass der Krieg in eine deutsche Revolution endet, die weitertreibt zur sozialen Umwälzung. Die Gründe, die dafür ins Treffen zu führen sind — nicht der geringste ist, dass Mitteleuropa Oesterreich auch zur soziali- stischen Umgestaltung benötigt — können in diesem Zusammenhang nicht entwickelt werden.. Sie umfassen das Gesamtproblem der mögli- chen Aussenpolitik eines sozialistischen Staates, die Frage insbesondere, ob sie von vorneherein als pazifistisch vorausgesetzt werden kann und die Einverleibung fremdnationalen Gebietes ausschliesst. Dieser theoretischen Erwägung steht allerdings eine praktische gegen- über. Ein sozialistisches Deutschland könnte von so starker Anziehungs- kraft auf das österreichische Proletariats sein, dass der Wunsch, sich ihm anzuschliessen, nicht zurückzudämmen wäre. Dass eine solche Entwick- lung schwere Konfliktsgefahren in Mitteleuropa insich schliesst, auch die einer Reaktion im sozialen Sinne in den Nachbarstaaten Oesterreichs, liegt auf der Hand. Schon einmal (1848) hat eine grossdeutsche Revolu- tion die kleinen slawischen Völker Oesterreichs der Reaktion in die Arme getrieben, weil si ihre nationale Zukunft nicht der deutschen Demokratie anvertrauen wollten. So endet diese Untersuchung, wie jede, die unbekannte Voraussetzung gen nicht ausschalten kann, notgedrungen mit einem Fragezeichen. LESEN UND WEITERGEBEN! 17 Vor welcher Entscheidung stand Russland? Die Diskussion über die russische Politik ist ausserordentlich gefühlt betont und lässt vielfach die wünschenswerte Ruhe und Sachlichkeit vermissen. Auf der einen Seite stehen die Antibolschewisten, de- ren moralische Entrüstung keinerlei Glauben verdient, da sie gegen- über den Verbrechen Francos und der Faschisten in Spanien nicht in Erscheinung trat. Auf der entgegengesetzten Seite stehen die un- bedingt Stalin-Gläubigen, für die alles, was Stalin tut, von vorne- herein gut und richtig ist. Aber auch die meisten überzeugten Sozia- listen und Kommunisten, soweit sie sich vom Stalinismus getrennt haben, reagieren aus ihrer tiefen Enttäuschung über die russische Politik heraus vielfach so heftig, dass ihre Argumente dadurch eher an Beweiskraft verlieren. Im Unterschied dazu zeichnet sich die fol- gende Stellungnahme der Gruppe "Neubeginnen" durch ihre ruhige Sachlichkeit aus: ". . Es hat uns weder erstaunt, dass die Bündnisverhandlungen scheiter- ten, noch hätte uns verwundert, wenn Russland bei Kriegsbeginn neutral gebliebei) wäre, um Vor der eigenen Feststellung sicher zu gehen, dass es den Westmächten diesmal mit dem Widerstand gegen Hitler ernst war. Aber Russland blieb nicht neutral, sondern ging vor Kriegsausbruch mit Hitlerdeutschland politische Bindungen ein, die den Angriff auf Polen ermöglichten, teilte nachher die Beute und unterstützte diplomatisch, wirt- schaftlich und propagandistisch Hitlers Druck auf die Westmächte, um die Anerkennung der neuen Annexionen ohne Krieg zu erreichen. Die Sorge, im Krieg gegen Hitler allein zu stehen, könnte die Neutralität bei Beginn des Krieges, doch nicht den Abschluss einer Partnerschaft mit Hitler erklären. Die Kommunisten antworten, dass die Neutralität Hitler an die russischen Grenzen gebracht hätte, ohne Russland wirklich zu sichern. Stalins Pakte mit Hitler, die sie als ein kluges Manöver darstellen, hätten Russland da- gegen durch die Annexion Ostpolens, durch die Kontrolle über das Bal- tikum und durch die Isolierung Japans ein Maximum an Sicherheit ohne Kriegsrisiko gebracht. Es ist in der Tat richtig, dass die Neutralität allein keine ausreichende Politik für; Russand gewesen wäre. Eine Neutralität bei Beginn des Krie- ges, um sicherzugehen, musste entweder durch ein Eingreifen an der Sei- te der Westmächte fortgesetzt werden, sobald diese ernsthaft in den Krieg eintraten —- oder durch Vereinbarungen mit Hitler rückversichert werden, für die Russland den Preis seiner diplomatischen und wirtschaft- lichen Unterstützung zu zahlen hatte. In beiden Fällen konnte Russland in Polen einmarschieren und musste sich im Baltikum Sicherungen schaf- fen. Aber im einen Falle wäre der russische Vormarsch im Kampf gegen den Faschismus erfolgt, belastet mit dem Risiko, nun nicht mehr der Iso-- lierung, aber immerhin der Kriegführung selbst; im andern Falle erfolgte er im Einverständnis mit dem Faschismus, ohne unmittelbares Kriegsri- siko, aber mit den Folgen der Stärkung des Hauptfeindes des Sozialismus in der Welt in der Stunde seiner grössten Bedrohung. Dies war die wirkliche Alternative für die russische Politik. Sie war nicht gezwungen, sich voreilig an die Westmächte zu binden, bevor diese mit 18 dem Kampf gegen Hitler ernst gemacht hatten. Sie war nicht in der Lage, sich in eine blosse Neutralität zurückzuziehen, wenn Hitler auf Russlands Grenzen zu marschierte. Sie hatte die Wahl, nach dem Eingreifen der Westmächte aus der Neutralität heraus zum Entscheidungskampf gegen Hitler anzutreten oder vor Beginn des Krieges, sich durch einen Kuhhan- del mit Hitler zu sichern. Beide Arten von Politik entsprachen den Inter- essen der Sowjetunion, aber in einem verschiedenen Sinne: Die eine ent- sprach ihrem historischen Interesse als Bestandteil der sozialistischen Weltkräfte an der Niederringung des Faschismus, unter Bedingungen, wo diese Niederringung mit blutigen Opfern verbunden, aber erreichbar war. Die andere entsprach ihrem Interesse an Sicherheit um jeden Preis für den Augenblick, sei es selbst auf Kosten einer entscheidenden Schädi- gung des Sozialismus in der Welt und damit ihrer eigenen Zukunft. Der entscheidende, unwiderlegbare Vorwurf ist, dass die russische Regie- rung ihre Interessen in diesem zweiten Sinne ausgelegt hat." (Der hier zitierte Aufsatz ist vor dem Angriff auf Finnland geschrieben worden). Marx, Hitler und Molotow — wer hat recht? MARX: Die Gewalt ist die Geburtshelferin der Revolutionen. Auch die Idee wird zur Gewalt, wenn sie die Massen ergreift. HITLER: In der ewig gleichmässigen Anwendung der Gewalt allein liegt die allererste Voraussetzung zum Erfolge. Diese Beharrlichkeit jedoch ist immer nur das Ergebnis einer bestimmten geistigen Ueberzeu- gung. Jede Gewalt, die nicht einer festen geistigen Grundlage ent- ppriesst, wird schwankend und unsicher sein. Ihr fehlt die Stabilität, die nur in einer fanatischen Weltanschauung zu ruhen vermag. . . Jeder Versuch, eine Weltanschauung mit Machtmitteln zu bekämp- fen, scheitert am Ende, solange nicht der Kampf die Form des An- griffs für eine neue geistige Einstellung erhält. Nur im Ringen zweier Weltanschauungen miteinander vermag die Waffe der brutalen Ge- walt, beharrlich und rücksichtslos eingesetzt, die Entscheidung für die .von ihr unterstützte Seite herbeizuführen. Daran aber ist bisher noch immer die Bekämpfung des Marxismus gescheitert." MOLOTOW: Man kann die Ideologie des Hitlerismus, wie auch jedes andere ideologische System anerkennen oder ablehnen, das ist eine Sache der politischen Anschauungen. Doch wird jedermann begreifen, dass man eine Ideologie nicht mit Gewalt vernichten, dass man ihr nicht durch Krieg ein Ende bereiten kann. Daher ist es nicht nur sinnlos, sondern auch verbrecherisch, einen Krieg wie den Krieg "Vernichtung des Hitlerismus" zu führen, einen Krieg, der drapiert wird mit der falschen Flagge eines Kampfes für die "Demokratie". 19 Das Glück ist eine neue Idee in Europa! Die Propaganda der Diktaturstaaten kennt einen Feind, das Denken. Die Erziehung kennt ein Ziel, das Denken. Die Propaganda der Tyrannen lehrt: Ihr seid nicht in der Lage, alle Vorgänge zu übersehen, wir müssen Geheimdiplomatie machen, wir müssen sehr schlau sein. Unter euch gibt es viele Verräter, sie könnten unsere schlauen Schliche verraten, also dürft ihr nicht alles wissen, also müsst ihr Wendungen mitmachen, die wir gut befunden haben und die ihr für genial halten müsst. Es ist klar, nicht so erzieht man Menschen, denen es aufgegeben ist, die Krise eines Zeitalters zu überwinden. Sollen nun jene, die diese Erziehung wollen, in Konkurrenz der Propaganda der Hitler und Stalin eintreten, oder sollen sie zur alten Propaganda zurückfinden? Ihr sagt, diese sei so wirkungslos geblieben? Ihr irrt euch, ihr vergesst die grossen Siege, die sie errungen hat und von deren Missbrauch die heutigen Herren noch leben. Nei$, unsere Sache ist es nicht, die Schreier zu überschreien. Könnten wir es auch, von einer bestimmten Lautstärke ab hört der Ton auf, fassbar zu sein. So haben wir nicht zu verkünden, wir haben wieder fragen und denken zu lehren. Ist das sehr wenig? Wartet ab, das kann sehr viel sein. Wir sind wieder auf die mühsamen Anfänge zurückgeworfen. Viele sind dahef mutlos geworden. Wir teilen diese Mutlosigkeit nicht. Wir sind ge- wiss, dass nach diesem Kriege gleichsam eine Konjunktur des Zweifels und der Nachdenklichkeit heraufkommen wird. Wir sind gewiss, dass die Millionen deutscher Jugendlicher im Schützengraben, und wenn ihnen das Blut und der Dreck bis an den Hals stehen, in allen ihren falschen Gewissheiten erschüttert sein werden, dass sie sich zum ersten Mal nach etwas umsehen werden, was ihnen so erfolgreich bis dahin verleidet wor- den ist: nach dem einfachen, durchdachten Satz. Sie werden lernen wol- len, die Wirklichkeit zu erkennen, wie sie wirklich ist, sie werden den zu lauten Ton, an den sie gewöhftt waren, nicht mehr ertragen, sie werden mit der Frage anfangen: Was weiss ich? Und von dieser Jugend, das ist gewiss, wird fast alles abhängen. Sie wird nicht die alte Ordnung wiederherstellen wollen, sie wird auch davor ge- feit sein, Erlöser zu suchen. Sie wird vor die schwerste Krise gestellt sein und, wenn sie dann richtig erzogen wird, den entscheidenden Beitrag zu ihrer Lösung leisten. Wir wissen, dass wir erst darum kämpfen müssen, gehört zu werden. Werden wir es erreichen, wenn wir den Feind nachahmen? Kaum. Viel- leicht muss man mitten in solchem Gebrüll leiser sprechen, um durchzu- dringen. Einen anderen Ton finden als den, den diese Menschheit bald erbrechen wird. Wofür werden wir sprechen? Es gibt keine Macht, für die wir eintreten, doch gibt es die Mächte, gegen die wir kämpfen müssen. Was in den 20 letzten Jahren geschehen ist, war die Erkrankung von Idealen. Sozialis- mus, Nationalismus, das alles ist entwertet worden wie noch nie vorher. Es gibt keine sozialistische Wirklichkeit, für die wir eintreten können, wir sind wieder so arm wie vor dem Oktober, doch können wir allen jenen, die suchen werden, schon heute eine Richtung zeigen, nicht um sie dort hinzuführen, sondern um sie selbst zu Führern zu machen. Im Augenblick sieht es aus, als ob es zwar gäbe, wogegen, doch nicht wojür zu sterben. Wir müssen aufzeigen, wie man das Ideal wieder er- kennt, für das es auch zu sterben lohnen könnte. Bewegen wir uns im Niemandsland? Es wird von unserer Erziehung ab- hängen, dass es die entscheidende Front, die Front unserer wirklichen Siege wird. "Das Glück ist eine neue Idee in Europa!" Das wurde vor 150 Jahren ge- sprochen. Niemals war die Menschheit so unglücklich wie heute. Nie- mals standen ihr solche Mittel, glücklich zu sein, zur Verfügung. Um die Menschen nachdenklich zu stimmen, um sie von der Herrschaft der ver-, logenen Phrasen zu befreien, muss man sie immer wieder mit der Wirk- lichkeit konfrontieren, dass sie fragen: Sind wir glücklich, ist dieser Zu- stand die Erfüllung unserer berechtigten Wünsche? Ist Sozialismus dort, wo die Menschen nicht einmal den Mut haben, nach ihrem Glücke zu fragen, nicht den Mut zu ihren Gedanken? Die Sehnsucht nach einem Glücke, das geänderte Umstände möglich machen 1 könnten, könnte von heute auf morgen die revolutionierendste Frage werden. Ein geistiges Dynamit, mit dem die Tyrannen und manch anderes noch dazu, in die Luft gesprengt werden könnten. Wir sagen dem schöpferischen Zweifel, der die Massen ergreifen wird, eine nahe und grosse Zukunft voraus. Der Boden wird umgegraben, und nur die Saat wird aufgehen, deren Frucht das grosse Gegengift, die Hir- ne zu entgiften, sein wird. JAN HEGER in der "Zukunft". Spar Punkte, Brigitte! Die "Berliner Illustrierte" veröffentlichte kürzlich ein Bild, das einen Weih- nachtsmann und einen Engel vor einer riesigen Kartothek zeigt. Der Weihnachtsmann sagt zum Engel: "Die Frau Krause aus der Alleestra- sse wünscht sich ein neues Kleid — geh, schau mal rasch in der Karto- thek nach, ob sie noch soviel Punkte auf ihrer Karte hat." Da das unter der Rubrik "Humor" abgedruckt war, ist wohl anzunehmen, dass es ein Witz sein soll. Wir müssen aber gestehen, dass uns sowas nicht zum, Lachen bringt. So fanatische Widersacher des Dritten Reiches wir auch sind, es liegt uns nicht, uns über die Not des deutschen Volkes noch lustig zu machen. Diese Not ist riesengross. Drei Monate dauerte der Krieg, noch funktio- nierte die Blockade der Alliierten unzulänglich, da wurde in Gross- deutschland schon, die "Reichskleiderkarte" eingeführt. Was heute pro- 21 auziert wird, ist erbärmlicher Schund von kurzfristigster Haltbarkeit. Wer aber sich im Januar einen Anzug, einen Pullover und zwei Paar Strümpfe gekauft hat, der hat die ihm für dieses Jahr zustehenden Punkte schon verbraucht. Er kriegt nichts mehr. Keinen Mantel, kein Hemd, kein Ta- schentuch, keine Unter-, nicht einmal eine Badehose. In derselben "Berliner Illustrierten", deren Karikaturist einen so üblen Zy- nismus an den Tag legt, finden sich denn auch Inserate wie die folgen- den: "Dieses Kleid verbraucht nur 23 Punkte. Es ist ein Beispiel von vie- len, wie man sich mit wenig Punkten hübsch kleiden kann." Darüber ein kurzes Fähnchen, ohne Aermel und mit weitem Ausschnitt. Oder man liest: "Spar Punkte, Brigitte! Nimm Ultra-Schnitte." So sieht Hitler- Deutschland in den ersten Kriegsmonaten aus. Und so sehen die deutschen Zeitungen von heute aus: Ende November, als die Reichskleiderkarte eingeführt wurde, schrieb die "Deutsche All- gemeine Zeitung" in einem Artikel darüber: "Diese Kleiderkarte ist — je mehr man sie studiert, desto stärker kommt einem dies zum Bewusstsein — ein organisatorisches Kunstwerk, eine bemerkenswerte Leistung der deutschen Gründlichkeit." Was für Kaschuben sitzen heute in der Redaktion einer Zeitung, die einst- mals nationalistisch-kapitalistische Interessen geschickt zu verteidigen wusste! Wofür hält die "Deutsche Allgemeine Zeitung" ihre Leser, dass sie es wagt, ihnen einen solchen warmen Dreck vorzusetzen! Wir hun- gern und frieren. Aber, erblasse vor Neid, perfides Albion!, wir hungern organisiert und frieren mit deutscher Gründlichkeit.' Doch handelt es sich nicht um die "Deutsche Allgemeine Zeitung". So sieht das ganze Grossdeutschland aus. In Ermangelung von wirklichen Siegen, feiern sie die "Grosstaten des deutschen Geistes" und selbst ei- ne Seeschlacht von Punta del Este ist ihnen Anlass zu Häuserbeflaggung und Viktoriageschrei. Die widerliche Rasse der Skribenten, die von den Redaktionen des Hin- terlandes aus die andern zum Heidentod anfeuern, bemühte sich, den Krieg als einen Verteidigungskrieg gegen die westeuropäischen Imperialisten und Plutokraten hinzustellen, von.denen Hitler in seiner Münchner Bräu- hausrede gesagt hat: "Sie hassen das soziale Deutschland." Und — so schreiben sie — noch bis in die Reichskleiderkarte hinein ma- nifestiere sich der soziale Geist des Dritten Reiches. Ob arm oder reich, cb Gefolgschaft oder Führer — alle haben sie nur Anspruch auf die glei- che Punktzahl pro Jahr. Wenn natürlich der Arbeitsmann Schulze es versaujnt hat, sich früh genug mit fünf Anzügen, einem Pelzmantel und der nötigen Wäsche einzudecken, so ist,das seine Schuld. Im übrigen ist der Nationalsozialismus ein erbitterter Gegner der demokratischen Gleich- macherei. Es gibt zwei Sorten von Deutschen:, die die Gesetze machen, und die andern, die sie zu befolgen haben. Derjenige Nationalsozialist aber, dem diese Zeitung in die Hände kommt und der ernstlich glaubt, dass 'auch Pg. Hermann Göring sich mit einer — seien wir grosszügig: mit zwei Reichskleiderkarten begnügt, der möge uns seine Zuversicht schriftlich mitteilen. Wir werden seinen Brief unge- kürzt zum Abdruck bringen. Und da diese Nummer an eine beträchtliche Zahl yon Mitgliedern der "Deutschen Kultur- und Wohltätigkeitsvereine" und des "Bundes der schaffenden Deutschen" kostenlos versandt wird, mögen unsere Leser aus der Zahl der eingehenden Antworten ersehen, wieviele unheilbare Dumme es hierzulande noch gibt. 22 Stimmungsbarometer Auf Joe Luis ist man in der "La Plata- Zeitung" nicht gut zu sprechen, seit- dem er unserem nordischen Maxe und • damit auch der Lehre von den arischen Herrenmenschen eine Reihe von schmerhaften upper-cuts versetzte. Der pfiffige SpoTftredakteur der "Lappen- tante" hat nun im Verlauf des Kampfes Joe Luis—Artur-o Godoy die langer- sehnte Gelegenheit gesehen, dem Neger eins auszuwischen und Rosenberg zu re- habilitieren. Die Geschichte ging leider nur so zu machen, dass er den keines- wegs nordischen Godoy herausstrich. Aber das macht sich in der Linie des leidenschaftlich verfochtenen südameri- kanischen Patriotismus sogar ganz gut. Der Sportredakteur geht also aus der guten Deckung seines Schreibtisches hef- tig gegen den "braunen Bomber Luis" vor. Wir nehmen keinerlei Anstoss dar- an, denn wir haben alles Verständnis für die Schwierigkeiten eines Mannes, der von berufswegen angewiesen ist, die "Weltanschauung" des Nationalsozialis- mus im allgemeinen und ihre Auswir- kungen auf den Boxsport im besonderen zu verteidigen. Aber — bei Wotan und Wallhall! — weiahea Deutsch beliebt man in dieser deutschesten aller deut- schen Zeitungen zu schreiben! Im Zei- tungsbetriebe" geht es gewiss ein bisschen hastig zu, aber das entschuldigt noch nicht einen "als 10:1 — Favorit in den Ring gestiegenen Weltmeister" oder ein "Opfer, das Godoy zu den Akten legen konnte". Den Hass gegen die Schieds- richter, von denen zwei kommunistische Juden und der dritte ein zionistischer Kommunist war ,in Ehren! Man kann im Deutschen nicht sagen, ihre Bemühungen waren erfolgreich gewesen, "damit der Titel den USA-Gestaden nicht entgleiten konnte." Die Lappentante setzt jedoch dem Fass die Krone auf, wenn sie gleich hinterher erklärt: "Zwar wäre es falsch, jetzt ins einseitige Horn zu blasen". Im- merhin, was bleibt, ist folgendes: "Go- doy, der durch seine Leistung dazu bei- getragen hat, das Prestige des südameri- kanischen Boxsports zu heben, ist nun an die zweite Stelle der Weltrangliste vorgerückt, denn eindeutig hat er sich für einen Revanchekampf qualifiziert und d)unit tiiSe übrigen Titeflbewerber wie Jonny Paycheck, Lee Sabold, Tony Galente, Bob Pastor, Max Baer und wa- rum sollen wir ihn nicht nennen, denn wir sagen Titelbewerber, Valentin Campo- lo, vorläufig ausgestochen. "Wenn uns nicht alles täuscht, ist dieser längliche Satz und warum sollen wir es nicht sa- gen, denn wir meinen länglich, etwas bandwurmartig ausgefallen. Gehen wir jedoch zu den technischen Einzelheiten des Kampfes über, so er- fahren wir da: "Diese Hiebe unterminie- ren den Gegner und besonders Neger, die ja bekanntlich anatomisch anderes ge- baut sind als wir Weissen, indem sie mehr Weichteile am Körper haben." Sehr interessant, sehr interessant! Wir aber fragen uns trotzalledem, ob die Tief- schläge, die die Lappentante da in einem einzigen Satz der deutschen Grammatik versetzt, nicht eher die deutsche Sprache unterminieren, indem diese mehr emp- findliche Weich teile hat, als jener mit einem Besenstiel schreibende Nazi ahnt, ttn der Corrientes 672 degradieren sie uns zu Juden. Aber das Mauscheln be- sorgen sie ganz alleine! In Montevideo hat sich ein Neugieriger die Frage vorgelegt, was wohl mit den Emigranten geschehen wird, wenn das DRITTE REICH zu sterben kommt. In einem dort erscheinenden Blatt schreibt er: "Es versteht sich von selbst, dass die Rückbeförderung auf Kosten des Staates zu erfolgen hat, wobei ein Ueberbrük- kungszuschuss an jeden Rückwanderer bis zu seiner Neueingliederung in die Wirtschaft bezahlt werden muss." Wir wissen nicht, ob das so sein wird. Aber es scheint uns ausser Frage zu stehen, dass DAS ANDERE DEUTSCHLAND Leute dieses Schlages am allerwenigsten wird gebrauchen können, die sich heute schon überlegen, welches Hilfskomitee ihnen die Rückreise bezahlen und welche Behörde sie subventionieren wird. Heute stehen nur unsere Pflichten auf der Ta- gesordnung. Heute handelt es sich um nichts anderes, als darum, den Hitleris- mus zu bekämpfen,1 so weit wir von hier aus die Möglichkeit dazu haben. Auch nach dem Sturze Hitlers wird es sich um nichts anderes handeln, als weiterzu- kämpfen und Opfer zu bringen, denn Hit- ler wird nach seinem Sturz ein verelen- detes, physisch und moralisch krankes Volk zurücklassen. Allein aus der Tatsache, dass man 1933 oder später Deutschland verlassen hat, ergeben sich kaum irgendwelche Rechts- ansprüche. Solche können höchstens er- worben werden durch ununterbrochenen Kampf gegen Hitler auch in der Emigra- tion. Was sollen jene Helden, die an der 23 Front des illegalen Kampfes unbekannt, unter ständiger Todesgefahr ihre Pflicht tun, was sollen sie denken von einem Emigranten, der an den Fleischtöpfen und in der Geborgenheit Südamerikas solche Forderungen stellt? Und von einem Blatt, das sie auch noch veröffentlicht? Weltentrüstung über den russischen Ueberfall auf Finnnland! Gut, aber wir dürfen nicht müde werden, zu fragen: Ihr, die ihr jetzt gegen den Angreifer, ge- gen die Mörder von Frauen und Kinder, gegen die Zerstörer von unbewehrten Städten schreit, wo ward ihr, als die Abyssinier niedergemäht wurden, als Albanien überfallen wurde, als Oester- reich besetzt und die Tschechoslowakei annektiert wurde? Schlimm genug, dass Stalin euch die Möglichkeit zur Entfes- selung eures antikommunistischen Kreuz- zuges gegeben hat! Einer der interessantesten Vorgänge die- ses seltsamen Krieges hat sich im Drit- ten Reich abgespielt. Zu Beginn des Krieges wurden dort nahezu alle sozialen Schutzmassnahmen aufgehoben, die der Arbeiterschaft seit 1933 noch geblieben waren. Die Arbeitszeit wurde von 10 auf 12 Stunden verlängert, die Zulagen für Ueberzeit-, Nacht- und Sonntagsarbeit so- wie die Ferienansprüche wurden gestri- chen. Das hat aber unter der deutschen Arbeiterschaft eine derartige Misstim- mung verursacht, dass sogar die Macht- haber des Dritten Reiches, die doch über alle offiziellen und inoffiziellen Macht- mittel verfügen, diese Misstimmung nicht mehr zu ignorieren können glaubten. So wurden zu Beginn Dezember jene Ver- ordnungen vom September wieder aufge- hoben und die früheren Arbeitsbedingun- gen fast vollständig wiederhergestellt. Diese Tatsache beweist, dass wirtschaftli- che Massnahmen, die die breiten Mas- sen in einer unerträglichen Weise bela- sten, sich irgendwie immer bemerkbar machen, — sogar in einer faschistischen Diktatur. Soeben erschien: Dr. August Biemsen: "PREUSSENS ENDE — DEUTSCHLANDS AUFSTIEG" Heft 1 der Schriftenreihe "DAS ANDERE DEUTSCHLAND" Deutsche Ausgabe Ediciön Castellana Preis 20 Centavos Bestellungen an "LA OTRA ALEMANIA" TUCUMAN 309 — BUENOS AIRES Drei Monate kostenlos zur Probe versenden wir "Das Andere Deutschland" an Adressen, die uns von unseren Abonnenten aufgegeben werden. Benutzen Sie den untenste- henden Schein: 1. .................................... ........................................... 3 .. ............................ ........... 4......................................... 5................ 6................ Name und Adresse des Abonnenten: 24