i-j Das Andere Deutschland (LA OTRA ALEMANIA) Periodico Aleman Independiente BUENOS AIRES, 15. Juli 1940 JAHRGANG HI — Nr. 28 EINZELNUMMER 30 CENTAVOS JAHRESABONNEMENT: 3 PESOS Die europäische Katastrophe Ihre Ursachen, ihr Wesen and ihre Überwindung ¥ VERLORENE ILLUSIONEN Es ist gespenstisch, wenn man aus Bu- ropa kommende Zeitschriften liest, die im April erschienen sind, und in de- nen dargelegt wird, dass der norwegi- sche Feldzug der Anfang vom Ende Hitlers sei; denn jetzt nahe der Kampf mit den eigentlichen Gegnern, denen er in keiner Weies gewachsen sei. Auch hier hat man sich in deutsch«! Emigrantenkreisen solchen optimisti- schen Illusionen hingegeben.* Umso schwerer rnusste die seelische Erschüt- terung sein, die der schnelle militäri- sche Zusammenbruch Frankreichs hervorrief. Kein Mensch hat geglaubt, dass Frankreich schneller erledigt werden könnte als Polen, dass in Frankreich sein Kampf stattfinden würde, der sich mit dem heldenhaften Wider- stand Warschaus vergleichen liesse. Kein Mensch? Doch, die Nazis und die Faschisten haben diesen Zusam- menbruch vorausgesagt. Wir anderen hielten das für die übliche Grosspre- cherei und machten uns lustig dar- über. Wir wussten damals nicht, dass nicht die Angaben über die deutschen Kriegseffektive, sondern die über die französische Kriegsstärke Bluff wa- ren. Wir konnten immöglich anneh- men, dass der französische General- stab materiell und geistig so kata- strophal schlecht vorbereitet war ge- genüber den Formen des modernen Blitzkrieges, wie es sich dann gezeigt hat. Auch wir, die wir nie haltlosen Il- lusionen und einem unbegründeten und darum unklugen Ontimismus ge- huldigt haben — wir sahen zum Bei- spiel immer in der norwegischen Ak- tion einen grossen Erfolg Hitlers — haben Frankreich weit mehr militäri- sche Kraft zugetraut. 1 Deutsche S;fciic!hek Kfi iiViuft e.!T! Main DIE QUINTA COLUMNA .N FRANKREICH Schlimmer aber noch als der militäri- sche ist der moralische Zusammen- bruch Prankreichs. Die zweihundert Familien, die Laval und Flandin und Bonnet, die heute nach dem schmäh- lichen Muster der deutschen Dolch- stosslegende die Schuld auf Arbeiter- schaft und Volksfront abwälzen möch- ten, haben durch ihre teils pro-faschi- stische, teils feige Polit'k Prankreich in die Katastrophe geführt. Sie haben das um seine Freiheit kämpfende spa- nische Volk dem Paschismus preisge- geben und die Tschechoslowakei an H'tler ausgeliefert. Wir hatten gehofft, dass mit Reynaud der Teil des französsiehen Bürger- tums ans Ruder gelangt sei, der das Interesse Frankreichs über das Klas- seninteresse stellte. Die Tatsache al- lerdings. dass auch Reynaud einseitig gegen die kommunistischen Defätisten und nicht gegen die faschistischen Verräter der Quinta Columna vorging, dass er sogar einen Faschisten wie Yharneguarnay in sein Kabinett auf- nahm, musste bedenkl'ch stimmen. In der entscheidenden Stunde zeigte sich, dass die Quinta Columna der zweihun- dert Familien und der korrupten Po- litiker sich durchsetzen und Reynaud stürzen konnte, weil die Militärs auf ihrer Seite standen. Sie alle fürchte- ten die soziale Umwälzung, die mit einem nach dem Vorbild der Jacobin er geführten konsequenten Krieg gegen die faschistischen Assessoren un- trennbar verbunden gewesen wäre, weit mehr als den Sieg der faschisti- schen Gegner. L'eber Hitlerherrschaft unter Rettung der Klassennrivilegien, als Behauptung der nationalen Selb- ständigkeit- und Freiheit, aber auch zugleich Aufstieg der Arbeiterklasse und Verlust der Klassenherrschaft!: das war die Parole, die zur Niederlage und Kat)itnlat''on geführt hat. Und was für eine Kapitulation! Man hat nicht nur das feierliche, dem eng- lischen Verbündeten gegebene Ver- sprechen gebrochen, keinen Sonder- frieden zu schliessen und damit ein- mal mehr eezeiert, dass in der heuti- gen morschen Welt keine Verspre- chungen und Abmachungen mehr Wert'haben. Man war auch ohne Not bereit, See- und Luftflotte den Na- zis auszuliefern. Und eine besondere Hb (V Zierde dieses "ehrenvollen" Friedens ist die Auslieferung der politischen Emigranten an die Gestapo. Was Herr Petain "ehrenvoll" nennt, unterschei- det sich kaum von der Ehre der Na- zis. DIE FAEULNIS DES EUROPAEt- SCHEN MONOPOL- KAPITALISMUS Mit schauerlicher Eindringlichkeit hat die französische Tragödie gezeigt, wie bis ins Mark faul der europäische Mo- nopol- und Krisenkapitalismus ist. Um das zu verstehen, muss man ausgehen von den inneren Widersprüchen des monopolkapitalistischen Systems, vor allem von der Tatsache, dass die im- mer grössere Steigerung der Produk- tivität zu entsprechender Freisetzung von Arbeitern, das heisst zu wachsen- der Dauerarbeitslosigkeit und das heisst wiederum zu dauernd sinken- dem Absatz führt. Die Auswegslosig- keit des Monopolkapitalismus hat die Ablösung dieses Systems, das den Men- schen nicht mehr Arbeit und Existenz zu sichern vermag, zur unausweichli- chen Aufgabe unserer Zeit gemacht. Durch verschärften Kampf um die Weltmärkte, durch Schutzzölle und Autarkiebestrebungen, durch Dumping und Waehrungsmanipulationen, durch Korrumpierung der Presse und der Regierungen, durch ins Masslose ge- steigerte Aufrüstung etc. sucht _ sich dieser morsche Krisen-Kap'talismus seit dem Weltkrieg zu behaupten. Alle Ideale, alle Moral sind dabei zum Teu- fel gegangen oder zu hohlen Phra- sen geworden. Freiheit, Gerechtigkeit. Vaterland — Worte, gut genug, hin- ter ihnen nackteste Profit- und Klas- seninteressen zu verbergen! Auf d'esem Boden gedieh der Faschis- mus. Er steier^rt das die ganze kapitali- stische Gesellschaft beherrschende Profitinteresse und Machtstreben auf den äussersten Grad, indem er die brutale Herrschaft im Inneren bis zur Sklaverei und d;e ungemessene Erobe- rung nach aussen bis zur Weltbeherr- schung proklamiert. Typischer Aus- druck des Krisenka-Ditalismns ist er auch darin, dass er alle Ideale um- fälscht und eine Systematik der Lüge und des Massenbetrueres entw'ckelt hat, die der entmenschlichenden Tech- nik des laufenden Bandes entspricht Da gleiche Bedingungen gleiche Fol- geerscheinungen zeitigen müssen, wird nun die zunächst unfassbar erschei- nende Tatsache verständlich, dass überall die Quinta Columna in die höchsten Spitzen des Staates, der Wirtschaft und der Armee reicht, dass mit anderen Worten überall die mass- gebenden Kreise der herrschenden Klasse faschistisch infiziert sind. Hier liegt der Hauptgrund für Hit- .lers Erfolge. Das enorm geschwächte Nachkriegsdeutschland war wirtschaft- lich England und Prankreich weit un- terlegen. Es konnte nur mit wohl- wollender Förderung Englands und mit feiger Duldung Frankreichs sich zum grossen Revanchekrieg und darü- ber hinaus zum Kampf um die Welt- herrschaft so ungestört und so gründ- lich vorbereiten, wie das in sieben Jahren Hitlerdiktatur geschehen ist. D e City und die zweihundert Familien spielten das Spiel Hitlers, als sie auf seine antibolschewistischen Parolen hineinfielen, als sie die deutsche Op- position lahmlegten, und als sie die an- tifaschistische Arbeiterschaft im eige- nen Lande bekämpften. Wenn Cham- berlain betonte, es handele sich nicht um einen Kampf der Ideologien und der politischen Systeme, so hatte er absolut recht, denn die Klasse, in de- ren Namen er sprach, war ja selbst von der faschistischen Ideologie an- gesteckt und begrüsste das faschisti- sche Svstem in Deutschland als geeig- netes Mittel zum Kampf gegen den "Bolschewismus", das heisst, gegen die politischen und sozialen Forderungen der Arbeiterschaft. DAS VERSAGEN DES PROLETARIATS Das besonders Tragische an der eu- ropäischen Katastrophe ist das Versa- gen des Proletariats. In dem Moment wo der Verfall des Kapitalismus so weit fortgeschritten war, dass die Menschheitsideen der französischen Revolution, mit denen das Bürgertum vor hundertfünfzig Jahren se'nen Sie- geszug begonnen hatte, durch die Ge- walttheorien des Faschismus ersetzt worden waren, wäre es an der euro- päischen Arbeiterschaft gewesen, die Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit :'n den durch die Ent- wicklung geforderten neuen sozialen Formen zu verwirklichen. Die grosse Aufgabe fand ein kleines Geschlecht. Zu sehr verbunden mit den bürgerlichen Ideologien und den gesellschaftlichen und staatlichen Ein- richtungen des Kapitalismus, unfähig, die Zeit zu verstehen und die neuen Probleme zu bewältigen, zaghaft und entschlusslos im Augenblick, der Ener- gie und Handeln forderte, hat die Führung der französischen und engli- schen, der europäischen Arbeiterschalt überhaupt nichts gelernt aus den Nie- derlagen der italienischen, deutschen und österreichischen Arbeiterbewe- gung. Lange Jahre hat sie nichts be- griffen vom Wesen der Hitler-dikta- tur und von der faschistischen Ge- fahr, die vor allem die Labour-Par- ty durch ihren Abstraktpazifismus ge- steigert hat. Man sah zu, wie das spa- nische Volk abgewürgt wurde, indem man den infamen Betrug der Nicht- Intervention duldete. Wenn man heute sagt, Blum hätte als Ministerpräsi- dent nicht anders handeln können, da die französischen Faschisten mit Un- terstützung des Militärs andernfalls ei- nen Staatsstreich durchgeführt hät- ten, so hat die jüngste Entwicklung gezeigt, dass d'eser Verrat der spa- nischen Republik durch feiges Aus- weichen vor einer Entscheidung gera- denwegs zur Niederlage Frankreichs und zum Verrat der faschistischen französichen Mil'tärs geführt hat. Und gibt es etwas kläglicheres als die Zu- stimmung der französischen und eng- lischen Sozialisten zu der Schmach von München! Die Kommunisten aber folgten den wechselnden Parolen, die von Moskau im Interesse der. russischen Aussenpo- litik gegeben wurden, für die die Si- cherung Russlands, nicht das Inter- esse der europäischen Arbeiterbewe- gung massgebend war. Diese Politik, die in ihren Methoden gegenüber den sozialistischen Parteien von jeher un- aufrichtig war und deshalb mit tiefem Misstrauen betrachtet wurde, konnte, auch solange sie in ihrer antifaschisti- schen und Puropäi°chen Haituns: rich- tig war, sich nicht in genügendem Masse durchsetzen. Die Wendung zur — vorwiegend scheinbaren, teils aber auch realen — Unterstützung Hitlers, hat dann weiteste Kreise der europäi- schen Arbeiterschaft in schärfsten G^grensatz zu Stalin und der seinen Weisungen folgenden Komintern ge- bracht und dadurch die europäische Arbeiterbewegung noch mehr ge- lähmt. Weil also die Gegenkräfte fehlten, wurde die europäische Katastrophe unvermeidlich und konnte solche Aüs- masse annehmen, dass heute ein Hitler Herr des europäischen Festlandes mit Ausnahme von Russland ist. DISCITE MONITI! Das alte lateinische Wort "Lernet, denn Ihr seid gewarnt!'' ist nicht beachtet worden. Heute gibt es vie- le, die ihre Hoffnungen einst auf Chamberlain und Daladier setzten und meinten: "Was geht uns Spanien an?", viele in hohem Masse Mitschuldige al- so, die heute in der üblichen Manier so tun, als hätten sie es ja schon im- mer gesagt. Demgegenüber sei betont, dass hier nicht etwa erst nachträg- lich die Entwicklung, die zur Kata- strophe geführt hat, analysiert wird. Die einsichtigen Kreise der deutschen und der österreichischen Emigration (unter ihnen auch "Das Andere Deutschland"), haben diese Entwick- lung] inie und ihre Folgen rechtzeitig aufgezeigt. Nicht aus Rechthaberei, aber tun falschen Behauptungen ent- gegenzutreten, sei das festgestellt. Der Verfasser dieses Artikels zum Beispiel hat bereits Anfang 1934 in dem al- lerdings erst drei Jahre später erschie- nen Buch "Preussen — die Gefahr Eurooas" geschrieben: "Das Dritte Reich ist der Krieg. Die Krise des Kapitalismus, der allge- meine moralische Verfall, die Ver- leugnung der Ideale der Humanität und der Freiheit, das Be'spiel des faschistischen Italien, die Politik Englands, diö Schwäche der Arbei- terbewegung haben seine Entste- hung gefördert und sichern bisher seine Existenz. Nicht nur in Berlin sitzen die Schuldigen an der Zer- rüttung Europas und am kommen- den Krieg. Schuldig sind auch die ausserdeutschen Faschismen. Schuldig sind Finanzkapital und Rüstungsindustrie. Schuldig sind Gleichgültigkeit, Herzensträgheit und Feigheit der Menschen." DER EUROPAEISCHE BUERGERKRIEG Nach der Schmach von München be- deutet der Zusammenbruch Frank- reichs den zweiten Höhepunkt der eu- ropäischen Katastrophe. Aber dass er einen ungeheueren Triumph Hit- lers darstellt, ist nur die eine Seite. Die andere ist die, dass er voraus- sichtlich Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung sein wird. Wii# wissen nichts über die Stim- mung des französischen Volkes, vor allem der französischen Arbeiter- schaft. Man darf annehmen, dass die Ereignisse wie ein Keulenschlag ge- wirkt haben. Es wird Zeit brauchen, bis das französische Volk sich be- sinnt. Aber nichts berechtigt zu dem Pessimismus, der da meint, das fran- zösische Volk befinde sich in hoff- nungslosem Abstieg und sei reif zur Versklavung. Wir sind vielmehr über- zeugt, dass die furchtbare Erfahrung die es jetzt machen muss, die in die- sem alten grossen Führervolk Europas schlummernden Fähigkeiten zu wek- ken vermag, und dass man das jahre- lang irregeleitete französische Volk nicht gleichsetzen darf mit der heuti- gen Führung. Wir sind ferner überzeugt -davon, dass das, was jetzt in Frankreich ge- schehen ist, der Ausgangspunkt eines — früher oder später kommenden — Bürgerkrieges sein wird. Und wir schreiben darüber hinaus der franzö- sischen Katastrophe überhaupt die Be- deutung zu, dass sie den Hitlerkrieg in den europäischen Bürgerkrieg ver- wandeln wird. Hitler hat zwar seine Helfershelfer unter den Königen und Staatsmännern, unter den führenden Kapitalisten und Militärs. Aber sei- ne Theorien treiben ihn und harte Realitäten zwingen ihn zur Unterdrük- kung und Ausbeutung der europäischen Volksmassen, der Bauern sowohl wie der Arbeiter. Die Reaktion auf die- sen Druck wird umso stärker sein, als sich alles, was in Europa noch an na- tionalem und persönlichem Freiheits- drang und an moralischen Werten m Völkern, Klassen, Einzelmenschen vorhanden ist — und wir schätzen das trotz allem hoch ein — auflehnen w'rd gegen die Nazidiktatur. Hier be- reitet sich eine europäische Revolu- tion vor, die beschleunigt werden wird, wenn ENGLAND sich behauptet, und wenn es mit der Unterstützung von USA in der I»age sein sollte, die Hungerblockade gegen Hitlereuropa fortzusetzen. 4 Der Schlag gegen die französische Flotte in Orän hat die Befürchtung zerstreut, dass nun auch in England die Quinta Columna sich mit Hitler arrangieren würde. Der Kampfwille in England ist durch den Zusammen- bruch Prankreichs nicht erlahmt, son- dern gestärkt. Nun scheint diese Kampfbereitschaft des englischen Imperiums der oben ge- stellten Prognose des europäischen Bürgerkrieges zu widersprechen und es gibt "Antifaschisten", die meinen, ein Sieg Englands sei ebenso schlimm wie ein Sieg H'tlers. Diese Leute über- sehen, dass England nur dann mit Aussicht auf Elrfolg gegen Hitler kämpfen kann, wenn die Massen der englischen Arbeiterschaft und die Ko- lonien das Bewusstsein gewinnen, für ihre eigene Sache zu kämpfen. Nur tiefgehende politische und soziale Wandlungen werden England in die Lage versetzen, den Kampf gegen die Weltherrschaftspläne des Hitlerfa- schismus siegreich zu Ende zu führen. RUSSLAND In der neuen Situation erlangt Russ- Jands Haltung erhöhte Bedeutung. Wir haben in den ersten Kriegsmonaten betont, dass Stalin durch die Mün- chener zu seiner Verständigung mit Hitler geradezu gezwungen worden ist. Wir haben die gegen Pinnland ange- wendeten Methoden und die schlim- me Verwirrung stiftende diplomati- sche Unterstützung Hitlers zwar scharf kritis'ert, aber die strategische Siche- rung Russlands für berechtigt und notwendig gehalten. Wir glauben, dass die jüngste Entwicklung dieser unse- rer Beurteilung der stalinschen Politik recht gegeben hat. ■Stalins Polit'k wendete sich in Wor- ten gegen England und Prankreich, in ihren Taten aber war sie eine Si- cherung gegen Hitler. Wie nötig diese Sicherung war, zeigt der Verrat der Q-r'nta Columna in Prankreich und die bedrohliche Machterweiterung Hit- "Mit jedem Tag erweist sich klarer die Zersetzung aller bisherigen Formen und Mächte: Könige, Länder. Verfassungen, Systeme stürzen in den Abgrund. Und der Verrat thront auf den Höhen der Herrschaft, in den obersten Schichten der Herrschenden. Dte Gesellschaft ist b's in ihre Grundfesten erschüttert; und nur jene gesellschaftlichen Kräfte, die zutiefst verwurzelt sind, werden diese Kata- strophe überstehen, nur jene, die der Zukunft zugewandt sind, vermögen diese Zukunft zu gewir-nen. Die Kraft der Arbeiter, dort, wo sie noch frei ist, wird den Ansturm aufhalten, wird diesen Krieg entscheiden. Und die Welt nach die- sem Kriege wird nie mehr sein, wie sie vor ihm war." lers. Nur die Tatsache, dass der "Weit- feind Nr. 1", als den England hinzu- stellen die Kommunisten nicht müde wurden, noch unbesiegt ist, sichert Russland vor dem "Ritt nach Osten". Aber der Angriff Hitlers auf Russ- land würde sicher in dem Augenblick drohen, in dem England besiegt wäre. Durch diesen Tatbestand muss Russ- lands weitere Politik bestimmt sein. Heute wird der Kampf zwischen Russ- land und Hitlerdeutschland schon auf dem Balken geführt. Keinen anderen Sinn hat die Besetzung Bessarabiens. und der rumänische König hat sich aus Angst vor dem russischen Vor- dringen bereits Hitler in die Arme ge- worfen. Das ist symptomatisch. Auf dem ganzen Balkan fürchten die Machthaber Russlands Vordringen, während die Massen der unterdrück- ten Bauernschaft Russlands natürliche Verbündete sind. Nicht nur für den Balkan, sondern auch für den sich in seinen Umrissen bereits abzeichnenden europäischen Bürgerkrieg wird Russlands Haltung von grösster Bedeutung sein. Wenn man am Schluss noch ausspricht, dass die Stalindiktatur und die russische Oktoberrevolution nicht dasselbe sind, und dass Stalin so wenig Russland ist wie Hitler Deutschland, so erhält die im Gang befindliche europäische Um- wältzung erst die gewaltige Weite ih- res Horizontes. Angesichts der Aus- masse des europäischen Geschehens haben wir gegenüber den Kleingläu- bigen und Kurzsichtigen wiederum un- sere alte Ueberzeugung auszustechen: NIEDERLAGE UND UNTERGANG DFS NATIONALSOZIALISMUS UND DER HITLERDIKTATUR SIND UN- VERMEIDLICH. EIN SCHLUSSZITAT Wir zitieren zum Schluss ein paar Sät- ze aus dem "Sozialistischen Kampf", der Ze'"tse(hrift der österreichischen Sozialisten: 6 Die Emigration in Südamerika vor neuen Aufgaben Die Unterwerfung des gesamten eu- ropäischen Kontinentes unter das Ha- kenkreuz hat die politischen Emigra- tionszentren in Dänemark und Nor- wegen, Belgien und Holland, in Frank- reich und auch in der Schweiz liqui- diert. Umso grösser ist die moralische Verantwortung geworden, die nun- mehr der Bmigration in da(n Län- dern zufällt, die die deutsche Tank- walze nicht zu erreichen vermag: Nord und Südamerika. Die erste Aufgabe ist, die Emigration in Amerika zur Zu- sammenarbeit zusammenzuführen. Soweit es eine politisch aktive Emi- gration in Südamerika gibt, bestand bisher eine gewisse Verbindung mi: einigen Ländern über "Das Andere Deutschland", enger mit Brasilien und Uruguay, loser mit den anderen Län- dern. Die Verbindung mit den Ver- einigten Staaten, wo es verhältnismä- ssig grosse und aktive Gruppen der deutschen und österreichischen Emi- gration gibt, ist erst herzustellen. Wichtigste Aufgabe der Emigrations- zentralen in den Nachbarländern Deutschlands und Oesterreichs war die Herstellung unmittelbarer Verbin- dungen mit den oppositionellen Kräf- ten in den Heimatstaaten und akti- ve Unerstützung des illegalen Kamp- fes mit Geld und Material. Dazu kam die Beschaffung von Berichten über Vorgänge, Stimmungen und Zustände innerhalb der Grenzen Deutschlands und Oesterreichs über diese sel- ben Verbindungen, um dem von der nationalsozialistischen Propaganda entstellten Bild wenigstens Fragmen- te einer wahrheitsnahen Berichter- stattung gegenüberzustellen. Beide Aufgaben waren nur zu erfüllen durch einen im Laufe der Jahre geschaffe- nen Verbindungsapparat, der fast aus- schliesslich auf persönliche Bekannt- schaft abgestellt war. Denn bei der unmittelbaren Lebensgefahr jeder dem herrschenden Regime feindlichen politischen Betätigung mussten solche Verbindungen streng konspirativ auf- gebaut werden, um gestapodicht zu halten. Das heisst, sie beruhten auf beiden Seiten der Grenze auf bestimm- ten Personen, die sich gegenseitig so intim kannten, dass einer dem ande- ren furchtlos sein Leben anvertrauen konnte. Diese Verbindungen müssen wohl jetzt zum allergrössten Teil als verloren betrachtet werden. Den grössten Schwierigkeiten wird die Aufgabe begegnen, neue Wege zur Versorgung der illegalen Opposition in Deutschland mit Material und Geld zu schaffen. Aber so wenig die süd- amerikanische Emigration zu ihrer Lösung beitragen kann, wenn sie ge- lingt, wird die Aufbringung der er- forderlichen Geldmittel auch hier in Angriff genommen werden müssen. Die ausbleibende Berichterstattung aus Deutschland und Oesterreich könnte, wenigstens zum Teil, durch die vielen Einzelmitteilungen ersetzt wer- den, welche in Briefen enthalten sind, die aus Deutschland und Oesterreich an Emigranten in Südamerika kom- men. Sehr oft enthalten solche Brief© Angaben, die für sich allein und für den Empfänger unwesentlich erschei- nen, aber durch systematische Samm- lung und gegenseitige Ergänzung ver- wertbares Material liefern. Es wäre also die Aufgabe in Angriff zu neh- men, diese Informationsquelle zu er- schliessen. Ein weiterer Informations- weg, der viel Arbeit erfordert, ist die systematische Verfolgung der in Oe- sterreich und Deutschland erscheinen- den Tagespresse und gewisser Zeit- schriften. Sehr oft sind ungewollt in ihnen Mitteilungen enthalten, die un- mittelbare oder mittelbare Rück- schlüsse auf Zustände und Vorgänge innerhalb der Reichsgrenzen zulassen. Die Arbeit, die auf diesdVn Gebiete der Internationale Transportarbeiter- Verband bisher geleistet hat, ist ein Beispiel ihres grossen Wertes und ih- rer grossen Ergiebigkeit. Eine Aufgabe, in welche sich die ame- rikanische Emigration nunmehr wird vertiefen müssen, ist die gedankliche 6 Erarbeitung der Zielsetzung und der Methoden der kommenden deutschen Revolution, die alle Siege der Tank- und fünften Kolonnen nicht verhin- dern werden. Wenn über alle sonsti- gen Schranken hinweg eine Idee alle Fraktionen der illegalen Opposition in Oesterreich und Deutschland und die links stehenden Kräfte der Emigra- tion eint, so ist es der Wunsch und der Wille: Kein zweites 1918! Keine zweite verlorene Gelegenheit! Die deutsche Revolution von 1918 ist v®r" loren gegangen, weil die Kreise, die ihr entgegenarbeiteten, die Partner des "Bündnisses Ebert- Hindenburg, wuss- ten was sie wollten und wie sie ss anzupacken hatten, während über bei- des im Lager der Kräfte, die die volution vorwärtstreiben wollten, kei- nerlei Klarheit bestand; so musste sie ^nden in der Restauration der Herr- schaft der Junker, der Industriemag- naten und Generäle. Ein anderes, hi- storisch noch lehrreicheres Beispiel gab Russland, wo der an der Macht stehende, von der Volksmehrheit ge- tragene demokratische Sozialismus durch den diktatorischen Bolschewis- mus besiegt wurde, weil er es ver- säumt hatte, was Lenin und die Seinen systematisch betrieben: die Vorberei- tung der Methoden und Ziele der Machtergreifung in der Emigration, in einer dem Anschein nach hoffnungs- und aussichtsloseren Emigration als ps die deutsche und österreichische Emigration heute ist. Um diese Aufga- be zu bewältigen, muss die Linke der Emigration in sich selber für Klar- heit und Geschlossenheit sorgen, auch auf die Gefahr hin, an sich per- sönlich wertvolle, aber unentschlosse- ne und unklare Elemente abzustossen. Die Leser des "Anderen Deutschland" sind keine Parteiorganisation und sol- len keine werden; aber eine Gesin- nunfcsgemeinschaft müssen sie bilden. Vor allem muss mit aller Klarheit er- fasst sein, dass innerhalb des deut- schen und des österreichischen Volkes nur die Arbeiterklasse Träger eines künftigen Befreiungskampfes sein kann und wird; alle Hoffnungen auf einen Machtweiahsel dui*ch ein«$ ■Reichswehrrevolte oder die Schaffung des "wahren" Sozialismus durch ehemalige, vom gegenwärtigen Kurs enttäuschte Träger des nationalsozia- listischen Regimes sind Utopie. Da- rum muss die Linke der deutschen Emigration ihre Zielsetzung, wenn sie nicht im luftleeren Raum agieren will, mit der Zielsetzung der Arbeiterklasse in Uebereinstimmung bringen. Ein zweiter Aufgabenkreis ist d^r Emigration in Südamerika am Orte ih- res Sitzes vorgezeichnet: der national- sozialistischen Propaganda und der Tätigkeit der Fünften Kolonne Ent- gegenzuwirken, wie es Da« Andere Deutschland mit den bescheidenen Kräften, die ihm zu Gebote stehen, nicht ohne Erfolg versucht. Die Erfül- lung dieser Aufgabe ist auch der be- scheidene Beitrag, den die Emigra- tion in Südamerika zur Verhinderung der nationalsozialistischen Weltherr- schaftspläne leisten kann; denn darü- ber darf in ihren eigenen Reihen eine Illusion nicht bestehen, dass sie zum Sturze des Regimes in Deutsch- land selbst so gut wie nichts zu lei- sten vermag. Eines der Hindernisse, dem die süd- amerikanische Emigration in Erfül- lung ihrer Aufgaben begegnet, ist Ihr Mangel an politisch geschulten Kräf- ten. Die Masse der Emigranten, die hier landete, gehört zur Kategorie der Flüchtlinge, die von den nationalso- zialistischen Rassegesetzen zur Aus- wanderung gezwungen wurden. Die Zahl der wirklichen politischen Emi- granten ist gering. Wer nach der Flucht aus Deutschland aktiv poli- tisch tätig bleiben wollte, blieb in der Regel in Europa, nahe den Brennpunkten der Geschehnisse. Eine kleine Verstärkung stösst su dem Häuflein der Politischen aus den Rei- hen der wenigen alteingewanderten Deutschen und Oesterreicher, die sich ihre geistige Unabhängigkeit und Ma- növerlerfähigkeit durch die Jahre ge- wahrt haben. Alleu sachlichen und persönlichen Schwierigkeiten zum Trotz will „Das Andere Deutschland" den Platz aus- füllen, den ihm die Geschichte zuge- wiesen hat. Die Gesetze unseres Asyl- landes, die wir strikt zu beachten ge- willt sind — eine selbstverständliche Dankespflicht des Gastes — sind un- seren Absichten nicht günstig. Es er- scheint wenig ratsam, eine vereinsmä- ssig konstituierte Organisation aufzu- richten, die uns als Arbeitsbasis so willkommen wäre. Es bleibt unsere Zeitschrift das gegebene Bindeglied zwischen unseren Freunden. Aber die Aufgaben, die uns erwarten, verlan- gen ihre über den Bezug* und die Un- terstützung einer antifaschistischen Zeitschrift hinausgehende Aktivierung. Auch die materielle Beitragsleistung wird künftig eine grössere Bedeutung haben. Wir möchten nicht so weit ge- hen, unseren Freunden jene Opfer als freiwillige Leistung zuzumuten, die aus den Zwangsmitgliedern der natio- nalsozialistischen Organisationen in Argentinien herausgepresst werden, rtass aber der Anruf erhöhter Opfer- bereitschaft bei vermehrten Aufgaben des Anderen Deutschland nicht aus- bleiben kann, ist selbstverständlich. 7 Europäischer Epilog Das Folgende ist dem Schlusskapitel von Anna Biemsen, Spa- nisches Bilderbuch entnommen. Das Buch wurde unter den .Eindrücken einer Reise geschrieben, welche die Verfasserin im Jahre 1937 für ein schweizer Hilfskommitee in das republi- kanische Spanien unternommen hatte. Uns scheint, dass das damals Geschriebene gerade heute aktuell ist. Wie viele haben damals gesagt: „Was geht uns Spanien an?" Und wie viölö He- ssen sich von der systematischen Hetze gegen das „rote" Spa- nien irreführen! Heute schreibt Lloyd George: „Die spanische. Politik, wie sie von der französischen und englischen Regierung geführt wurde, war der Heginn der furchtbaren Niederlage der demokratischen Länder, wie wir sie soeben erlebt haben. ISi.ne energische und kraftvolle Politik in Spanien hätte die Allianz zwischen Frankreich, England und Russland befestigt und •Spanien im Konflikt mit den Diktatoren an unsere Seite ge- führt." Das europäische Leben erscheint auf eine seltsame Weise spukhaft. Und wenn man überlegt, woher diese gespenstische Irrealität rührt, so ist's die überall herrschend Macht der Lüge und des verlogenen Schlagworts. Die- se Schlagworte, die erfunden sind, tun uns die Wirklichkeit zu verdecken, hin- dern uns, da wir keine Tatsachen mehr sehen, sondern nur noch deren ver- zerrte Schattenbilder, das Notwendige zu tun und verdammen uns zu lauter Scheinhandlungen. Unser aller Leben ist ein Leben des Als-Ob. Und da wir uns um die wirklichen Geschehnisse nicht kümmern, so gehen diese ihren Weg unabhängig von uns wie ein wilder Bergstrom, der jeden Augenblick uns mitreissen kann... obgleich wir Mittel genug hätten, ihn einzudämmen. Diese Tatsachen sind einfach genug. Nach dem Kriege ist es in allen europäischen Ländern den Menschen herzlich schwer gefallen, sich einzurichten. Die Verhältnisse waren schwer genug, die Nerven der Menschen durch den Krieg erschüttert, der Verstand durch die jahrelange Aufnahme von Kriegslügen erheblich geschwächt. Dazu kam die Angst vor Sowjetrussland, das zwar vollauf zu tun hatte und hat, mit sich selber fertig zu werden, aber um seines Prestiges willen diese Angst aufrecht erhielt (Schlagwort 1). Dieser Zustand nervöser Unruhe, verbunden mit der grossen Kompliziertheit der Verhältnisse, ermöglichte es zuerst in Italien einem ehrgeizigen Aben- teurer, seine Clique an die Macht zu bringen und durch rücksichtslosen Ter- ror in ihr zu erhalten, und sein Erfolg hat in allen Ländern Nachfolger ge- weckt. die nach gleichem Glück verlangten und, wie immer in Zeiten der Spannungen und Verworrenheit (des Gleichgewichts der mit einander kämp- fenden Klassen), Komplizen fanden, die mit ihnen im Trüben fischen wollten, und Gönner, die dadurch ihre eigenen Machtbedürfnisse wirtschaftlicher, mi- litärischer, religiöser, politischer Art besser zu befriedigen glaubten. Benannt wurde dieser sehr simple Intrigenkampf: Kampf gegen den Marxismus und die bolschewistische Weltgefahr; in Wahrheit ist in keinem einzigen Fall die Macht errungen, im Kampf gegen die sozialistische Arbeiterschaft, sondern entweder den Diktatoren zugeschoben (Italien, Deutschland), oder von Men- schen, die schon in der Regierung waren, durch Verfassungsbruch, Terror etc., widerrechtlich erweitert worden: Dollfuss. Pilsudski, Lerroux-Gil Robles. Bal- kanstaaten (Schlagwort 2). 8 Die so entstandenen Diktaturen hatten im Gegensatz zu Sowjetrussland nicht die Möglichkeit, ihre Völker durch Arbeit des Aufbaus und der inneren. Bat- wicklung zu beschäftigen. Sie herrschten in Ländern mit festen Besitzver- hältnissen, die zu behaupten man sie an die Macht gelassen hatte. Sie mussten also Ablenkung suchen und konnten das nur durch Aufrüstung und dadurch, dass dem nervösen und unbefriedigten Volke das Trugbild eines nationalen Aufstiegs vorgemalt wurde, der im übervölkerten Europa nur auf Kosten an- derer, und also nur durch Krieg möglich war. Dies und die damit verbundene chauvinistische Propaganda wurde nationale Einigung genannt und den ande- ren Völkern als Vorbild dargestellt (Schlagwort 3). Innere politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten, sowie die Notwendigkeit, die beispielslose Rüstungsapparatur rentabel zu machen, zwingen seit zwei Jahren die beiden grössten und kriegerischsten Diktaturen dazu, müitärische Erfolge im Ausland zu suchen: Rheinlandbesetzung, Abessinienkrieg, Spa- niehkrieg sind die ersten Vorstösse in dieser Richtung. Der reibungslose Atn lauf der ersten beiden ermutigte zum dritten. Wir haben erfreulicherweise recht genaue und offene Angaben der beiden Verantwortlichen, wie sich ihr Programm weiter abrollen wird. Für Mussolini ist es die Wiederherstellung des Imperium Romanum, d. h. Herrschaft im Mittelmeer, Nordafrika, Vor- derasien und dem Balkan-Donaugebiet. Für Deutschland Besiegung und Ent- machtung Frankreichs, Herrschaft über alle Deutschsprachigen und -stämmi- gen und damit Hegemonie in Europa und danach Vormarsch nach Osten, bis der "höchste Mensch", der Hitlerdeutsche, zum Herren der Erde geworden ist. Beide Programme sind in den Schriften und Reden der beiden grossen Män- ner nachzulesen. Benimmt werden diese Ziele: Kampf für den europäischen und Weltfrieden (Schlagwort 4). Dass diese Ziele nicht ohne Krieg zu erreichen sind, ist klar, dass ein mit a.ussenpolitischen Zielen erklärter Krieg die bedrohten Völker gegen die An- greifer vereinen könnte, ist zu vermuten. So hat man im Abessinienkrieg zu- erst und dann im Spanienkrieg die Methode der bewaffneten Ordnungsher- stellung ohne Kriegserklärimg erfunden, derzufolge man ein Land erobert "und seine Bevölkerung ausmordet, ohne dass es Krieg ist. Man hat dadurch den} doppelten Vorteil, dass man durch keinerlei Kriegsrecht gebunden ist, und dass man sich als Verteidiger des Friedens rühmen kann mitten im heftigsten Kriege (Schlagwort 5). Diese Methode ist so schön, dass sie heute auch Japan anwendet, und Ihrer; Anwendung in Europa sind unbegrenzte Möglichkeiten gegeben, da sich in je- dem Lande mit Leichtigkeit Unordnungen schaffen lassen, besonders bei dem ausgezeichnet funktionierenden Propaganda- und Geheimdienst der beiden Diktaturländer. Oesterreich und die Tschechoslowakei, Holland, Belgien, die Schweiz und Dänemark — es gibt kein europäisches Land, dem man nicht auf Grund der Verpflichtungen, Ordnung zu schaffen, die bolschewistische Gefahr abzuwehren oder einem Angriff zuvorzukommen, das Schicksal Spaniens be- reiten könnte. Die europäischen Regierungen sind diesem Spiel restlos verfallen. Es ist nicht glaubhaft, dass sie den fünf Schlagworten auf den Leim gehen. Aber Bequem- lichkeit, Feigheit, persönliches Interesse, keine Schwierigkeiten zu schaffen, oder die kleine Schlauheit, sich Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen, nicht selten auch aufrichtige Sympathie mit den hervorragenden Persönlich- keiten der kriegerischen Abenteurer und Gewaltherren, hält sie im Garn dieser Politik und macht sejiost die Weltreiche England und Frankreich zu Puppen, die am Faden des Marionettenspielers tanzen. Nur bei England kann man an- nehmen, dass diese Abhängigkeit nur scheinbar ist, dass in Wahrheit die eng- 9 lische Regierung, kurzsichtig genug, ein im Bruderkampf verblutendes Europa .als eine Sicherung ihrer Vorherrschaft ansehen würde und daher wünscht. Für Spanien ist dieser Wunsch die einzige Erklärung der sonst ganz unbegreiflichen englischen Haltung. "Aber die Regierungen sind nicht die Völker." Ach die Völker! Die sind durch die Schlagwortlügen so verwirrt, so unwissend gelassen durch ihre Leiter, so gegeneinander gehetzt, Bürger gegen Bürger, dass sie alles glauben, was hinrei- chend verlogen ist. Wo aber persönliche Einsicht keimt, da halten Parteien, Organisationen, Beruf und soziale Rücksichten den Einzelnen gefangen und hilflos. Und das alles überwältigende Bedürfnis nach Sicherheit, Behagen und Ruhe, das sich mit dem falschen Namen Friedensliebe tauft, vollendet die Lähmung. Europa hat gegenüber Spanien versagt. Die Regierungen sahen in dem Hel- den kämpf eines Volkes entweder, wie die englische, eine Gelegenheit, sich ein paar schmutzige Vorteile zu holen (ein weissgeblutetes Spanien, ein ge- schwächter Mussolini, ein in seinem Prestige geschädigter Hitler machen Eng- land automatisch mächtiger, und eine recht lange Dauer der spanischen Zwietracht wäre also ein wunderbarer Glücksfall, so rechnen offenbar diese christlichen Gentlemen) oder, wie die Regierungen einer demokratisch-soziali- stischen Linken in Frankreich, Belgien, Skandinavien, eine Verlegenheit. Die Völker aber verfielen automatisch den Schlagwortlügen. Zuerst war es Lüge Nr. 1 von der bolschewistischen Weltgefahr. Trotz der evidenten Unrichtigkeit wurde behauptet, Russland habe die spanische Regierung, eine rein bürgerli- che Regierung, angestiftet zu einem Bürgerkrieg, den Franco begonnen hatte. Diese Lüge steht an Glaubwürdigkeit so hoch wie die Behauptung Molas nach dem Raid der deutschen Flieger über Guernica, die Basken hätten ihre eigene Hauptstadt angezündet. "Die Grösse einer Lüge besitzt immer einen Faktor des Geglaubtwerdens", sagt Herr Hitler und hat Recht, denn diese grösste — und dümmste — aller Geschichtslügen spiüct heute noch in Tausenden! von Zeitungen und Millionen von Köpfen---- Es geht in diesem Kampf nicht um Bolschewismus und Faschismus.....Es geht um die Existenz einer zweitausendjährigen europäischen Kultur. Das .sieht man ganz langsam ein. Aber nun kommt der Müdigkeit, dem Egoismus, dem kleinen persönlichen Sicherheitsbedürfnis das letzte und gefährlichste Lügenschlagwort entgegen von der Erhaltung des Friedens. Mit diesem Schlag- wort hat man die Nichtintervention begründet. Mit diesem Schlagwort hat man Spanien einen ungesetzlichen Boykott auferlegt. Mit diesem Schlagwort hat man den Schleier gedeckt über alle Hilfe für den Beauftragten von Hitler und Mussolini, den Befreier Franco. Mit diesem Schlagwort hat man den Bürgerkrieg künstlich genährt. Mit diesem Schlagwort wird man Franco an- erkennen. Und mit ihm wird man es endlich so weit bringen, dass, nachdem man jedes Gesetz, jeden Vertrag, jede sittliche Forderung hat zerreissen und besudeln lassen, ein ursprünglich kleines und leicht zu erstickendes Feuer sich in einen europäischen und Weltbrand wandelt. ____ In dem Augenblick, wo Hitler und Mussolini ohne allzu grosse innere -und äussere Schwächungen in Spanien und mit Erfolgen als Beute frei wer- den, in dem Falle, dass die Pyrenäenfront faschistisch wird, kommt die zu- rückgehaltene Lawine ins Rollen. Wir können uns in diesem Falle nicht beklagen, dass wir unser Schicksal un- gewarnt erleiden werden. Und das Tragische an der europäischen wie an jeder wahren Tragödie wird sein, dass nicht übermächtige äussere Umstände, son- dern die eigene Schuld das Opfer in den Untergang riss. io uspruch Lass dich Schwermut nicht schwächen: bleibe fest, halte aus! Einst wird die Zukunft dich rächen, kommst du auch nicht mehr nach Haus. Mag es leer um uns werden, schwinden, was Freund einst war, ' sind wir schliesslich auf Erden nur eine kleine Schar, lächerlich und verachtet vor dem Tanz um die Macht, hüllt, was ihr Buntes erdachtet, heut noch in Dunkel die Nacht — einmal muss es tagen, ist der Wahn nicht mehr wahr. Soviel Jahre der Plagen schaffen das glückliche Jahr, das die Mörder entmachtet und die Lügen enthüllt. Was ihr gutes erdachtet, hat sich dann endlich erfüllt. Wieder leuchten die Feuer einem befreiten Land, unserem Herzen teuer, sind wir aus ihm auch verbannt, das wir töricht lieben, weil es uns einst gebar. Die Standhaften blieben stets eine kleine Schar. Doch die bewahrt für immer, was die Heimat besass einst an himmlischem Schimmer, Geist und Freiheit und Mass. Und sie trägt es . nach drüben, kommt sie auch nicht mehr nach Haus. Lass dich Trauer nicht trüben, bleibe fest, halte aus! MAX HERMANN NEISSE. 11 österreichische Seite Die Mission der österreichischen Emigration in Südamerika Die Unterwerfung des europäischen Kontinents unter die deutsche Herr- schaft hat den Aktionsradius der öster- reichischen Emigration in Europa auf England beschränkt; das gibt der österreichischen Emigration in den Ueberseeländern, also auch in Süd- amerika, eine gesteigerte Bedeutung, belastet sie aber auch mit vermehr- ter Verantwortimg. Die Oesterreichische Zentralstelle im AD hat keinen Anlass, unter den neuen Bedingungen ihre grundsätzli- che Auffassung über die Mission der österreichischen Emigration zu revi- dieren. Wir sind Zeitgenossen eines ungeheuren weltgeschichtlichen Um- wälzungsprozesses, der noch manche Wendung nehmen wird, ehe er zu ei- ner neuen Ordnung der Dinge aus- reift. In diesem Prozess spielt das Schicksal Oesterreichs im Bewusst- sein der Beteiligten — ausgenommen die Oesterreicher selbst, deren tiefe Heimatliebe begreiflicherweise das Schicksal ihres Landes in den Mittel- punkt ihres Interesses rückt — eine sehr untergeordnete Rolle Wenn über das künftige Schicksal Oesterreichs in dem grossen Weltbeben irgendetwas mit der allergrössten Sicherheit pro- phezeit werden kann, so ist es dieses": dass sich alle rückwärts gerichtete Ideologie, die von der Wiederaufrich- tung von Kaiserreichen träumt, wel- che vor einem Vierteljahrhundert un- ter das Bad der Geschichte gera- ten sind, angesichts der ungeheuren sozialen und politischen Umwälzung, die sich Bahn bricht, in haltlose Uto- pien verliert. Vielleicht hat die jüngste Entwick- lung manchen die Einsicht gebracht, wie real dagegen die h'er schon vor Monaten ausgesprochene Erwartung ist, dass die österreichische Freiheit erwachsen wird aus dem kommenden gemeinsamen Freiheitskampf des deut- schen und österreichischen — nun muss man auch schon hinzufügen: tschechoslowakischen und -polnischen, dänischen und norwegischen, belgi- schen und holländischen und des fran- zösischen — Volkes und nicht aus den militärischen Siegen irgendeiner der am Kriege beteiligten Parteien. Die Rolle des Krieges mag es sein, diesen Freiheitskampf auszulösen. Aus dieser Konzeption lehnen wir je- de Entscheidung über die Zukunft Oesterreichs durch die Emigration ab: es wäre eine vollkommene Verkennung ihrer Funktion, sich dieses Recht an- zumassen. Die Entscheidung kann nur Sache des österreichischen Volkes selbst, des Volkes das daheim geblie- ben ist, sein. Die Emigration hat nur die Verpflichtung, was in ihrer Macht liegt zu tun. zur Erringung der Frei- heit, die erst das österreichische Volk in die Lage versetzen w'rd, frei über seine Zukunft zu entscheiden. Wenn wir "Freiheit" sagen, meinen wir nicht nur Freiheit vom Nazij och, sondern auch die Freihe't von jedem anderen möglichen Druck und Zwang. In un- seren Augen ist es Verrat an der öster- reichischen Freiheit, wenn im Interes- se eines Thronprätendenten und des Geschmeisses, das um ihn scharwen- zelt, geheimdiplomatische Vere'nbarun gen eingegangen werden, die einmal zu Fesseln für die freie Selbstbestim- mung des österreichischen Volkes wer- den können. Um es ganz klar zu sagen: Der Ein- tritt. Oesterreichs in e'ne staatsrecht- liche Gemeinschaft mit seinen Nach- barstaaten, die Festlegung seiner Staatsform und Wirtschaftsverfassung: dürfen weder der Preis der Befreiung: sein, noch auch nur ihr vorausgehen; sondern nach der Befreiung 'st vom österreichischen Volke zu bestimmen, ob es ein selbständiges Staatswesen, die Donauföderation oder den An- schluss; die Monarchie oder die Repu- blik: den Kapitalismus oder den So- 12 zialismus zur Lebensform des künfti- gen Oesterreich machen will. Selbstverständlich schliesst diese Auf- fassung nicht aus, dass die verschie- denen Richtungen, die es innerhalb der österreichischen Emigration gib;., für ihre eigene Gesinnung und Auf- fassung eintreten und werben. Unsere lieberzeugung ist, dass die sozialisti- sche Arbeiterschaft in Oesterreich die einzige Kraft ist, von der die Befrei- ung erwartet werden kann. Alle an- deren Klassen und Gesinnungsge- meinschaften haben sich unter Doll- fuss und Schuschnigg oder seither kompromittiert und verbraucht. Und das bestimmt ganz eindeutig unsere Auffassung und Gesinnung. Sie schliesst aber keinesweges die Bereit- schaft aus, mit anderen österreichi- schen Gruppen, soweit sie auch für die Befreiung Oesterreichs eintreten — was wir darunter verstehen, haben wir oben umrissen — zusammenzuarbei- ten. Oesterreichische Faschisten, die nur den ausländischen Träger der Diktatur über das österreichische Volk durch einen inländischen ersetzen wollen, und grossösterreichische Mo- narchisten, die mit Waffengewalt, mit fremden Bayonetten noch dazu, die Nationen des Donaubeckens der Herr- schaft der Familie Lothringen-Parma unterwerfen wollen, gehören nicht da- zu. Merksprüche für unsere Zeit Von JÖHANN GOTTFRIED SEUME. J. G. Seume war klarstblickende und charakterfesteste deut- sche in den verwirrenden und blutigen Zeitläuften Ende des 18. und Anfang- des 19. Jahrhunderts, den Zeiten der Grossen französischen Revolution und der napoleonischen Kriege. Des- halb hat man ihn totgeschwiegen in den reaktionären Zeiten Bismarcks und Wilhelms II. än der Weimarer Republik haben einige Wenige nachdrücklich auf diesen beispielhaften Repu- blikaner hingewiesen und Auswahlen seiner Schriften heraus- gegeben. Aber sie wurden wenig beachtet, wie das denn zu die- sem Zerrbild einer echten Demokratie nicht anders passte. Leider scheint jetzt für Deutschland die einzige Hoffnung in der Zerstörung z j. sein. Unsere Leiden kommen nicht von aussen, sondern von innen. Man gibt in unseren Staaten meistens der Gerechtigkeit eine Form, die schrecklicher ist als die Ungerechtigkeit selbst. Es ist zu hoffen, dass die jetzige grosse Gärung den Abschaum auswirft und abwirft und die Selbständigkeit zutage fördert. Ein Glück für die Despoten, dass die eine Hälfte der Menschen nicht denkt und die andere nicht fühlt. Herrschen ist Unsinn, aber Regieren ist Weisheit. Man herrscht also, weil man nicht regieren kann. Wann wird man wohl einmal wieder mit Ehren deutsch denken, reden und schreiben können? Wer laut vernünftig ist, wird entweder von den Fremden erschlagen oder von den einheimischen Bütteln ins Tollhaus gebracht. Unbedingter Gehorsam ist kein Gedanke unter vernünftigen Wesen. Wo mich jemand nach seiner Wülkür brauchen kann, bin ich ihm keinen Gehorsam schuldig. Das geht aus der moralischen Natur des Menschen hervor. 13 Wo keine Sklaven sind, kann kein Tyrann entstehen. Predigt nur immer brav Geduld, so ist die Sklaverei fertig. Denn von der Ge- duld zum Beweise, dass ihr alles dulden müsst, hat die Gaunerei einen leich- ten Uebergang. Wo Geheimnisse sind, fürchte ich Gaunerei. Die Wahrheit kann und darf vor Männern das Licht nicht scheuen. Es kibt keine Wahrheit, die man vor Ver- nünftigen verargen müsste. Der Mystizismus liegt meistens in Nervenschwäche und Magenkrampf. Die besten Apostel der. Despotie und Sklaverei sind die Mystiker, meistens ge- scheiterte und grobe Sinnlinge. r Wo ein einziger Mann den Staat erhalten kann, ist der Staat in seiner Fäulnis kaum der Erhaltung wert. Vorstehende Zitate sind dem empfehlenswerten Werk von Wilhelm Herzog, "Hymnen und Pamphlete" CFariß, Editions Nouvelles In- ternationales) ) entnommen. Leitstern und Übergang Aus dem Brief eines wegen sei- nes grossen Aufbauwerkes in der Gemeinde Wien internatio- nal bekannten österreichischen Emigranten. Für mich ist der Leitstern der Sozia- lismus, an den ich nie so stark geglaubt habe, von dessen Sieg ich nie so fest überzeugt war, als gerade in diesen Zeiten scheinbaren Niedergangs. Alles, was sich seit 1914 vollzieht und jetzt im Gange ist, erscheint mir als eine, mitunter in Verkleidungen auftreten- de, aber doch im Kerne stets gleiche Auseinandersetzung der Klassen. Es ist nun einmal das Schicksal der Mensch- heit, einen neuen Weg nie aus ruhiger, vernünftiger Ueberlegung gehen zu können, sondern nur unter blutigen Kämpfen. So war es mit der Leibei- genschaft, die selbst im freien Ameri- ka erst nach einem langen Bürger- krieg abgeschafft werden konnte; so vermochte der dritte Stand nur Gleich- berechtigung zu erlangen, indem er viele Adlige köpfte; so ist es jetzt mit der Arbeiterschaft, ob es sich nun um Russland oder um andere Gebiete han- delt. So sehr der Nazismus als grauen- hafter Rückfall in längst überwunden geglaubte Abschnitte des Mittelalters und des Altertums selbst — Wegfüh- rimg ganzer Volksteile zu einer Art Sklavenarbeit — zunächst sich dar- stellt, muss er doch, weil eben der So- zialismus die unabänderliche Entwick- lungslinie ist, zur Aufwärtsbewegung beitragen. Schon dass die Nazis ge- zwungen sind, obwohl sie von den Jun- kern und Industriebaronen in den Sattel gesetzt wurden, den Massen vor- zutäuschen, sie seien "deutsche Sozia- listen" beweist, dass die Macht dieser Idee zu gewaltig ist, um selbst von den Gegnern einfach negiert zu wer- den; sie müssen sie fälschen, aber selbst das wird sich im richtigen Au- genblick an ihnen' rächen. Der Nazi- kampf gegen die reaktionäre katholi- sche Kirche, die Verfolgung der ge- mässigten Sozialdemokraten, die da- durch den Irrtum erkennen, dass man im Weg des Stimmzettels in den Zu- kunftsstaat friedlich hineinwachsen könne, zuletzt die gerade die eifrigsten Nazis verwirrende Alliierung mit Sow- 14 jetrussland, das sind lauter Elemente, aus denen wider Willen